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Chrononutrition: Essen mit Blick auf die Uhr
Leading Opinions
30
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05.03.2020
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<p class="article-intro">Zu den aktuell populärsten Diäten gehört das intermittierende oder alterniernde Fasten. Mehr oder weniger berühmte Leute schwören darauf und preisen in sozialen Medien und in der Laienpresse die Vorteile dieser Ernährungsform an. Doch gibt es auch wissenschaftliche Belege für diese Vorteile, kann der Stoffwechsel durch Essen mit Blick auf die Uhr wirklich günstig beeinflusst und das Gewicht reduziert werden? Einen Einblick in den Stand des aktuellen Wissens zu diesen Fragen gab an der Jahresversammlung der SGED Dr. med. Tinh-Hai Collet, Oberarzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsspital Lausanne (CHUV), der sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Einfluss der Ernährung und des Tag-Nacht-Rhythmus auf die Gesundheit beschäftigt hat.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der Chrononutrition liegt die Hypothese zugrunde, dass unsere modernen Essgewohnheiten zu einer Desynchronisierung von Ernährungsrhythmus und innerem zirkadianem Rhythmus führt. Es wird angenommen, dass diese Desynchronisierung einen negativen Einfluss auf den Stoffwechsel hat und zu Übergewicht und der Entwicklung eines metabolischen Syndroms führen kann. Dies soll, so die Verfechter der Chronodiät, durch das Einhalten von unterschiedlich langen Fastenperioden verhindert werden können. Zu den häufig propagierten Formen gehören das intermittierende Fasten, bei dem während 12–16 Stunden pro Tag gefastet wird (z.B. 16:8-Fasten), das alternierende Fasten, bei dem abwechslungsweise ein Tag gefastet und ein Tag normal gegessen wird, sowie das periodische Fasten mit zwei Fastentagen pro Woche (z.B. 5:2-Fasten).<sup>1</sup><br /> Für die verschiedenen Diätformen gibt es jedoch keine einheitliche Definition. Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Kalorienrestriktion, die bei einigen Teil des Konzepts ist, während es bei anderen Formen indirekt zu einer geringeren Kalorienzufuhr kommen kann. Weitere Punkte, welche die Beurteilung und die Vergleichbarkeit von Studien erschweren, sind die oft kurze Studiendauer, unterschiedliche Populationen sowie die schlechte Reproduzierbarkeit.</p> <h2>Chrononutrition bei Typ-2-Diabetes: möglicher Nutzen, aber auch Risiken</h2> <p>Zu einer positiven Einschätzung der Chrononutrition kommen Furmli et al. in einer Kasuistik mit drei Patienten mit langjährigem Typ-2-Diabetes.<sup>2</sup> Die antidiabetische Therapie umfasste Metformin und Insulin, ein Patient erhielt Canagliflozin. Die Patienten wurden instruiert, während 7–11 Monaten, jeden 2. Tag zu fasten. Bei allen sank das HbA<sub>1c</sub> unter 7 % , sodass Insulin und Metformin abgesetzt werden konnten, und es war eine Reduktion des Gewichts um 10–18 % und des Taillenumfangs um 10–22 % zu verzeichnen.<br /> Corley et al. haben in ihrer Studie hingegen beobachtet, dass alternierendes Fasten bei Typ-2-Diabetikern mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko an den Fastentagen einhergeht, sogar dann, wenn die Dosis der antidiabetischen Therapie reduziert wird.<sup>3</sup></p> <p>Einen etwas anderen Ansatz verfolgte eine israelische Gruppe: Sie verglich bei Typ-2-Diabetikern die Einnahme von drei Mahlzeiten pro Tag (3M-Diät) mit der Einnahme von sechs Mahlzeiten pro Tag (6M-Diät), wobei die Gesamtkalorienzufuhr in beiden Gruppen identisch war.<sup>4</sup> Nach 12 Wochen war es unter der 3M-, nicht aber der 6M-Diät zu einer signifikanten Abnahme von Gewicht (–5,4±0,9 kg; p<0,01), HbA<sub>1c</sub> (–1,2 % ; p<0,0001), Nüchtern-, Tages- und Nacht-Blutzucker sowie der Zeit in Hyperglykämie gekommen. Dies führte zu einer Reduktion der Insulindosis um 26±7 Einheiten. Gleichzeitig beobachteten die Autoren eine Hochregulation der mit dem zirkadianen Rhythmus assoziierten <em>Clock</em>-Gene. Für Diabetiker scheint es also von Vorteil zu sein, nur drei, statt sechs Mahlzeiten pro Tag zu sich zu nehmen.</p> <h2>Zeitlich begrenzte Nahrungsaufnahme: potenziell günstiger Einfluss auf Stoffwechsel</h2> <p>Ein Problem des alternierenden Fastens ist die Adhärenz. Die Drop-out-Rate ist in den meisten Studien recht hoch. Intermittierendes Fasten oder zeitlich begrenzte Nahrungsaufnahme («time restricted feeding », TRF), wie diese Ernährungsform in wissenschaftlichen Arbeiten genannt wird, ist weniger einschneidend und deshalb leichter einzuhalten.<br /> «Eine der wichtigsten und wegweisenden Studien zur TRF ist diejenige von Hatori et al. aus dem Jahr 2012», so Collet. Ziel der Studie war es herauszufinden, ob Adipositas und metabolische Erkrankungen allein auf eine fettreiche Ernährung zurückzuführen sind oder ob auch die Störung des metabolischen Rhythmus (Desynchronisierung) einen Einfluss hat.<sup>5</sup> Stellt man Mäusen fettreiches Futter ad libitum zur Verfügung, fressen sie häufig rund um die Uhr und stören damit den natürlichen Fressrhythmus. Die Forscher teilten die Mäuse in vier Gruppen ein und boten ihnen entweder ausgewogene Nahrung ad libitum oder nur während 8 Stunden pro Tag (TRF) resp. fettreiches Futter ad libitum oder als TRF an. Die Gesamtkalorienzufuhr war in allen vier Gruppen gleich hoch. Trotzdem legten nur die Tiere, die ad libitum fettreiche Nahrung zu Verfügung hatten, deutlich an Gewicht zu. Anders die Mäuse, die das fettreiche Futter nur während 8 Stunden erhielten: Sie waren geschützt gegen Gewichtszunahme, Hyperinsulinämie, Leberverfettung und Inflammation. «Diese Studie stösst das alte Dogma um, das besagt ‹eine Kalorie ist eine Kalorie›», stellte Collet fest.<br /> Forscher aus der gleichen Gruppe führten anschliessend eine Pilotstudie mit acht erwachsenen Probanden durch und forderten sie auf, die Nahrungsaufnahme auf eine Zeitspanne von 10 Stunden pro Tag zu beschränken (zuvor betrug die Zeitspanne im Schnitt 14,5 Stunden).<sup>6</sup> Anweisungen hinsichtlich der Menge und der Zusammensetzung der Nahrung oder der Kalorien wurden keine gegeben. Anlässlich der Kontrolle nach 16 Wochen hatten die Probanden durchschnittlich 3,27 kg (3,4 % des Körpergewichts) abgenommen und konnten das Gewicht bis zur 1-Jahres-Kontrolle halten.<br /> Zu einem ähnlichen Resultat kam eine Studie mit 23 übergewichtigen Erwachsenen, die allein durch Begrenzung der Nahrungsaufnahme auf 8 Stunden (zwischen 10:00 und 18:00 h) innerhalb von 12 Wochen eine Abnahme des Gewichts um durchschnittlich 2,6 % und des systolischen Blutdrucks um 7 mmHg verzeichnen konnten.<sup>7</sup><br /> Noch einen Schritt weiter gingen Sutton et al. in ihrer Studie mit übergewichtigen Männern mit Prädiabetes. Es stellte sich heraus, dass die Beschränkung der Nahrungsaufnahme auf 6 Stunden mit der spätesten Mahlzeit vor 15 Uhr (early TRF) im Vergleich zu einer Verteilung der Mahlzeiten über eine Zeitspanne von 12 Stunden zwar zu keinem Gewichtsverlust, aber zu einer Verbesserung der Insulinsensitivität und einer Abnahme von Blutdruck, oxidativem Stress und Appetit am Abend führte.<sup>8</sup> «Möglicherweise kommt es also auch darauf an, zu welcher Tageszeit das Fenster, in dem gegessen wird, angesetzt wird. Dabei scheint es günstiger zu sein, das Fenster früh oder in der Mitte des Tages anzusetzen, als am Abend oder gar in der Nacht», so Collet.</p> <h2>Metabolisches Syndrom = zirkadianes Syndrom?</h2> <p>Man geht heute davon aus, dass das zirkadiane System (innere Uhr) einen Einfluss auf die meisten Abläufe im Körper hat. Der Tagesrhythmus wird von der inneren Uhr («master clock») im Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus geregelt.<sup>9</sup> Zusätzlich haben aber auch alle peripheren Gewebe eine eigene innere Uhr, die von der «master clock» kontrolliert und synchronisiert wird.<sup>9</sup> Neben dem Licht haben möglicherweise auch die Temperatur, Ernährungsgewohnheiten, das Mikrobiom und anderes mehr einen Einfluss auf die innere Uhr und damit auf den zirkadianen Rhythmus.<sup>9</sup> Man nimmt an, dass Störungen des zirkadianen Rhythmus bei chronischen Krankheiten wie Diabetes mellitus und kardiovaskulären Erkrankungen eine Rolle spielen. «Zimmet und Alberti, zwei Vorväter des metabolischen Syndroms, plädieren in einem im Mai 2019 erschienenen Artikel sogar dafür, das metabolische Syndrom neu als zirkadianes Syndrom zu bezeichnen », so Collet.<sup>10</sup></p> <h2>Studie SwissChronoFood</h2> <p>Zum Schluss stellte Collet noch kurz die Studie SwissChronoFood vor, die derzeit an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am CHUV in Lausanne und an der Universitätsklinik und Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin am Inselspital Bern durchgeführt wird.<sup>11</sup> «Die Ziele unserer Studie sind, einerseits die Essgewohnheiten der Schweizer Bevölkerung zu erfassen und andererseits zu untersuchen, ob das metabolische Syndrom durch zeitlich limitierte Nahrungsaufnahme positiv beeinflusst werden kann», erklärte Collet. Während der 4-wöchigen Beobachtungsphase dokumentierten die Teilnehmer (203 Erwachsene und 17 Teenager) mithilfe einer Smartphone-App ihre Ernährung. Danach wurde entschieden, welche Probanden für die Interventionsphase mit TRF, die momentan in Gang ist, infrage kommen. Voraussetzung dafür war, dass die Probanden normalerweise während mehr als 14 Stunden pro Tag Nahrung zu sich nahmen und mindestens eine Komponente des metabolischen Syndroms aufwiesen. Anschliessend an die 6-monatige Interventionsphase ist ein Langzeit-Follow-up geplant.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für
Endokrinologie und Diabetologie, 14. und 15. November
2019, Bern
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Anton SD et al.: Flipping the metabolic switch: understanding and applying the health benefits of fasting. Obesity 2018; 26: 254-68 <strong>2</strong> Furmli et al: Therapeutic use of intermittent fasting for people with type 2 diabetes as an alternative to insulin. BMJ Case Rep 2018 [epub ahead of print] <strong>3</strong> Corley BT et al.: Intermittent fasting in type 2 diabetes mellitus and the risk of hypoglycaemia: a randomized controlled trial Diabetic Med 2018; 35: 588-94 <strong>4</strong> Jakubowicz D et al.: Reduction in glycated hemoglobin and daily insulin dose alongside circadian clock upregulation in patients with type 2 diabetes consuming a three-meal diet: a randomized clinical trial. Diab Care 2019; 42: 2171-80 <strong>5</strong> Hatori M et al: Time-restricted feeding without reducing caloric intake prevents metabolic diseases in mice fed a high-fat diet. Cell Metab 2012; 15: 848-60 <strong>6</strong> Gill S, Panda S: A smartphone app reveals erratic diurnal eating patterns in humans that can be modulated for health benefits. Cell Metab 2015; 22: 789-98 <strong>7</strong> Gabel K et al.: Effects of 8-hour time restricted feeding on body weight and metabolic disease risk factors in obese adults: a pilot study. Nutr Health Aging 2018; 4: 345-53 <strong>8</strong> Sutton EF: Early time-restricted feeding improves insulin sensitivity, blood pressure, and oxidative stress even without weight loss in men with prediabetes. Cell Metab 2018; 27: 1212-21.e3 <strong>9</strong> Saini C et al.: Human peripheral clocks: applications for studying circadian phenotypes in physiology and pathophysiology. Front Neurol 2015; 6: 95 <strong>10</strong> Zimmet P et al.: The circadian syndrome: is the metabolic syndrome and much more! J Intern Med 2019; 286: 181-91 <strong>11</strong> https://swisschronofood.ch</p>
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