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Diagnostik

Unterscheidung des Blasenschmerzsyndroms von der überaktiven Reizblase

<p class="article-intro">Das Krankheitsbild des Blasenschmerzsyndroms ist eine komplexe Erkrankung unklarer Genese mit einer grossen Bandbreite an klinischen Präsentationen und Symptomen. Das Blasenschmerzsyndrom wird auch als «interstitielle Zystitis», «painful bladder syndrome» oder «bladder pain syndrome» bezeichnet.<sup>1, 2 </sup></p> <hr /> <p class="article-content"><p>In einem Consensus-Paper der European Society for the Study of Interstitial Cys&shy;titis (ESSIC)<sup>3</sup> aus dem Jahr 2008 einigte man sich f&uuml;r das fortan als Blasenschmerzsyndrom/interstitielle Zystitis (BPS/IC) bezeichnete Krankheitsbild auf folgende diagnostische Kriterien: chronischer (mehr als 6 Monate) Beckenschmerz, Druckgef&uuml;hl oder Unbehagen, das als von der Harnblase ausgehend empfunden wird und von mindestens einem weiteren Harnblasensymptom wie persistierendem Harndrang oder erh&ouml;hter Miktionsfrequenz begleitet wird. Die Diagnose wird erst nach Ausschluss sogenannter &laquo;con&shy;fusable diseases&raquo; gestellt. Dies sind spezifische Erkrankungen mit &auml;hnlichen klinischen Symptomen, etwa bakterielle oder virale Infektionen, Urogenitalprolaps, Blasenentleerungsst&ouml;rung, Blasenkarzinom, Endometriose oder &uuml;beraktive Blase (OAB). <br />Die zystoskopische Diagnose der BPS/IC gem&auml;ss der Konsensusempfehlung unterscheidet nach Hydrodistension <br />1) einen normalen Befund <br />und &laquo;positive&raquo; Befunde <br />2) Glomerulationen (petechiale Blutungen aus der Harnblasenwand) <br />3) Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen oder Ulzera, die meist erst unter Hydrodistension sichtbar werden (Tab. 1) <br />Die histologische Klassifikation der BPS/IC nach ESSIC unterscheidet in der Biopsie einen <br />A) normalen Befund <br />B) nicht aussagekr&auml;ftigen (&laquo;inconclusive&raquo;) Befund<br />C) positiven Befund <br />Kriterien f&uuml;r einen positiven histopathologischen Befund sind Entz&uuml;ndungsinfiltrate und/oder erh&ouml;hte Mastzellen im Detrusormuskel (sog. Detrusormastozytose) und/oder Granulationsgewebe bei Erosionen oder Ulzerationen und/oder intrafaszikul&auml;re Fibrose.<sup>3 </sup><br />Die OAB als wichtigste Differenzialdiagnose ist charakterisiert durch einen persistierenden Harndrang, in der Regel begleitet von einer erh&ouml;hten Miktionsfrequenz (&ge;8-mal w&auml;hrend der Wachphase) und Nykturie (&ge;1-mal pro Nacht), mit oder ohne Dranginkontinenz, bei Abwesenheit eines Harnwegsinfekts und Ausschluss anderer Harnblasenerkrankungen, bei typischerweise fehlender Schmerzsymptomatik.<sup>4</sup> Zystoskopisch sind Trabekel und Balken, also sichtbare Muskelstr&auml;nge, bei fehlenden Einblutungen, Glomerulationen und Hunner&rsquo;schen L&auml;sionen typisch.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Uro_1703_Weblinks_s28_1.jpg" alt="" width="1421" height="622" /></p> <h2>Unterscheidung von BPS/IC und OAB</h2> <p>Die Unterscheidung und die Diagnose von BPS/IC und der OAB sind schwierig, erfolgen aber prim&auml;r aufgrund der klinischen Symptome, insbesondere der Beurteilung des Schmerzes. Allerdings ist hier Vorsicht geboten, da manche Patientinnen Unbehagen und Druck nicht mit dem Wort &laquo;Schmerz&raquo; verbalisieren, sondern oft mit &laquo;Drang&raquo; umschreiben, die Toilette aufsuchen zu m&uuml;ssen, um zunehmenden Schmerz und Unbehagen zu vermeiden. In der Zystoskopie unter Hydrodis&shy;tension erkennt man nur die BPS/IC mit Hunner&rsquo;schen L&auml;sionen und Glomerulationen, die ehemals als IC bezeichnet wurde.<sup>2</sup> Allerdings zeigt nicht jede BPS/IC Glomerulationen oder Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen. Diese Formen k&ouml;nnen daher mithilfe der Zystoskopie nicht von der OAB ohne Muskeltrabekel unterschieden werden. <br />Kann also die histologische Untersuchung diese beiden Krankheiten unterscheiden? Dies sollte eine histopathologische Untersuchung von Blasenbiopsien von 12 BPS/IC-Patientinnen mit Hun&shy;ner&rsquo;schen L&auml;sionen und 19 BPS/IC-Pa&shy;tientinnen ohne Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen (Abb. 1), 13 Patientinnen mit OAB und 12 gesunden Kontrollen kl&auml;ren. F&uuml;r beide BPS/IC-Formen wurden als charakteris&shy;tische Befunde erhoben:<br />&bull; eine erh&ouml;hte Dichte von Entz&uuml;ndungsinfiltraten mit typischerweise nodul&auml;ren Lymphozytenansammlungen und Ausbildung von Lymphfollikeln, <br />&bull; ein defektes oder fehlendes Urothel, d.h. ein durch Einrisse oder Erosion (mit intakter Basalmembran) oder Ulzeration (mit zerst&ouml;rter Basalmembran) zerst&ouml;rtes Urothel mit Granulationsgewebe oder Regeneraturothel und<br />&bull; eine erh&ouml;hte subepitheliale sensorische Hyperinnervierung.<sup>5, 6 </sup><br />Im Gegensatz zur Definition der ESSIC stellte sich aber die Detrusormastozytose als schlechtes histologisches Kriterium heraus. Erstens wiesen nur 68 % der Biopsien einen Detrusoranteil auf, zweitens haben hohe Mastzellzahlen im Detrusor nur eine geringe Spezifit&auml;t f&uuml;r BPS/IC.<sup>5</sup> Unterschiede zwischen den vier Patientengruppen gab es nicht bei der Mastzellzahl, sondern einzig bei der Mastzelllokalisation. W&auml;hrend die Mastzellen bei BPS/IC mit Hunner&rsquo;schen L&auml;sionen im Ulkusbett oder unmittelbar unterhalb des defekten bzw. regenerierenden Urothels liegen, sind sie bei den anderen drei Gruppen tiefer in der Submukosa zu finden. Eine Evaluierung der Mastzellen war in der Unterscheidung zwischen BPS/IC ohne Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen und OAB also nicht hilfreich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Uro_1703_Weblinks_s28_2.jpg" alt="" width="1418" height="1489" /><br />Zus&auml;tzlich zur sensorischen Hyperinnervierung erwies sich eine immunhistochemische Untersuchung mit Antik&ouml;rpern gegen p75<sup>NTR</sup>, den &laquo;low-affinity receptor&raquo; f&uuml;r Nervenwachstumsfaktoren, als hilfreich.<sup>6</sup> W&auml;hrend der Wundheilung epithelialer Defekte im Allgemeinen kommt es zu einem komplexen Zusammenspiel erh&ouml;hter Zytokinsezernierung und vor&uuml;bergehender Hochregulierung von Rezeptoren auf den Zellmembranen von Entz&uuml;ndungszellen und insbesondere auch der regenerierenden Epithelien. Einer dieser induzierbaren Rezeptoren ist p75<sup>NTR</sup>. W&auml;hrend der akuten Phase der Regenerierung kann man eine membran&ouml;se Anf&auml;rbung der basalen Epithelzellen beobachten. In der Endphase der Regenerierung werden die Rezeptoren wieder abgebaut und ins Zytoplasma internalisiert. Dabei geht die membran&ouml;se Anf&auml;rbung verloren und es ist nur noch eine zytoplasmatische Reaktion darstellbar. Nach kompletter Abheilung und in vollst&auml;ndig regeneriertem (&laquo;normalem&raquo;) Epithel ist keine p75<sup>NTR</sup>-Expression nachweisbar. F&uuml;r die BPS/IC bedeutet dies, dass in abheilenden oder k&uuml;rzlich abgeheilten Ulzera eine membran&ouml;se Expression von p75<sup>NTR</sup> in den basalen Urothelzellen nachweisbar ist.<sup>6</sup> Eine (schwache) zytoplasmatische Expression in den basalen Urothelien ist ein letztes Indiz f&uuml;r fast vollst&auml;ndig abgeheilte Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen. Eine BPS/IC ohne Glomerulationen oder mit vollst&auml;ndig abgeheilten Hunner&rsquo;schen L&auml;sionen kann &ndash; im Gegensatz zur OAB &ndash; allerdings noch Lymphozytenaggregate und Lymphfollikel aufweisen. Histologische Kriterien und immunhistochemische Untersuchungen erlauben also in den meisten Biopsien aus einer Blase ohne Ulzerationen, also einem zystoskopisch nicht diagnostischen Befund, die Unterscheidung von BPS/IC ohne Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen und OAB.</p> <h2>In welchem Kontext stehen</h2> <h2>BPS/IC mit bzw. ohne Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen und OAB?</h2> <p>Die vorgenannten Untersuchungen von Blasenbiopsien zeigen einen zunehmenden Grad an Lymphozyteninfiltration und Urotheldefekten: typischerweise keine Entz&uuml;ndung und Urotheldefekte in gesunden Kontrollen, gefolgt von ge&shy;ringer Entz&uuml;ndung und fehlenden Urotheldefekten in OAB, dichtem Entz&uuml;ndungsinfiltrat bei fehlenden oder geringen Urotheldefekten in BPS/IC ohne Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen und dichtem Entz&uuml;ndungsinfiltrat mit Urotheldefekten und Granulationsgewebe in BPS/IC mit Glomerulationen/Hunner&rsquo;schen L&auml;sio&shy;nen. Hypothetisch kann die BPS/IC ohne Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen eine Fr&uuml;hform der BPS/IC mit Hunner&rsquo;schen L&auml;sionen sein. Es ist allerdings offensichtlich, dass Ulzera abheilen k&ouml;nnen, also w&auml;re auch der Umkehr&shy;schluss m&ouml;glich. V&ouml;llig unklar ist, ob die OAB eine Vorstufe beider BPS/IC-Formen ist oder ob es sich um ein eigenst&auml;ndiges Krankheitsbild handelt. Weitere klinische Studien sind n&ouml;tig, um die vielen offenen Fragen zu beantworten: Bleibt eine BPS/IC immer eine BPS/IC, die sich in verschiedenen Krankheitsstadien/Aktivit&auml;tsstadien manifestiert (entsprechend mit oder ohne Hunner&rsquo;sche L&auml;sionen)? Oder kann es zu v&ouml;lliger Remission und Abheilung der Ulzera einer BPS/IC mit Normalisierung der Histologie und Schmerzsymptomatik kommen, die sich dann als OAB pr&auml;sentiert? Interessant w&auml;re auch herauszufinden, ob, und wenn ja, wie sich aus einer OAB eine BPS/IC entwickeln kann. W&uuml;nschenswert w&auml;ren nicht invasive diagnostische Urinmarker. Allerdings konnte der Nachweis von NGF im Urin, der lange Zeit f&uuml;r einen potenziellen Marker f&uuml;r BPS/IC gehalten worden war, die Erwartungen nicht erf&uuml;llen.<sup>7</sup> Solange die Ursache von BPS/IC und OAB unbekannt ist, zielen heutige Therapien auf das Lindern der (Schmerz-)Symptome und die Reduktion des Entz&uuml;ndungsinfiltrates. Gute Ergebnisse k&ouml;nnen auch durch Ver&ouml;dung der Hunner&rsquo;schen Ulzerationen und durch intravesikale Injektion von Botulinumtoxin erzielt werden.<sup>8</sup></p> <p>Der Dank der Autoren gilt der Astellas European Foundation, Functional Urology/Uro-Gynaecology Grant 2014 und Prize Fund in Urology 2007.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Binder I, van Ophoven A: Die Komplexit&auml;t chronischer Beckenschmerzen am Beispiel der Interstitiellen Zystitis. Teil 1: Theoretische Grundlagen. Aktuelle Urol 2008; 39: 205-14 <strong>2</strong> Peeker R, Fall M: Toward a precise definition of interstitial cystitis: further evidence of differences in classic and nonulcer disease. J Urol 2002; 167: 2470-2 <strong>3</strong> van de Merwe JP et al.: Diagnostic criteria, classification, and nomenclature for painful bladder syndrome/interstitial cys&shy;titis: an ESSIC proposal. Eur Urol 2008; 53: 60-7 <strong>4</strong> Haylen BT et al.: An International Urogynecological Association (IUGA)/International Continence Society (ICS) joint report on the terminology for female pelvic floor dysfunction. Neurourol Urodyn 2010; 29: 4-20 <strong>5</strong> Gamper M et al.: Are mast cells still good biomarkers for bladder pain syndrome/interstitial cystitis? J Urol 2015; 193: 1994-2000 <strong>6</strong> Regauer S et al.: Sensory hyperinnervation distingui&shy;shes bladder pain syndrome/interstitial cystitis from overactive bladder syndrome. J Urol 2017; 197: 159-66 <strong>7</strong> Gamper M et al.: Have we been led astray by the NGF biomarker data? Neurourol Urodyn 2017; 36: 203-4 <strong>8</strong> Homma Y et al.: Clinical guidelines for interstitial cystitis and hypersensitive bladder updated in 2015. Int J Urol 2016; 23: 542-9</p> </div> </p>
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