Insulinpumpe & Körpertraining: neue Konsensusempfehlungen vor Publikation
Bericht:
Reno Barth
Regelmäßige körperliche Aktivität und Bewegung sind essenzielle Bestandteile des Diabetesmanagements sowohl bei Typ-2- als auch bei Typ-1-Diabetes. Unter Insulintherapie sind bestimmte Vorkehrungen zu treffen und Regeln einzuhalten. Die European Association for the Study of Diabetes (EASD) und die International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD) haben für die Pumpentherapie nun ein gemeinsames Positionspapier zur automatischen Insulinabgabe bei körperlicher Aktivität und Training vorgestellt, dessen Publikation in Kürze erfolgen soll.1
Keypoints
-
Im Positionspapier von EASD und ISPAD wird empfohlen, körperliche Anstrengung wie z.B. Training so weit wie möglich vorauszuplanen.
-
Körperliche Aktivität soll dem AID-System am besten ein bis zwei Stunden im Voraus angekündigt werden.
-
Die Ankündigungsfunktion der AID-Systeme wird im Alltag oft nicht genutzt, was das Hypoglykämierisiko erhöht.
Detaillierte Informationen über das Management von körperlicher Aktivität bei der Nutzung von Systemen mit automatischer Insulinabgabe („automated insulin delivery“; AID) liefert das neue Positionspapier der EASD und der ISPAD sowohl für Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene mit Typ-1-Diabetes (T1D). Diese Systeme bestehen aus einer Insulinpumpe und einem CGM-Sensor, der mit der Pumpe kommuniziert. Obwohl in den vergangenen Jahren mehrere klinische Studien und Übersichtsarbeiten zu verschiedenen AID-Systemen und körperlicher Aktivität veröffentlicht wurden, fehlten bisher einheitliche Empfehlungen. „Körperliche Aktivität hat unmittelbare Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel und diese Auswirkungen hängen von der Art der Bewegung ab“, so Dr. Klemen Dovc, Universitätskinderspital, Ljubljana, Slowenien. Aerobes Ausdauertraining stellt andere Anforderungen an die Kohlenhydrataufnahme und Insulinzufuhr als Krafttraining oder Wettkampfsport. Daher empfehlen EASD und ISPAD einen personalisierten Zugang zur Verwendung von AID im Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung.
„Aufgrund der Komplexität der Situation von Insulintherapie und körperlicher Aktivität ist eine Planung von Training und körperlicher Aktivität empfehlenswert“, erläutert Dovc. Der Experte betont, dass die Pumpentherapie heute im Management des Typ-1-Diabetes die Methode der Wahl ist und in allen Altersgruppen zum Einsatz kommt, zumal AID-Systeme die Zeit im Zielbereich verlängern und das Risiko von Hypoglykämien bei körperlicher Belastung reduzieren.
Körperliche Aktivität ein bis zwei Stunden vorher ankündigen
Die Pumpen verfügen über eine Funktion zur Ankündigung erhöhter körperlicher Aktivität. „Je nach Pumpe hat diese Funktion eine unterschiedliche Bezeichnung, wie beispielsweise ,höheres Glukoseziel‘ oder ,Aktivitätsmodus‘“, so Dovc. Die Ankündigung an das System sollte vorab und rechtzeitig erfolgen. Studiendaten zeigen, dass Ankündigungen 90 Minuten vor Trainingsbeginn besser sind als 45 Minuten.Die Ankündigung an die Pumpe volle zwei Stunden vor der körperlichen Aktivität durchzuführen stellt kein Sicherheitsproblem dar. Das Risiko von Hypoglykämien ist dann am höchsten, wenn die Ankündigung zeitgleich mit dem Beginn der Aktivität erfolgt.2,3 Daher empfiehlt der Konsensus, ein Training ein bis zwei Stunden vor Beginn anzukündigen. Dazu werden detaillierte Empfehlungen für alle derzeit in Europa auf dem Markt befindlichen Systeme gegeben. Jedes verfügbare AID-System wird einzeln angeführt.
Die Kohlenhydratzufuhr während der körperlichen Aktivität sollte sich nicht nur nach den aktuell gemessenen Werten, sondern auch nach den Trendpfeilen des kontinuierlichen Glukosemonitorings (CGM) richten. „Es ist auch bei einem automatisierten System wichtig, auf den Sensor zu schauen und sein Verhalten entsprechend anzupassen“, so Dovc. Das gilt auch für die Zeit nach dem Training. Ist die Blutglukose in dieser Phase zu hoch (über 15mmol/mol oder 270mg/d), sollte eine Ketonmessung erwogen werden. Bei niedrigen Werten empfiehlt es sich, die Einstellung „höheres Glukoseziel“ für bis zu zwei Stunden beizubehalten und unter Umständen bis zu 20g Kohlenhydrate zuzuführen. „Der Konsensus empfiehlt einen Plan für körperliche Aktivität bei AID, der die Zeit vor der Aktivität, während der Aktivität und nach der Aktivität abdeckt.“
Körperliche Aktivität nach Mahlzeiten besonders heikel
Praxistipp
Die Steigerung der Awareness von Menschen mit AID-Systemen für die Zusatzfunktionen der Geräte könnte dazu beitragen, bei körperlicher Aktivität bzw. Sport durch eine adaptierte Insulinzufuhr Hypoglykämien zu vermeiden.„Einen schwierigeren Fall stellen die ungeplanten oder nicht planbaren körperlichen Anstrengungen dar“, so Prof. Dr. Michael Riddell, York University, Kanada. Diese können jederzeit im Alltag notwendig werden und erfordern ebenfalls Anpassungen der Insulinzufuhr und der Kohlenhydrataufnahme. Hinzu komme, dass laut Studiendaten auch vor planbarer körperlicher Aktivität die Ankündigungsfunktionen der AID-Systeme zu selten genützt werden.4 Besonders problematisch im Hinblick auf das Hypoglykämierisiko ist Anstrengung unmittelbar nach einer Mahlzeit, da zu diesem Zeitpunkt die Insulindosis an die Mahlzeit angepasst wurde. Jedenfalls empfiehlt der Konsensus bei Beginn einer ungeplanten körperlichen Anstrengung, ein höheres Glukoseziel einzustellen. „Es ist nicht so günstig wie eine Ankündigung 90 Minuten vor Beginn der Aktivität, aber es hat immer noch einen gewissen Effekt“, so der Experte. In nächster Instanz wäre es wichtig, Menschen, die ein AID-System benützen, darüber aufzuklären, zu welchen Zeiten und in welchen Situationen ihre Insulinspiegel hoch sind und ein höheres Risiko für Hypoglykämien besteht. Zusätzlich sollten anstrengende Aktivitäten vermieden werden, wenn die Glukose sehr hoch ist und der Ketonwert im Blut über 1,5mmol/l liegt.
Manche Sportarten erfordern das Abnehmen der Pumpe, beispielsweise wegen zu erwartenden Körperkontakts, Stürzen, u.v.m. In solchen Fällen ist es notwendig, das AID-System zu informieren, dass die automatische Insulinzufuhr unterbrochen wird. Auf dieser Basis kann das System die Daten nach dem Sport und wenn das AID-System wieder aktiviert wird, richtig interpretieren. Dies gilt auch dann, wenn das AID-System zwar angeschlossen bleibt, für die Dauer der Aktivität jedoch auf manuellen Modus umgestellt wird.
Quelle:
„Planned physical activity and exercise when using an AID system“, Vortrag von Dr. Klemen Dovc; „Spontaneous physical activity and exercise when using an AID-system“, Vortrag von Dr. Michael Riddell; präsentiert am EASD-Kongress am 12.September 2024 in Madrid
Literatur:
1 Moser O et al.: The use of automated insulin delivery (AID) around physical activity and exercise in type 1 diabetes: a position statement of the EASD and ISPAD. Präsentiert am EASD-Kongress 2024, Session 63 2 McCarthy OM et al.: Automated insulin delivery around exercise in adults with type 1 diabetes: a pilot randomized controlled study. Diabetes Technol Ther 2023; 25(7): 476-84 3 Morrison D et al.: Comparable glucose control with fast-acting insulin aspart versus insulin aspart using a second-generation hybrid closed-loop system during exercise. Diabetes Technol Ther 2022; 24(2): 93-101 4 Dovc K et al.: Impact of temporary glycemic target use in the hybrid and advanced hybrid closed-loop systems. Diabetes Technol Ther 2022; 24(11): 848-52
Das könnte Sie auch interessieren:
Diabetes erhöht das Sturzrisiko deutlich
Eine dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Patienten mit Typ-2-Diabetes öfter stürzen und häufiger Frakturen erleiden als Menschen aus einer ...
Neue Studiendaten zu Typ-2-Diabetes und Lebensstil
Dass gesunde Ernährung und Bewegung das Diabetesrisiko sowie verschiedene Risiken von Patienten mit Diabetes senken, ist seit Langem bekannt. Und das Detailwissen zur Bedeutung von ...
Wie oft wird Diabetes nicht oder spät erkannt?
Im Allgemeinen wird von einer hohen Dunkelziffer an Personen mit undiagnostiziertem Typ-2-Diabetes ausgegangen. Ein Teil davon sind von Ärzten „übersehene“ Fälle. Eine von der University ...