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Interdisziplinäres Zusammenspiel oft sinnvoll

Differenzialdiagnose Nykturie

<p class="article-intro">Die Ursachen einer Nykturie können multipel und von verschiedenen Faktoren beeinflusst sein. Daher ist gerade in der Abklärungsphase eine gründliche Evaluation durch den behandelnden Urologen gefragt. Nur so ist die bestmögliche und vor allem ursachenspezifische Therapie für unsere Patienten zu finden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Nykturie f&uuml;hrt zu einer massiven Beeintr&auml;chtigung der Lebensqualit&auml;t und zu erh&ouml;hter Morbidit&auml;t.</li> <li>Eine genaue Anamneseerhebung mit Miktionsprotokoll ist obligat.</li> <li>Eine nicht urologische Nykturie sollte ursachenspezifisch und interdisziplin&auml;r therapiert werden.</li> <li>Gerade f&uuml;r &auml;ltere Patienten bedeuten reduzierte n&auml;chtliche Toiletteng&auml;nge ein signifikant reduziertes Sturz- und Frakturrisiko.</li> </ul> </div> <h2>Einleitung</h2> <p>Die Nykturie &ndash; per definitionem n&auml;chtliches Gewecktwerden durch Harndrang mit anschlie&szlig;ender Blasenentleerung &ndash; stellt f&uuml;r betroffene Frauen und M&auml;nner ein oft untersch&auml;tztes gesundheitliches Problem dar. Die Pr&auml;valenz der Nykturie nimmt ab dem 40. Lebensjahr kontinuierlich zu. So sind ein Drittel der &uuml;ber 60-J&auml;hrigen und bereits mehr als 40 % der &uuml;ber 70-J&auml;hrigen davon betroffen.<sup>1</sup> <br />Ab zwei oder mehr Toiletteng&auml;ngen pro Nacht reduziert sich die k&ouml;rperliche Regeneration in einem Ausma&szlig;, das oft psychische und physische Erkrankungen zur Folge haben kann. Tagesm&uuml;digkeit, eingeschr&auml;nkte Leistungsf&auml;higkeit und eventuell auftretende Depressionen bedeuten einerseits einen enormen Leidensdruck f&uuml;r die Betroffenen, andererseits einen nicht zu vernachl&auml;ssigbaren volkswirtschaftlichen Schaden. So zeigen sich bei postmenopausalen Frauen mit drei oder mehr Toiletteng&auml;ngen pro Nacht eine dreifach erh&ouml;hte Tagesm&uuml;digkeit, ein deutlich schlechterer medizinischer Allgemeinzustand und dreifach erh&ouml;hte Krankenstand&shy;raten im Vergleich zu pr&auml;menopausalen Frauen ohne Nykturie.<sup>2</sup> Die durch eine permanente Nykturie ausgel&ouml;sten Schlafst&ouml;rungen erh&ouml;hen f&uuml;r M&auml;nner das Risiko, an einer Depression zu erkranken um das Sechsfache gegen&uuml;ber einem dreifach erh&ouml;hten Risiko f&uuml;r Frauen.<sup>3</sup> In einer k&uuml;rzlich erschienenen Arbeit von Kupelian et al zeigte sich ebenfalls bei M&auml;nnern mit Nykturie im Vergleich zu weiblichen Nykturiepatienten ein doppelt erh&ouml;htes Risiko, an einer Depression zu erkranken.<sup>4</sup> <br />Gerade f&uuml;r &auml;ltere Patienten mit Nyk&shy;turie entwickeln sich im Krankheitsverlauf ein erh&ouml;htes Sturzrisiko und damit verbunden geh&auml;ufte Frakturneigungen. Ab einer zweimaligen Nykturie kommt es zu einer Verdoppelung des Sturzri&shy;sikos von 10 auf 22 % und einer signifikant gesteigerten Frakturrate des Femur&shy;kopfes.<sup>5, 6</sup> <br />Generell zeigen Nykturiepatienten eine erh&ouml;hte Morbidit&auml;ts- und Mortalit&auml;tsrate. Bei drei Toiletteng&auml;ngen und mehr erh&ouml;ht sich innerhalb von 54 Monaten signifikant die Mortalit&auml;tsrate, ausgel&ouml;st durch einen allgemeinen Verlust an Gesundheit sowie erh&ouml;hten Betreuungs- und Medikamentenbedarf.<sup>7</sup></p> <h2>Abkl&auml;rung und Ursachen</h2> <p>Eine genaue Anamneseerhebung mit klinischer Untersuchung (zentrale/periphere Stauungszeichen?), eine Harnanalyse sowie der Ausschluss von Restharn und ein Miktionsprotokoll &uuml;ber 48 Stunden sollten obligat sein. Nur dadurch ist eine zielgerichtete Therapie sinnvoll einsetzbar. Von einer Polyurie spricht man bei 24-Stunden-Harnmengen von &uuml;ber 2,8 Litern. Urs&auml;chlich hierf&uuml;r sind Polydipsie, Diabetes insipidus, Diabetes mellitus oder schlicht &bdquo;falsche Trinkgewohnheiten&ldquo; mit gro&szlig;en abendlichen oder gar n&auml;chtlichen Trinkmengen. <br />Als Definition der n&auml;chtlichen Polyurie hat sich im klinischen Alltag die &bdquo;Ein-Drittel-Regel&ldquo; durchgesetzt: Mehr als ein Drittel der 24-Stunden-Harnausscheidung erfolgt nachts. Ausl&ouml;sende Faktoren sind vor allem Herz-Kreislauf-Probleme, periphere &Ouml;deme, Diabetes mellitus, Nebenwirkungen von Medikamenten, verminderte ADH-Wirkung/-Produktion, chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen bis hin zur Schlafapnoe. Auch hierbei kann schlicht eine falsche Trinkgewohnheit mit gro&szlig;er Fl&uuml;ssigkeitszufuhr sp&auml;t abends eine n&auml;chtliche Polyurie &bdquo;vort&auml;uschen&ldquo;. <br />Verminderte Blasenkapazit&auml;ten ( &lt;250ml) und eine &uuml;beraktive Blase als Ursachen gehen oft mit entsprechender Tagessymptomatik einher. Dazu z&auml;hlen erh&ouml;hte Miktionsfrequenz, imperativer Harndrang und Dranginkontinenz.<sup>8</sup> Schlaf&shy;st&ouml;rungen, die nicht durch Harndrang ausgel&ouml;st werden, laufen per definitionem nicht als Nykturie.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Prim&auml;r sollten die zugrunde liegenden Ursachen erkannt und therapiert werden. Dabei ist oft ein interdisziplin&auml;res Zusammenarbeiten f&uuml;r unsere Patienten notwendig. Liegen zum Beispiel internistische Erkrankungen und Komorbidit&auml;ten wie Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz oder chronische Niereninsuffizienz vor, sollten diese in enger interdisziplin&auml;rer Kooperation therapiert und eingestellt werden. <br />Verminderte Blasenkapazit&auml;ten ( &lt;250ml) bzw. eine &uuml;beraktive Blase als Ursache k&ouml;nnen mit Verhaltenstraining allein (bis zu 30 % Zugewinn an Blasenkapazit&auml;t) oder in Kombination mit Anticholinergika gut therapiert werden. Hierbei hat sich eine abendliche Retardgabe als nebenwirkungs&auml;rmste Verabreichungsform etabliert. (Cave potenzielle ZNS-Nebenwirkungen sowie &bdquo;Sicca-Syndrom&ldquo;!) <br />Gerade f&uuml;r die n&auml;chtliche Polyurie ist eine Desmopressin-Tablettentherapie alleine oder in Kombination mit Anticholinergika Therapie erster Wahl. Desmopressin 0,1&ndash;0,4mg oder in &bdquo;Melt-Formen&ldquo; von 60&ndash;240&micro;g eignen sich f&uuml;r Patienten ab 65 Jahren. Eine langsame Dosisadaptierung ist hierbei zielf&uuml;hrend. Gerade bei &auml;lteren Patienten ist die station&auml;re Therapieeinstellung sinnvoll und empfehlenswert, um der m&ouml;glichen Nebenwirkung einer Hyponatri&auml;mie bzw. Fl&uuml;ssigkeitsretentionen rechtzeitig entgegenwirken zu k&ouml;nnen.<sup>8</sup> 2017 wird f&uuml;r die Behandlung der Polyurie eine geschlechterspezifische neue Therapieoption von Desmopressin erh&auml;ltlich sein (Nocdurna&trade;). F&uuml;r Frauen mit einer Dosis von 25&micro;g und f&uuml;r M&auml;nner mit 50&micro;g.<sup>9, 10</sup> Neben all den medikament&ouml;sen Therapie&shy;optionen sollte eine Umstellung m&ouml;glicher falscher Trinkgewohnheiten nicht vergessen werden.</p> <h2>Neues im Jahr 2016</h2> <p>Afari et al gingen der Fragestellung nach, ob LUTS bei Zwillingen konkordant auftritt. Sie fanden eine genetische Korrelation des IPPS in 37 % und solit&auml;r der Nykturie in lediglich 21 % der ann&auml;hernd 1.600 untersuchten Zwillingspaare.<sup>11</sup> <br />Bei Patienten nach radikaler Prostatektomie zeigt sich in gut einem F&uuml;nftel der F&auml;lle eine neu auftretende &bdquo;overac&shy;tive bladder&ldquo; (OAB) mit Drang, gesteigerter Harnfrequenz und Nykturie. Bei fast einem Viertel der Patienten kam es de novo allein zu einer Nykturie. Patienten mit zus&auml;tzlicher postoperativer Strahlenbehandlung haben ein 5,59-fach h&ouml;heres Risiko, an einer OAB zu erkranken (p &lt;0,001), als nicht bestrahlte Patienten. Interessanterweise erhielten nur 40 % der 875 untersuchten Patienten auch eine symptomatische Therapie ihrer OAB.<sup>12</sup> <br />Eine orthop&auml;dische Arbeitsgruppe entwickelte ein interessantes Schema, um Patienten einen perioperativen Dauerkatheter (DK) w&auml;hrend einer Knieendoprothesenoperation zu ersparen: Patienten mit anamnestischer Nykturie von 0&ndash;1 erhielten perioperativ keinen DK. Patienten mit einer zweifachen oder h&auml;ufigeren Nykturie wurden mit einem DK versorgt. Etwa 20 % der Patienten ohne perioperativen DK ben&ouml;tigten postoperativ aufgrund einer Harnsperre einmalig einen Einmalkatheter. Die Studienautoren postulieren, dass sie durch ihr &bdquo;perioperatives DK-Schema&ldquo; 40 % der Patienten einen Dauerkatheter ersparen konnten.<sup>13</sup> <br />Yamamoto et al evaluierten m&ouml;gliche Schlafst&ouml;rungen bei Patienten, die wegen ihrer Nykturie in der urologischen Klinik vorstellig wurden. Als Vergleichsgruppe diente eine Gruppe von Patienten gleichen Alters eines Schlaflabors, die aufgrund von verst&auml;rkter Tagesm&uuml;digkeit auf ein Schlafapnoe-Syndrom abgekl&auml;rt werden sollten. Die Ergebnisse waren urologisch interessant: Tagesm&uuml;digkeit und LUTS waren in beiden Gruppen gleich stark ausgepr&auml;gt. Wenig &uuml;berraschend fand sich bei der bez&uuml;glich Schlafapnoe evaluierten Vergleichs&shy;gruppe in 92 % auch wirklich eine Schlafapnoe. In der urologischen Gruppe, die prim&auml;r als st&ouml;rendes Symptom &bdquo;Nykturie&ldquo; angab, fand sich jedoch bei ann&auml;hernd 71 % der Patienten eine zun&auml;chst nicht erwartete Schlafapnoe. Die Therapie in der urologischen Gruppe war prim&auml;r symptomatisch (Urologika). Wenn dadurch kein ausreichender Erfolg zu erzielen war, erhielten sie eine CPAP-Therapie.<sup>14</sup></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Klingler HC et al: Nocturia: an Austrian study on the multifactorial etiology of this symptom. Neurourol Urodyn 2009; 28: 427-31 <strong>2</strong> Asplund R et al: Nocturnal micturition, sleep and well-being in women of ages 40-64 years. Maturitas 1996; 24: 73-81 <strong>3</strong> Asplund et al: Nocturia and depression. BJU 2004; 93: 1253-6 <strong>4</strong> Kupelian et al: Nocturia and quality of life: results from the Boston area community health survey. Eur Urol 2012; 61: 78-84 <strong>5</strong> Steward RB et al: Nocturia: a risk factor for falls in the elderly. J Am Geriatr Soc 1992; 40: 1217-20 <strong>6</strong> Weiss JP et al: Nocturia. J Urol 2000; 163: 5-12 <strong>7</strong> Hetta J et al: The impact of sleep deprivation caused by nocturia. BJU Int 1999; 84: (Suppl 1): 27-8 <strong>8</strong> Primus et al: Differentialdiagnose und Therapie der Nykturie &ndash; Konsensusstatement. J Urol Urogyn&auml;kol 2006; 13: 21-7 <strong>9</strong> Sand PK et al: Efficacy and safety of low dose desmopressin orally disintegrating tablet in women with nocturia: results of a multicenter, randomized, double-blind, placebo controlled, parallel group study. J Urol 2013; 190: 958-64 <strong>10</strong> Weiss JP et al: Efficacy and safety of low dose desmopressin orally disintegrating tablet in men with nocturia: results of a multicenter, randomized, double-blind, placebo controlled, parallel group study. J Urol 2013; 190: 965-72 <strong>11</strong> Afari N et al: Heritability of lower urinary tract symptoms in men: a twin study. J Urol 2016; 196: 1486-92 [Epub ahead of print] <strong>12</strong> Hosier GW et al: Overactive bladder and storage lower urinary tract symptoms following radical prostatectomy. Urology 2016; 94: 193-7 <strong>13</strong> Rana S et al: History of nocturia may guide urinary catheterization for total joint arthroplasty. Orthopedics 2016; 39: e749-52 <strong>14</strong> Yamamoto U et al: Prevalence of sleep disordered breathing among patients with nocturia at a urology clinic. Intern Med 2016; 55: 901-5</p> </div> </p>
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