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Diabetische Ketoazidose und akute Hypoglykämie
Jatros
Autor:
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Sabine Hofer
Medizinische Universität Innsbruck<br> Abteilung für Pädiatrie I<br> Medizinische Universität Innsbruck<br> E-Mail: Sabine.E.Hofer@i-med.ac.at
30
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12.07.2018
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<p class="article-intro">Die akute Stoffwechselentgleisung, die diabetische Ketoazidose (DKA), ist ein akuter Notfall und bedarf einer sofortigen adäquaten Therapie. Über 30 % aller Kinder und Jugendlichen in Österreich haben im Rahmen der Diabetesmanifestation eine DKA. Die Prävalenz von akuten schweren Hypoglykämien hat in den letzten Dekaden abgenommen, stellt aber immer noch einen limitierenden Faktor in der Diabetestherapie im Kindesalter dar. Das noch unreife kindliche Gehirn ist sowohl für Hyper- als auch für Hypoglykämien anfällig.</p>
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<p class="article-content"><h2>Diabetische Ketoazidose (DKA)</h2> <p>Die diabetische Ketoazidose, einhergehend mit den klinischen Symptomen der Polyurie, Polydipsie, Dehydratation, Tachykardie und Tachypnoe – besonders tiefer Bauchatmung, der sogenannten Kußmaul-Atmung sowie Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, kann sowohl im Rahmen der Erstdiagnose Diabetes wie auch bei bereits bekanntem Diabetes auftreten. In Österreich ist die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Ketoazidose im Rahmen der Diagnosestellung Diabetes mit über 30 % sehr hoch. Zahlreiche Präventionskampagnen wie die Plakatkampagne 2009, bei der Informationsplakate an Kindergärten, Schulen, Apotheken und Arztpraxen verschickt wurden, oder das Ketoazidose-Filmprojekt 2016, bei dem Kinder mit Diabetes in Zusammenarbeit mit der Diabetesambulanz des Preyer’schen Kinderspitales rund um Dr. Andrea Jäger einen Aufklärungsfilm gedreht haben (unter www.typ1diabetes. at steht der Film auch als Download kostenlos zur Verfügung), verliefen bisher ohne Wirkung. Die Rate an Ketoazidosen ist über die vergangenen 20 Jahre unverändert hoch geblieben. Als besonders für das Auftreten einer Ketoazidose gefährdete Gruppe wurden Kleinkinder identifiziert.<br /> Risikofaktoren für Ketoazidosen bei Kindern und Jugendlichen mit bekanntem Diabetes sind fieberhafte Infektionen, chronisch schlechte Stoffwechseleinstellung und mangelhafte Compliance sowie Katheterokklusionen bei Insulinpumpentherapie. Jugendalter, weibliches Geschlecht, Migrationshintergrund und eine Diabetesdauer von über 2–5 Jahren wurden als weitere Risikofaktoren für eine diabetische Ketoazidose beschrieben.</p> <h2>Diagnose und Behandlung</h2> <p>Pathophysiologisch liegt der Entstehung der diabetischen Ketoazidose die absolute oder relative Insulindefizienz zugrunde. Infolge des Insulinmangels ist die Glukoseutilisation eingeschränkt, wodurch eine Hyperglykämie entsteht. Diese führt zur Überschreitung der Nierenschwelle mit nachfolgender Glukosurie und Dehydratation gefolgt von einem Anstieg der Osmolalität. Aufgrund der fehlenden Glukoseutilisation wird zur Energiegewinnung die Lipolyse herangezogen. Diese führt zur Freisetzung von freien Fettsäuren und Ketonkörperproduktion mit Verbrauch der Puffersysteme und Ausbildung der Azidose. Diese pathophysiologischen Veränderungen sichern die Diagnose Hyperglykämie, Azidose und Dehydratation mit Hyperosmolalität.<br /> Daraus ergeben sich die therapeutischen Konsequenzen der Flüssigkeitszufuhr, des Ausgleichs der Elektrolytdefizite und der Zufuhr von Insulin als kausaler Therapieansatz. Dabei zu beachten ist eine kontinuierliche Behandlung mit Rehydrierung über mindestens 24–48 Stunden, einer langsamen Senkung der Hyperglykämie von maximal 50–100mg/dl pro Stunde sowie der Zufuhr von Kalorien, um die katabole Stoffwechsellage zu beenden.<br /> Aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität ist das Auftreten zerebraler Veränderungen im Rahmen einer Ketoazidose gefürchtet. Zerebrale Veränderungen können sowohl vor als auch während der Behandlung der Ketoazidose auftreten und sind von kognitiven Defiziten begleitet, die teils reversibel, teils aber auch irreversibel bestehen bleiben können.<br /> In neueren pathophysiologischen Modellen zur Ätiologie zerebraler Beteiligung im Rahmen einer diabetischen Ketoazidose werden mehrere Faktoren und deren komplexe Interaktion diskutiert. Die Schwere der Azidose, Hypokapnie, Vasokonstriktion, Dehydratation, Hyperglykämie und Ketose führen allesamt zur Reduktion des zerebralen Blutflusses. Inflammatorische Faktoren und Zytokine sowie mikrogliale strukturelle Veränderungen bedingen sowohl auf zellulärer als auch vaskulärer Ebene Veränderungen, die für Verletzungen des Gehirns mit klinischer Symptomatik verantwortlich sind. Dies ist besonders im Kindesalter von großer Bedeutung, da die Entwicklung des kindlichen Gehirnes in den ersten Lebensjahren noch nicht abgeschlossen und damit besonders vulnerabel ist.</p> <h2>Akute Hypoglykämie</h2> <p>Hypoglykämien gelten als der limitierende Faktor jeder Diabetestherapie. Die Angst vor Hypoglykämien, sowohl aufseiten der Eltern als auch aufseiten der betreuenden Ärzte, führte dazu, eine schlechtere metabolische Einstellung in Kauf zu nehmen. Longitudinale Studien anhand von Diabetesregistern konnten nun zeigen, dass die Häufigkeit von Hypoglykämien in den vergangenen 20 Jahren zurückgegangen ist, bemerkenswerterweise auch bei jenem pädiatrischen Patientenkollektiv, welches die niedrigsten HbA<sup>1c</sup>- Werte und damit beste metabolische Kontrolle zeigte. Der Grund für die Reduktion der schweren Hypoglykämien dürfte in der Veränderung der therapeutischen Möglichkeiten liegen. Die Einführung von schnell und lang wirksamen Insulinanaloga und der breite Einsatz von Insulinpumpen in der Pädiatrie haben in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu einer Verbesserung der metabolischen Einstellung, sondern auch zu einer Reduktion der Hypoglykämien geführt. Bleibt abzuwarten, inwieweit der zunehmende Einsatz von subkutanen Glukosesensoren als Stand-alone- Geräte oder in Kombination mit Insulinpumpen im Sinne einer sensorunterstützten Pumpentherapie die Hypoglykämierate bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen wird.<br /> Trotz aller Verbesserungen in der Behandlung von kindlichem Diabetes gilt es aufgrund der Unreife des kindlichen Gehirnes, Häufigkeit und Schwere von Unterzuckerungen zu reduzieren bzw. diese gänzlich zu vermeiden. Ein Risiko im Kindesalter für das Auftreten von Hypoglykämien ist ein Missmanagement der Insulindosierung, insbesondere der Bolusgaben für Mahlzeiten. Rechenprogramme, Apps, BE-Rechner wären vorstellbare Hilfsmittel, um eine exaktere Berechnung sowohl der Broteinheiten als auch der individuell benötigten Insulinmenge zu erzielen.<br /> Ein weiteres Risiko für das Auftreten von Hypoglykämien sind körperliche Aktivität und Sport. Grundsätzlich als Teil der Diabetestherapie zu betrachten, ist eine intensive Patientenschulung zum Thema Insulindosierung bei Sport grundlegend. Zusätzlich zum akuten Hypoglykämierisiko während körperlicher Aktivität ist ein weiteres Absinken der Blutglukose noch viele Stunden nach der sportlichen Betätigung zu erwarten. Entsprechende Vorkehrungen, um nächtliche Hypoglykämien nach sportlichen Leistungen zu verhindern, müssen mittels Reduktion der nächtlichen Insulindosis und/oder zusätzlicher Kohlenhydratzufuhr getroffen werden.<br /> Nächtliche Hypoglykämien können nicht nur im Rahmen sportlicher Aktivität auftreten. Aufgrund einer veränderten nächtlichen Glukosehomöostase und veränderter neuroendokriner Schlafarchitektur bei Kindern mit Typ-1-Diabetes kommen nächtliche Hypoglykämien häufig vor. Die Hälfte der nächtlichen Hypoglykämien wird nicht bemerkt. Durch verbesserte Glukoseaufzeichnung mittels Flash-Glukosemessung und kontinuierlicher subkutaner Glukosemesssysteme stehen nun Tools zur Verfügung, um die nächtliche Glukosevariabilität sichtbarer zu machen.<br /> Kleinkinder sind besonders gefährdet, Hypoglykämien zu entwickeln. Zum einen haben Kleinkinder eine hohe Insulinsensitivität, zum anderen eine schlechte Hypoglykämiewahrnehmung. Kleinkinder können schwer zwischen vegetativen und neurokognitiven Hypoglykämiezeichen unterscheiden, ihre Möglichkeiten, Hypoglykämien zu kommunizieren, sind begrenzt. Faktoren, die die Hypoglykämiewahrnehmung von Kindern beeinflussen, sind das Alter des Kindes, die Qualität der Stoffwechseleinstellung, der Blutzuckerausgangswert und die Dynamik des Blutzuckerabfalls. Auch häufig aufeinanderfolgende Hypoglykämien können die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Unterzuckerungen negativ beeinflussen. Ein Drittel aller Kinder mit Diabetes zeigt eine Hypoglykämiewahrnehmungsstörung und ist somit besonders für das Auftreten von Hypoglykämien gefährdet. Das Alter der Kinder zum Zeitpunkt von schweren Hypoglykämien ist entscheidend für deren kognitive Entwicklung. Kleinkinder mit schweren Hypoglykämien zeigen in verschiedenen kognitiven Bereichen Teilleistungsstörungen im Vergleich zu Kleinkindern ohne Auftreten von schweren Hypoglykämien.</p> <h2>Jugendliches Risikoverhalten</h2> <p>Ein weiterer Aspekt für das Auftreten von Hypoglykämien im Kindesalter betrifft das jugendliche Risikoverhalten. Ähnlich der nicht diabetischen Peergroup gehen Jugendliche mit Diabetes ein risikohaftes Verhalten ein. Bei Konsum von Alkohol steigt das Risiko für eine Hypoglykämie deutlich an, eine entsprechende Schulung im Umgang mit Insulin bei Alkoholkonsum sollte daher Teil jeder Diabetesschulung im Jugendalter sein.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Zusammenfassend ist festzuhalten, dass akute Komplikationen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes möglichst zu vermeiden sind. Sowohl die schwere metabolische Entgleisung mit diabetischer Ketoazidose wie auch schwere Hypoglykämien gehen mit zerebralen Veränderungen des kindlichen/jugendlichen Gehirnes einher und beeinflussen deren kognitive Entwicklung. Präventionskampagnen zur Verbesserung der Awareness von diabetesspezifischen Symptomen könnten ein Ansatz zur Reduktion der DKA-Rate in Österreich sein. Hinsichtlich der Vermeidung von akuten Hypoglykämien zeigen Verbesserungen der Insulindosierbarkeit, Weiterentwicklung der technischen Diabetestherapie (Beispiel Glukosesensoren und sensorunterstützte Pumpentherapie) und intensive Schulung und Aufklärung über Risikosituationen ihre Wirksamkeit.</div></p>
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<p>• Bjørgaas MR et al.: Cerebral effects of severe hypoglycemia in young people with type 1 diabetes. Pediatr Diabetes 2012; 13(1): 100-7 • Fritsch M et al.: Diabetic ketoacidosis at diagnosis in Austrian children: a population-based analysis, 1989-2011. J Pediatr 2013; 163(5): 1484-8. e1 • Glaser N et al.: Effects of hyperglycemia and effects of ketosis on cerebral perfusion, cerebral water distribution, and cerebral metabolism. Diabetes 2012; 61(7): 1831-7 • Karges B et al.: Hospital admission for diabetic ketoacidosis or severe hypoglycemia in 31,330 young patients with type 1 diabetes. Eur J Endocrinol 2015; 173(3): 341-50 • Maahs DM et al.: Contrasting the clinical care and outcomes of 2,622 children with type 1 diabetes less than 6 years of age in the United States T1D Exchange and German/Austrian DPV registries. Diabetologia 2014; 57(8): 1578-85 • Schober E et al.: Diabetic ketoacidosis at diagnosis in Austrian children in 1989-2008: a populationbased analysis. Diabetologia 2010; 53(6): 1057-61</p>
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