
Geschlechtsangleichende Hormontherapie und kardiovaskuläre Gesundheit
Autorin:
KD Dr. med. Lea Slahor
Endokrinologie/Diabetologie
Luzerner Kantonsspital
Luzern
E-Mail: lea.slahor@luks.ch
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Für transgender, non-binäre und genderdiverse (TGD) Personen wurde ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch die geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) hierzu beiträgt. Allerdings spielen weitere Faktoren eine entscheidende Rolle, insbesondere der Minderheitenstress, neben den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren. Angesichts der wachsenden Zahl von transgender, non-binären und genderdiversen Menschen ist es wichtig, dass Fachpersonen im Gesundheitswesen sowohl mit den Grundlagen der angleichenden Therapien vertraut sind als auch deren Auswirkungen kennen.
Keypoints
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Die geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) ist eine wirksame Behandlung für Menschen mit Geschlechtsinkongruenz und führt neben den zur Geschlechtsidentität passenden physischen Veränderungen zur Reduktion der Geschlechtsdysphorie.
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In der Regel stellt die GAHT eine lebenslange Behandlung dar und gilt als sicher, wobei ein regelmässiges Monitoring empfohlen wird. Hierzu gehören auch das Erfassen von kardiovaskulären (CV) Risikofaktoren und das Screening wie auch die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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Für transgender, non-binäre und genderdiverse Personen wird von einem erhöhten Risiko für CV Erkrankungen ausgegangen, was multifaktoriell zu erklären ist. Neben den bekannten CV Risikofaktoren ist besonders der sogenannte Minderheitenstress als wichtiger Faktor zu berücksichtigen. Inwieweit die GAHT das CV Risiko beeinflusst, ist noch nicht abschliessend geklärt.
Epidemiologische Studien schätzen die Prävalenz von TGD Personen in der westlichen Bevölkerung auf etwa 0,5%, wobei diese Zahl in Bevölkerungsumfragen häufig höher ausfällt.1 Mit der Neufassung der ICD-11 wurde die Geschlechtsinkongruenz aus der Kategorie der psychischen Störungen entfernt, was das zeitgemässe Verständnis von Geschlechtsidentität widerspiegelt. Bei TGD Personen stimmt die Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht überein und kann zu Leidensdruck im Sinne einer Geschlechtsdysphorie führen (Tab. 1 gibt eine Übersicht zur verwendeten Terminologie). Ein zentrales Behandlungsziel ist es, die Symptome der Geschlechtsinkongruenz zu lindern und physische Veränderungen zu erzielen, die der Geschlechtsidentität entsprechen. Der Wunsch nach angleichenden Massnahmen ist individuell unterschiedlich. Dabei spielt die Hormontherapie eine zentrale Rolle und wird von der Mehrheit der Betroffenen in Anspruch genommen.1 Positive Effekte der angleichenden Hormontherapie auf die mentale und physische Gesundheit sind gut belegt.2,3
Kardiovaskuläres Risiko und die Rolle des Minderheitenstresses
Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen weltweit und auch in der Schweiz die häufigste Todesursache dar. Kardiovaskuläre Risikofaktoren und kardiovaskuläre Ereignisse treten häufiger in Minderheiten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen auf, zu denen auch TGD Personen zählen. Hierbei ist besonders auf den sogenannten Minderheitenstress hinzuweisen, der durch Diskriminierung, Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung resultiert und den Lebensstil negativ beeinflusst.4 Dies im Sinne von ungünstigen Verhaltensweisen, wie höherem Nikotinkonsum oder reduzierter körperlicher Aktivität, was das kardiovaskuläre Risiko wiederum erhöht. Dass Geschlechtshormone einen Effekt auf das kardiovaskuläre System haben, ist aus der cis Bevölkerung bekannt und in einigen Studien zur Hormonersatztherapie belegt. Diese Studienergebnisse sind jedoch nicht uneingeschränkt auf TGD Personen übertragbar. Zum Beispiel basiert der Women’s Health Initiative Trial auf einem komplett anderen Hormonregime als bei der transfemininen GAHT, bei welcher 17β-Östradiol in Kombination mit einer antiandrogenen Therapie (Cyproteronacetat, Spironolacton oder Gonadotropin-Releasing-Hormon-Analoga) eingesetzt wird. Bei der transmaskulinen Therapie wird Testosteron transdermal oder intramuskulär verabreicht, wobei die Präparate aus der Behandlung von hypogonadalen cis Männern gut bekannt sind.
Des Weiteren sind die zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos gängigen Kalkulatoren für die TGD Population nicht validiert. In diesen Tools werden weder der hormonelle Status noch eine etwaige Hormontherapie berücksichtigt, was sowohl zu einer Über- als auch zu einer Unterschätzung des tatsächlichen kardiovaskulären Risikos führen kann.5,6
Effekt der GAHT auf kardiovaskuläre Risikofaktoren
Ein Einfluss der geschlechtsangleichenden Hormontherapie auf kardiovaskuläre Risikofaktoren wurde in verschiedenen Beobachtungsstudien erkannt, wobei die Effekte unterschiedlich ausfallen und erwartungsgemäss vom Therapieregime sowie von individuellen Faktoren abhängen. Eine maskulinisierende Hormontherapie führt zu einem atherogenen Lipidprofil, was sich in einem Anstieg des LDL-Cholesterins und der Triglyzeride sowie einer Senkung des HDL-Cholesterins zeigt. Dieser nachteilige Effekt von Testosteron bleibt konsistent, unabhängig von der Applikationsart oder Formulierung.7 Unter einer feminisierenden Hormontherapie werden unterschiedliche Auswirkungen auf das Lipidprofil berichtet, was mit der Wahl der antiandrogenen Therapie zusammenhängen könnte. Die östrogenbasierte Therapie führt zwar zu einer vorteilhaften Senkung des LDL-Cholesterins, hingegen scheint das HDL-Cholesterin stärker dem Einfluss der antiandrogenen Therapie zu unterliegen.8 So wurde unter Cyproteronacetat ein ungünstiger Rückgang des HDL-Cholesterins beobachtet, während HDL unter Spironolacton anstieg.9 Der Einfluss auf die Triglyzeride ist uneinheitlich und kann entweder zu einer Abnahme oder einem leichten Anstieg führen.4,7
Auch die Auswirkungen auf den Blutdruck variieren, wobei sich die antihypertensive Wirkung von Spironolacton auch bei der Anwendung als antiandrogene Substanz zeigt. Unter einer maskulinisierenden Therapie wurde einerseits ein leichter Anstieg des Blutdrucks beobachtet, während in anderen Studien kein relevanter Einfluss auf den Blutdruck festgestellt werden konnte.10
Weder in einer europäischen noch in einer US-amerikanischen Studie zeigte sich unter einer GAHT eine höhere Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 2, obwohl mehr als 50% der amerikanischen Teilnehmenden zu Beginn der Studie bereits übergewichtig waren. Allerdings muss bei der Interpretation dieser Ergebnisse berücksichtigt werden, dass die Resultate aus retrospektiven Beobachtungsstudien stammen, die eine jüngere Bevölkerungsgruppe und eine Studiendauer von weniger als 10 Jahren umfassen.11,12
Unter einer feminisierenden Therapie wird sowohl über eine Gewichtszunahme als auch über einen unveränderten Gewichtsverlauf berichtet, was wiederum durch die unterschiedlichen antiandrogenen Therapien bedingt sein könnte. Die prospektive europäische ENIGI-Studie, mit Einsatz von Cyproteronacetat, zeigte einen BMI-Anstieg von etwa 5%.13 Auch unter einer maskulinisierenden Therapie kann der BMI ansteigen, jedoch mit dem Vorteil einer höheren fettfreien Masse («lean mass»), während unter einer östrogenbasierten Therapie eine Zunahme des Gesamtkörperfetts bei gleichzeitiger Abnahme der Muskelmasse resultiert.14
Aktuelle Studienlage zu kardiovaskulären Ereignissen
Ob primär und hauptsächlich die erwähnten kardiometabolischen Veränderungen zu einer höheren Rate an kardiovaskulären Ereignissen in der TGD Population beitragen, ist nicht abschliessend geklärt. Die aktuelle Datenlage basiert auf retrospektiven Beobachtungsstudien mit einer jungen Studienpopulation, unterschiedlichen Therapieregimen und variabler Beobachtungsdauer. Randomisierte kontrollierte Studien zur geschlechtsangleichenden Hormontherapie und kardiovaskulärer Gesundheit fehlen. Da es als unethisch gilt, Betroffenen mit schwerer Geschlechtsdysphorie eine geschlechtsangleichende Hormontherapie vorzuenthalten – eine Behandlung, die für viele eine lebenswichtige Massnahme darstellt, bleiben randomisierte kontrollierte Studien auf diesem Gebiet problematisch. Daher ist davon auszugehen, dass weiterhin vorrangig Beobachtungsstudien und Registerdaten genutzt werden müssen.
Im Jahr 2024 erschien eine Metaanalyse von 10 retrospektiven Studien mit jeweils grossen Kohorten.15 Diese berücksichtigte ausschliesslich Studien mit einer Kontrollgruppe desselben Geburtsgeschlechts, d.h. transfeminine Personen wurden mit cis Männern und transmaskuline Personen mit cis Frauen verglichen. Die Studienpopulation war überwiegend jung, die Beobachtungsdauer variierte von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren und es wurden unterschiedliche Therapieregimes angewendet. Die wichtigsten untersuchten kardiovaskulären Ereignisse waren Myokardinfarkte, zerebrovaskuläre Insulte und venöse Thromboembolien. Insgesamt kamen die Autoren zu dem Schluss, dass TGD Personen im Vergleich zu Personen mit demselben Geburtsgeschlecht ein um 40% höheres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse aufweisen.
In den letzten fünf Jahren wurden ausserdem drei grosse retrospektive Studien veröffentlicht, die jeweils zwei Referenzgruppen untersuchten: eine Kontrollgruppe mit demselben Geburtsgeschlecht und gleichzeitig auch eine Kontrollgruppe mit Personen derselben Geschlechtsidentität.16–18 Zusammenfassend zeigten sich übergreifend ähnliche Resultate: Bei trans Männern bestand im Vergleich zu cis Männern ein ähnlich hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Allerdings wiesen trans Männer ein höheres Risiko für Myokardinfarkte und zerebrovaskuläre Ereignisse als cis Frauen auf, also im Vergleich zur Gruppe mit demselben Geburtsgeschlecht. Bei trans Frauen wurde ein erhöhtes Risiko für Myokardinfarkt und zerebrovaskuläre Infarkte im Vergleich zu cis Frauen festgestellt, während dieses Risiko im Vergleich zu cis Männern (dasselbe Geburtsgeschlecht) unverändert blieb. Dies deutet darauf hin, dass trans Frauen das erhöhte kardiovaskuläre Risiko ihres männlichen Geburtsgeschlechts über die Transition hinaus «weitertragen». Im Vergleich zu beiden Referenzgruppen wurde für trans Frauen ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien dokumentiert, was mit der östrogenbasierten Therapie in Verbindung gebracht wird. Dieses Risiko kann durch eine transdermale Anwendung reduziert werden, weshalb diese Form der Hormontherapie für trans Frauen über 45 Jahre zwingend ist und in Risikosituationen grundsätzlich empfohlen wird.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit der aktuellen Datenlage keine eindeutige Unterscheidung zwischen Assoziation und Kausalität möglich ist, um den Effekt der GAHT auf kardiovaskuläre Ereignisse zu beurteilen. Umso mehr ist ein gesunder Lebensstil zu fördern und kardiovaskuläre Risikofaktoren sind zu vermeiden und gemäss den geltenden Richtlinien zu behandeln. Darüber hinaus gilt es, jegliche Diskriminierung gegenüber TGD Personen abzubauen, einen angemessenen Zugang zum Gesundheitswesen sicherzustellen und einen respektvollen Umgang zu fördern.
Literatur:
1 Wiepjes C et al.: The Amsterdam cohort of gender dysphoria study (1972-2015): trends in prevalence, treatment, and regret. J Sex Med 2018; 15: 582-90 2 Nguyen H et al.: Gender-affirming hormone use in transgender individuals: impact on behavioral health and cognition. Curr Psychiatry Rep 2018; 20: 110 3 Coleman E et al.: Standards of care for the health of transgender and gender diverse people, Version 8. Int J Transgend Health 2022; 23: 1-259 4 Streed CG Jr et al.: Assessing and addressing cardiovascular health in people who are transgender and gender diverse: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation 2021; 144: e136-48 5 Hageman S et al.: SCORE2 risk prediction algorithms: new models to estimate 10-year risk of cardiovascular disease in Europe. Eur Heart J 2021; 42: 2439-54 6 Poteat T et al.: Cardiovascular disease risk estimation for transgender and gender-diverse patients: cross-sectional analysis of baseline data from the LITE Plus cohort study. AJPM Focus 2023; 2: 100096 7 Van Velzen D et al.: Cardiometabolic effects of testosterone in transmen and estrogen plus cyproterone acetate in transwomen. J Clin Endocrinol Metab 2021; 104: 1937-44 8 Angus L et al.: A systematic review of antiandrogens and feminization in transgender women. Clin Endocrinol 2021; 94: 743-52 9 Fung R et al.: Differential effects of cyproterone acetate vs spironolactone on serum high-density lipoprotein and prolactin concentrations in the hormonal treatment of transgender women. J Sex Med 2016; 13: 1765-72 10 Banks K et al.: Blood pressure effects of gender-affirming hormone therapy in transgender and gender-diverse adults. Hypertension 2021; 77: 2066-74 11 Shadud S et al.: Effects of gender-affirming hormone therapy on insulin sensitivity and incretin responses in transgender people. Diabetes Care 2020; 43: 411-7 12 Van Velzen D et al.: Incident diabetes risk is not increased in transgender individuals using hormone therapy. J Clin Endocrinol Metab 2022; 107: 2000-07 13 Cocchetti C et al.: The ENIGI (European Network for the Investigation of Gender Incongruence) study: overview of acquired endocrine knowledge and future perspectives. J Clin Med 2022; 11: 1784 14 Klaver M et al.: Change in visceral fat and total body fat and the effect on cardiometabolic risk factors during transgender hormone therapy. J Clin Endocrinol Metab 2022; 107: e153-64 15 van Zijverden LM et al.: Cardiovascular disease in transgender people: a systematic review and meta-analysis. Eur J Endocrinol 2024; 190(2): 13-24 16 Getahun D et al.: Cross-sex hormones and acute cardiovascular events in transgender persons: a cohort study. Ann Intern Med 2018; 169: 205-13 17 Nota N et al.: Occurrence of acute cardiovascular events in transgender individuals receiving hormone therapy. Circulation 2019; 139: 1461-2 18 Alzahrani T et al.: Cardiovascular disease risk factors and myocardial infarction in the transgender population. Circ Cardiovasc Qual Outcomes 2019; 12: e005597
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