
Autoimmunphänomene bei Immuncheckpoint-Inhibitoren
Autorin:
Priv.-Doz. Dr. Gerlies Treiber
Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinik für Innere Medizin, Graz
E-Mail: gerlies.treiber@medunigraz.at
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Endokrinologische Nebenwirkungen von Immuncheckpoint-Inhibitoren wie Hypophysitis oder Schilddrüsenerkrankungen sind häufig komplex und erfordern eine frühzeitige Diagnose sowie einen dauerhaften Hormonersatz. Die Zusammenarbeit zwischen Endokrinologen und Onkologen ist dabei essenziell, um Patienten optimal zu betreuen und Therapieunterbrechungen zu vermeiden. Die Entwicklung von endokrinologischen Nebenwirkungen der Immuntherapie ist mit einem verlängerten Gesamtüberleben assoziiert.
Keypoints
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Endokrinologische irAE sind im Rahmen der Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren häufig.
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Regelmäßiges Labormonitoring ist essenziell, da Symptome oft unspezifisch sein können.
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Ein dauerhafter Hormonersatz ist meistens notwendig.
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Die Immuntherapie kann nach Stabilisierung fortgesetzt werden.
Die Immuntherapie mit den sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) hat die onkologische Behandlung von vor allem fortgeschrittenen Malignomen revolutioniert und vielfach die Gesamtüberlebensrate der Patienten deutlich verlängert. ICI sind Antikörper, die T-Zell-Signalkaskaden blockieren. Sie unterdrücken die vorgesehene Immunantwort auf Krebszellen und fördern damit eine antitumorale Immunreaktion.
Vier Hauptgruppen von ICI
1. CTLA4-Inhibitoren
Diese Antikörper blockieren das zytotoxische T-Lymphozyten-Antigen 4 (CTLA-4), das normalerweise die Aktivierung von T-Zellen hemmt. Im Sinne einer negativen Rückkopplungsschleife wird bei der Stimulation des T-Zell-Rezeptors (TCR) simultan auch CTLA-4 von der T-Zelle hinaufreguliert. CTLA-4 bindet dann mit höherer Affinität als CD-28 an die kostimulatorischen Liganden B7-1 und B7-2. Im Gegensatz zu CD-28 wirkt es dabei hemmend auf die T-Zell-Aktivierung und bremst sie somit ein.
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Beispiele für CTLA-Inhibitoren: Ipilimumab, Tremelimumab
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Einsatz: besonders bei metastasiertem Melanom, bei nichtkleinzelligem Lungenkarzinom und bei Nierenzellkarzinom
2. PD-1-Inhibitoren
PD-1-Inhibitoren blockieren den Rezeptor „programmed cell death protein 1“ (PD-1) auf T-Zellen, der die Immunantwort auf Tumorzellen abschwächt. PD-1 ist genau wie CTLA-4 ein wichtiger kostimulatorisch-inhibitorisch wirkender Rezeptor. Physiologisch dient PD-1 in erster Linie der peripheren Immuntoleranz. Ähnlich wie bei CTLA-4 existiert ein negativer Feedbackmechanismus, wobei PD-1 von T-Zellen, aber auch von anderen Immunzellen im aktivierten Zustand exprimiert wird.
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Beispiele für PD-1-Inhibitoren: Nivolumab, Pembrolizumab, Cemiplimab, Dostarlimab, Tislelizumab
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Einsatz: breite Anwendung bei malignen Melanomen, bei nichtkleinzelligem Lungenkarzinom, beim Nierenzellkarzinom und bei anderen soliden Tumoren des gastrointestinalen Trakts sowie bei tripelnegativem Brustkrebs und anderen Tumoren.
3. PD-L1-Inhibitoren
Der PD-1-Rezeptor auf den T-Zellen bindet an seine Liganden PD-L1 und PD-L2. Diese werden auf der Oberfläche von Tumorzellen sowie auch tumorinfiltrierenden Makrophagen exprimiert. Diese Bindung löst eine Kaskade von T-Zell-hemmenden Prozessen aus, die als T-Zell-Erschöpfung beschrieben wird. PD-1- sowie auch PD-L1-gerichtete Antikörper verhindern diese Bindung, wodurch die T-Zell-Erschöpfung unterbunden und eine antitumorale T-Zell-Aktivität ermöglicht wird.
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Beispiele für PD-L1-Inhibitoren: Atezolizumab, Durvalumab, Avelumab
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Einsatz: Behandlung von kleinzelligem und nichtkleinzelligem Lungenkarzinom, Harnblasenkarzinom, tripelnegativem Brustkrebs und von anderen Tumoren.
4. LAG-3-Inhibitoren
Das LAG-3(„lymphocyte activation gene 3“)-Protein ist ein Checkpoint-Rezeptor auf verschiedenen Immunzellen, der mit verschiedenen Faktoren des Tumormikromilieus interagiert. Diese Interaktion führt zu einer reduzierten Produktion von Interleukin 2 (IL-2) und Interferon-gamma (IFN-γ). Das LAG-3-Protein ist in verschiedenen Tumortypen weitverbreitet und moduliert die Tumormikroumgebung durch immunsuppressive Effekte. LAG-3-Inhibitoren verstärken die Immunreaktion gegen Tumoren. Aktuell laufen etliche klinische Studien mit zielgerichteten LAG-3-Therapien, die wiederum in drei Gruppen unterteilt werden können: monoklonale Anti-LAG-3-Antikörper, bispezifische Anti-LAG-3-Antikörper mit zwei Antigentargets (z.B. LAG-3 und PD-1) und soluble LAG-3-Ig-Fusionsproteine. Relatlimab ist der erste LAG-3-Inhibitor, der für den Einsatz beim malignen Melanom zugelassen ist.
Immunvermittelte Nebenwirkungen
Da ICI systemisch das Immunsystem stimulieren, kann es neben der gewünschten Wirkung gegen Tumorzellen auch zu Autoimmunreaktionen in anderen Organen oder Geweben kommen. Das Risiko, unter ICI-Therapie immunmediierte Nebenwirkungen (irAE) zu erleiden, ist beträchtlich. Bei einer Monotherapie mit CTLA-4-Inhibitoren beträgt das Risiko ca. 72% (für ein „high-grade event“ 24–34%). Bei einer Monotherapie mit PD-1/PD-L1-Inhibitoren liegt das Risiko für eine irAE bei ca. 66–74% (für ein „high-grade event“ bei 14–21%). Bei Kombinationstherapien ist das Risiko wesentlich höher und es kommt zur Manifestation von irAE bei ca. 88–94,9% der Patienten (für ein „high-grade event“ liegt das Risiko hier bei 41–59%).
Häufig betroffene Organe sind der Darm, die Lunge, die Leber, Haut und endokrine Organe. Seltener betroffene Organsysteme sind das Nervensystem, die Muskulatur, das Herz, die Niere und das blutbildende System. Kolitis, Hepatitis, Pneumonitis, Myositis oder Myokarditis können in schweren Fällen lebensbedrohlich sein und eine immunsuppressive Therapie mit hochdosierten Glukokortikoiden erfordern. Die am häufigsten letal verlaufende Manifestation ist die Myokarditis (39,7%). Eine deutlich geringere Letalität von jeweils ≤5% wurde bisher für Kolitis, Hypophysitis und Adrenalitis berichtet. Der genaue Wirkmechanismus dieser immunmediierten Toxizität ist dabei noch nicht gänzlich aufgeklärt. Im Mittelpunkt des Pathomechanismus von irAE stehen CD-8+-T-Zellen, die durch ICI aktiviert werden. Bei manchen irAE spielen zudem aktivierte B-Zellen, autoreaktive Antikörper, inflammatorische Zytokine oder das Darmmikrobiom eine Rolle.
Endokrinopathien haben sich als eine wichtige Gruppe von irAE herauskristallisiert. Während die meisten irAE durch ein schnelles Absetzen der ICI und die Gabe von Glukokortikoiden reversibel sind, bleiben ICI-mediierte Endokrinopathien jedoch in der Regel bestehen und erfordern eine lebenslange Hormonersatztherapie. Unbehandelte Endokrinopathien wie Hypophysitis, Addison-Krise oder diabetische Ketoazidose im Rahmen einer Diabetesmanifestation können lebensbedrohlich sein. Die Inzidenz von endokrinen irAE unterscheidet sich jedoch je nach betroffenem Organ und Art der ICI-Therapie.
Schilddrüse
Praxistipp
Unter einer ICI-Therapie können Autoimmunreaktionen in Organen oder Geweben als unerwünschte Nebenwirkung auftreten, sodass sich vor und während der Therapie ein regelmäßiges endokrinologisches Monitoring empfiehlt.Schilddrüsenfunktionsstörungen durch ICI zeigen typischerweise einen biphasischen Verlauf. Initial zeigen sich eine Hyperthyreose im Rahmen einer immunmediierten Thyreoditis und nachfolgend eine Hypothyreose. Die Inzidenz liegt bei einer ICI-Monotherapie zwischen 5 und 10% und steigt bei Kombinationstherapien auf 15–20% an. Schilddrüsenantikörper liegen meistens nicht vor, was auf eine zellvermittelte Autoimmunreaktion hindeutet. Wenn Patienten jedoch bereits vorbestehende Antikörper gegen Thyreoperoxidase(TPO) oder Thyreoglobulin haben, ist das Risiko für eine irAE der Schilddrüse höher (20–50%) als ohne vorbestehende Antikörper (1–2,5%). Die ICI-Therapie wird nur bei ausgeprägter Symptomatik einer Hyperthyreose pausiert. Eine symptomatische Therapie der transienten Hyperthyreose erfolgt mit Propranolol (z.B. Inderal 10–40mg bis 3x tgl.). Eine Therapie mit Thiamazol ist nur bei einer Manifestation eines Morbus Basedow indiziert. Die Gabe von Cortison ist nur bei einer endokrinen Orbitopathie angezeigt.
Hypophyse
Die Hypophysitis oder Hypophyseninsuffizienz trifft ca. 10% der Patienten unter CTLA-4-Inhibitoren, während sie nur zu 0,5–1% bei Patienten mit Monotherapie mit PD-1- oder PD-1L-Inhibitoren auftritt. Die Patienten werden einerseits mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen symptomatisch oder zeigen andererseits Symptome durch die sekundäre Nebenniereninsuffizienz in Form von Müdigkeit, Übelkeit, Hypotension bis hin zur Addisonkrise. Bei mehr als zwei Dritteln der Patienten kommt es zu einem Ausfall von zwei oder mehr hypophysären Hormonachsen. Eine Beeinträchtigung der Neurohypophyse mit der Ausbildung eines sekundären Diabetes insipidus ist sowohl bei CTLA-4- als auch bei durch PD-1-Inhibitoren induzierter Hypophysitis selten (2–3%). Masseneffekte durch die entzündliche Vergrößerung der Hypophyse führen bei Hypophysitis häufiger durch CTLA-4-Inhibitoren zu Symptomen als durch PD-1-Inhibitoren. Dazu zählen Kopfschmerzen (60% vs. 4%; p<0,001) und Sehstörungen (8% vs. 0%; p=0,015).
Eine kraniale Magnetresonanztomografie inklusive Abbildung der Hypophyse ist beim Auftreten von Hypophysitis auch zum Ausschluss von Gehirnmetastasen indiziert. Die Gabe von Hochdosis-Cortison führt zu keiner Verbesserung der Hypophysitis. Nach Einleitung der hypophysären Hormonersatztherapie und Stabilisierung des Patienten kann die ICI-Therapie wieder fortgesetzt werden.
Nebenniere
Die primäre Nebenniereninsuffizienz im Rahmen von ICI-Therapie ist eine seltene endokrinologische irAE. Die klinische Präsentation ähnelt jener des sekundären Hypokortisolismus mit zusätzlichem Auftreten von Hyperkaliämie und einer metabolischen Azidose. Analog zur ICI-mediierten Hypophysitis kann nach Einleitung von Hydrocortison und Stabilisierung des Allgemeinzustandes die ICI-Therapie wieder fortgesetzt werden.
Inselzellen des Pankreas
ICI-assozierter Diabetes mellitus ist ebenso eine seltene endokrinologische irAE, er beruht auf einem Insulinmangel aufgrund einer immunmediierten Zerstörung der Betazellen vor allem durch PD-1/PD-1L-Inhibitoren. Typischerweise kommt es zu einer raschen Entwicklung und 75% der Patienten manifestieren mit einer diabetischen Ketoazidose. Im Labor zeigen sich deutlich reduzierte Werte für C-Peptid, in 52% eine Lipaseerhöhung und in 53% der Fälle der Nachweis von Typ-1-Diabetes-spezifischen Autoantikörpern. Eine dauerhafte Insulintherapie ist notwendig. Häufiger treten Hyperglykämien im Rahmen der Therapie von irAE durch längere Hochdosis-Cortison-Gaben auf.
Fazit
Folgende Empfehlungen zum endokrinologischen Monitoring bei ICI-Therapien können ausgesprochen werden:
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Vor der Immuntherapie: TSH, fT3, fT4, Cortisol, ACTH und Glukose kontrollieren.
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Während der Immuntherapie: monatliche laborchemische Kontrollen inkl. TSH, fT3, fT4, Cortisol, ACTH und Glukose in den ersten 6 Monaten, danach alle 3 Monate bei ausgeprägter Leistungsminderung, Hypotonie, Hyponatriämie vorzeitige Laborkontrolle inklusive eines kompletten Hypophysenhormonstatus und bei Hyperglykämie Ketone sowie eine Blutgasanalyse.
Literatur:
● Basudan AM: The role of immune checkpoint inhibitors in cancer therapy. Clin Pract 2022; 13(1): 22-40 ● Sauer N et al.: LAG-3 as a potent target for novel anticancer therapies of a wide range of tumors. Int J Mol Sci 2022; 23(17): 9958 ● Postow MA et al.: Immune-related adverse events associated with immune checkpoint blockade. N Engl J Med 2018; 378(2): 158-68 ● Wright JJ et al.: Endocrine toxicities of immune checkpoint inhibitors. Nat Rev Endocrinol 2021; 17(7): 389-99 ● Theiler-Schwetz V et al.: Schilddrüsenfunktionsstörungen unter Immuncheckpointinhibitortherapie. J Klin Endokrinol Stoffw 2020; 13: 115-8 ● Haanen J et al.: Management of toxicities from immunotherapy: ESMO clinical practice guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2022; 33(12): 1217-38 ● Husebye ES et al.: Endocrine-related adverse conditions in patients receiving immune checkpoint inhibition: an ESE clinical practice guideline. Eur J Endrocrinol 2022; 187(6): G1-21 ● de Filette JM et al.: Immune checkpoint inhibitors and type 1 diabetes mellitus: a case report and systematic review. Eur J Endocrinol 2019; 181(3): 363-74
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