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Männliche Infertilität

Was bringt der DNA-Fragmentationstest?

Mit einem DNA-Test lassen sich Schäden in den Spermien nachweisen. Eine neue Leitlinie der europäischen Urologengesellschaft gibt Empfehlungen darüber ab, wann der Test sinnvoll ist und welche therapeutischen Konsequenzen er hat.

Unfruchtbarkeit eines Paares ist in jedem zweiten Fall durch den Mann alleine oder mit bedingt. Öfter steckt eine Varikozele dahinter, mangelhafte Hormonproduktion, Infektionen oder ein angeborener Hodenhochstand. Bei 4 von 10 Paaren finden die Ärzte trotz intensiver Suche keine Ursache.

Zur Standarddiagnostik gehört ein Spermiogramm. Hier wird unter anderem die Anzahl der Spermien ermittelt, ob sie gesund aussehen und sich schnell genug in eine Richtung bewegen. Ein normales Spermiogramm gewährleistet allerdings nicht, dass der Mann dann auch fruchtbar ist. Mehr Informationen kann ein DNA-Fragmentationstest geben. Je höher der Fragmentationswert, desto mehr DNA ist beschädigt. Die European Association of Urology (EAU) hat eine neue Leitlinie zu diesem Test veröffentlicht.1 Das Fazit: Zwar ist es noch zu früh, den Test zur Routine zu machen; die Experten empfehlen ihn jedoch in bestimmten Situationen, denn daraus könnten sich konkrete Therapieempfehlungen ergeben. Je höher der Fragmentationswert, desto geringer ist die Chance, dass der Mann auf natürlichem Wege ein Kind zeugt. Es sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Paar mit künstlicher Befruchtung ein gesundes Baby bekommt. Der Embryo entwickelt sich nicht so gut, es kommt zu Fehlgeburten, wiederholten Aborten oder Geburtsdefekten.

Schäden an der Spermien-DNA wurden als Hauptursache für männliche Unfruchtbarkeit identifiziert. So wurde geschädigte Spermien-DNA häufiger nachgewiesen bei Männern mit Varikozele, bei Chlamydien- oder Mykoplasmen-Infektionen, älteren Männern, Rauchern, Übergewichtigen und nach Chemo- oder Strahlentherapie. Spekuliert wird, dass durch die DNA-Schäden die Erbinformation quasi falsch «verpackt» wird, dass die Samenzellen einen vorzeitigen Tod sterben oder es zu oxidativem Stress kommt, der letztendlich zur Unfruchtbarkeit führt.

DNA-Schäden,die während der Reifung der Spermien auftreten, können repariert werden, aber fertige Spermien verfügen nicht mehr über solche Reparaturmechanismen. Trotzdem können Spermien mit DNA-Fragmentierung eine Eizelle befruchten. Die Eizelle oder der junge Embryo können manche DNA-Brüche reparieren, sodass ein gesundes Kind entstehen kann. Wie häufig das jedoch der Fall ist, ist unbekannt. Es wird vermutet, dass eine Fragmentation der Spermien-DNA für Befruchtung, Embryonalentwicklung, Implantation und Schwangerschaft nach einer künstlichen Befruchtung ebenso nachteilig ist wie Chromosomenanomalien oder eine abnorme Spermatogenese. Anders als Chromosomenanomalien tritt die Fragmentierung der Spermien-DNA jedoch vermutlich in allen Spermatozoen auf. Wie sehr die DNA geschädigt ist, variiert von Spermatozoon zu Spermatozoon. Männer mit normalem Spermiogramm können durchaus Spermien mit fragmentierter DNA aufweisen.

Sie finde die neue Leitlinie sehr begrüssenswert, sagt Dr. med. Mara Isabella Meier, Oberärztin an der Klinik für Urologie am Universitätsspital Zürich. «Die Empfehlungen entsprechen dem Vorgehen, das wir im Unispital Zürich schon seit Längerem praktizieren.» Es bleibe zu hoffen, sagt sie, dass auch Gynäkologen die Leitlinie beachteten und Männern eine Abklärung empfehlen. «Ich sehe immer wieder Paare, die nur beim Frauenarzt waren. Die Probleme des Mannes wurden weder korrekt diagnostiziert noch behandelt.»

Fragliche Konsequenzen des Tests

Die europäische Urologengruppe empfiehlt in ihrer neuen Leitlinie den DNA-Test Männern mit unerklärbarer Unfruchtbarkeit und wenn ihre Frauen mehrmals ein Kind verloren haben – entweder nach einer natürlichen Konzeption oder nach künstlicher Befruchtung. Ist der Fragmentationswert erhöht, soll man die Risikofaktoren konsequent behandeln, die vermutlich zu den DNA-Schäden geführt haben, also mit dem Rauchen aufhören, Infektionen mit Antibiotika behandeln, die Krampfadern im Hoden veröden oder operativ unterbinden etc. In manchen Studien gibt es zudem Hinweise darauf, dass Antioxidanzien – etwa Vitamine oder Mineralien – den Fragmentationswert senken und so die Chance auf ein Kind erhöhen könnten.

«Mit dem Rauchen aufzuhören schadet natürlich nie und auch Antibiotika haben Sinn», sagt Prof. Dr. med. Michael Zitzmann, Androloge und Oberarzt am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster. «Aber für die anderen Massnahmen haben wir noch zu wenige Daten.»

Es gibt verschiedene Methoden, die DNA-Fragmentierung zu messen, aber noch keinen standardisierten Test. In der S2k-Leitlinie «Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung» der deutschen, österreichischen und schweizerischen Fachgesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG, OEGGG, SGGG) sind folgende Tests aufgeführt:2 Mit dem sog. TUNEL-Test und dem SGCE-Assay (auch Comet-Assay) werden die DNA-Schäden direkt gemessen. Der SCD-Test (auch Halo-Test), der Chromomycin-A3-Test, die Acridin-Orange-Färbung und der SCSA weisen die Schäden indirekt nach. Obwohl den Tests unterschiedliche Techniken zugrunde liegen, zeigen sie einen gewissen Grad an Korrelation.

Welchen prognostischen und therapeutischen Wert die Spermien-DNA-Tests haben, wird kontrovers diskutiert. So ist beispielsweise nicht ausreichend belegt, ob der DNA-Fragmentationswert den Erfolg einer künstlichen Befruchtung vorhersagen kann. Oft hapert es an der Qualität der Studien oder schlichtweg an fehlenden Daten. So fanden beispielsweise Forscher von der Universität in Modena in einer Metaanalyse von 28 Studien einen Schwellenwert von 20% in den DNA-Tests, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% voraussagte, ob ein Mann unfruchtbar ist.3 Verglichen wurden jeweils unfruchtbare Männer mit einer Kontrollgruppe. Und hier zeigte sich dann auch die Schwäche der Studie: Nur in 14 der 28 analysierten Studien waren die Teilnehmer der Kontrollgruppe nachgewiesenermassen fruchtbare Männer. Bei den übrigen Studien war nicht klar, ob die Männer wirklich Kinder zeugen konnten, sodass die Aussagekraft der Metaanalyse begrenzt ist.

Studien, die die Vorhersagekraft des Fragmentationsindex für den Erfolg einer künstlichen Befruchtung untersuchten, lieferten widersprüchliche Ergebnisse. So wurde in einigen Metaanalysen ein deutlicher Zusammenhang zwischen abnormalem Fragmentationsindex und geringeren Schwangerschaftsraten mittels intrauteriner Insemination, IVF oder ICSI beobachtet, in anderen aber nicht. Manchmal unterschied sich auch die Vorhersagekraft des DNA-Tests abhängig davon, welcher Test verwendet wurde. Auch in der Frage, wie sich der Fragmentationswert auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, ein gesundes Kind zu bekommen, zeigt sich kein einheitliches Bild. Ebenso ist noch kaum mit randomisierten Studien untermauert, ob dieFrau eher schwanger wird, wenn der Mann therapeutische Massnahmen ergreift, um seinen DNA-Fragmentationswert zu senken. Hier würden beispielsweise Männer mit Varikozele und hohem Fragmentationswert in zwei Gruppen randomisiert. Die Hälfte würde operiert werden und die andere Hälfte nicht und später würde dokumentiert, welche Männer öfter ein Kind gezeugt haben. Man darf auch die Nebenwirkungen nicht ausser Acht lassen. So kann zum Beispiel – wenn auch selten – die Varikozelenbehandlung zu Blutergüssen, Infektionen und Gefäss- oder Nervenverletzungen führen. Er würde deshalb auch nur grosse Varikozelen behandeln, die von aussen tastbar seien, sagt Androloge Zitzmann. «Sonst ist die Wahrscheinlichkeit ohnehin gering, dass sie die Ursache der Unfruchtbarkeit sind.» Für Männer mit einer Varikozele, die nur durch Ultraschall feststellbar sei und die eine normale Samenqualität hätten, sei die Behandlung vermutlich nicht von Vorteil.

Grosszügigere Indikation für TESE

Manchmal finden die Ärzte keine Erklärung für hohe Fragmentationswerte. Eine Hypothese ist, dass hier die Spermien auf ihrem Weg durch den Hoden und Nebenhoden oxidativem Stress ausgesetzt werden, der zu den DNA-Brüchen führt. In Studien gab es Hinweise, dass die betroffenen Männer eher Kinder zeugten, wenn Spermien aus ihrem Hoden verwendet wurden statt aus dem Ejakulat. Diese Technik wird TESE (testikuläre Spermien-Extraktion) genannt. Dem Mann werden unter Narkose aus den Hoden Gewebeproben entnommen, unter dem Mikroskop auf Spermien untersucht und, falls welche gefunden werden, wird ein Spermium in die Eizelle injiziert. Das Operationsrisiko ist gering, aber es dauert meist 2 Wochen, bis die Wunde abgeheilt ist. Doch auch hier gibt es noch keine randomisierten Studien, die klar belegen, dass Männer mithilfe von TESE eher Kinder zeugen als mit Ejakulat.

Dr. med. Oliver Bargheer, niedergelassener Facharzt für Andrologie in Hamburg, der pro Jahr mehr als 500 unfruchtbare Männer berät und behandelt, würde die Indikation für eine TESE nun trotzdem grosszügiger stellen. Bisher galt, dass die Behandlung nur für Männer mit Azoospermie infrage kommt. Die neue Leitlinie trifft zur TESE keine eindeutige Aussage. Es heisst ziemlich umständlich, eine TESE solle nicht routinemässig bei Männern ohne Azoospermie und mit erhöhtem Fragmentationswert durchgeführt werden. Man könne die Behandlung solchen Männern aber anbieten, sofern sie über die dünne Datenlage aufgeklärt würden.

Er schlage die TESE nur Männern mit hohem Fragmentationswert vor, wenn sehr wenige Spermien im Ejakulat nachweisbar seien, insbesondere wenn ein oder zwei Fruchtbarkeitsbehandlungen nicht geklappt hätten, so Bargheer: «Wir brauchen dann eine andere Strategie, unabhängig von der Anzahl der Spermien», sagt er. Hier könne der DNA-Test wertvolle Dienste leisten.Urologin Meier aus Zürich hofft auf mehr Forschung und qualitativ hochwertige Studiendaten: «Wissen wir sicher, dass die Männer mit der TESE besser Kinder zeugen, können wir vielen Paaren erfolglose und für die Frauen belastende Befruchtungszyklen ersparen.»

1 Tharakan T et al.: European Association of Urology guidelines panel on male sexual and reproductive health: a clinical consultation guide on the indications for performing sperm DNA fragmentation testing in men with infertility and testicular sperm extraction in nonazoospermic men. Eur Urol Focus 2021; doi: 10.1016/j.euf.2020.12.017. Online ahead of print 2 Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung. Leitlinienprogramm AWMF 015/085 3 Santi D et al.: Sperm DNA fragmentation index as a promising predictive tool for male infertility diagnosis and treatment management – meta-analyses. Reprod Biomed Online 2018; 37(3): 315-26

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