
«Immer wieder bekommen Patienten die falsche Therapie»
Unser Gesprächspartner:
PD Dr. med. Severin Läuchli
Dermatologisches Zentrum Zürich
Das Interview führte:
Dr. med. Felicitas Witte
Die Diagnose von Keloiden und Narben ist einfach – nicht jedoch, die richtige Therapie auszuwählen. Hilfreich ist die vor einem Jahr erschienene S2-Leitlinie, vor allem für Kollegen, die nicht so viel Erfahrung haben. PD Dr. med. Severin Läuchli aus Zürich erklärt, wie er in der Praxis vorgeht.
Herr PD Läuchli, was sagen Sie knapp ein Jahr, nachdem die Leitlinie1 erschienen ist? Ist sie brauchbar für die Praxis?
S. Läuchli: Ja, sehr. Es sind neue therapeutische Aspekte aufgenommen worden, etwa die Kombinationstherapie aus 5-FU und Steroiden oder die Injektion von Bleomycin bei therapieresistenten Keloiden. Sie beinhaltet alle wichtigen diagnostischen und therapeutischen Aspekte, ist aber trotzdem nicht zu umfangreich und gut verständlich. Ich finde vor allem die Therapiealgorithmen gut, einer zu den hypertrophen Narben und zwei zum Keloid. Ich habe die Algorithmen verinnerlicht, aber sie sind sehr hilfreich für Kollegen, die nicht so viel Erfahrung haben. Zwischen diesen beiden Krankheitsbildern zu unterscheiden ist nämlich sehr wichtig, weil sie unterschiedlich behandelt werden. Ich sehe aber immer wieder Patienten, die die falsche Therapie bekommen haben.
Was ist das Schwierige an der Therapie?
S. Läuchli: Die Therapie ist nicht schwierig. Sie ist aber oft sehr langwierig, und man muss die Diagnose korrekt stellen, weil sich die Behandlung unterscheidet. Eine hypertrophe Narbe ist eine normale Reaktion, die überall auf der Haut nach Verletzungen auftreten kann. Ein Keloid hingegen entsteht durch Veranlagung und bildet sich gerne nach Mikrotraumata. Prädilektionsstellen sind Sternum, Nacken oder Ohrläppchen. Es kommt zu histologischen Veränderungen und dem typischen Aussehen eines roten Wulstes. Die Diagnose lässt sich in den allermeisten Fällen gut mit Anamnese und klinischem Bild stellen. Die Unterscheidung zwischen den Krankheitsbildern ist auch wichtig für die Patientenkommunikation.
Wie meinen Sie das?
S. Läuchli: Eine hypertrophe Narbe ist gut therapierbar. Wir können dem Patienten Hoffnung machen, dass er nach einer Weile und nach unserer Behandlung kaum noch etwas davon sieht. Das Keloid dagegen ist eine chronische Krankheit. Es lässt sich zwar zurückdrängen, bleibt aber mehr oder weniger auffällig und kann immer wiederkommen.
Muss jede hypertrophe Narbe behandelt werden?
S. Läuchli: Nein. Erst einmal muss man den Reifungsprozess abwarten, das kann ein bis zwei Jahre dauern. Und auch dann ist eine Therapie nur notwendig, wenn die Narbe den Patienten kosmetisch stört, juckt oder Kontrakturen verursacht. Die Narbenbehandlung ist eine sehr befriedigende Therapie. Mit einer Operation lassen sich nämlich viele hypertrophe Narben schön flach gestalten. Was ich aber immer wieder sehe: Patienten mit Keloiden, die operiert wurden. Das ist ohne begleitende Massnahmen ein Kunstfehler!
Warum würden Sie das als Kunstfehler bezeichnen?
S. Läuchli: Weil es häufig zu Rezidiven kommt, die oftmals viel grösser sind als das ursprüngliche Keloid.
Im Algorithmus zu Keloiden ist als erste Therapieoption angegeben, entweder Triamcinolon in das Keloid zu injizieren oder es mit Kryochirurgie zu behandeln. Wann wählen Sie welche Strategie?
S. Läuchli: Die Steroidinjektionen sind einfach und praktisch. Ist das Keloid sehr gross oder stört es kosmetisch sehr, rate ich eher zur Kryotherapie. Das ganze Gewebe wird damit durchgefroren und wird dadurch zerstört. Es bildet sich eine grosse Wunde, die erst nach Wochen heilt. Dann sieht das Keloid aber meist flacher aus als vorher. Im Gegensatz zur Leitlinie kombiniere ich die Kryotherapie immer mit den Steroidinjektionen. Ich friere den Hautbereich erst ein und lasse ihn dann auftauen. Durch den Gefrierprozess wird das Gewebe weicher und das Kortison lässt sich leichter spritzen.
Ist die Kryotherapie schmerzhaft?
S. Läuchli: In der Regel nicht. Manche Patienten sind aber sehr schmerzempfindlich, denen empfehle ich eine Lokalanästhesie.
Bei schmalbasigen Keloiden empfiehlt die Leitlinie eine Exzision. Warum wird hier zur Operation geraten?
S. Läuchli: Es ist einfacher, die Verbindung rasch zu trennen, als das doch meist recht derbe Gewebe durchzufrieren. Man darf aber die Nachbehandlung nicht vergessen, also Triamcinoloninjektionen, Kryochirurgie oder Bestrahlung.
Wonach richten Sie sich, wenn Sie die Form der Nachbehandlung auswählen? Wann Injektionen, wann Kryotherapie, wann Bestrahlung?
S. Läuchli: Bei grösseren Keloiden vor allem im Brustbereich scheint die Nachbestrahlung am wirksamsten zu sein, um Rezidive zu verhindern. Bei kleineren Keloiden, etwa am Ohrläppchen, wähle ich in der Regel eher die Injektion von Triamcinolon als Nachbehandlung.
Welchen Patienten kann man als Niedergelassener selbst behandeln, wann sollte man ihn ins Spital überweisen?
S. Läuchli: Kryotherapie und Injektionen kann jeder Niedergelassene problemlos selbst durchführen. Ob man auch 5-FU verabreicht, muss man selbst entscheiden. Man muss penibel darauf achten, dass die Vorsichtsmassnahmen eingehalten werden und dass niemand akzidentell mit 5-FU in Kontakt kommt. Das Personal muss ausgebildet sein, wie mit Chemotherapeutika umzugehen ist, und es dürfen keine Schwangeren exponiert werden. Die Injektion sollte stets mit einer verschraubten Spritze erfolgen, um akzidentelles Verspritzen zu vermeiden.
Manche Kollegen würden 5-FU nicht geben, weil das off-label ist.
S. Läuchli: Die Bedenken kann ich verstehen. Schliesslich sind wir als Ärzte verantwortlich, wenn etwas passiert. Ich gebe aber 5-FU, weil ich sehr bezweifele, dass es zu einer Zulassung kommen wird. Für die Pharmafirmen würden sich aufwendige Zulassungsstudien für das Chemotherapeutikum nicht lohnen, weil die Patente längst seit Jahren abgelaufen sind. Abgesehen davon ist mein Hauptziel, den Patienten zu helfen. Zu 5-FU haben wir gute Studien, dass es bei Keloiden besser wirkt als Steroide alleine und langfristig weniger Nebenwirkungen hat. Ausserdem kennen wir das Medikament durch den Einsatz in der Krebsmedizin sehr gut. Abgesehen davon kann uns Ärzten bei jeder Behandlung jeden Tag ein Zwischenfall passieren.
Wann spritzen Sie 5-FU?
S. Läuchli: Wenn das Keloid ausgedehnt ist, ich drei- bis viermal Steroide injiziert habe und es nicht merklich zurückgegangen ist. Spricht ein Patient dagegen auf Steroide an, mache ich mit der Strategie weiter.
Erstatten die Kassen 5-FU?
S. Läuchli: Da die Anwendung off-label ist, eigentlich nicht. Man muss eine Kostengutsprache einholen, übrigens auch bei den Operationen, was sowohl für Keloide als auch für Narben gilt. Die Kassen sehen die operative Therapie teils als kosmetische Behandlung. Ich finde, das Argument hinkt, da es sich um einen pathologischen Prozess handelt und nicht um einen Schönheitsfehler. Einem Jugendlichen mit Akne zahlt die Kasse ja auch die Behandlung, obwohl man das auch als kosmetisches Problem sehen könnte. Narben und Keloide verursachen Schmerzen oder Kontraktionen, jucken und sehen unschön aus. Gerade Keloide sind manchmal so entstellend, dass ich gut verstehen kann, dass die Betroffenen enorm darunter leiden. Dem einen oder anderen Patienten helfen Gespräche mit einem Psychologen oder Psychiater. Ich versuche den Betroffenen ernst zu nehmen und ihm Mut zu machen: Ja, es sieht grotesk aus, und es ist eine schlimme Krankheit. Aber ich tue mein Bestes, damit ihr Keloid weniger auffällig aussieht, und wir gehen gemeinsam diesen Weg.
Wir danken für das Gespräch.
Literatur zu Interviews Prof. Nast und PD Läuchli:
1 Nast A et al.: S2k guidelines for the therapy of pathological scars (hypertrophic scars and keloids) - Update 2020. J Dtsch Dermatol Ges 2021; 19(2): 312-27
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