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Neue Leitlinie zur Polymyalgia rheumatica
Jatros
Autor:
Mag. Christine Lindengrün
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Die deutschsprachigen Gesellschaften für Rheumatologie (DGRh, ÖGR und SGR) haben in Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen eine Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica (PMR) erarbeitet.<sup>1</sup> Von den gebündelten Empfehlungen erhoffen sich die Experten einen spürbaren Nutzen für die Patienten, da die Therapie bislang uneinheitlich gehandhabt wird. Die neue Leitlinie enthält vor allem detaillierte Empfehlungen zur Therapie mit Kortison.</p>
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<p class="article-content"><p>Doc Martin aus der gleichnamigen TV-Serie diagnostiziert im Gespräch mit einem Angestellten des Hotelpersonals „so nebenbei“ eine PMR. Der Mann ist typischerweise über 50, hat Schulterschmerzen, eine verdickte Schläfenarterie und bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, dass er von einer rheumatischen Erkrankung betroffen ist. Die frühzeitige Diagnose und Therapieeinleitung sind aber insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen einer Riesenzellarteriitis (RZA) wesentlich, da die Entzündung der Arterien schnell zu schlimmen Komplikationen führen kann. Vor allem die ischämische Optikusneuropathie mit drohender Erblindung ist gefürchtet.</p> <h2>Symptome sprechen für sich</h2> <p>Die PMR ist, obwohl in der Öffentlichkeit kaum bekannt, keineswegs selten. „Bei Personen im höheren Lebensalter ist sie nach der rheumatoiden Arthritis die zweithäufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung“, erläutert Prof. Dr. Frank Buttgereit von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, unter dessen Leitung die Leitlinie erstellt wurde. <br />Charakteristisch ist, dass die Erkrankung selten vor dem 50. Lebensjahr auftritt und Frauen dreimal häufiger betroffen sind als Männer. Prof. Dr. Marcus Köller, Primar am SMZ Süd – Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien, beschreibt das klassische klinische Bild: Die Patienten schildern meist „Muskelschmerzen“ oder auch „Knochenschmerzen“ sowie Steifigkeit in Schultern, Nacken und Oberarmen, besonders am Morgen. Das Kämmen bzw. Frisieren fällt schwer oder ist gar nicht möglich. „70 bis 95 Prozent der Betroffenen haben bilaterale Schultergürtelschmerzen, 50 bis 70 Prozent beidseitige Beckengürtelschmerzen“, so Köller. Nackenschmerzen, Ödeme am Hand- bzw. Fußrücken und periphere Arthritiden sind weitere Hinweise auf PMR. Zusätzlich können Fieber, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust auftreten. <br />In der Blutuntersuchung können eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und/oder ein Anstieg von C-reaktivem Protein als Zeichen einer entzündlichen Erkrankung auffallen. Einen spezifischen Marker für PMR gibt es nicht, jedoch können in einem relativ kurzen Anamnesegespräch „starke Hinweise“ gesammelt werden, so Köller. Die neuen EULAR/ACR-Klassifikationskriterien sind hilfreich, um das Krankheitsbild zu identifizieren.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Keine Alternative zu Kortison</h2> <p>Die Behandlung der PMR besteht gemäß der neuen S3-Leitlinie<sup>1</sup> in der Gabe von oralen Glukokortikoiden. Die Therapie soll unmittelbar nach Diagnosestellung eingeleitet werden – das ist laut Prof. Buttgereit eine wichtige Empfehlung dieser Leitlinie. Bei den meisten Patienten komme es zu einer raschen und deutlich ausgeprägten Linderung der Beschwerden. „Viele Betroffene kommen dann ohne weitere Schmerzmittel aus“, so der Experte.<br />„Kortison wirkt sehr rasch und sehr gut“, bestätigt Köller. Die Dosierung der Glukokortikoid-Therapie soll für jeden PMR-Patienten individuell angepasst werden. Sie sollte immer so hoch wie nötig, aber so niedrig wie möglich sein. Wichtig ist, dass die Initialdosis nicht zu niedrig angesetzt wird: Laut der neuen Leitlinie sollte sie zwischen 15 und 25mg Prednison-Äquivalent pro Tag liegen. Es sollen keine Initialdosen von ≤7,5mg/Tag oder von >30mg/Tag angewendet werden.<br />Um die Risiken und Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten, wird den Patienten empfohlen, das Medikament morgens einzunehmen. „Das vermindert das Auftreten von Schlafstörungen und verringert die Beeinträchtigungen des Hormonsystems“, so Buttgereit. <br />Nach dem Abklingen der Beschwerden wird die Kortisondosis langsam, aber möglichst kontinuierlich gesenkt – „basierend auf einem regelmäßigen Monitoring der Krankheitsaktivität des Patienten, der Laborparameter und des Auftretens von Nebenwirkungen“, so der Wortlaut der Leitlinie. Hierzu gibt es keine festen Vorgaben, jedoch Empfehlungen zum Vorgehen bei der Dosisreduktion und dazu, welche Dosis nach welcher Zeit erreicht werden sollte.<sup>1</sup> <br />Zusätzlich zur Glukokortikoid-Therapie sollte insbesondere bei Risikopatienten die Gabe von Methotrexat frühzeitig in Betracht gezogen werden. Begleitend zur medikamentösen Behandlung rät die Leitlinie vor allem bei älteren und gebrechlichen Personen zu einer Physiotherapie. Dadurch soll verhindert werden, dass die Patienten im Verlauf der Erkrankung dauerhafte Einbußen ihrer Beweglichkeit erleiden. <br />Aus Sicht der Leitlinienautoren gibt es derzeit keine Alternativen zur Behandlung mit Glukokortikoiden. In Studien seien Patienten zwar teilweise erfolgreich mit Biologika behandelt worden, für eine Empfehlung seien die Erfahrungen derzeit noch nicht ausreichend. <br />Langfristig sind die Aussichten bei einer leitliniengerechten Behandlung durch einen Rheumatologen für Betroffene gut. „Viele Patienten erholen sich vollständig von der Erkrankung und benötigen nach einiger Zeit keine Medikamente mehr“, sagt Buttgereit.</p> <h2>Auf Riesenzellarteriitis achten</h2> <p>PMR kann zusammen mit einer RZA auftreten, einer systemischen Entzündung der Arterien (häufig betroffen: Arteria temporalis, Arteria ophthalmica und Aortenbogen). „Etwa jeder fünfte PMR-Patient hat auch eine RZA und bis zu zwei Drittel der RZA-Patienten zeigen PMR-Symptome“, sagt Köller. In MR-Studien ist der Overlap zwischen den beiden Erkrankungen sogar noch höher. Eine Studie entdeckte klinisch stumme Gefäßentzündungen bei 12 von 13 PMR-Patienten.<sup>4</sup><br />Auch für die RZA gibt es Klassifikationskriterien der ACR. „Bei der Diagnostik der Riesenzellarteriitis darf man sich nicht immer auf die Blutsenkungsgeschwindigkeit verlassen“, betont Köller. Denn sie ist nicht zwingend erhöht: „Behandeln Sie die Symptome, nicht die Befunde!“ Köller empfiehlt, auf Kopf- und Kauschmerzen, Auffälligkeiten der Schläfenarterie, Visusstörungen und Claudicatio (vor allem der oberen Extremität) zu achten. Bei der Abklärung von Fieber unklarer Genese (FUO) bei älteren Menschen sollte ebenfalls immer auch eine PMR bzw. RZA in Betracht gezogen werden, denn RZA verursacht etwa 2 % , in der Population der über 65-Jährigen sogar 16 % aller Fälle von unklarem Fieber.<br />Der histologische Nachweis aus der Biopsie der Arteria temporalis gilt zwar immer noch als Standard bei Befall dieser Arterie, aber bei einem hochgradigen klinischen Verdacht hat auch das in der Sonographie typische HALO-Zeichen eine ausreichend hohe Sensitivität und Spezifität. Ein histologischer Befund muss in diesen Situationen nach Meinung Köllers nicht abgewartet werden: „Die Gefahr einer Augenbeteiligung ist viel zu groß, man sollte daher bei Verdacht auf RZA sofort mit der Steroidtherapie beginnen.“ Für extrakranielle Manifestationen der RZA sind Fluorodeoxyglucose-Positronen-Emission-Tomographie (FDG-PET) oder PET-CT geeignet.<br />Das Therapieregime für die RZA beinhaltet initiale Prednisolon-Dosen von 40–60mg/Tag, bei Visusverlust 500–1000mg Methyl-Prednisolon i.v. über 3 Tage. Je nach Verlauf erfolgt die Dosisreduktion mithilfe von Methotrexat laut den EULAR-Empfehlungen. Wie bei der PMR zeigen auch bei RZA TNF-Hemmer keine Wirkung. Aber mit dem IL-6-Hemmer Tocilizumab steht eine Behandlungsalternative für therapieresistente Fälle zur Verfügung. <br />Köller betont, dass es wichtig sei, auch bei behandelten RZA-Patienten im Lauf der Therapie immer wieder an die mögliche Entwicklung von Aortenaneurysmen zu denken und regelmäßig Untersuchungen in diese Richtung anzuordnen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: • Pressemitteilung der DGRh, Mai 2018 • 18. Wiener Rheumatag, 4. Mai 2018, Wien
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Buttgereit F et al.: S3-Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica. Z Rheumatol 2018; 77(5): 429-41 <strong>2</strong> Dasgupta B et al.: 2012 provisional classification criteria for polymyalgia rheumatica: a European League Against Rheumatism/American College of Rheumatology collaborative initiative. Arthritis Rheum 2012; 64: 943-54 <strong>3</strong> Dasgupta B et al.: 2012 provisional classification criteria for polymyalgia rheumatica: a European League Against Rheumatism/American College of Rheumatology collaborative initiative. Ann Rheum Dis 2012; 71: 484-92 <strong>4</strong> Moosig F et al.: Correlation between 18-fluorodeoxyglucose accumulation in large vessels and serological markers of inflammation in polymyalgia rheumatica: a quantitative PET study. Ann Rheum Dis 2004; 63(7): 870-3</p>
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