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Androgenetische Alopezie der Frau

Therapie über Minoxidil hinaus

<p class="article-intro">Das Konzept, wonach die androgenetische Alopezie (AGA) bei der Frau eine grundlegend andere Kondition als beim Mann darstelle, ist zwischenzeitlich wieder überholt. Grundsätzlich ist sie – allerdings komplizierter als beim Mann – ein Sexualhormon-bedingter Haarausfall. </p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Endokrinologische Grunds&auml;tze</h2> <p>Bei ererbter Konstitution &ndash; also durch genetische Polymorphismen bedingter individueller Empfindlichkeit auf die Hormone &ndash; bewirkt ein ung&uuml;nstiges Verh&auml;ltnis der endogenen und exogenen Sexualhormone zueinander, vorab der Androgene gegen&uuml;ber den &Ouml;strogenen, eine &uuml;bersteigerte Antwort der Haartalgdr&uuml;seneinheit. Dies kann sich einzeln oder kombiniert an der Talgdr&uuml;se (Akne), am K&ouml;rperhaar (Hirsutismus) oder eben am Kopfhaar zeigen: AGA. Eine Therapie muss deswegen individualisiert grundlegende endokrinologische Mechanismen und die Variationen in den verschiedenen Lebensabschnitten ber&uuml;cksichtigen. Ovar, Nebenniere und periphere Kompartimente, insbesondere die Haut und hier speziell der Haarfollikel, sind Orte der Synthese und Metabolisierung von Androgenen und &Ouml;strogenen (Abb. 1). Grunds&auml;tzlich sind &Ouml;strogene f&uuml;r das Wachstum des Kopfhaares positiv und Androgene negativ, wobei die Regulierung komplex individuell, altersabh&auml;ngig und interdependent im Follikel selbst erfolgt. Das komplexe Zusammenspiel erkl&auml;rt auch die AGA bei Androgeninsensitivit&auml;t. Die hormonmodulierenden Faktoren (Menge, Aktivit&auml;t: 5-&alpha;-Reduktase, Aromatase, Androgenrezeptoren etc.) sind je nach Topografie unterschiedlich angelegt, was das &laquo;pattern&raquo; der AGA erkl&auml;rt.<br /> Es ist vorwiegend das Gestagen, viel weniger &Ouml;strogen, auch als Komponente der Antibabypille, welches die Gonadotropine und so die Synthese aller Sexualhormone im Ovar hemmt (&Ouml;strogene, Progesteron, Androgene). &Ouml;strogen ist dagegen der einzige Hemmer der Androgensynthese in der Nebenniere. Es gibt kein negatives Feedback der Androgensynthese durch die Androgene selbst. Die &Ouml;strogenproduktion nimmt zur Menopause schnell sehr deutlich ab (Knochenschwund etc.). Das DHEA nimmt zwar ab einem Alter von 30 Jahren bereits langsam ab, wohingegen die Androgensynthese im Ovar nur verz&ouml;gert abklingt und gegen&uuml;ber dem perimenopausal stark erniedrigten &Ouml;strogen eine relativ verst&auml;rkte Wirkung erh&auml;lt; nichtsdestoweniger bewirkt das Absinken des Testosterons auch eine verminderte Lipolyse und so einen Trend zur Adipositas. Letzteres ist mitverantwortlich f&uuml;r eine erh&ouml;hte Insulinresistenz bei 20 % der 55- bis 65-j&auml;hrigen Frauen, was wiederum eine verst&auml;rkte Insulin- und IGF1-bedingte Androgensynthese bedeutet. Dies erkl&auml;rt das h&auml;ufig sp&auml;rliche Haar bei &Uuml;bergewichtigen (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s36_abb1_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="301" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s36_abb2_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="320" />&nbsp;</p> <h2>Pest statt Cholera: hypo&ouml;strogener Haarausfall</h2> <p>Bei der AGA konzentrieren sich viele nur auf den Ausschluss bzw. die Therapie eines absoluten oder relativen Hyperandrogenismus. Nicht weniger wichtig ist, dass ein Zuwenig an &Ouml;strogen ebenfalls Haarausfall ausl&ouml;st, gut illustriert am Haar ausfall unter Anti&ouml;strogenen und Anti aromatasen bei Mammakarzinom oder beim postpartalen Haarausfall. In der Menopause kann der menopausale Hypogonadismus derart dramatisch sein, dass das &Ouml;strogen unmessbar tief absackt, mit gleichzeitig stark erniedrigtem Testosteron. Die negative Auswirkung auf das Haar ist dann die harmloseste Konsequenz (Osteoporose, vaskul&auml;re, mentale und emotionale Gesundheit). Diese Patientinnen m&uuml;ssen dem Gyn&auml;kologen zum Hormonersatz (HRT) vorgestellt werden.<br /> Iatrogen kann eine analoge Situation unter Minipillen (nur Gestagen) und auch unter kombinierter oraler Kontrazeption (KOK) entstehen, hier wenn individuell das exogen zugef&uuml;hrte Ethinylestradiol nicht in allen Kompartimenten alle Funktionen des endogenen &Ouml;strogens (Estradiol, E2) &uuml;bernimmt; dies ist auch aus der ungen&uuml;genden Knochenmineralisation junger Frauen unter KOK bekannt und d&uuml;rfte beim Haar analog ablaufen. Das die Gonadotropine hemmende Gestagen der KOK erniedrigt das E2 normalerweise auf das niedrigste Niveau im ovulatorischen (spontanen) Zyklus. Bei deutlich darunter liegendem Wert ist bei Haarausfall trotz antiandrogener KOK ein iatrogenes hypo&ouml;strogenes Effluvium anzunehmen. Es w&auml;re also grundfalsch, in einer solchen Situation der KOK zus&auml;tzlich Cyproteronacetat/Androcur&reg; zuzusetzen. Vielmehr muss die KOK gestoppt werden (Abb. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s37_abb3_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="245" /></p> <h2>Abkl&auml;rungen</h2> <p>Die diagnostischen Schritte bei AGA sind anderswo im Detail dargelegt worden (Ausschluss einer Hyperandrogen&auml;mie bei Zyklusst&ouml;rungen, meist PCO, oder zus&auml;tzlichen Androgensierungszeichen; Ausschluss eines die AGA verst&auml;rkenden diffusen Effluviums, z. B. durch Mangelzust&auml;nde (Ferritin &lt;50ng/ml, Zink, Biotin) oder internistische Erkrankungen (TSH, ANA); Simulatoren der AGA durch Eisenmangel (eisenabh&auml;ngige Enzyme der Hormonsynthese) und Vitamin-B12-Mangel (Androgenrezeptoren demethyliert und so aktiviert), Letzteres vor allem bei Metformin- oder Cyproteronacetat-Therapie).<br /> Zus&auml;tzlich sollten bei Adipositas die Insulinresistenz (HOMA-Index: N&uuml;chternGlukose und C-Peptid) bestimmt werden. Bei Haarausfall trotz einer antiandrogenen KOK ist w&auml;hrend der Pilleneinnahme (nicht in der Pause) bzw. in der Menopause ohne HRT das &Ouml;strogen (E2) zu bestimmen. Cave: Unter Biotin, das viele Haarpatientinnen als OTC-Therapie blind einnehmen, ist laborbedingt E2 falsch hoch und TSH falsch niedrig; ein paar Tage vorher Biotineinnahme stoppen.</p> <h2>Basistherapie</h2> <p>Die wichtigste Massnahme ist androgenisierende Behandlungen, meist eine KOK oder HRT mit androgener Teilwirkung zu eliminieren und durch antiandrogene Therapeutika zu ersetzen (Tab. 1 und 2). Bei verst&auml;rktem Haarausfall unter bereits durchgef&uuml;hrter antiandrogener KOK ist vorg&auml;ngig das E2 zu kontrollieren, bei dessen &uuml;berm&auml;ssiger Erniedrigung die KOK zu stoppen. Bei Haarausfall in der Menopause mit abnorm starkem Hypogonadismus ist eine HRT einzuf&uuml;hren. Erstverschreibungen der &laquo;Pille&raquo; sollten durch den Gyn&auml;kologen erfolgen, den Wechsel kann, wenn keine besonderen Risiken erkennbar sind, auch der Dermatologe einleiten. Die Grundregeln der Pillenverordnung bzw. die Kriterien zur Evaluation, ob Hormone als Therapie der AGA &uuml;berhaupt infrage kommen, sind in den Tabellen 3 und 4 aufgef&uuml;hrt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s37_tab1_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="323" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s37_tab2_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="354" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s38_tab3_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="204" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s38_tab4_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="263" /></p> <h2>Lokaltherapie</h2> <p>Grundlage der Lokaltherapie und der AGA-Behandlung &uuml;berhaupt ist Minoxidil-L&ouml;sung 2 % 2x/d. Eine verbesserte Wirkung der 5 % -L&ouml;sung 2x/d ist bei Frauen nicht nachgewiesen worden, weswegen es weltweit von keiner Arzneimittelbeh&ouml;rde hierf&uuml;r zugelassen wurde; eine 5 % -L&ouml;sung nur 1x/d d&uuml;rfte eine verminderte Wirkung haben. Minoxidil 5 % -Schaum 1x/d ist dagegen &auml;quivalent, was die Compliance verbessern kann und vor allem Platz l&auml;sst f&uuml;r zus&auml;tzlich Alfatradiol/17-&alpha;-Estradiol-L&ouml;sung 1x/d; bei schwacher Wirksamkeit ist ein immerhin additiver Effekt m&ouml;glich; es wirkt als lokaler 5-&alpha;-Reduktase-Hemmer. Minoxidil ist vor Abschluss der Familienplanung ung&uuml;nstig, weil &laquo;lebenslang&raquo; bei jungen Frauen sehr lange ist und wegen des Rebounds beim Absetzen vor einer Schwangerschaft.</p> <h2>Systemtherapie</h2> <p>Die Therapie sollte an den Schweregrad und an die Lebenssituation angepasst werden (ist sowieso eine Verh&uuml;tung notwendig? Wird ohnehin eine antihypertensive Therapie durchgef&uuml;hrt? etc.). Grunds&auml;tzlich ist jede nicht androgenisierende HRT oder KOK positiv: Das Ovar wird gehemmt und das SHBG gesteigert. Das antiandrogene Gestagen der KOK wirkt allerdings fast nur zentral und ist f&uuml;r eine periphere Wirkung am Haar unterdosiert. Sie allein erlaubt deswegen nur eine Trendumkehr bei milder AGA-Diathese und ist bei fort geschrittener AGA ungen&uuml;gend. Die Optionen f&uuml;r eine eigentliche antiandrogene Behandlung sind in Abb. 4 und Tab. 5 dar gestellt. Von schwersten F&auml;llen abgesehen, sollten diese schrittweise eingef&uuml;hrt werden, um die Wirksamkeit absch&auml;tzen zu k&ouml;nnen: Therapiewechsel bei Ineffizienz oder Nebenwirkungen; Kombinationen bei ungen&uuml;gender Wirkung; bevorzugt mit multifaktoriellen Therapeutika (Cyproteronacetat, Spironolacton) beginnen (Abb. 5 und 6). Die AGA reagiert sehr tr&auml;ge und erst innert 12&ndash;18 Monaten (Hirsutismus: 3&ndash;8 Monate); die Patientinnen sollten deswegen nicht zu fr&uuml;h nachkontrolliert werden (Erwartungshaltung temperieren), standardisierte Fotos zum objektiven Vergleich sind sinnvoll.<br /> Mit &uuml;berlegten Massnahmen statt reflexartiger Standardabfertigung sind in der Therapie der AGA von Frauen oft gute Ergebnisse zu erreichen. Wichtig ist, bei erneuter Verschlechterung das Auftreten von negativen Kofaktoren des Haarausfalls auszuschliessen und die Behandlung dem Lebensabschnitt der Patientin anzupassen. Auf der Basis medizinischer Massnahmen k&ouml;nnen dann zus&auml;tzliche haarstimulierende Therapien wie PRP (pl&auml;ttchenreiches Plasma) sinnvoll sein.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s38_abb4_deviragh.jpg" alt="" width="500" height="320" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s39_tab5_deviragh.jpg" alt="" width="850" height="1049" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1903_Weblinks_lo_derma_1903_s40_abb5_deviragh.jpg" alt="" width="850" height="251" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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