Hypoparathyreoidismus auf den Punkt gebracht
Autoren:
Cand. med. Simon Geiger
Dr. Karin Amrein, MSc
Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
E-Mail: karin.amrein@medunigraz.at
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Der Hypoparathyreoidismus ist eine seltene Erkrankung im Bereich der inneren Medizin und oft ein wahres Chamäleon. Mögliche Symptome reichen von Parästhesien, Fatigue und Konzentrationsschwierigkeiten über Tetanien und Epilepsien bis hin zu lebensbedrohlichen Arrhythmien und Laryngospasmen. In manchen Fällen kann die korrekte Diagnosestellung Jahre dauern.1-4
Keypoints
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Auslöser des Hypoparathyreoidismus ist ein Parathormonmangel. Oft tritt dieser als Komplikation einer Halsoperation (Schilddrüsen-Op) auf.
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Häufige Symptome sind neuromuskuläre Störungen, wie Krämpfe, Tetanien, Parästhesien und Myalgien.
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Die Erkrankung ist psychisch, physisch und emotional belastend. Permanente Fatigue, Brain Fog, Energielosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten führen oft zu einer erheblichen Reduktion der Lebensqualität.
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Diagnostik: Hypoparathyreoidismus ist wahrscheinlich, wenn bei niedrigem albuminkorrigiertem oder freiem Kalzium das Parathormon (PTH) unangemessen niedrig oder nicht nachweisbar ist, und bei normal-niedrigen PTH-Werten unter Hypokalzämie.
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Die konventionelle Therapie besteht aus oraler Kalzium- und aktiver/nativer Vitamin- D-Supplementation. Bei Therapieversagen oder Persistieren von Symptomen trotz ausgeschöpfter Therapie sollte rekombinantes humanes Parathormon (1-84) als Zusatz in Betracht gezogen werden.
Im folgenden Artikel geben wir einen kurzen Überblick über Ursachen, Diagnose und Therapie der Erkrankung (Tab. 1).
Tab. 1: Wichtige Punkte bei Hypoparathyreoidismus
Ursachen
Auslöser des Hypoparathyreoidismus ist ein Mangel an Parathormon (PTH), der bei 75% der Patienten als Komplikation einer Halsoperation, meist in der Folge einer Schilddrüsenoperation, auftritt. Wenn dieser Mangel kürzer als 6 Monate nach Operation besteht, spricht man von einem transienten, bei längerer Dauer von einem chronischen Hypoparathyreoidismus.5
Seltenere Ursachen sind autoimmune oder genetische Störungen.5 PTH wird in den Nebenschilddrüsen produziert und ist ein wichtiger Regulator im Kalzium- und Phosphathaushalt. Es steuert die renale Reabsorption dieser Elektrolyte, stimuliert die Bildung von 1,25-Dihydroxyvitamin D (Vitamin D) und fördert den Knochenumbau durch Aktivierung von Osteoblasten und Osteoklasten.6 Durch den Mangel an PTH kommt es zu Hypokalzämie, Hyperphosphatämie und erhöhter Kalziumausscheidung im Harn.1,2
Symptome und Folgen der Erkrankung
Das klinische Bild des Hypoparathyreoidismus wird meist durch einen zu niedrigen Kalziumspiegel verursacht, aber auch ein zu rascher Abfall des Serum-Kalziums im Normalbereich kann zu schwerwiegenden Symptomen führen.3 Am häufigsten sind neuromuskuläre Störungen, wie Krämpfe, Tetanien, Parästhesien und Myalgien.7 Neurologische Störungen umfassen ein erhöhtes Risiko für epileptische Anfälle, in selteneren Fällen Parkinsonismus, extrapyramidale Symptome, Dysarthrie und Ataxie, wobei die zugrunde liegenden Mechanismen unklar sind. Patienten mit Hypoparathyreoidismus zeigen auch eine erhöhte Prävalenz an intrazerebralen Verkalkungen, vor allem im Bereich der Basalganglien, wobei die klinische Relevanz dieser Verkalkungen noch zur Diskussion steht. Zu den kardiovaskulären Symptomen zählen QT-Verlängerungen, Bradykardien und Arrhythmien bis Torsades de pointes.1–3
Bei nicht operativ verursachtem Hypoparathyreoidismus kann es zusätzlich zu einer Verbreiterung der Intima und Media in den Gefäßen kommen, was in der Folge zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen führt.8,9
Auch das Risiko für Nierenerkrankungen wie Nephrokalzinose, Nierensteine und eingeschränkte Nierenfunktion ist deutlich erhöht.1,2 So zeigte sich in Kohortenstudien eine deutliche Reduktion der renalen Filtrationsrate im Vergleich zur Normalbevölkerung, wobei 29% der Patienten eine eGFR von unter 60ml/min/1,73m2 hatten.10
Im Knochen kommt es durch den Mangel an PTH zu einer Verlangsamung des Umbaus und zu einer Zunahme der Knochendichte, wobei die Auswirkungen auf das Frakturrisiko noch unklar sind.11 Neuere Forschungsergebnisse fanden bei Patienten mit Hypoparathyreoidismus trotz erhöhter Knochendichte vermehrt Wirbelkörperfrakturen, die am häufigsten bei postmenopausalen Frauen und Patienten mit antikonvulsiver Therapie gefunden wurden.12,13
Zu dem breiten Spektrum an weiteren Symptomen zählen außerdem ein deutlich erhöhtes Risiko für Katarakte, dermatologische Erkrankungen wie trockene Haut und Alopezie und eine höhere Infektanfälligkeit.2,14,15 In zwei Studien konnte auch eine erhöhte Mortalität demonstriert werden.14,16
Für viele Patienten ist die Erkrankung aber vor allem eine psychische, physische und emotionale Belastung. Trotz adäquater Therapie können permanente Fatigue, Brain Fog, Energielosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten bestehen und zu einer erheblichen Reduktion der Lebensqualität führen, die häufig vom medizinischen Personal und von Nichtbetroffenen unterschätzt wird. Mehrere Studien belegten ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen.17,18
Diagnose
Akute und chronische Hypokalzämien sollten, ob symptomatisch oder asymptomatisch, immer abgeklärt werden. Wichtig ist es, das albuminkorrigierte Kalzium zu errechnen, oder, wenn möglich, direkt das freie Kalzium zu messen.2,19 Ist das Serum-Kalzium erniedrigt, sollten, neben einer gründlichen Anamnese, zusätzlich Phosphat, Magnesium, PTH, Vitamin-D-Metaboliten und die Nierenfunktion erhoben werden. Bei hohen Phosphatspiegeln verbindet sich dieses mit Kalzium zu Kalziumphosphatkristallen, fällt aus und kann so eine Hypokalzämie verursachen. Hypo- und Hypermagnesiämie können die PTH-Sekretion unterdrücken und somit funktionell den Kalziumspiegel senken.20 Eine eingeschränkte Nierenfunktion kann aufgrund reduzierter Reabsorption zu einer Hypokalzämie führen, wobei folglich das PTH oft im Rahmen eines sekundären Hyperparathyreoidismus erhöht ist.19
Die Diagnose eines Hypoparathyreoidismus kann nach Ausschluss anderer Ursachen gestellt werden, wenn bei niedrigem albuminkorrigiertem oder freiem Kalzium das PTH unangemessen niedrig oder nicht nachweisbar ist.1 Ebenso kann bei normal-niedrigen PTH-Werten unter Hypokalzämie von einem Hypoparathyreoidismus ausgegangen werden, da das Parathormon unter diesen Bedingungen erhöht sein sollte. Zusätzlich wegweisend kann der aktive Vitamin-D-Spiegel sein, der aufgrund des PTH-Mangels meist erniedrigt ist.2, 19
Therapie
Die konventionelle Therapie bei Hypoparathyreoidismus besteht aus oraler Kalzium- und aktiver/nativer Vitamin-D-Supplementation. Das Ziel ist es, schwere Hypo- und Hyperkalzämien sowie Langzeitkomplikationen zu vermeiden. Zur ausreichenden Therapie sollte ein normal-niedriger Kalziumspiegel (8,0–8,5mg/dl; 2,0–2,12mmol/l) angestrebt werden.1,2,21 Weitere Ziele sind das Vermeiden von therapiebedingten Hyperkalzämien und ein Kalzium-Phosphat-Produkt von unter 55mg2/dl2.21
Empfohlen wird eine über den Tag verteilte orale Kalziumsupplementation von 1 bis 2g oder alternativ eine ausreichende Zufuhr über die Ernährung. Da die Kalziumabsorption im Darm mit anderen Medikamenten, wie zum Beispiel Levothyroxin, konkurrieren kann, sollte Patienten geraten werden, diese nicht gleichzeitig einzunehmen.2,21 Aktives Vitamin D wird meist als Calcitriol oder Alfacalcidol verabreicht. Dosierungen bei Calcitriol liegen zwischen 0,5 und 1,5µg pro Tag und in etwa beim Doppelten bei Alfacalcidol.21 Regelmäßige Kontrollen der Serum-Elektrolyte und des Harn-Kalziums sowie individuelle Anpassungen der Therapie sind notwendig, um eine effektive Therapie zu gewährleisten.21,22 Bei einer Kalziumausscheidung von über 300mg/d im 24-h-Harn können Thiaziddiuretika verabreicht werden, um das Risiko für Hypokalzämien und Nierensteine zu senken.23 Probleme der konventionellen Therapie sind teilweise sehr hohe tägliche Kalziumeinnahmen mit gastrointestinalen Nebenwirkungen oder iatrogene Hyperkalzämien.23
Rekombinantes humanes Parathormon (1-84), rhPTH (1-84), ist seit 2017 in Europa als Hormonersatztherapie bei Hypoparathyreoidismus zugelassen. Bei Versagen der konventionellen Therapie oder Persistieren von Symptomen trotz ausgeschöpfter Therapie sollte rhPTH (1-84) als Zusatz in Betracht gezogen werden.22 In randomisierten Kontrollstudien konnten bei einem Großteil der Patienten mit rhPTH (1-84) die Dosierungen von Kalzium und VitaminD um mehr als die Hälfte reduziert werden, das Harn-Kalzium konnte gesenkt werden.23,24 In Studien zur Verbesserung der Lebensqualität unter Hormonersatztherapie scheint sich die Lebensqualität im Vergleich zur konventionellen Therapie zu verbessern, jedoch sind die Studienergebnisse dazu noch nicht eindeutig, einzelne Fälle mit schwerem Hypoparathyreoidismus zeigten aber teilweise dramatische Verbesserungen.17,25
Literatur:
1 Mannstadt M et al.: Hypoparathyroidism. Nat Rev Dis Prim 2017; 3: 17055 2 Bilezikian JP: Hypoparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 2020; 105(6): 1722-36 3 Cusano NE, Bilezikian JP: Signs and Symptoms of Hypoparathyroidism. Endocrinol Metab Clin North Am 2018; 47(4): 759-70 4 Jain R et al.: Idiopathic hypoparathyroidism: Still a diagnostic conundrum - A tertiary centre experience. Horm Metab Res 2020; 52(10): 708-11 5 Clarke BL et al.: Epidemiology and diagnosis of hypoparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101(6): 2284-99 6 Goltzman D: Physiology of parathyroid hormone. Endocrinol Metab Clin North Am [Internet] 2018; 47(4): 743-58. Available from: https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0889852918305371 7 Giusti F, Brandi ML.: Clinical presentation of hypoparathyroidism. Front Horm Res 2018; 51: 139-46 8 Underbjerg L et al.: The epidemiology of nonsurgical hypoparathyroidism in Denmark: A nationwide case finding study. J Bone Miner Res 2015; 30(9): 1738-44 9 Meena D et al.: Carotid, aorta and renal arteries intima-media thickness in patients with sporadic idiopathic hypoparathyroidism. Indian J Endocrinol Metab. 2015; 19(2): 262-6 10 Gosmanova EO et al.: Risk of chronic kidney disease and estimated glomerular filtration rate decline in patients with chronic hypoparathyroidism: a retrospective cohort study. Adv Ther [Internet]. 2021; 38(4): 1876-88. Available from: https://doi.org/10.1007/s12325-021-01658-1 11 Rubin MR: Skeletal manifestations of hypoparathyroidism. Bone [Internet] 2019; 120(July): 548-55 Available from: https://doi.org/10.1016/j.bone.2018.11.012 12 Mendonça ML et al: Increased vertebral morphometric fracture in patients with postsurgical hypoparathyroidism despite normal bone mineral density. BMC Endocr Disord 2013; 13: 1-8 13 Chawla H et al.: Vertebral fractures and bone mineral density in patients with idiopathic hypoparathyroidism on long-term follow-up. J Clin Endocrinol Metab 2017; 102(1): 251-8 14 Vadiveloo T et al.: Increased mortality and morbidity in patients with chronic hypoparathyroidism: A population-based study. Clin Endocrinol (Oxf) 2019; 90(2): 285-92 15 Underbjerg L et al.: Long-term complications in patients with hypoparathyroidism evaluated by biochemical findings: a case-control study. J Bone Miner Res 2018; 33(5): 822-31 16 Almquist M, Ivarsson K et al: Mortality in patients with permanent hypoparathyroidism after total thyroidectomy. Br J Surg 2018; 105(10): 1313-8 17 Vokes TJ: Quality of life in hypoparathyroidism. Endocrinol Metab Clin North Am [Internet] 2018; 47(4): 855-64. Available from: https://doi.org/10.1016/j.ecl.2018.07.010 18 Underbjerg L et al.: Postsurgical hypoparathyroidism - risk of fractures, Psychiatric Diseases, Cancer, Cataract, and Infections. J Bone Miner Res 2014; 29(11 S1): 2504-10 19 Pepe J et al.: Diagnosis and management of hypocalcemia [Internet]. Endocrine 2020 69: 485–95 [cited 2021 Sep 2]. Available from: https://doi.org/10.1007/s12020-020-02324-2 20 Vetter T, Lohse MJ: Magnesium and the parathyroid. Curr Opin Nephrol Hypertens. 2002; 11(4): 403-10 21 Babey M et al.: Conventional Treatment of Hypoparathyroidism. Endocrinol Metab Clin North Am [Internet]. 2018; 47(4): 889-900. Available from: https://doi.org/10.1016/j.ecl.2018.07.012 22 Khan AA et al.: Standards of Care for hypoparathyroidism in adults- a canadian and international consensus abstract : Purpose : to provide practice recommendations for the diagnosis and management of have been endorsed by the Canadian Society of Endocrinology and Metabol. 2018; 1-66 23 Tecilazich F et al.: Treatment of hypoparathyroidism. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab [Internet] 2018; 32(6): 955-64. Available from: https://doi.org/10.1016/j.beem.2018.12.002 24 Tay Y-KD et al.: Therapy of hypoparathyroidism with rhPTH(1-84): A prospective, 8-year investigation of efficacy and safety. J Clin Endocrinol Metab [Internet] 2019; 104(11): 5601-10. Available from: https://academic.oup.com/jcem/article/104/11/5601/ 5532037 25 Bollerslev J et al.: Unmet therapeutic, educational and scientific needs in parathyroid disorders: Consensus statement from the first European Society of Endocrinology Workshop (PARAT). Eur J Endocrinol 2019; 181(3): P1-19
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