Das Billrothhaus und seine Bewohner
Unsere Gesprächspartnerin:
Univ.-Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer
Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Präsidentin der Gesellschaft der Ärzte in Wien
Bericht: Hanna Gabriel, MSc
Bald 200 Jahre besteht die Gesellschaft der Ärzte in Wien. Seit Langem ist ihre Heimat das Billrothhaus. Hier können sich junge wie erfahrene Ärzte weiterbilden, vernetzen und austauschen. Das Angebot dafür erneuert der Verein laufend, nicht zuletzt auch im digitalen Bereich. Er ist für Mediziner aus allen Bundesländern und Fachrichtungen offen und lädt uns für diesen Artikel zu sich ein.
Neun Fenster sind es, die das Billrothhaus im 9. Wiener Gemeindebezirk zur Straße hin zieren. Allesamt Bogenfenster, auch die Eingangstür passt dazu. Dass die Gesellschaft der Ärzte in Wien sich mit diesem Haus identifiziert – seine Front sogar zum Logo ihrer Homepage macht – erklärt sich, wenn man die Geschichte dahinter kennt.
Wie alles begann
Seit dem frühen 19. Jahrhundert kamen kluge Köpfe regelmäßig zusammen, um medizinische Probleme und neueste medizinische Erkenntnisse vorzustellen und zu diskutieren. Krankheitsbilder wurden beschrieben, Diagnosen festgelegt, Therapiemöglichkeiten eruiert, aber auch gesundheits- und standespolitische Fragen erörtert. Die Teilnehmer an diesen Verhandlungen ließen sich 1837 offiziell als Verein eintragen, für die Treffen mussten aber immer wieder wechselnde Räumlichkeiten gesucht werden. Bis schließlich auf Initiative von Theodor Billroth die Mitglieder in einem „Circulandum“ aufgerufen wurden, für den Bau eines eigenen Vereinshauses zu spenden. Zwei Bibliotheken, ein „Lesezimmer“, der große Festsaal und einige Sitzungszimmer fanden in dem Haus in der Frankgasse 8 in unmittelbarer Nähe des alten AKH Platz, ergänzt durch ein weitläufiges Archiv im Kellergeschoss. Das Haus wurde 1893 eröffnet, den Namen „Billrothhaus“ erhielt es 1919.
Das Billrothhaus eingebettet zwischen den Häusern der Frankgasse
Im Inneren hat sich seither einiges getan. Aus den Diskussionsforen des 19. Jahrhunderts, die sich den Herausforderungen ihrer Zeit widmeten (man denke an die Cholera), entwickelte sich ein fachübergreifender Zusammenschluss von Medizinern aller Disziplinen aus den neun Bundesländern. „Damit sind wir einzigartig in Österreich“, so die amtierende Präsidentin, Univ.-Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer: „Im 20. Jahrhundert fanden die wöchentlichen Treffen zunächst am Freitag, später am Mittwoch in Form der wissenschaftlichen Abende statt, bei denen die Wissensvermittlung in Form von Frontalvorträgen gepflegt wurde.“ Auch fast zwei Jahrhunderte nach ihrer Gründung stehen interdisziplinäre Themen und Veranstaltungen im Fokus der Gesellschaft der Ärzte in Wien. „Ich selbst als Dermatologin habe vor einigen Jahren eine Serie solcher interdisziplinärer Veranstaltungen organisiert, zum Beispiel ,Haut und Lunge‘, ,Haut und Leber‘, ,Haut und Hirn‘ u.Ä. Seit 2010 veranstalten wir hier den alljährlichen, interdisziplinären „Kinder-Haut-Tag“, bei dem Dermatologen und Kinderärzte im Billrothhaus zusammenkommen.“
Was heute auf der Agenda steht
Vernetzung lautet eines der Ziele des Vereins, vorrangig aber ist der stete Wissenserwerb. „Interdisziplinäre Aus-, Fort- und Weiterbildung, das ist das, was wir heute transportieren wollen. Das ist die Mission, die wir verfolgen und erfüllen wollen“, betont Volc-Platzer. Und hierfür wird einiges getan. So entwickelte der Verein ein Fortbildungsprogramm, das sich vor allem an im Spitalsbereich Tätige richtet; möglichst praxisnah und doch mit eigenem Forschungsschwerpunkt. „Damit auch junge Menschen, die in Ausbildung sind, oder junge Fachärzte, die in den Spitälern arbeiten, über die akademische Forschung auf dem Laufenden bleiben, ist ein Modul den Berichten, Vorträgen und Diskussionen aus dem universitären Bereich gewidmet.“ Dabei ist das Programm eine Win-win-Situation für beide Seiten. Auch diejenigen, die Forschung betreiben, könne der Verein so unterstützen. Volc-Platzer erinnert sich an einen Kollegen aus dem Spitalsbereich, der über seine Publikation im „Lancet“ zu Covid-19 bei Kindern berichtet hatte. „Den jungen Kolleginnen und Kollegen, die in den Spitälern arbeiten, eine Bühne zu geben, dafür ist das Billrothhaus gut geeignet.“
Zum Dinner kann man bei Festveranstaltungen in der großen Bibliothek Platz nehmen. Diese Aufnahme entstand vor der Covid-19-Pandemie
Der Festsaal im Billrothhaus: Pandemiebedingt steht er zurzeit leider leer
Um besonders herausragende Leistungen von Jungmedizinern zu würdigen, verleiht die Gesellschaft der Ärzte zudem mehrere Preise: den Rudolf-Höfer-Preis, den Otto-Kraupp-Preis und den Wilhelm-Auerswald-Preis. Eine neue Initiative ist die „Dora-Brücke-Teleky-Vorlesung“, die jungen akademischen Forschern die Möglichkeit bietet – nach Auswahl durch eine Jury –, ihre Arbeiten zu präsentieren und sich damit um den „Dora-Award“ zu bewerben. Diese Initiative wurde mit dem Alumni Club der Medizinischen Universität Wien ins Leben gerufen. Benannt ist sie nach dem ersten weiblichen Mitglied des Vereins mit Abschluss von der Medizinischen Universität Wien. Vor über 100 Jahren hatte Dora Brücke-Teleky die Fachausbildung für Urologie und Gynäkologie absolviert – „sensationell!“, wie Volc-Platzer findet.
Multimedial in Zeiten von Corona
Bei all dieser Tätigkeit ist der Verein geprägt von seinen Mitgliedern und ihren jeweiligen Fachbereichen. Freuen würde sich Volc-Platzer vor allem über Zuwachs auch aus den „kleineren“ Disziplinen – der Dermatologie, der Augen- und der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde sowie anderen Spezialdisziplinen. Als Dreh- und Angelpunkt aller Vereinsveranstaltungen gilt immer das Billrothhaus. Der Versammlungsort steht allen Mitgliedern zur Verfügung, so auch die umfassende Sammlung von historischen Fachjournalen und -büchern. Eines der ältesten darin enthaltenen Bücher über den „Morbus gallicus“ oder die „Franzosenkrankheit“ (heute Syphilis) war der Anlass für das Symposium „Lust und Seuche. Von Paracelsus bis Anthony Fauci“. International anerkannte Experten berichteten über sexuell übertragbare und andere infektiöse Erkrankungen, deren Epidemiologie, Therapie und Prävention bis hin zu Covid-19.
Univ.-Prof. Dr. Volc-Platzer beim 10. Kinder-Haut-Tag
Auch im Billrothhaus hatte man die Pandemie zu spüren bekommen. Dabei blieb es seinem Ruf als Ort des Wissens weiterhin treu. Immerhin hatten sich bereits seine Urväter mit einer Seuche (damals der Cholera) herumgeschlagen. So veranstaltete man hier die „Covid-19-Updates im Billrothhaus“. Unter dem Motto „Meet the Experts“ wollte der Verein exzellente Fachleute vor allem aus dem klinischen Bereich zu Wort kommen lassen. Andrang gab es genug. Da die Vorträge zwangsweise im Online-Modus stattfanden, ließ sich der enorme Zuspruch direkt an den Zuseherzahlen ablesen. Auch weiterhin sollen im Billrothhaus Covid-19-bezogene Themen einen Platz finden, der Fokus liegt dabei nun auf der Forschung. „Was die Pandemie betrifft, haben wir auf eine objektive, seriöse, hochkarätige Wissensvermittlung gesetzt“, stellt Volc-Platzer fest. Die Vorträge zu Covid-19 wurden aufgezeichnet und sind in der Videothek des Billrothhauses nachzuhören bzw. nachzusehen. Auch für Nichtmitglieder sind viele der Videos von Vorträgen und Diskussionsrunden frei verfügbar.
Die Gesellschaft der Ärzte hat sich also neben ihren vielen anderen Zielen auch der Archivierung intellektueller Schätze verschrieben. Die bereits genannte Bibliothek ist dabei sicherlich das beeindruckendste Beispiel. Seit der Trend aber von Print- zu Online-Medien geht, stellt der Verein zudem einen umfassenden Recherche- und Literaturservice online zur Verfügung. Damit sollen seine Mitglieder bei der Beschaffung medizinischer (v.a. medizinisch-historischer) Fachliteratur unterstützt werden.
Was die Zukunft so bringt
Um dieses umfangreiche Angebot weiterhin aufrechterhalten zu können, ist die Gesellschaft der Ärzte wie jeder Verein auf Einnahmen angewiesen. Sowohl Veranstaltungen als auch die Vermietung ihrer Räumlichkeiten haben unter der Pandemie gelitten. Dennoch wird in der Programmkommission weiter an neuen Fortbildungsprogrammen und Veranstaltungen gefeilt. Eine Übersicht finden Sie unter www.billrothhaus.at .
Dass der Verein den Wechsel auf Online-Veranstaltungen so tadellos gemeistert hat, war Volc-Platzer zufolge vor allem eine Teamleistung. Es brauche – der Tradition der Gesellschaft der Ärzte entsprechend – nur jemanden mit Visionen im Hintergrund. Zum Abschluss fragen wir Volc-Platzer, ob die Arbeit im Billrothhaus das Herzstück ihrer zahlreichen Tätigkeiten ist. „Sie ist es geworden“, gibt sie zurück.
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