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Physiotherapie bei erektiler Dysfunktion – Ergebnisse aus der aktuellen Literatur

<p class="article-intro">Sexuelle Gesundheit trägt wesentlich zur individuellen Lebensqualität bei. Das sexuelle Erleben und Verhalten zeigt bei Mann und Frau grundsätzlich vier Reaktionsphasen,<sup>1</sup> ist jedoch individuell sehr unterschiedlich. Behandlungsansätze mit dem Ziel der Erhaltung oder Verbesserung der Sexualfunktion erfordern ein einfühlsames und umfassendes Vorgehen. Die erektile Funktion (EF) ist unter anderem von der Ansteuerungsfähigkeit spezifischer Beckenmuskeln sowie von einer positiven Wahrnehmung des Becken- und Genitalbereichs und dessen Integration in das männliche Körperbild abhängig.<sup>2, 3</sup> Physiotherapie kann in diesen Bereichen wirksame Behandlungsansätze anbieten.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Beckenbodenmuskulatur ist bei der gesunden m&auml;nnlichen Erektionsfunktion spontan aktiv und unterst&uuml;tzt die vaskul&auml;re Stauung sowie die penile Rigidit&auml;t.</li> <li>Selektives &Uuml;ben und Training der m&auml;nnlichen Beckenbodenmuskulatur ist m&ouml;glich. Physiotherapeuten k&ouml;nnen sich dies bei der Behandlung von ED zunutze machen.</li> <li>Die Ergebnisse der aktuellen Forschung unterst&uuml;tzen den Einsatz von Physiotherapie bei ED.</li> </ul> </div> <h2>Die m&auml;nnliche Sexualfunktion</h2> <p>In den ersten sexuellen Erregungsphasen kommt es zu autonom regulierten vaskul&auml;ren Reaktionen im m&auml;nnlichen Genitalbereich. Diese bewirken eine vermehrte Blutzufuhr und Stauung in den Schwellk&ouml;rpern und f&uuml;hren zur Anschwellung des Penis. Bei weiterer sexueller Aktivit&auml;t steigert sich die penile Rigidit&auml;t.<sup>4</sup> In dieser Phase sind Muskeln des Beckenbodens, insbesondere die Cavernosusmuskulatur (M. bulbocavernosus [BCM], Mm. Ischiocavernosus [ICM]), aktiviert.<sup>3</sup> Sie tragen zur Steigerung des Drucks in den Schwellk&ouml;rpern bei und unterst&uuml;tzen die Erektion des Penis. Die Penetration und eine befriedigende sexuelle Aktivit&auml;t werden so erm&ouml;glicht. In der Orgasmusphase kommt es zur Erregungssteigerung bis zum &bdquo;point of no return&ldquo;, an dem die Ejakulation zwingend erfolgt. Der Ejakulationszeitpunkt kann vom gesunden, sexuell erfahrenen Mann kontrolliert werden und so situativ der Form und den Bed&uuml;rfnissen in der sexuellen Bet&auml;tigung angepasst werden.<sup>2 </sup></p> <h2>Selektive Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur und erektile Funktion</h2> <p>Die mehrschichtig aufgebaute Beckenbodenmuskulatur kann willentlich selektiv aktiviert werden (Abb. 1, Tab. 1).<sup>5</sup> Somit ist ein differenziertes &Uuml;ben und Training der an der erektilen Funktion haupts&auml;chlich beteiligten Muskeln des Cavernosuskomplexes (BCM, ICM) m&ouml;glich. Bereits 1986 wurde nachgewiesen, dass eine positive Korrelation zwischen der isolierten Kontraktion des ICM und dem intracavern&ouml;sen Druck (ICP) besteht.<sup>6</sup> Dieselben Autoren konnten in einer observativen Studie bei 108 M&auml;nnern mit mehr als 6 Monate bestehender erektiler Dysfunktion (ED) durch gezieltes Training des ICM eine signifikante Erh&ouml;hung des ICP feststellen. Die Auswirkung auf die subjektive Verbesserung der Sexualfunktion wurde in diesem Zusammenhang nicht erhoben.<sup>7</sup> <br />Dorey et al. f&uuml;hrten eine randomisierte kontrollierte Studie bei 55 M&auml;nnern mit ED durch. Die Interventionsgruppe bekam eine kombinierte Therapie mit Beckenbodenmuskeltraining, Biofeedback, kontrolliertem &Uuml;ben (BFB) und Lebensstilberatung. Das Muskeltraining wurde in drei Sitzungen erlernt und &uuml;ber Biofeedback und Manometriemessungen evaluiert. Eine exakte Aussage &uuml;ber die in den &Uuml;bungen fokussierte Muskelgruppe fehlt. Aus der Beschreibung der Interventionen l&auml;sst sich ableiten, dass eine globale Aktivierung des M. levator ani (LAM) und &uuml;ber die Instruktion zum aktiven Beenden der Miktion eine spezifische Anspannung des M. sphincter urethrae externus (SUE) und BCM erfolgte. Die &Uuml;bungen wurden &uuml;ber den Tag verteilt und in alltagstypische Situationen eingebaut. Im Ergebnis konnte im Vergleich zur Kontrollgruppe, die ausschlie&szlig;lich Lebensstilberatung bekam, in der Interventionsgruppe nach 3 Monaten eine signifikant h&ouml;here Verbesserung der EF gemessen am International Index of Erectile Dysfunction (IIEF) erreicht werden (p=0,004). Dieses Ergebnis zeigte sich auch f&uuml;r die Kontrollgruppe, die nach 3 Monaten ebenfalls &uuml;ber 12 Wochen das Training durchf&uuml;hrte. Insgesamt wurde die ED nach 6 Monaten bei 40 % der M&auml;nner normalisiert, 34,5 % der Teilnehmer verbesserten die EF und bei 25,5 % trat kein Effekt ein.<sup>8</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1804_Weblinks_s17_abb1.jpg" alt="" width="1053" height="867" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1804_Weblinks_s17_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="1033" /></p> <h2>Beckenbodentraining bei ED nach Prostataoperationen</h2> <p>Die ED sowie die Harninkontinenz (UI) sind h&auml;ufige Komplikationen nach radikaler Prostatektomie (RPE). Aus &auml;rztlicher Sicht wird eine medikament&ouml;se Therapie (PDE5i) eingesetzt und durch den Einsatz von Vakuumpumpen erg&auml;nzt. Bei intraoperativer Schonung des neurovaskul&auml;ren B&uuml;ndels im Rahmen der RPE wird in der Zeit der Regeneration der neuralen Strukturen die Therapie darauf ausgerichtet, eine ausreichende Oxygenierung des Schwellk&ouml;rpergewebes und das Erhaltenbleiben der Elastizit&auml;t der penilen Gef&auml;&szlig;e zu gew&auml;hrleisten. Auch bei ung&uuml;nstiger Prognose zur R&uuml;ckgewinnung der penilen Erektionsf&auml;higkeit wird &uuml;ber diese Ma&szlig;nahmen die Gewebefunktion im Penisbereich bewahrt und der Dystrophie des Penis sowie dem Verlust an Elastizit&auml;t der Harnr&ouml;hre in die Elongation vorgebeugt.<sup>9</sup> Physiotherapeutische Behandlungsans&auml;tze beinhalten selektives Beckenbodenmuskeltraining, Wahrnehmungs- und Sensibilit&auml;tstraining. Bezogen auf die ED werden Ma&szlig;nahmen zur Erhaltung der Schwellk&ouml;rperfunktion angeleitet. <br />Prota et al. untersuchten die Wirkung von supervidiertem postoperativem Beckenmuskeltraining und einem strukturierten Heimprogramm als ausschlie&szlig;liche Therapieanwendungen &uuml;ber drei Monate auf die Rehabilitation der ED und der UI bis zu 12 Monate post RPE. Die Trainingssets beinhalteten schnelle und gehaltene Kontraktionen, verbunden mit verl&auml;ngerten Ausatemman&ouml;vern. Es werden keine klaren Aussagen &uuml;ber die Zielmuskulatur des Trainings gegeben, jedoch impliziert die Arbeit mit analer Sonde, dass das Training sich auf die Levator-ani- Muskulatur (LAM) konzentriert. Eine Kontrollgruppe wurde ausschlie&szlig;lich mit einem schriftlichen Anleitungsbogen versorgt. Die Ergebnisevaluierung &uuml;ber den IIEF-5-Score zeigt eine ausreichende Verbesserung der EF nach 12 Monaten bei 47 % der Probanden in der Interventionsgruppe und bei 12,5 % in der Kontrollgruppe (p=0,032).<sup>10</sup><br /> Geraerts et al. f&uuml;hrten eine randomisierte, kontrollierte Studie bei M&auml;nnern mit persistierender ED 12 Monate nach RPE durch. Auch diese Studie best&auml;tigte, dass ein &uuml;ber 12 Wochen durchgef&uuml;hrtes selektives Beckenbodentraining zu einem signifikant h&ouml;heren Anstieg der EF gemessen &uuml;ber den IIEF-Score f&uuml;hrt (p=0,025). Der Effekt blieb auch &uuml;ber einen therapiefreien Kontrollzeitraum von bis zu 6 Monaten erhalten. Die Autoren konnten zudem eine signifikante Verbesserung der Climacturia bei den behandelten Probanden nachweisen.<sup>11</sup> <br />In einer Studie von Laurienzo et al. wurden M&auml;nner ein Monat nach RPE in drei Gruppen randomisiert zugeordnet. Die zwei Interventionsgruppen f&uuml;hrten allgemeine Gymnastik f&uuml;r die H&uuml;ft- und Beckenmuskeln oder Gymnastik gekoppelt mit Elektrotherapie mit analer Sonde durch. Die Kontrollgruppe erhielt das allgemeine Nachsorgeschema nach RPE. Die Forschergruppe konnte keine signifikanten Unterschiede in der Rehabilitation der EF nach 1,3 und 6 Monaten feststellen.<sup>12 </sup></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Es gibt gute Hinweise, dass Physiotherapie bei ED zur Verbesserung der Erektionsfunktion allgemein und spezifisch nach RPE wirksam eingesetzt werden kann. Aus den hier vorgestellten Studien kann geschlossen werden, dass spezifische Programme zur selektiven Ansteuerung der Beckenbodenmuskulatur, vor allem der Cavernosusmuskulatur, eher wirksam sind als allgemeine H&uuml;ft- und Beckenmuskel-kr&auml;ftigende Programme. Die in den Studien verwendeten Trainingsprotokolle f&uuml;r die spezifische pelvine Muskulatur sind bezogen auf die aktivierte Zielmuskulatur sowie die Intensit&auml;t, Dauer und Durchf&uuml;hrung der &Uuml;bungen uneinheitlich. Dies macht es nicht m&ouml;glich, eine Aussage &uuml;ber die beste Therapiemethode zu machen. &Uuml;ber die Auswirkung von Sensibilit&auml;tsund Wahrnehmungs&uuml;bungen gibt es keine Untersuchungen. <br />Es w&auml;re wichtig, f&uuml;r weitere Studien die physiotherapeutischen Ma&szlig;nahmen zu standardisieren und die Wirkeffekte in Patientensubgruppen zu untersuchen, um so die spezifischen Einsatzst&auml;rken f&uuml;r physiotherapeutische Ma&szlig;nahmen zu erforschen. Aktuell kann aus der zusammengefassten Literatur die Durchf&uuml;hrung von selektivem Training der Beckenbodenmuskulatur mit Fokus auf die Cavernosusmuskulatur bei ED empfohlen werden. Die Wirksamkeit von erweiterten Ma&szlig;nahmen wie Wahrnehmungsschulung und Sensibilit&auml;tstraining u.v.m. ist bis dato noch unerforscht.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Masters WH et al.: Die sexuelle Reaktion. Reinbek: Rowohlt, 1980 <strong>2</strong> Gehrig P, Bischof K (Hrsg.): Leitfaden Sexualberatung f&uuml;r die &auml;rztliche Praxis. Z&uuml;rich: Pfizer AG, 2010 <strong>3</strong> Chambers SK et al.: Erectile dysfunction, masculinity, and psychosocial outcomes: a review of the experiences of men after prostate cancer treatment. Transl Androl Urol 2017; 6(1): 60-6 <strong>4</strong> Giuliano F, Rampin O: Neural control of erection. Physiol Behav 2004; 83(2): 189-201 <strong>5</strong> Stafford RE et al.: Pattern of activation of pelvic floor muscles in men differs with verbal instructions. Neurourol Urodyn 2016; 35(4): 457-63 <strong>6</strong> Lavoisier P et al.: Correlation between intracavernous pressure and contraction of the ischiocavernosus muscle in man. J Urol 1986; 136(4): 936-9 <strong>7</strong> Lavoisier P et al.: Pelvic-floor muscle rehabilitation in erectile dysfunction and premature ejaculation. Phys Ther 2014; 94(12): 1731-43 <strong>8</strong> Dorey G et al.: Randomised controlled trial of pelvic floor muscle exercises and manometric biofeedback for erectile dysfunction. Br J Gen Pract 2004; 54(508): 819-25 <strong>9</strong> Hatzimouratidis K et al.: Guidelines on male sexual dysfunction: erectile dysfunction and premature ejaculation. Eur Urol 2016 <strong>10</strong> Prota C et al.: Early postoperative pelvic-floor biofeedback improves erectile function in men undergoing radical prostatectomy: a prospective, randomized, controlled trial. Int J Impot Res 2012; 24: 174-8 <strong>11</strong> Geraerts I et al.: Pelvic floor muscle training for erectile dysfunction and climacturia 1 year after nerve sparing radical prostatectomy: a randomized controlled trial. Int J Impot Res 2016; 28(1): 9-13 <strong>12</strong> Laurienzo CE et al.: Pelvic floor muscle training and electrical stimulation as rehabilitation after radical prostatectomy: a randomized controlled trial. J Phys Ther Sci 2018; 30(6): 825-31</p> </div> </p>
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