Identifikation von Subgruppen mittels Clusteranalyse
Autor:innen:
Dr. Grammata Kotzaeridi
Ap. Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian Göbl, MSc, PhD
Klinische Abteilung für Geburtshilfe und
feto-maternale Medizin
Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Medizinische Universität Wien
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Gestationsdiabetes mellitus ist ähnlich wie Diabetes mellitus durch eine erhebliche phänotypische Heterogenität gekennzeichnet. Der Einsatz der Clusteranalyse zur Identifizierung von GDM-Subgruppen könnte entscheidend sein, um die Therapie und Schwangerschaftsoutcomes zu verbessern.
Keypoints
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Cluster 1 ist gekennzeichnet durch einen höheren BMI, Hyperglykämie sowohl nüchtern als auch nach oraler Glukosebelastung sowie ein erhöhtes Risiko für LGA-Neugeborene. Diese GDM-Subgruppe scheint durch eine schwerwiegendere glukometabolische Beeinträchtigung charakterisiert zu sein und weist einen höheren Bedarf an pharmakologischer Behandlung auf (etwa 40% der Patientinnen).
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Cluster 2 ist geprägt von erhöhten Nüchternwerten bei mäßig erhöhtem BMI und häufiger Verordnung von NPH-Insulin.
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Cluster 3 ist durch überwiegend normalen BMI, erhöhte Glukosewerte nach der Belastung und häufigeren Einsatz von schnell wirksamen Insulinanaloga charakterisiert.
Gestationsdiabetes mellitus (GDM) ist eine erstmals während der Schwangerschaft diagnostizierte Diabetesform. Ähnlich wie Typ-2-Diabetes ist GDM durch metabolische Veränderungen gekennzeichnet, insbesondere durch Insulinresistenz und eine beeinträchtigte Funktion der pankreatischen Betazellen.1 Gleichzeitig weist GDM im Vergleich zu Typ-2-Diabetes einige Besonderheiten auf, die über den Zusammenhang mit der Schwangerschaft hinausgehen. Besonders hervorzuheben ist die ausgeprägte Insulinresistenz, die häufig auch bei normalen Schwangerschaften aufgrund einer hormonellen Dysbalance auftritt. Daher können zwar viele Erkenntnisse aus Studien zu Typ-2-Diabetes auch auf GDM angewendet werden, allerdings ist es notwendig, diese Ergebnisse anhand von GDM-Kohorten zu überprüfen, da sie möglicherweise nicht vollständig übertragbar sind.
Heterogene Phänotypen
In den letzten Jahren hat die Präzisionsmedizin bei Typ-2-Diabetes zu einer genaueren Analyse der Heterogenität der Erkrankung und ihrer diagnostischen sowie therapeutischen Implikationen geführt.2–4 In diesem Zusammenhang haben klinische Forschungen spezifische Phänotypen identifiziert, die je nach klinischem Anwendungsbereich variieren können. Zum Beispiel führten Ahlqvist et al.5 eine Clusteranalyse an über 8000 neu diagnostizierten Diabetikern durch, deren Ergebnisse in drei unabhängigen Kohorten validiert wurden. Diese Clusteranalyse basierte auf sechs einfachen klinischen Variablen (Alter bei Diabetesdiagnose, Body-Mass-Index, HbA1c, zwei einfache Indizes der Insulinresistenz und Betazellfunktion sowie Anti-GAD65-Antikörper) und identifizierte fünf Gruppen von Diabetikern mit unterschiedlichen Risiken für Komplikationen (darunter die häufige diabetische Nephropathie und Retinopathie). Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Stratifikation helfen könnte, frühzeitige und gezielte Behandlungen für Patienten anzubieten, die am meisten davon profitieren würden, was einen wichtigen Schritt in Richtung Präzisionsmedizin bei Diabetes darstellt. Andere Studien zu Typ-2-Diabetes haben ähnliche Ansätze verfolgt.6,7
GDM ist außerdem durch eine erhebliche „phänotypische Heterogenität“ geprägt,8 was kürzlich vom „National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases Workshop“ als eine wichtige Forschungslücke identifiziert wurde.9 GDM wird typischerweise anhand der Blutglukosewerte des oralen Glukosetoleranztests gemäß internationalen Leitlinien diagnostiziert.10 Die metabolischen Profile der Patienten mit GDM sind jedoch sehr unterschiedlich, da beispielsweise der Grad der Insulinresistenz (obwohl charakteristisch für GDM und die Schwangerschaft allgemein) stark variieren kann und zudem nicht immer mit einer Verschlechterung der Betazellfunktion einhergeht, die für die Insulinsekretion verantwortlich ist. Frauen mit GDM können sich daher in Bezug auf Schwangerschaftsergebnisse und erforderliche Behandlungsstrategien unterscheiden. Einige Frauen erreichen durch Ernährungs- und Lebensstiländerungen eine gute glykämische Kontrolle, während andere lang wirksames Insulin, um den Nüchternblutzucker zu verbessern, oder kurz wirksames Insulin, um einen akzeptablen postprandialen Blutzucker zu erreichen, benötigen. Einige Frauen werden sowohl kurz als auch lang wirksames Insulin, möglicherweise mit zusätzlicher Behandlung, benötigen (z.B. Metformin).
Clusteranalysen bei GDM
Obwohl die Heterogenität von Gestationsdiabetes inzwischen gut belegt ist, gab es bis vor Kurzem noch keine Studien, die spezifische GDM-Subgruppen definierten, wie es bei Typ-2-Diabetes der Fall ist. Um die Heterogenität von Gestationsdiabetes besser beurteilen zu können, setzten sich Salvatori et al.11 in einer Kohortenstudie zum Ziel, GDM-Cluster anhand grundlegender klinischer Variablen zu identifizieren und zu untersuchen, ob die ermittelten Cluster mit spezifischen Behandlungsbedürfnissen oder klinischen Outcomes in Zusammenhang stehen. In dieser Kohortenstudie wurden Daten von insgesamt 2682 Frauen mit Gestationsdiabetes (GDM) analysiert, die zwischen 2015 und 2022 in zwei zentraleuropäischen Krankenhäusern betreut wurden (1865 Patientinnen aus dem Universitätsklinikum Charité in Berlin und 817 aus der Medizinischen Universität Wien). Dabei wurde der Berliner Datensatz in 70% Trainingsdaten und 30% Testdaten unterteilt. Zur Validierung der ermittelten Clustermodelle wurde der Wiener Datensatz als unabhängiger Testsatz verwendet. Verschiedene Clustermodelle wurden evaluiert. Zur Auswahl des besten Modells wurden interne Validierungstechniken eingesetzt, während die externe Validierung anhand unabhängiger Testdatensätzen durchgeführt wurde, um die Generalisierbarkeit des Modells zu bewerten. Es wurden unterschiedliche Variablenkombinationen untersucht, um potenzielle Cluster zu erkennen. Dabei lag der Fokus darauf, sinnvolle Subgruppen zu identifizieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass diese in der routinemäßigen klinischen Praxis bei Gestationsdiabetes (GDM) anwendbar sind. Klinische Outcomes, wie medikamentöser Behandlungsbedarf sowie mütterliche und fetale Komplikationen, wurden in den identifizierten Clustern analysiert.
Das ausgewählte Clustermodell identifizierte drei Cluster anhand der Variablen mütterliches Alter, prägravider BMI (BMIPG) sowie der drei Glukosewerte des oralen Glukosetoleranztests (OGTT0, OGTT60 und OGTT120). Cluster 1, zu dem 246 von 1154 Teilnehmerinnen (21,3%) gehörten, wies die höchsten Werte bei allen Variablen auf. Die Mehrheit dieser Frauen war vor der Schwangerschaft adipös und hatte durchgehend erhöhte Glukosewerte während des OGTT. Cluster 2 umfasste 407 Teilnehmerinnen (35,3%) und war durch ein geringeres Durchschnittsalter und einen mittleren BMI sowie einen erhöhten Nüchternblutzucker charakterisiert. Cluster 3 bestand aus 501 Teilnehmerinnen (43,4%), welche vom Alter her Cluster 1 ähnelten, jedoch mit überwiegend normalem BMI und erhöhten Glukosewerten nach der Belastung (OGTT60 und OGTT120).
Die klinischen Outcomes wurden zunächst im Trainingsdatensatz analysiert. Der Bedarf an blutzuckersenkenden Medikamenten war in Cluster 1 (39,6%) deutlich höher als in Cluster 2 (12,9%) und Cluster 3 (10,0%). Ebenso kamen die Outcomes Geburtsgewicht >4000g und Geburtsgewicht über der 90. Perzentile („large for gestational age“; LGA) in Cluster 1 ebenfalls (19,7% bzw. 30,5%) im Vergleich zu Cluster 2 (12,1% und 22,4%) und Cluster 3 (13,1% und 22,0%) häufiger vor. Darüber hinaus wurden signifikante Unterschiede im Basenüberschuss der Neugeborenen zwischen Cluster 1 und Cluster 3 festgestellt, sowohl bei niedrigen als auch bei Werten im Normbereich.
Der Unterschied bei der Häufigkeit der Medikamentenverschreibung zwischen Cluster 1 und den Clustern 2 und 3 wurde im Berliner Testdatensatz beschrieben. Im Wiener Testdatensatz bestätigten sich ebenfalls die höheren Verschreibungsraten in Cluster 1, der größere Anteil an LGA-Neugeborenen, die höheren Geburtsgewichtsperzentilen sowie die Unterschiede im Basenüberschuss zwischen Cluster 1 und Cluster 3.
Für die externe Validierungskohorte (Wiener Testdatensatz) lagen einige Ergebnisse vor, die im Berliner Datensatz nicht enthalten waren. Bemerkenswert war, dass bei allen pharmakologischen Behandlungsformen, mit Ausnahme der alleinigen Anwendung von Metformin, signifikante Unterschiede zwischen den Clustern festgestellt wurden. In Cluster 1 war der Insulinbedarf mit 68,1% deutlich höher als in Cluster 2 (32,9%) und Cluster 3 (29,0%). Auch die Anwendung von kurz wirksamem Insulin war in Cluster 1 (34,5%) höher als in Cluster 2 (6,6%) und Cluster 3 (14,7%), wobei ebenfalls ein signifikanter Unterschied zwischen Cluster 2 und Cluster 3 festgestellt wurde. Der Einsatz von NPH-Insulin war ebenfalls in Cluster 1 (54,9%) am höchsten, verglichen mit Cluster 2 (32,1%) und Cluster 3 (24,7%), wobei es im Cluster 2 im Vergleich zu Cluster 3 häufiger eingesetzt wurde. Auch der Gebrauch von lang wirksamem Insulin war in Cluster 1 (10,0%) deutlich höher als in Cluster 2 (0,4%) und Cluster 3 (1,0%).
Vorteile von Clustern und Anwendung im klinischen Alltag
Während sich Prädiktoren in der Regel auf ein einzelnes Ergebnis (zum Beispiel das Risiko für einen medikamentösen Behandlungsbedarf) konzentrieren, haben clusterbasierte Ansätze das Potenzial, eine ganzheitlichere Sicht auf die zu untersuchende Krankheit zu bieten und so aussagekräftige Phänotypen der Krankheit zu identifizieren. Ein weiterer Vorteil ist, dass Clusterdefinitionen durch die Spezifizierung weiterer Merkmale in zukünftigen Studien nach und nach verbessert werden können.
Praxistipp
Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Studie wurde eine App zur Clusterbestimmung für den klinischen Einsatz entwickelt. Sie ist unter https://clugdm.shinyapps.io/clugdm/ verfügbar.Dieser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er leicht in der klinischen Praxis umsetzbar ist, da die definierten GDM-Cluster auf lediglich fünf Routinevariablen basieren: Alter, präkonzeptionellem BMI und drei OGTT-Glukosewerten. Auf Grundlage dieses Ansatzes kann jeder behandelnde Arzt seine Patientinnen mit GDM unkompliziert einem Cluster zuordnen. Dies bringt mehrere klinische Vorteile mit sich. Für Patientinnen, die Cluster 1 zugeordnet sind, wird der Arzt sich des erhöhten Risikos bewusst, dass blutzuckersenkende Medikamente, insbesondere hohe Insulindosen, notwendig sein könnten, was auf einen möglicherweise aggressiveren Dosierungsbedarf hinweist. Andererseits könnten Patientinnen in Cluster 1, die für eine umfassende Lebensstilintervention geeignet sind, durch gezielte Schulungsprogramme unterstützt werden, um möglicherweise eine medikamentöse Behandlung zu vermeiden. Ebenso wird der Arzt bei der Unterscheidung zwischen Patientinnen in Cluster 2 und Cluster 3 wissen, dass unterschiedliche Behandlungsansätze erforderlich sind. Beispielsweise benötigen Patientinnen in Cluster 3 eher schnell wirksame Insulinpräparate, während bei Patientinnen in Cluster 2 häufiger Insuline mit intermediärer Wirkung angezeigt sind.
Insgesamt bietet diese Methodik erste vielversprechende Ansätze zur Orientierung personalisierter Behandlungsstrategien und zur Verbesserung des Verständnisses der Heterogenität von GDM.
Literatur:
1 Tura A et al.: Progression to type 2 diabetes in women with former gestational diabetes: time trajectories of metabolic parameters. PloS One 2012; 7(11): e50419 2 Chung WK et al.: Precision Medicine in Diabetes: A Consensus Report From the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care 2020; 43(7): 1617-35 3 Nolan JJ, Kahkoska AR et al.: ADA/EASD Precision Medicine in Diabetes Initiative: An International Perspective and Future Vision for Precision Medicine in Diabetes. Diabetes Care 2022; 45(2): 261-6 4 Florez JC, Pearson ER: A roadmap to achieve pharmacological precision medicine in diabetes. Diabetologia 2022; 65(11): 1830-8 5 Ahlqvist E et al.: Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6(5): 361-9 6 Sarría-Santamera A et al.: The identification of diabetes mellitus subtypes applying cluster analysis techniques: a systematic review. Int J Environ Res Public Health 2020; 17(24): 9523 7 Tanabe H et al.: Novel strategies for glycaemic control and preventing diabetic complications applying the clustering-based classification of adult-onset diabetes mellitus: a perspective. Diabetes Res Clin Pract 2021; 180: 109067 8 Powe CE et al.: Defining heterogeneity among women with gestational diabetes mellitus. Diabetes 2020; 69(10): 2064-74 9 Wexler DJ et al.: Research gaps in gestational diabetes mellitus: executive summary of a National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases Workshop. Obstet Gynecol 2018; 132(2): 496-505 10 Metzger BE et al.: International association of diabetes and pregnancy study groups recommendations on the diagnosis and classification of hyperglycemia in pregnancy. Diabetes Care 2010; 33(3): 676-82 11 Salvatori B et al.: Identification and validation of gestational diabetes subgroups by data-driven cluster analysis. Diabetologia 2024; 67(8): 1552-66
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