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Eine kritische Betrachtung
Jatros
Autor:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Krebs
Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: michael.krebs@meduniwien.ac.at
Autor:
Dr. Miriam Promintzer-Schifferl
30
Min. Lesezeit
25.09.2018
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<p class="article-intro">Potenzielle Funktionsstörungen der Schilddrüse treten bei bis zu 15 % aller Schwangeren auf und gehören damit zu den häufigsten Fragestellungen, mit denen Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Betreuung von Frauen mit Kinderwunsch bzw. Schwangerschaft in der klinischen Praxis konfrontiert sind. Während in älteren Leitlinien ein generelles TSH-Ziel von <2,5mU/l empfohlen wurde, wird die Problematik in der aktuellen Empfehlung der amerikanischen Schilddrüsengesellschaft1 deutlich differenzierter betrachtet und es wird ein individuelles Vorgehen empfohlen, was die Situation für den Behandler leider nicht übersichtlicher macht. Die Grundzüge dieser neuen Empfehlungen sollen hier diskutiert werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Hypothyreose</h2> <p>Die zentrale Neuerung besteht in der Einbeziehung des möglichen Vorliegens einer Autoimmunthyreoiditis in die Entscheidung, ob in der Schwangerschaft eine Substitutionstherapie mit Schilddrüsenhormon (T4) eingeleitet werden soll.<br /><br /> <strong>Auf welche Basis stützt sich diese Empfehlung?</strong><br /> Die um die 10. Schwangerschaftswoche maximale Freisetzung des Schwangerschaftshormons HCG bewirkt durch dessen (schwache) Bindungsfähigkeit an den TSH-Rezeptor eine Stimulation der Schilddrüsenfunktion der Mutter. Dadurch sinkt im ersten Trimenon der Schwangerschaft die mütterliche TSHKonzentration ab, während die Konzentration von freiem T4 passager leicht ansteigt. Rezente Studien haben gezeigt, dass dieser Mechanismus bei Frauen mit erhöhten TPO-Antikörpern als Marker einer bestehenden Autoimmunthyreoiditis gestört ist.<sup>2</sup> Erhöhte Schilddrüsen- Autoantikörper finden sich bei 2 bis 17 % aller Schwangeren. Durch die verminderte funktionelle Reserve der Schilddrüse bei Autoimmunthyreoiditis kann der in der Schwangerschaft erhöhte Bedarf an Schilddrüsenhormon nicht immer gedeckt werden. Dadurch kann es trotz initial normalen TSH in ca. 20 % der Fälle zu einem Anstieg des TSH >4mU/l (latente Hypothyreose) kommen. <br /><br /><strong>Konsequenz für die Praxis</strong><br /> Bei euthyreoten Schwangeren mit erhöhten Schilddrüsenautoantikörpern werden regelmäßige Kontrollen der Schilddrüsenfunktion während der Schwangerschaft (initial alle 4 Wochen) empfohlen.<br /> Wie oben erwähnt sinkt die TSH-Konzentration in der Schwangerschaft normalerweise vor allem im ersten Trimenon etwas ab. Viele Leitlinien empfehlen daher bei Kinderwunsch und im ersten Trimenon der Schwangerschaft einen TSH-Zielwert von <2,5mIU/l. Neuere Studien legen aber nahe, dass bei vielen verwendeten Assays und in vielen Populationen der obere TSH-Normalwert in der Schwangerschaft etwas höher liegen dürfte.<br /> Die aktuelle Leitlinie der Amerikanischen Schilddrüsengesellschaft empfiehlt daher das Erstellen von trimesterspezifischen Normalwerten auf Basis von Daten aus der lokalen Bevölkerung. Falls diese nicht verfügbar sein sollten, könnten vom oberen Normalwert für nicht schwangere Erwachsene 0,5mIU/l abgezogen werden.<br /> Aus den beiden genannten Neuerungen ergibt sich ein im Gegensatz zu den bisherigen Empfehlungen deutlich komplexeres Bild, das in der Tabelle 1 zusammengefasst wird. Letztlich wird die Indikation zur Einleitung einer Thyroxintherapie in der Schwangerschaft durch Anwendung dieser Empfehlungen etwas zurückhaltender gestellt werden. Neue Daten, die eine Assoziation nicht nur von erniedrigten, sondern auch erhöhten Konzentrationen von freiem T4 der Mütter mit einem minimal geringeren Intelligenzquotienten der Kinder zeigen, unterstützen möglicherweise diese Vorgangsweise oder zumindest eine bedarfsgerechte Dosierung von Thyroxin.<sup>2</sup> Inwieweit sich diese doch recht komplexen Empfehlungen in der Praxis bewähren und angenommen werden, bleibt abzuwarten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1804_Weblinks_s36_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1010" /></p> <h2>Schilddrüsenantikörper und Fehlgeburt</h2> <p>Spontane Fehlgeburten kommen bei 17–31 % aller Schwangerschaften vor. Neben Faktoren wie dem Alter der Mutter, Familienanamnese und Komorbiditäten sind bekanntermaßen auch endokrine Störungen ein Risikofaktor für Fehlgeburtlichkeit. Erstmalig wurde 1990 in einer prospektiven Beobachtungsstudie ein Zusammenhang zwischen Abort und positiven Schilddrüsenantikörpern (TPO-AK, TG-AK oder beide) gefunden.<sup>3</sup> Seither zeigten zahlreiche Studien ähnliche Ergebnisse, wobei Metaanalysen ein 1,8–2,5-fach erhöhtes Risiko für Schwangerschaftsverlust bei Autoimmunthyreoiditis ergaben.<sup>4, 5</sup> Trotz dieser klaren Assoziation ist die Kausalität nicht bewiesen und auch der zugrunde liegende Mechanismus unklar.<br /> Als Therapieoptionen zur Senkung des Abortrisikos werden bei euthyreoten Frauen mit Autoimmunthyreoiditis eine Thyroxinsubstitution bzw. eine intravenöse Immunglobulintherapie (IVIG) diskutiert. Aufgrund der schlechten Datenlage wird die Behandlung mit IVIG bei fraglichem Benefit, jedoch Nebenwirkungen, hoher Komplexität und nicht zuletzt bedeutenden Kosten nicht empfohlen.<br /> Auch bezüglich Thyroxintherapie gibt es nur unzureichende Evidenz, um definitiv festzulegen, ob diese Therapie das Abortrisiko reduziert. Da diese Therapieform in niedriger Dosierung sicher ist und ein potenzieller Benefit besteht, ist hier ein Therapieversuch mit Thyroxin vertretbar.<br /><br /> <strong>Konsequenz für die Praxis<sup>1</sup></strong></p> <ul> <li>Bei Frauen mit Kinderwunsch/Schwangerschaft, erhöhten TPO-Antikörpern und einem Abortus in der Anamnese kann auch bei Euthyreose eine niedrig dosierte Thyroxintherapie (25–50µg) zur Reduktion des Abortusrisikos erwogen werden, insbesondere, wenn keine andere Ursache für den stattgehabten Abort identifiziert werden konnte (schwache Evidenz).</li> <li>Bei erhöhten TPO-Antikörpern und geplanter assistierter Reproduktion kann auch bei Euthyreose eine niedrig dosierte Thyroxintherapie (25–50µg) erwogen werden (schwache Evidenz).</li> <li>Bei latenter Hypothyreose und geplanter assistierter Reproduktion (IVF) sollte eine Thyroxintherapie eingeleitet werden (TSH-Ziel <2,5 mU/l).</li> <li>Alle (hypothyreoten) Frauen sollten über den in der Schwangerschaft erhöhten Bedarf an Schilddrüsenhormon (20–30 % ) und die daher empfohlenen Laborkontrollen informiert werden.</li> </ul> <h2>Hyperthyreose</h2> <p>Die häufigste Ursache für eine Hyperthyreose in der Schwangerschaft ist die transiente Thyreotoxikose der Schwangerschaft, gefolgt vom Morbus Basedow.<br /> Erstere ist durch eine physiologische Stimulation des TSH-Rezeptors durch das insbesondere in der Frühschwangerschaft hohe HCG bedingt und tritt vermehrt bei Patientinnen mit Hyperemesis gravidarum und Mehrlingsschwangerschaft auf. Durch den auf die erste Hälfte der Schwangerschaft beschränkten und tendenziell milden Verlauf wird aufgrund des Fehlbildungsrisikos keine thyreostatische Therapie empfohlen. Eine niedrig dosierte Therapie mit ß-Blocker kann entsprechend der American Thyroid Association überlegt werden. Ergibt die Abklärung der Hyperthyreose einen Morbus Basedow, in aller Regel durch positive TSH-Rezeptor-stimulierende Antikörper (TRAK), stellt die Therapie hinsichtlich der Wahl des Thyreostatikums und seiner Dosierung eine Herausforderung dar.<br /><br /> Rezente Studien zeigen, dass nicht nur, wie bisher bekannt, die Einnahme des Thyreostatikums Thiamazol, sondern auch das im ersten Trimenon der Schwangerschaft empfohlene Alternativmedikament Propylthiouracil (Prothiucil<sup>®</sup>) im Gegensatz zu früheren Annahmen ebenfalls mit einem signifikanten Missbildungsrisiko assoziiert ist. Die durch Propylthiouracil bedingten Missbildungen sind generell jedoch milder als die durch Thiamazol verursachten Fehlbildungen. Falls die thyreostatische Therapie in der Frühschwangerschaft nach individueller Einschätzung des Arztes<sup>1</sup> nicht pausiert werden kann, sollte in den ersten 16 Schwangerschaftswochen daher Propylthiouracil verabreicht werden.<br /> Rezente Hinweise, dass ein Wechsel von Thiamazol auf Propylthiouracil in der Schwangerschaft in der Praxis keinen protektiven Effekt auf das Fehlbildungsrisiko haben könnte<sup>6</sup>, und die Problematik einer schlechteren Kontrolle der Hyperthyreose in der Umstellungsphase bedingen, dass die Betreuung von Schwangeren mit Hyperthyreose nach wie vor eine Herausforderung darstellt.<sup>1</sup> Neben dem Risiko der Missbildungen besteht durch die Autoimmunerkrankung und die thyreostatische Therapie der Mutter auch die Gefahr von fetalen Schilddrüsenfunktionsstörungen.<br /><br /> Die TSH-Rezeptor-stimulierenden Antikörper (TRAK) werden transplazentar in den Feten transportiert und führen damit bei höheren Konzentrationen (>3-facher oberer Normalwert) ab der ca. 20. Schwangerschaftswoche zu einem Risiko für eine fetale bzw. neonatale Hyperthyreose. Bei allen Frauen mit M. Basedow in der Anamnese (auch nach definitiver Sanierung mittels Operation oder Radiojodtherapie) sollte daher in jedem Trimenon die TRAK-Konzentration bestimmt werden.<br /> Auch eine Hypothyreose beim Fetus muss vermieden werden. Die fetale Schilddrüse hat ein höheres Ansprechen auf die thyreostatische Therapie als die mütterliche Schilddrüse. Daher sollte der TSH-Wert der Mutter nicht den Bereich erreichen, der bei nicht schwangeren Erwachsenen der Euthyreose entspricht. In diesem Fall müsste zum Schutz des Fetus die Therapie reduziert werden. Das freie T4 sollte im oberen Referenzbereich liegen oder etwas darüber. Prinzipiell sollte die niedrigstmögliche Dosierung gewählt werden und Kontrollen im Intervall von zumindest 4 Wochen erfolgen. <br /><br /><strong>Konsequenz für die Praxis</strong><br /> Die aktuellen Leitlinien empfehlen, dass die Möglichkeit einer zukünftigen Schwangerschaft und das in dieser Situation komplexe Management der Erkrankung mit allen gebärfähigen Frauen besprochen werden sollen. Die Risiken und Nebenwirkungen aller Therapieoptionen sollten diskutiert und im individuellen Fall abgewogen werden.<br /> Generell sollte das Management von gebärfähigen und schwangeren Frauen mit Hyperthyreose in Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Zentrum erfolgen.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Alexander EK et al.: Thyroid 2017; 27(3): 315-89 <strong>2</strong> Korevaar TIM et al.: Nat Rev Endocrinol 2017; 13(10): 610-22 <strong>3</strong> Stagnaro-Green A et al.: JAMA 1990; 2 64(11): 1422-5 <strong>4</strong> Chen L et al.: Clin Endocrinol ( Oxf) 2011; 74(4): 513-9 <strong>5</strong> Thangaratinam S et al.: BMJ 2011; 342: d2616 <strong>6</strong> Sego et al.: Ann Intern Med 2018</p>
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