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Turne bis zur Urne: So bleibt man lange körperlich und geistig fit
Leading Opinions
30
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20.10.2016
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<p class="article-intro">Dietrich Grönemeyer, der Bruder des Musikers Herbert Grönemeyer und Professor für Gesundheitswirtschaft an der Steinbeis-Hochschule in Berlin, sagte einmal, am besten für die Gesundheit sei es, bis ins hohe Alter körperlich fit zu bleiben: Turne bis zur Urne! Warum Bewegung so wichtig ist und wie viel man machen muss, erklärte der Sportmediziner Dr. med. Walter O. Frey, Ärztlicher Leiter des Balgrist Move>Med Swiss Olympic Medical Center an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich, an einer Ärztefortbildung.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite25_1.jpg" alt="" width="1066" height="476" /></p> <p>Es gibt sicherlich kaum jemanden, der nicht lange und gesund leben möchte. Welche Rolle die Bewegung dabei spielt und wie viel Sport man treiben muss, erklärte Dr. med. Walter O. Frey und gab einfache «Bewegungsrezepte» – nicht nur für Patienten, sondern auch für Kollegen. Im Alter nehmen Knochendichte und Muskelmasse ab, wir hören und sehen schlechter, und auch die kognitive Funktion lässt nach. «Das gehört zum normalen Alterungsprozess», erklärte Frey. «Es ist bis zu einem gewissen Grade normal, wenn ältere Menschen mal etwas vergessen – da muss man nicht gleich an eine beginnende Demenz denken.»<br /> Training verbessert die Kognition, vor allem die exekutiven Funktionen: Das zeigte 2003 eine Metaanalyse aus den USA von 18 Interventionsstudien bei älteren Menschen.<sup>1</sup> Bei mittlerer Intensität und 31 bis 45 Minuten pro Trainingseinheit war der Effekt grösser als bei kürzeren oder längeren Einheiten. «Am besten ist kombiniertes Training, also Kraft und Ausdauer – und zwar von Kind an», sagte Frey. Sei man einmal im Teufelskreis aus mangelnder Bewegung, Krankheit, sich nicht mehr bewegen und noch mehr krank werden gelandet, komme man da kaum mehr heraus. «Man kann dann so viele Gedächtnisspiele machen, wie man will, das bringt dann nichts mehr.»<br /> Nicht alle Faktoren der körperlichen Fitness lassen sich gleich gut trainieren. Die Kraft lässt im Alter zwar sukzessive nach, aber man kann die Muskelstärke erhöhen – das haben Forscher aus Boston schon in den 1980er-Jahren gezeigt.<sup>2</sup> Zwölf untrainierte gesunde Freiwillige zwischen 60 und 72 Jahren nahmen an einem zwölfwöchigen Muskelstärkungsprogramm teil. Trainiert wurden Extensoren und Flexoren beider Kniegelenke. Das Training fand an drei Tagen in der Woche statt, pro Tag wurden drei Einheiten durchgeführt mit jeweils acht Wiederholungen. Nach zwölf Wochen hatte die Kraft von Extensoren und Flexoren um 107,4 % bzw. um 226,7 % zugenommen. In der Computertomografie sah man eine Zunahme der Beinmuskeln und eine Hypertrophie der Muskelfasern. «Viele denken, im Alter könne man die Muskelkraft nicht mehr steigern», sagte Frey. «Das stimmt aber nicht. Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass mehr mitochondriale Enzyme gebildet werden können und auch mehr Kapillaren.» Ein 70-Jähriger, der Krafttraining macht, hat doppelt so viel Kraft wie ein 30-Jähriger, der nicht trainiert. Man solle nicht stoisch hinnehmen, dass man im Alter unfit werde. «Man kann sehr viel erreichen, wenn auch nicht in allen Fitnessbereichen.» Am besten trainieren lassen sich im Alter Kraft und Ausdauer, etwas weniger gut die Beweglichkeit und noch weniger gut Koordination und Schnelligkeit. «Aber trotzdem ist es hilfreich, wenn man alle fünf Faktoren trainiert.» Der Muskel sei wie ein sekretorisches Organ: Er produziert diverse Interleukine und Proteine und beeinflusst auf vielfältige Weise den Stoffwechsel. So steigert er unter anderem Lipolyse, Glukoneogenese und Insulinsekretion und fördert die endotheliale Funktion und die Revaskularisierung.<sup>3</sup><br /> Wie überwindet man nun den inneren Schweinehund? Am besten mit dem einfachen Argument: Wer sich bewegt, lebt länger. Ende der 1990er-Jahre starteten Wissenschaftler vom Institute for Aerobics Research in Dallas eine Studie, in der sie 10 224 Männer und 3120 Frauen über einen Zeitraum von acht Jahren beobachteten. Die Probanden wurden in fünf Fitness-Gruppen mit unterschiedlich viel Bewegung eingeteilt. Die Männer, die sich am meisten bewegten, hatten ein mehr als dreimal geringeres Sterberisiko als die Männer, die am wenigsten machten. Bei den Frauen war das Risiko sogar mehr als viermal geringer (Abb. 1).<sup>3</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite22.jpg" alt="" width="" height="" /> Eine Studie aus Taiwan mit 416 175 Teilnehmern zeigte 2011, dass man sein kardiovaskuläres Risiko um 14 % senken kann, wenn man sich pro Tag 15 Minuten moderat bewegt, und bei höherer Intensität um mehr als das Doppelte (Abb. 2).<sup>5</sup> Je länger die Probanden pro Tag trainierten, desto grösser war der Effekt, aber ab mehr als etwa 100 Minuten Bewegung pro Tag war keine weitere Steigerung mehr zu beobachten. Die Blutgefässe profitieren von der Bewegung: 1500kcal/Woche, die durch Bewegung verbrannt werden, verlangsamen den atherosklerotischen Prozess in den Blutgefässen, bei 2200kcal/Woche kommt es zu einer Regression der Intima-/Medialäsionen.<sup>6</sup> «Überwinden Sie den Schweinehund – bewegen Sie sich drei- bis viermal pro Woche 45 Minuten lang so intensiv, dass Sie dabei noch sprechen können», so Freys Rezept. Um Muskelkater oder Überlastungen zu vermeiden, sollte man langsam beginnen und die Intensität sukzessive steigern, die Art der Bewegung abwechseln und nicht zu viel trainieren, also nicht mehr als 3500 Kilokalorien pro Woche. «Das Wichtigste ist aber: Es soll Spass machen!»</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite25_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Colcombe S et al: Fitness effects on the cognitive function of older adults: a meta-analytic study. Psychol Sci 2003; 14: 125-30 <strong>2</strong> Frontera WR et al: Strength conditioning in older men: skeletal muscle hypertrophy and improved function. J Appl Physiol 1988; 64: 1038-44 <strong>3</strong> Pedersen BK, Febbraio MA: Muscles, exercise and obesity: skeletal muscle as a secretory organ. Nat Rev Endocrinol 2012; 8: 457-65 <strong>4</strong> Blair SN et al: Physical fitness and all-cause mortality. A prospective study of healthy men and women. JAMA 1989; 262: 2395-2401<strong> 5</strong> Wen CP et al: Minimum amount of physical activity for reduced mortality and extended life expectancy: a prospective cohort study. Lancet 2011; 378: 1244-53 <strong>6</strong> Hambrecht R et al: Various intensities of leisure time physical activity in patients with coronary artery disease: Effects on cardiorespiratory fitness and progression of coronary atherosclerotic lesions. J Am Coll Cardiol 1993; 22: 468-77</p>
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