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Moderne Schmerztherapie

<p class="article-intro">Jeder vierte Österreicher hat chronische oder rezidivierende Schmerzen, jeder zehnte leidet unter der Schmerzkrankheit als Zeichen der Chronifi zierung erlittener Schmerzen. Das Angebot an öff entlichen Schmerzambulanzen wird jedoch laufend reduziert. Niemand kennt die Situation besser als die Allgemeinmediziner, deren Ordinationen von Schmerzpatienten überquellen. Oft müssen sie binnen weniger Minuten ungefährliche von gefährlichen Schmerzen unterscheiden und die richtige Diagnostik und Therapie einleiten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Medizinisches Wissen hat aktuell eine Halbwertszeit von vier Jahren, und so verwundert es nicht, dass sich auch die Schmerztherapie laufend weiterentwickelt. Moderne Schmerztherapie hat sich aus dem klinischen &Uuml;berlappungsgebiet zwischen Neurologen, Orthop&auml;den, An&auml;sthesisten, Internisten und physikalischen Medizinern mit Einfl&uuml;ssen von Neurophysiologen und Psychologen zu einem hochkomplexen, selbstst&auml;ndigen Fachbereich entwickelt.</p> <h2>R&uuml;ckenschmerzen</h2> <p>In &Ouml;sterreich leiden circa 40 % der Bev&ouml;lkerung an &bdquo;Kreuzweh&ldquo;. Die h&auml;ufigste Art ist der unspezifische R&uuml;ckenschmerz, bei dem entsprechend den Leitlinien keine weitere Diagnostik vonn&ouml;ten ist und dessen Symptomatik in der Regel bei begleitender Schmerztherapie und aktivierender Physiotherapie nach wenigen Wochen verschwindet. Im medizinischen Alltag helfen &bdquo;red flags&ldquo; und &bdquo;yellow flags&ldquo;, nichts Wichtiges zu &uuml;bersehen (Tab. 1 und 2).<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_DAM_Allgemeinm_1804_Weblinks_dam_1804_s26_tab1+2.jpg" alt="" width="1417" height="2194" /></p> <h2>Kopfschmerzen</h2> <p>Aktuell werden entsprechend der &bdquo;International Classification of Headache Disorders&ldquo; mehr als 350 verschiedene Kopfschmerzarten unterschieden. Circa 90 % der prim&auml;ren Kopfschmerzen sind Spannungskopfschmerzen und Migr&auml;ne. Gef&auml;hrliche Kopfschmerzen sind dagegen selten.<br /> Die Differenzialdiagnostik der Kopfschmerzen kommt weitestgehend ohne aufwendige Untersuchungen aus und konzentriert sich haupts&auml;chlich auf eine ausf&uuml;hrliche Schmerzanamnese. Zeitkritische Erkrankungen wie Tumoren, Blutungen oder Infektionen sind sehr selten, m&uuml;ssen aber bedacht werden. Aufmerksam sollte man werden, wenn Kopfschmerzen pl&ouml;tzlich, donnerschlagartig oder langsam progredient &uuml;ber Tage bzw. mit Symptomen wie Erbrechen, Infektionen, Trauma, Hypertonie oder neurologischen Auff&auml;lligkeiten einhergehend auftreten.</p> <h2>Neuropathische Schmerzen</h2> <p>Aus medizinischer Sicht ein besonders spannendes Feld sind Nervenschmerzen. Neuropathische Schmerzen sind in ihrer Komplexit&auml;t f&uuml;r das Behandlungsteam am aufwendigsten zu diagnostizieren, muss doch gezielt nicht nur nach Schmerzen (Hyperalgie) oder ver&auml;nderter Wahrnehmung (Allodynie), sondern auch nach Minusph&auml;nomenen (Hyp&auml;sthesie, vermindertes Kalt-/Warm-Diskriminierungsverm&ouml;gen, Vibrationsempfindlichkeit) geforscht werden. Die klassische Messung der Nervenleitgeschwindigkeit ist hier nur wenig zielf&uuml;hrend, werden doch dabei nicht alle relevanten Nervenfasern erfasst.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Erster Schritt einer erfolgreichen Schmerztherapie ist immer eine ausf&uuml;hrliche Schmerzanamnese. Dabei ist es wesentlich, nicht nur die richtigen Fragen zu stellen, sondern auch aufmerksam zuzuh&ouml;ren. Bei Folgeterminen ist dezidiert nach der Compliance der Patienten und etwaigen Nebenwirkungen der Schmerztherapie zu fragen.</p> <h2>Medikament&ouml;se therapie</h2> <p>Das WHO-Stufenschema wurde weitestgehend verlassen und so wird aktuell empfohlen, die Schmerzmedikamente entsprechend ihrem Wirkprofil zu verschreiben.<br /> Neben den bekannten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Cox-2-Hemmern, Opioiden bzw. Triptanen in der Migr&auml;netherapie haben sich Antidepressiva und Antiepileptika zu wesentlichen Bestandteilen einer effektiven Schmerztherapie entwickelt. Die Behandlung neuropathischer Schmerzen kommt ohne Antiepileptika (Pregabalin, Gabapentin) nur in Ausnahmef&auml;llen aus. &bdquo;Antidepressiva&ldquo; (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer [SSRI], selektive Serotonin-Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer [SNRI], trizyklische Antidepressiva usw.) zeigen neben einer verbesserten Schmerzverarbeitung auch eine direkt schmerzreduzierende Funktion &uuml;ber Normalisierung schmerzrelevanter Botenstoffe.<br /> Die topische Anwendung von Capsaicin (Chili-Pflaster; Qutenza<sup>&reg;</sup>) als Pflaster kann bei lokalen neuropathischen Schmerzen Linderung f&uuml;r Monate bringen. Botulinumtoxin wird heute sowohl in der Therapie spezieller neuropathischer Schmerzen als auch in der Migr&auml;netherapie verwendet. Unn&ouml;tig, darauf hinzuweisen, dass die Kosten der letztgenannten Medikamente nur mit einem zus&auml;tzlichen b&uuml;rokratischen Aufwand von den Krankenkassen &uuml;bernommen werden.<br /> Wechselwirkungen von Schmerzmedikamenten untereinander oder mit bestehender Begleitmedikation, das in milder Auspr&auml;gung nicht selten auftretende serotonerge Syndrom (SSRI plus MAO-Hemmer oder Opioide, Triptane oder trizyklische Antidepressiva) oder Enzyminduktionen (Cytochrom P450 3A4) untermauern die Komplexit&auml;t einer erfolgreichen Schmerztherapie.</p> <h2>Psychosozialer Aspekt</h2> <p>Schmerz kann auch psychische Gr&uuml;nde haben, und das differenzierte Verst&auml;ndnis des vom Patienten unterschiedlich bewerteten Stellenwertes von Schmerz im Alltag ist essenziell. Als Extrembeispiel: Wer Schmerzen hat, ist nicht nur &bdquo;ein Klotz und Bremser&ldquo; im Familienleben, nein, er bestimmt damit auch das Tempo der Familie und kann so psychischen Druck und damit auch Macht auf seine Umwelt aus&uuml;ben. Chronische Schmerzen werden von der Umwelt nicht so wahrgenommen wie z.B. ein eingegipstes Bein, das bei vielen Mitmenschen ein interessiertes Nachfragen und Mitleid hervorruft.<br /> Eine verst&auml;ndnisvolle, aber kritische W&uuml;rdigung auch dieses Aspektes ist f&uuml;r eine umfassende Therapie unumg&auml;nglich, eine begleitende psychologische, psychotherapeutische Therapie daher nahezu immer indiziert.</p> <h2>Physikalische/physiotherapeutische Therapie</h2> <p>Auf den Stellenwert von Bewegung sei hierorts nur in aller K&uuml;rze hingewiesen, ist er doch zu Recht integraler Bestandteil nahezu jeder Schmerztherapie besonders des Bewegungsapparates.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Schmerztherapie f&uuml;r chronische oder komplexe Schmerzen ist eine Spezialdisziplin, die in die H&auml;nde von Experten &ndash; gleich welcher Fachdisziplin &ndash; geh&ouml;rt. Schmerztherapie scheitert nicht nur an der Kompetenz von uns &Auml;rzten, sondern oft auch an der Compliance unserer Patienten, deren Bereitschaft zur Lebensstil&auml;nderung, dem starken Hang zu &bdquo;Doctor- Shopping&ldquo; oder Eigenmedikation, wenn die empfohlenen Medikamente die seit Jahren bestehenden Schmerzen nicht innerhalb eines Tages wie &bdquo;durch Zauberhand&ldquo; verschwinden lassen.<br /> Schmerztherapie ist vielschichtig, sind doch viele, einander h&auml;ufig beeinflussende Ursachen zu adressieren und zeitintensiv zu therapieren.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Friedrich M et al.: Update der evidenz- und konsensusbasierten &ouml;sterreichischen Leitlinien f&uuml;r das Management akuter und chronischer unspezifischer Kreuzschmerzen 2011. http://www.oegpmr.at/, letzter Zugriff: 19. M&auml;rz 2018 &bull; weitere Literatur beim Verfasser</p> </div> </p>
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