
©
Getty Images/iStockphoto
Zukunft der Steintherapie – Was wird sich ändern?
Urologik
Autor:
Prof. Dr. Thomas Knoll
Urologische Klinik Sindelfingen, Klinikum Sindelfingen-Böblingen<br> E-Mail: tk@drknoll.net
30
Min. Lesezeit
29.09.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die Urolithiasis ist und bleibt das tägliche Brot der Urologen in Klinik und Praxis. Die im letzten Jahr vorgestellte S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie hat die aktuellen Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe – interdisziplinär konsentiert – zusammengefasst. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über den derzeitigen Stand und einen Ausblick auf die Zukunft.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die CT hat in der Notfalldiagnostik Vorteile gegenüber dem Ausscheidungsurogramm.</li> <li>Für die Diagnose distaler Harnleitersteine und die Darstellung des Nierenbecken-Kelchsystems sowie der Harnleiter ist die CT weniger geeignet.</li> <li>Interventionelle Verfahren zur Steinentfernung werden vermehrt eingesetzt.</li> <li>Die ESWL könnte verbessert werden, wenn intensiver daran geforscht würde.</li> </ul> </div> <p>Blickt man 20 Jahre zurück und vergleicht die damalige Praxis mit der heutigen, dann stellt man nicht ganz überraschend fest, dass sich das Management von Harnsteinen in vielen großen und kleinen Aspekten geändert hat. Ich wurde nach der Zukunft der Steintherapie gefragt und bin mir bewusst, dass die Zukunft vorherzusagen in der Regel nicht fehlerlos gelingt. Man denke nur an die Aussage von Kaiser Wilhelm II., der das Automobil als eine vorübergehende Erscheinung bezeichnet hat und auf das Pferd setzte. Oder an Bill Gates, der meinte, mehr als 640kB benötige kein Mensch (jedes Handy hat heute mehr Speicherplatz). Ich bewege mich also auf dünnem Eis, aber immerhin in guter Gesellschaft, gerne lasse ich mich in einigen Jahren über den tatsächlichen Verlauf der „Harnsteingeschichte“ belehren.</p> <h2>Die Bedeutung der Bildgebung</h2> <p>Die Radiologie ist ein fester Bestandteil der Urologie – zu Recht halten wir daran fest. Trotzdem müssen wir der Realität ins Auge sehen und akzeptieren, dass die native Computertomografie (CT) das konventionelle Ausscheidungsurogramm (AUG) in der Notfalldiagnostik abgelöst hat. Die Vorteile liegen auf der Hand: sehr schnelle Diagnose, keine Kontraindikationen außer Schwangerschaft durch den Verzicht auf Kontrastmittel (KM) und die Möglichkeit der Dichtemessung zur Therapieplanung. Trotzdem wird oft vergessen, dass auch die CT Schwächen hat. Die sichere Diagnose von distalen Harnleitersteinen gelingt oft nicht mit letzter Sicherheit, insbesondere bei adipösen Patienten. Problematisch bei dieser Patientengruppe ist auch die Strahlenbelastung, da hier trotz Verwendung spezifischer Low-Dose-Protokolle eine erhebliche Steigerung der Strahlendosis erforderlich ist – sodass von „low dose“ keine Rede mehr sein kann. Ein ganz entscheidender Nachteil ist aber die fehlende Darstellung des Nierenbecken-Kelchsystems und der Harnleiter. Schaut man in die S2k-Leitlinie, so wird hier klar eine Kontrastmitteldarstellung vor Intervention gefordert. Wie mit diesem Problem umgegangen wird, ist wohl unterschiedlich, teils werden letztlich doch AUG durchgeführt, teils KM-CT und teils unmittelbar vor Intervention retrograde Ureteropyelografien.<br /> Die CT ist in der Urologie angekommen, um zu bleiben. Sie ist aber ohne Frage nicht perfekt und kann bislang die konventionelle Bildgebung nicht vollständig verdrängen. Aktuelle Weiterentwicklungen wie neue Steinprotokolle oder auch die „Dual energy“-CT werden zeigen müssen, ob sich dies mittelfristig ändert. Nicht zuletzt aus berufspolitischen Gründen sollten wir uns damit auseinandersetzen, wie wir – zumindest an Kliniken – CT urologisch betreiben können. Erste urologische Kliniken haben aus der interventionellen Radiologie und Angiologie bekannte „Cone beam“-CT angeschafft. Dieser Schritt ist ohne Frage zu begrüßen.</p> <h2>Entwicklungen in der Therapie</h2> <p>Harnleitersteine, welche den Patienten mit den typischen Kolikbeschwerden zum Urologen treiben, sind das häufigste Szenario in Klinik und Praxis. Die Abgangsrate ist in der Regel hoch, aber die Geduld von Patient und Arzt häufig begrenzt. Sicherlich werden heute viele Harnleitersteine einer Intervention zugeführt, die auch spontan abgegangen wären. Eine große Rolle spielt hierbei die Verfügbarkeit von dünnen Endoskopen, die eine primäre Ureteroskopie bei geringster Morbidität ermöglichen. Der Begriff der MET („medical expulsive therapy“) hat in den letzten Jahren Einzug in alle Leitlinien gefunden – auf Basis einer Vielzahl randomisierter Studien. Tamsulosin, obgleich „off-label“, wurde von den meisten Urologen begleitend zu NSAR verabreicht. Für große Aufregung hat im letzten Jahr eine große multizentrische, gut designte Studie aus Großbritannien gesorgt, die keinen Vorteil für die MET zeigen konnte. Möglicherweise lag dies an dem hohen Anteil kleiner Steine <5mm mit ohnehin hoher Abgangsrate. Trotzdem muss die Empfehlung aktuell mit Vorsicht ausgesprochen werden, bis eine aktuell in den USA re­krutierende Studie hoffentlich Klarheit bringt.<br /> Die größten Veränderungen gab es sicherlich bei der interventionellen Therapie. Auch wenn es vielerorts bedauert wird: Die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) hat ihren Stellenwert als Verfahren der ersten Wahl fast überall auf der Welt verloren. Man macht es sich sicherlich zu einfach, dies nur mit der – tatsächlich – beeindruckenden Weiterentwicklung der Ureterorenoskopie (URS) und perkutanen Nephrolithotomie (PCNL) zu begründen.<br /> Was ist in den letzten Jahren an Innovationen bei der ESWL geschaffen worden? Die Schwerpunkte wurden vor allem auf Bedienbarkeit und Patientenkomfort gelegt, die Therapieergebnisse sind hierbei aber zumindest nicht besser geworden. Im Mutterland der ESWL wird leider kaum noch wissenschaftlich in diesem Bereich gearbeitet. Es gäbe hier so viele Bereiche, an denen gearbeitet werden müsste: automatische Fokussierung, bessere Ankopplung, bessere Applikationsformen. Studien zeigen, dass bis zu 40 % aller Stoßwellen den Stein überhaupt nicht treffen. Wenn hier keine Fortschritte gemacht werden, dann wird die ESWL über ein Schattendasein nicht mehr hinauskommen. Dies wäre sehr zu bedauern, da das Konzept der (fast) berührungslosen Therapie doch den modernsten Ansatz darstellen würde.</p> <h2>Herausforderung Metabolik</h2> <p>Den frustrierendsten Aspekt der Urolithiasis stellt die metabolische Diagnostik und Therapie dar. Die Pathogenese der Harnsteinbildung ist immer noch unklar – klar ist aber geworden, dass es nicht nur um Supersaturation und Urinanalysen gehen kann. Die einzige wirklich gut belegte Präventionsmaßnahme ist eine Erhöhung der Diurese. „Die sollen halt mehr trinken“, hat ein nicht näher benannter Ordinarius vor einigen Jahren einmal in Zusammenhang mit der Frage nach Metaphylaxe geantwortet. Leider hat er damit nicht ganz unrecht. Die meisten Stoffwechselstudien stammen aus den 70er- und 80er-Jahren. Neue diagnostische Verfahren und Konzepte, die in anderen Bereichen der Medizin selbstverständlich Einzug hielten, wurden für die Urolithiasis kaum eingesetzt.<br /> Die medikamentöse Therapie besteht aus Alkalizitraten, Thiaziden und Allopurinol – wie vor 30 Jahren. Es bleibt ein Problem, dass Forschungsförderung für Urolithiasisprojekte schwer zu akquirieren ist und der motivierte Nachwuchs aus Karrieregründen mehr an der Uroonkologie interessiert ist. Ich bin sicher, dass das Urinsammeln nicht des Rätsels Lösung ist. Ich bin aber pessimistisch, dass hier die nächsten Jahre mehr Klarheit bringen werden. Die Harnsteinforschungslandschaft in Deutschland und Österreich gibt jedenfalls keinen Anlass für Optimismus.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Wo stehen wir, wohin gehen wir? Die Bildgebung hat sich vom konventionellen Röntgen wegentwickelt – die Urologie braucht CT! Die Steintherapie ist minimal invasiv und effektiv geworden. Das wird sich weiter verbessern, vielleicht auch irgendwann wieder fast berührungsfrei durch ESWL. Schön wäre, wenn wir irgendwann auch wissen, warum Steine entstehen und wie wir dies verhindern können. Doch was würden wir dann mit der ganzen Freizeit tun?</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>beim Verfasser</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse beim Urothelkarzinom
Auf dem diesjährigen Genitourinary Cancers Symposium der American Society of Clinical Oncology (ASCO-GU-Kongress) wurden bedeutende Fortschritte in der Diagnose und Behandlung des ...
Aktuelles aus der 7. Version der S3-Leitlinie: wesentliche Leitlinienänderungen
Im Mai 2024 wurde die Prostatakarzinom-S3-Leitlinie unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie in ihrer 7. ...
Neues vom ASCO GU zum Prostatakarzinom
Im Rahmen des ASCO GU 2025 in San Francisco wurden eine Vielfalt von neuen praxisrelevanten Studien zum Prostatakarzinom präsentiert. Mit Spannung wurde unter andem auch auf die finalen ...