<p class="article-intro">Mit der richtig dosierten Anwendung von Bewegung bzw. Training können ganz wesentliche Symptome und Komorbiditäten bei rheumatischen Erkrankungen positiv beeinflusst werden. Wie im folgenden Artikel beschrieben wird, stellt die medizinische Trainingstherapie (MTT) für den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität von Rheumapatienten eine ganz wesentliche therapeutische Säule dar.</p>
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<p class="article-content"><p>Genauso wie in der übrigen Medizin verwenden wir hier genau definierte Begriffe, die zu Beginn dieses Artikels beschrieben werden. Der zentrale Punkt bei der Verordnung von MTT ist die regelmäßige Anwendung von Training, um medizinische Effekte beim Patienten bewirken zu können.</p> <h2>Grundlagen aus der Leistungsmedizin</h2> <p>Zunächst wollen wir den Begriff „Bewegung“ näher betrachten. Bewegung ist lediglich die aktive Bewegung der Muskulatur unter Verbrauch von Energie. Jede Form der Bewegung ist günstig und leistet bei eventuell vorhandener Adipositas einen Beitrag zum Energieverbrauch. Damit allerdings Bewegung zu Training wird, müssen folgende drei Grundsätze erfüllt sein:</p> <ol> <li>Die Bewegung muss regelmäßig erfolgen, das heißt: jede Woche, jeden Monat, das gesamte Jahr über. Jede Form der Bewegung, die nur gelegentlich und eben nicht regelmäßig erfolgt, fällt nicht unter den Begriff Training.</li> <li>Durch die Bewegung wird die körperliche Leistungsfähigkeit verbessert oder auf einem bestimmten Niveau gehalten. Dies bedeutet nicht, dass wir hier leistungssportliche Zielsetzungen verfolgen. Aber gerade vom Erreichen einer höheren Fitness hängen alle anderen Effekte des Trainings wesentlich ab.</li> <li>Die Trainingseffekte basieren auf organischen Wachstumsprozessen der trainierten Strukturen. Im Speziellen werden im Rahmen eines regelmäßigen Ausdauertrainings vor allen Dingen das Herz-Kreislauf-System und der Stoffwechsel verbessert. Krafttraining hingegen basiert auf Wachstumsprozessen im Bereich der Muskelfasern mit einer Vermehrung der Aktin- und Myosin- Strukturen.</li> </ol> <p>Die allgemeine immer noch häufig ausgesprochene ärztliche Empfehlung: „Machen Sie doch mehr Bewegung!“ ohne nähere Angaben sollte daher gerade auch in Rheumaambulanzen und -ordinationen möglichst vermieden werden.</p> <p>Wenn nun Training zur Prävention oder direkten Behandlung von Erkrankungen eingesetzt wird, sprechen wir von „medizinischer Trainingstherapie“. Zielsetzung der MTT ist immer die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, da alle wesentlichen Effekte der MTT genau davon abhängen. Dieser Grundsatz ist übrigens völlig unabhängig von der Grunderkrankung und gilt bei kardiologischen, metabolischen oder eben auch rheumatologischen Anwendungsgebieten. <br />Die Leistungsfähigkeit – im Ausdauerbereich wesentlich durch die maximale Sauerstoffaufnahme (VO<sup>2 </sup>max), im Kraftbereich durch die sogenannte Maximalkraft bestimmt – stellt einen der wesentlichen Parameter für die Gesundheit des Menschen dar. In einigen großen Studien konnte die körperliche Leistungsfähigkeit auch als einer der wichtigsten Prädiktoren für die Lebenserwartung des Menschen bestimmt werden – unabhängig von allen anderen Risikofaktoren wie BMI, Cholesterin oder Blutdruckverhalten. Da Rheumapatienten sowohl für Herz-Kreislauf- Erkrankungen als auch für metabolische Erkrankungen leider ein hohes Komorbiditätsrisiko aufweisen, hat die Verordnung der MTT in der Rheumatologie einen sehr hohen Stellenwert.</p> <p>Auch die MTT wird genau definiert und unterliegt folgenden Grundsätzen:</p> <ol> <li>MTT ist eine ärztlich verordnete Therapie mit genauer Anleitung und exakter Dosisangabe.</li> <li>Die Erkrankung muss immer nach den aktuellen Richtlinien stabil (evtl. medikamentös) eingestellt sein.</li> <li>MTT basiert immer auf wissenschaftlichen Grundlagen.</li> </ol> <h2>Methodik und Effekte</h2> <p>Die beiden Trainingsmethoden der MTT sind Ausdauer- und Krafttraining. Beide Trainingsformen trainieren unterschiedliche Strukturen und haben eine eigene Systematik.</p> <p><strong>Ausdauertraining<br /></strong>Ausdauertraining hat generell immer die Zielsetzung, die aerobe Leistungsfähigkeit bzw. die maximale Sauerstoffaufnahme (VO<sup>2 </sup>max) zu verbessern. Grundlage für die medizinische Trainingsberatung und die Gestaltung des Ausdauertrainingsprogrammes ist eine leistungsmedizinische Untersuchung mit Ergometrie (Belastungs- EKG). Einerseits können damit Herz-Kreislauf- Erkrankungen wie die koronare Herzerkrankung, die ja bei Rheumapatienten überdurchschnittlich häufig auftritt, diagnostiziert werden. Andererseits gibt die Ergometrie Auskunft über die aktuelle Leistungsfähigkeit des Patienten. Darauf aufbauend werden dann die optimale Trainingsherzfrequenz sowie der richtige Trainingsumfang individuell bestimmt.<br />Die Trainingsherzfrequenz umfasst jenen Bereich, in dem die optimalen Trainingseffekte für den Patienten erreicht werden können. Sie sollte während des Ausdauertrainings vom Patienten mit einer EKG-gesteuerten Trainingsuhr (z.B. Polar<sup>®</sup>) überwacht werden. <br />Für Patienten, bei denen (noch) kein leistungsmedizinischer Test durchgeführt wurde, kann mittels der sogenannten Borg- oder PER-Skala („perceived exertion rate“) die richtige Intensität eingehalten werden. Die Skala beschreibt das subjektive Empfinden bei Belastung von 6 (Ruhe) bis 20 (Maximalbelastung), wobei der optimale Trainingsbereich bei 11–13 (leichte bis mittlere Anstrengung) liegt. Die landläufige sehr gute Empfehlung, „beim Gehen/Laufen gerade noch sprechen zu können“, würde ebenfalls dieser Belastung entsprechen. <br />Ausdauertraining sollte an 2–3 Tagen der Woche durchgeführt werden, damit Trainingseffekte ausgelöst werden. Ein tägliches Training der Ausdauer bei Rheumapatienten ist explizit nicht zu empfehlen und kann sehr rasch zu einem sog. „Übertrainingssyndrom“ führen. <br /><br />Am besten geeignet für das Ausdauertraining bei Rheumapatienten sind Radfahren (Ergometer), Gehen oder Nordic Walking. Die Dauer einer Trainingseinheit ist zu Beginn je 15 bis 20 Minuten. Der Trainingsumfang kann dann alle 6 Wochen um je 5 Minuten pro Trainingseinheit erhöht werden, mit der Zielsetzung, nach einigen Monaten bei einem Umfang von 3x 40 bis 3x 45 Minuten pro Woche anzukommen. Dies sollte dann langfristig beibehalten werden.</p> <p><strong>Krafttraining<br /></strong>Krafttraining stellt die zweite wichtige Trainingsform im Rahmen der MTT dar und sollte bei Rheumapatienten ein wesentlicher Bestandteil der verordneten Trainingstherapie sein. Krafttraining verfolgt das Ziel, die Muskulatur zu vergrößern, das heißt eine Muskelhypertrophie auszulösen. Die Therapie der Wahl stellt daher das sogenannte Muskelhypertrophie- Training dar. Methodisch wird eine Hypertrophie der trainierten Muskelgruppe durch ein erschöpfendes Krafttraining erreicht. Dies bedeutet, dass eine Übung so oft wiederholt wird, bis keine weitere Wiederholung mehr möglich ist. In der medizinischen Trainingslehre bezeichnen wir die ununterbrochene Wiederholung einer Übung als einen Satz. Als generelle Richtlinie kann empfohlen werden, die trainierte Muskelgruppe mit 10–15 Wiederholungen komplett zu erschöpfen.<br />Im Rahmen der MTT und vor allem für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen bedeutsam ist ein Ganzkörper-Krafttraining nach oben beschriebener Methode (6–8 verschiedene Übungen). <br />Krafttraining sollte 1–2-mal wöchentlich durchgeführt werden. Bei untrainierten Patienten ist es völlig ausreichend, mit 1–2 Sätzen pro Muskelgruppe das Krafttrainingsprogramm zu beginnen. <br />Krafttraining erfordert eine intensive Einschulung am Trainingsgerät bzw. mit den benutzten Trainingswiderständen (Gewichte, Therabänder etc.). Der Patient sollte vom Rheumatologen dafür sensibilisiert werden, welchen enormen medizinisch positiven Stellenwert ein regelmäßiges Krafttraining bei seiner rheumatischen Erkrankung hat. Empfehlenswert ist hier sicher die Zusammenarbeit mit einem sportmedizinischen/physikalischen Zentrum.</p> <h2>Spezielle Effekte der MTT bei rheumatischen Erkrankungen</h2> <p><strong>MTT zur Behandlung der reduzierten Leistungsfähigkeit<br /></strong>Ein zentrales Problem bei rheumatischen Erkrankungen ist die reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit. Die Ursachen dafür sind, wie so oft in der Medizin, multifaktoriell (Abb. 1). Neben Immobilitätsphasen bei Krankenhausaufenthalten und Operationen trägt auch die reaktive Depressio zu Immobilität und resultierender Muskelatrophie bei. <br />Ein ganz wesentliches Problem bei Rheuma sind die chronischen oder rezidivierenden entzündlichen Phasen der Erkrankung. Entzündungsmediatoren wie CRP (C-reaktives Protein), Interleukin 6 oder TNF-alpha (Tumor-Nekrose-Faktor alpha) haben neben den proinflammatorischen Eigenschaften auch katabole Effekte auf den Organismus, was zu einem konsekutiven Abbau von Eiweißstrukturen führt. Im Bereich der Skelettmuskulatur bewirkt dies eine generalisierte Muskelatrophie (Sarkopenie) mit daraus folgender reduzierter Ausdauer- und Kraftleistungsfähigkeit. In Extremfällen, die sicher vielen praktizierenden Rheumatologen bekannt sind, führt dies bis zu kachektischen Zuständen (rheumatoide Kachexie). Gerade für diese Patienten ist neben der optimalen rheumatologischen Medikation eine Trainingsempfehlung zur Verbesserung der muskulären Strukturen unabdingbar.</p> <p><strong>Antiosteoporotischer Effekt<br /></strong>Wie bereits erwähnt, führt der chronische Bewegungsmangel aufgrund des reduzierten Knochenstimulus zu einer Abnahme der Knochendichte. Ein weiterer wesentlicher Grund für die Abnahme der Knochendichte bei Rheumapatienten ist die chronische Erhöhung proinflammatorischer kataboler Zytokine, die neben der Atrophie der Skelettmuskulatur auch zur Entstehung einer Osteopenie bzw. Osteoporose beitragen. Als dritter Hauptgrund muss auch die chronische bzw. rezidivierende medikamentöse Verabreichung von Steroiden erwähnt werden. Neben dem ausgezeichneten antiphlogistischen Effekt der Steroide kommt es als wesentliche Nebenwirkung leider auch zu negativen katabolen Effekten auf den Knochenstoffwechsel. <br />Die oben genannten Punkte unterstreichen die Wichtigkeit, in diesem Bereich mit richtig dosierter Bewegung entgegenzuwirken. Ein echter antiosteoporotischer Effekt kann allerdings nur mit Krafttraining erzielt werden. Die Osteoblasten benötigen, wie wir aus zahlreichen Studien wissen, eine intensive Belastung, um entsprechend stimuliert zu werden („High impact“-Belastungen). Die Knochendichte korreliert mit der Dicke des darüber liegenden Muskels, und somit werden mit einem Muskelhypertrophie-Training die Muskulatur und gleichzeitig der darunter liegende Knochen stimuliert. Reine Ausdauersportarten, wie Nordic Walking, Laufen oder Schwimmen, haben nur geringe Effekte auf den Knochenstoffwechsel und sollten daher zur Behandlung der Osteopenie/Osteoporose nicht primär empfohlen werden.</p> <p><strong> Analgetischer Effekt<br /></strong>Eines der wesentlichsten Probleme des Rheumapatienten sind Schmerzen im Bereich der betroffenen Gelenke. Diese sind aber nicht immer nur auf entzündliche Schübe zurückzuführen, sondern resultieren auch aus der chronisch progredienten periartikulären Muskelatrophie. Um dies näher zu erläutern, soll im Folgenden auf die Muskelphysiologie eingegangen werden: Bei einer Muskelkontraktion wechseln sich die kontraktilen Elemente ab, sodass je nach dem Ausmaß der Muskelkontraktion immer ein Teil der Muskelfasern nicht kontrahiert ist. Dies ermöglicht einerseits eine Erholung von Muskelfasern, andererseits kann der Muskel auch bei der Kontraktion durchblutet werden. Je höher der Grad der Muskelatrophie, desto geringer ist auch die Perfusion während der Muskelkontraktion. Und genau diese Minderperfusion bei Muskelaktivität schmerzt. Klinisch zeigt sich dies bei Patienten mit rheumatoider Arthritis der Fingergelenke, die rheumatologisch optimal behandelt sind, keine entzündlichen Schübe haben, aber dennoch über chronische Schmerzen der Fingergelenke klagen. Genau hier setzt das Krafttraining der medizinischen Trainingstherapie nach oben beschriebener Methodik an. Der atrophe Muskel wird wieder aufgebaut, ist dann bei Kontraktion wieder besser durchblutet und jede Form der Bewegung kann koordinativ besser und vor allen Dingen länger schmerzfrei durchgeführt werden (Abb. 2).</p> <p><strong> Antidepressiver Effekt<br /></strong>Ein sehr hoher Prozentsatz der Rheumapatienten leidet an Depressionen. Bei der häufigsten entzündlichen rheumatischen Erkrankung, der rheumatoiden Arthritis, beträgt die Prävalenz 13–20 % . Regelmäßig durchgeführte Trainingstherapie wirkt ausgezeichnet antidepressiv und führt zu ähnlichen zentralen Effekten wie die Verordnung eines modernen Antidepressivums, nämlich zu einer Serotonin-Erhöhung im neuronalen synaptischen Spalt. Antidepressive und auch anxiolytische Effekte werden sowohl durch Ausdauer- als auch durch Krafttraining ausgelöst, sodass hier beide Trainingsformen der MTT in Kombination am besten wirksam sind.</p> <p><strong> Kardiovaskuläre Effekte<br /></strong>Die Stoffwechseleffekte der Trainingstherapie sind ebenfalls medizinisch extrem positiv zu beurteilen: Der Gesamtcholesterinspiegel wird gesenkt und das HDLCholesterin steigt im Rahmen eines richtig dosierten Trainingsprogrammes. Ebenso gesenkt werden der Triglyzeridspiegel sowie der Blutzucker. Ein weiterer ganz wesentlicher Trainingseffekt ist die Reduktion erhöhter Blutdruckwerte. Somit ist die Trainingstherapie das ideale Medikament zur kausalen Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2, der bei rheumatoider Arthritis eine sehr häufige Komorbidität darstellt (bis zu 50 % erhöhte Inzidenz). <br />Allen eben beschriebenen Effekten gemeinsam ist eine daraus resultierende Reduktion der Arteriosklerose. Daher können die gefürchteten Folgeerscheinungen der Arteriosklerose wie zerebraler Insult oder Myokardinfarkt durch ein regelmäßig durchgeführtes Trainingsprogramm massiv reduziert werden. Genau davon profitieren auch wieder Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, da bei ihnen das Risiko einer Herz-Kreislauf- Erkrankung um das 2–3-Fache erhöht ist.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Aufgrund der oben beschriebenen verschiedenen positiven Effekte der MTT stellt diese eine wichtige Behandlungsoption in der Rheumatologie dar. Neben der zentralen Zielsetzung, die körperliche Leistungsfähigkeit im Ausdauer- und Kraftbereich zu verbessern, können zahlreiche weitere positive medizinische Effekte hervorgerufen werden. Die Empfehlung von richtig dosierter und regelmäßiger Bewegung im Sinne der MTT sollte daher jedem Rheumapatienten bei möglichst jedem Arztkontakt gegeben werden. Neben der Erhöhung der Leistungsfähigkeit werden damit nicht nur viele Komorbiditäten signifikant reduziert, sondern vor allem die Lebensqualität der Patienten langfristig verbessert.</p></p>
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