
©
Getty Images
Betreuung demenzkranker Patienten im niedergelassenen Bereich
DAM
Autor:
Dr. Claudia Thaler-Wolf
Fachärztin für Neurologie, 6060 Hall<br> E-Mail: thaler@neuro-doc.cc
30
Min. Lesezeit
13.10.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Auch im niedergelassenen Bereich können eine umfassende ambulante Abklärung und Betreuung demenzkranker Senioren erfolgen. Nach Ausschluss der Differenzialdiagnosen und behandelbarer Erkrankungen sowie der Zuordnung einer Diagnose werden in Abhängigkeit von der Ausprägung der Symptome der Patient und die Angehörigen über die Therapiemöglichkeiten aufgeklärt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Bis dato stehen keine kausalen Therapiemöglichkeiten für die Demenz zur Verfügung, sodass ein wichtiger Bestandteil der Therapie die Optimierung der Lebensumstände vor allem im sozialen Bereich, sowohl des Patienten, aber auch des Pflegenden, darstellt. Dabei kann aufgrund der guten Kenntnis der lokalen Möglichkeiten wie Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, über Gedächtnistraining, Möglichkeiten der sozialen Versorgung und Unterstützung stundenweise oder 24-Stunden-Betreuung bis zur Altersheimversorgung beraten werden. <br />Häufigste Gründe der Altersheimeinweisung sind Sturzneigung sowie Verwirrung. Wichtig: Beratung über Pflegegeld, Organisation der Logo-, Ergo-, Physiotherapie, psychologische Betreuung, Sicherstellung einer ausgewogenen Ernährung und ausreichender Flüssigkeitssubstitution – so kann für den Patienten ein individuelles optimales Setting entsprechend seinen Lebensumständen zusammengestellt werden. Es empfiehlt sich, in der Praxis eine Mappe mit Telefonnummern der entsprechenden kooperierenden Strukturen vorzubereiten, die als Kopie mitgegeben werden kann. <br />Negative Prognoseeinschätzungen sind tunlichst zu vermeiden, da die Krankheitsverläufe sehr individuell sind und von zusätzlichen metabolischen Faktoren (Herz-, Lungenerkrankungen, Diabetes, RR-Einstellung, Nieren-, Leberinsuffizienz etc.) mitbestimmt werden. Medikamentennebenwirkungen und -interaktionen sind immer wieder zu hinterfragen, die Medikationsindikationen ebenso regelmäßig zu überprüfen. Trotz eingeschränkter kognitiver Leistungen kann auch mit der Diagnose Demenz eine gute Lebensqualität erhalten werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.</p> <h2>Optimierung der Lebensumstände</h2> <p>Zu beachten ist die strikte Einhaltung des Tag-Nacht-Rhythmus, Dämmerungsphasen sollten eher vermieden werden, gute Lichtquellen im Wohnbereich installieren zu lassen ist hilfreich (ideal: Taglichtlampen!). Sturzfallen im Wohnbereich sollen erkannt und vermieden, gegebenenfalls Möbel reduziert werden. Gleichbleibende, zuverlässige, immer wiederkehrende Rituale wie gemeinsames Essen, Spaziergänge etc. geben Sicherheit. Eine große Uhr, ein Sideboard mit Notizen für Termine, große, gut sichtbare Kalender, regelmäßige soziale Kontakte leisten ebenfalls gute Dienste. Es gilt Überforderung zu vermeiden, dabei aber kleine Pflichten entsprechend dem Leistungsniveau beizubehalten. <br />Man sollte einen Hauptverantwortlichen für die Kontrolle der Medikamentenbox und die regelmäßige Einnahme der Medikamente bestimmen, um falsche Einnahme und/oder Mehrfacheinnahme zu verhindern. Harnwegsinfekte, Exsikkose, pulmonale Infekte treten häufig bei dementen Patienten auf, diese sind frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Halluzinationen, Ängste und Verwirrtheitsphasen sollte man ebenfalls möglichst früh abfragen, um möglichst rasch eine Behandlung einleiten zu können. Eine frühzeitige Beratung über Autofahren durchzuführen ist ratsam!</p> <h2>Ausführliche Anamnese</h2> <p>Die häufige Diskrepanz zwischen Eigen- und Außenanamnese bereits bei mittelgradig ausgeprägten Demenzen betont die Notwendigkeit der ausführlichen Anamnese und auch der ausführlichen Gedächtnisbeurteilung. Hier bietet sich die bekannte „Mini-Mental State Examination“ (MMSE) als Verlaufsinstrument an, die jedoch insbesondere am Beginn der Erkrankung und bei hoher Ausgangsintelligenz als Diagnoseinstrument versagt. Hier gibt es genauere Testinstrumentarien – es empfiehlt sich aber gerade am Beginn der Erkrankung eine ausführliche neuropsychologische Testung zu veranlassen. Einer Depression mit Pseudodemenz von der beginnenden Demenz bzw. einem „mild cognitive impairment“ abzugrenzen kann im Individualfall schwierig sein. Abhängig vom Alter und vom Verlauf wird man Zusatzuntersuchungen wie MRT zerebral (Scheltens-Score, Atrophie, vaskuläre Läsionen, Raumforderung), FDG-PET (Positronen-Emissions-Tomografie) oder auch eine Liquorpunktion mit Untersuchung der Tauproteine durchführen. Prinzipiell gilt: Je jünger der Patient, umso sorgfältiger muss die Diagnose abgegrenzt werden. Ebenso sollte eine rasch fortschreitende demenzielle Erkrankung jenseits der 80 strukturell zumindest einmal evaluiert werden.</p> <h2>Was versteht man unter Demenz?</h2> <p>Der Begriff Demenz ist eigentlich ein beschreibender Überbegriff für eine Erkrankung des Seniums, die Krankheitswahrscheinlichkeit steigt kontinuierlich mit dem Lebensalter. Entsprechend der ICD-10-Definition kommt es zu Beeinträchtigungen höherer kortikaler Funktionen wie Kurz- und Langzeit-Gedächtnis, Denken, Orientierung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Diese Beeinträchtigungen führen zu einer Einschränkung in den persönlichen Aktivitäten des täglichen Lebens. Die Dauer der Symptomatik muss mindestens 6 Monate betragen. Ausschlusskriterien: Bewusstseinsstörungen. Der Verlauf ist chronisch fortschreitend. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1608_Weblinks_seite9.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Differenzierung der Demenzen nach Ätiologie</h2> <p>Die degenerativen Demenzen müssen von Demenzen mit anderen Ursachen wie infektiös-entzündlichen Ursachen (z.B. Prionenerkrankung, limbische Enzephalitis), zerebralen Raumforderungen (z.B. langsam wachsende frontal gelegene Menin­geome), traumatischen Formen (z.B. chronisches Subduralhä­matom, posttraumatische Narben bei Schädel-Hirn-Trauma), toxischen Ursachen (z.B. falsche Medikamenteneinnahme), metabolischen Ursachen (z.B. Schild­­drüs­en­über-/-unter­funktion), nutritiven Ursachen (z.B. Mangel­ernährung, Vitamin-B12-Defizienz) und psychiatrischen Ursachen (z.B. Depression, jahrelange Schizophrenie, Down-Syndrom) diagnostisch abgegrenzt werden. Bei den degenerativen Demenzen sind falsch gefaltete, lösliche und unlösliche Proteinaggregate körpereigener Proteine von zentraler pathophysiologischer Bedeutung. Auf Basis des vorwiegend aggregierten Proteins hat sich eine Einteilung degenerativer Demenzen etabliert. Diese Einteilung erlaubt auch die Einteilung der sehr viel selteneren familiären Fälle degenerativer Demenzen. <br />Die Alzheimerkrankheit ist die häufigste Ursache von Demenzen und beträgt 50–60 % in klinischen und Autopsie­serien. Modifizierte Konsensuskriterien für ihre klinische und neuropathologische Erfassung haben die diagnostische Genauigkeit und Sensitivität gegenüber anderen Demenzformen wesentlich erhöht (Tab. 1). Die Kombination aus klinischen Kriterien, spezifischen Biomarkern im Liquor (Nachweis von Tauproteinen, diese können bis zu 6 Jahre vor Krankheitsbeginn bereits im Liquor nachweisbar sein) sowie modernen Neuroimaging-Methoden (MRT, Glukose-PET, Amyloid-PET) gestatten heute die Diagnose oder Klassifikation der Alzheimerkrankheit und ihre Abgrenzung von anderen Demenzformen in bis zu 96 % aller Fälle im Verlauf. Neben der β-Amyloid-Pathologie ist der Nachweis von fibrillären Tau-Aggregaten von essenzieller Bedeutung für die Ausbildung und Diagnose des Morbus Alzheimer.</p> <p><strong>Demenz mit Lewy-Körperchen bzw. Morbus Parkinson mit Demenz </strong><br /> Die Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB) bzw. der Morbus Parkinson mit Demenz (PDD) stellen die zweithäufigste Ursache einer Demenz älterer Senioren dar, die α-Synuclein- Pathologie ist bei diesen Erkrankungen nicht immer auf das Gehirn oder den Bulbus olfactorius beschränkt, sie kann sich bisweilen auch im autonomen Nervengeflecht des gesamten Gastrointestinaltraktes, in peripheren Nerven und in vielen anderen Organen nachweisen lassen. Die Demenzen bei Parkinson und die DLB haben viele klinische und morphologische Merkmale gemeinsam und sind neuropathologisch nicht klar voneinander zu trennen. <br />Klinisch hat sich ein willkürliches Abgrenzungskriterium etabliert: Manifestiert sich eine Demenz innerhalb eines Jahres nach Diagnosestellung eines Morbus Parkinson, so wird von einer DLB ausgegangen, wenn später, geht man von einer Parkinson-Demenz aus. Bei der DLB manifestiert sich die Demenz oft vor dem Parkinsonismus und nahezu die Hälfte der Patienten haben visuelle Halluzinationen als charakteristische Symptome. In beiden Fällen findet sich eine α-Synuclein-Pathologie, die häufig mit einer anderen Pathologie, insbesondere einer Alzheimer-Pathologie, kombiniert ist.</p> <p><strong>Frontotemporale Lobärdegenerationi</strong><br /> Die frontotemporale Lobärdegeneration (FTLD) geht mit einer Degeneration des Frontal- und Temporallappens einher und ist die dritthäufigste Ursache einer Demenz (ca. 15 % ) mit einer Prävalenz von 15–22 auf 100.000 Einwohner und einem Alter bei Erkrankungsbeginn von 46–64 Jahren. Ein Großteil dieser Patienten wird klinisch, wenn eine Demenz vorliegt, unter der Diagnose einer frontotemporalen Demenz geführt. Die Hirnatrophie bildet sich sehr wahrscheinlich schon 10–15 Jahre vor Erkrankungsbeginn aus. Die frontotemporale Lobärdegeneration ist neben dem Morbus Alzheimer die häufigste neuropathologische Ursache einer Demenz bei Patienten um das Pensionsalter. Bis zu 40 % der Patienten mit einer frontotemporalen Demenz haben eine positive Familienanamnese und in 30–50 % dieser Fälle lässt sich ein autosomal dominanter Erbgang erkennen.</p> <p><strong>Demenz aufgrund vaskulärer Ursachen</strong><br /> Eine primär vaskuläre Ursache wird bei 8–15 % der demenziellen Erkrankungen angenommen. Im Wesentlichen kann man drei teils überlappende Gruppen von vaskulären Läsionen, die zu einer Demenz führen können, unterscheiden: 1. die Multiinfarktdemenz, bedingt durch multiple unterschiedlich große Infarkte bzw. Lakunen, überwiegend in der grauen Substanz; 2. der strategische Infarkt in Regionen, die für die Kognition von zentraler Bedeutung sind (z.B. ein Infarkt in der Hippocampusformation oder in einem paramedianen Thalamuskern), und 3. die subkortikale (arteriosklerotische) Enzephalopathie (SAE, Synonyme: Morbus Binswanger, vaskuläre Enzephalopathie), welche charakterisiert ist durch große, konfluierende Läsionen in der weißen Substanz. Im Kontext der Klassifikation degenerativer Demenzen des hohen Lebensalters spielen vaskuläre Läsionen als Kopathologie bei der Alzheimerkrankheit und den α-Synucleinopathien eine entscheidende, in der Vergangenheit häufig übersehene Rolle. 25–80 % aller demenziell erkrankten Menschen zeigen das Bild einer Demenz vom gemischten Typ, so bestehen bei zerebrovaskulären Läsionen zusätzlich und unterschiedlich ausgeprägt Tau-/β-Amyloid-, TDP-43- oder α-Synuclein-Pathologien. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1608_Weblinks_seite10.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Neues zu Demenzen</h2> <p>Studien bezüglich Impfung sind bis dato nicht erfolgreich gewesen. Auch ist man sich noch nicht sicher, ob die reine Reduktion von Tauproteinen oder β-Amyloid eine wirkliche Krankheitsmodifikation darstellt. Auch Gesunde haben Tauprotein- und β-Amyloid-Aggregationen – sodass hier alle Übergänge fließend zu betrachten sind. Bluttests sind in Erprobung. Aktuell gibt es erste Ergebnisse, die durch den Nachweis von spezifischen Immunproteinen im Blut möglicherweise die Diagnose einer Alzheimerdemenz zulassen, aber auch hier gilt es zur Beurteilung noch eine abwartende Haltung einzunehmen. Generell geht der Trend dahin, die Diagnose möglichst früh stellen zu können.</p> <h2>Praktisches – Führerschein und Demenz</h2> <p>Fast alle Studien bestätigen ein erhöhtes Unfallrisiko. Ebenso besteht bereits bei milder Demenz ein Trend zu mehr selbst verschuldeten Unfällen, Personenschäden, Missachtung des Vorrangs etc. 22–46 % der Patienten mit milder Demenz fahren ein Kraftfahrzeug. In der Beurteilung der Fahrtauglichkeit konnte der MMSE keinen Zusammenhang mit einem Fahrsimulatortest zeigen, sodass im Wesentlichen für die Fahrtauglichkeit das Verhalten, die Einsicht und die strategische Kompetenz ausschlaggebend sind! Ich empfehle den Patienten, ein Fahrtraining bei einem der Autofahrervereine (Club Mobil) durchführen zu lassen – danach sind fast alle Patienten einsichtig und verzichten auf die weitere Inbetriebnahme des Kraftfahrzeuges.</p> <h2>Medikamentöse Therapie</h2> <p>Es gibt bis dato keine heilenden Therapien, sodass schwerpunktmäßig symptomatisch die medikamentöse Therapie adaptiert und erweitert werden muss. Eine Übersicht über die zugelassenen Medikamente bzw. deren Anwendungsbeschränkungen ist in Tabelle 2 bzw. Tabelle 3 dargestellt. Der Hauptverband der Krankenversicherungen hat festgelegt, dass Acetylcholinesterasehemmer bis zu einem MMSE von 14 bewilligt werden, bei MMSE <14 wird Memantin genehmigt. <br />Zahlreiche Studien konnten die Wirksamkeit pharmakologischer Therapien belegen. Mehrere Fachgesellschaften (Österreichische Alzheimergesellschaft, Österreichische Gesellschaft für Neurologie) haben in Konsensuspapieren die Wirksamkeit dieser Substanzen beschrieben – insbesondere die temporäre Stabilisierung der kognitiven und funktionellen Defizite der Patienten bzw. eine Verlangsamung der Krankheitsprogression. Da die meisten Patienten bereits viele Medikamente einnehmen müssen, verzichte ich komplett auf den Einsatz von Ginkgopräparaten, deren Wirksamkeit bis dato nie wirklich nachgewiesen werden konnte. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1608_Weblinks_seite11.jpg" alt="" width="" height="" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>Literatur bei der Verfasserin</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Planetary Health als hausärztliche Aufgabe: Gesundheit im Zeitalter der ökologischen Krise
Hausärzt:innen sind geradezu prädestiniert, um den Gedanken der Planetary Health umzusetzen, denn sie verfügen über das Vertrauen, die Reichweite und die Handlungsspielräume, um ...
Herpesvirusinfektionen – ein Überblick
Herpesviren sind weitverbreitet: Mehr als 100 Typen sind bekannt, wovon allerdings nur acht für Menschen infektiös sind. In einem Vortrag im Rahmen des WebUp Allgemeine Innere Medizin ...
«Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde»
Wer hätte gedacht, dass wir Viren als unsere Freunde bezeichnen, aber genau das ist bei den Bakteriophagen der Fall. Selbst die heilende Wirkung des Ganges wird mit Bakteriophagen in ...