Kardio- und nephroprotektive Strategien gesucht!
Bericht:
Reno Barth
Ungeachtet aller Erfolge, die im Management dieser Erkrankung über die Jahrzehnte erreicht werden konnten, ist bei Menschen mit Typ-1-Diabetes (T1D) nach wie vor im Vergleich zu Gesunden eine erhöhte Mortalität zu verzeichnen. Enge glykämische Kontrolle alleine kann das Problem nicht lösen. Zu Wirksamkeit und Sicherheit mehrerer in der Prävention kardiovaskulärer und renaler Ereignisse empfohlener Substanzklassen fehlen in der T1D-Population aktuell noch Daten.
Keypoints
-
Personen mit T1D weisen im Vergleich zu Gesunden vielfältige Risiken (renal, kardiovaskulär u.v.m.) auf.
-
Eine optimale glykämische Einstellung reduziert Risiken, bringt sie jedoch nicht auf das Niveau der gesunden Normalbevölkerung.
-
Die Datenlage zu gezielten Interventionen zur renalen und kardiovaskulären Risikoreduktion bei T1D ist sehr dünn.
-
Sowohl SGLT2-Inhibitoren als auch GLP-1-Analoga werden in T1D-Populationen als „Add on“ zu Insulintherapien untersucht.
-
Die dänischen Steno-Zentren planen mit STENO-1 eine große Outcome-Studie zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse in einer T1D-Population.
Daten aus Schottland zeigen für Menschen mit T1D über den Lebensverlauf eine Erhöhung des Sterberisikos auf rund das 2,5-Fache, wobei insbesondere ab dem 60.Lebensjahr das Sterberisiko in der Diabetespopulation stark zunimmt.1 Für die erhöhte Mortalität verantwortlich gemacht werden kann die diabetische Nephropathie. „Praktisch jeder Mensch mit Typ-1-Diabetes entwickelt nach langer Krankheitsdauer von bis zu 50 Jahren irgendwann Makroproteinurie oder Nierenversagen“, so Prof. Dr. Rory McCrimmon, University of Dundee, Schottland, Großbritannien. Auch das Risiko, einen kardiovaskulären Tod zu sterben, ist mit Typ-1-Diabetes in jeder Altersgruppe höher als bei Gesunden.2
„Hier kommt ein neues Problem zum Tragen“, so der Experte: „Aktuelle Ernährungsgewohnheiten in Verbindung mit dem verbesserten Diabetesmanagement führen dazu, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes immer häufiger übergewichtig oder adipös werden. Dies kann im schlimmsten Fall zu Insulinresistenz und zum Doppel-diabetes führen.“ Daten aus der „Pittsburgh Epidemiology of Diabetes Complications“- Studie zeigen, dass in den Jahren 2004 bis 2007 bereits mehr als 50% der Menschen mit Typ-1-Diabetes übergewichtig oder adipös waren (Abb.1).3 „Studien aus anderen Teilen der Welt zeigen genau das Gleiche“, so McCrimmon. Mit dem Übergewicht steigt auch das Risiko, Hypertonie zu entwickeln und kardiovaskuläre Ereignisse zu erleiden.
Bessere Kontrolle des Blutzuckers löst nicht alle Probleme
Die intensivierte glykämische Kontrolle, wie sie seit einigen Jahren praktiziert wird, mildert zwar Probleme, aber kann sie alleine nicht lösen. Dies zeigen beispielsweise Daten der DCCT/EDIC-Forschungsgruppe, die über 25 Jahre im Vergleich zur konventionellen Therapie keinen relevanten Einfluss von intensivierteren Therapien auf das kardiovaskuläre Outcome fand.4 Mikroalbuminurie trat unter intensiver Therapie zwar seltener auf als unter konventioneller, war aber auch bei intensiv behandelten Patienten keineswegs selten.5
„Angesichts dieser Daten stellt sich die Frage, wie weit Menschen mit Typ-1-Diabetes von den Strategien profitieren können, die seit einigen Jahren im Rahmen des Managements eines Typ-2-Diabetes erfolgreich eingesetzt werden“, so Prof. Dr. Anand Srivastava, University of Illinois, USA. Die Datenlage dazu ist allerdings spärlich. Die nephroprotektive Wirkung von ACE-Hemmern in einer Typ-1-Diabetes-Population wurde vor mehr als 30 Jahren in einer placebokontrollierten Studie mit Risikoreduktionen in der Größenordnung von 50% demonstriert.6
Eine Substanzgruppe, die aus dem Management des Typ-2-Diabetes nicht mehr wegzudenken ist und sowohl renales als auch kardiovaskuläres Risiko reduziert, sind die ursprünglich zur Blutzuckerkontrolle entwickelten SGLT2-Inhibitoren. „SGLT2-Inhibitoren verlangsamen bei Menschen mit Typ-2-Diabetes die Abnahme der glomerulären Filtrationsrate und verbessern die Albumin-Kreatinin-Ratio im Harn.“7
Praxistipp
Es gibt einige Strategien zu kardio- sowie nephroprotektiven Ansätzen für Menschen mit Typ-1-Diabetes, jedoch fehlen aktuell noch prospektive Daten dazu, weshalb man derzeit auf etablierte Therapiestrategien zurückgreifen muss.Zum Einsatz von SGLT2-Inhibitoren als „Add-on“ in der T1D-Population liegt eine Reihe kleinerer Studien mit relativ kurzen Beobachtungszeiten vor, die eine Verbesserung der glykämischen Kontrolle zeigen. Die Effekte auf Nierenfunktion und Albuminurie sind vergleichbar mit jenen, die in der T2D-Population beobachtet wurden.8
Für den nichtsteroidalen Aldosteronantagonisten Finerenon, der sich als sowohl kardio- als auch nephroprotektiv erwiesen hat, liegen keine Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit in T1D-Populationen vor. Eine placebokontrollierte Studie (FINE-ONE) mit T1D-Patienten, die unter chronischer Nierenerkrankung leiden, läuft derzeit. Primärer Endpunkt ist die Veränderung der Albumin-Kreatinin-Ratio im Harn über sechs Monate.9
Die Gruppe der GLP-1-Analoga erwies sich bei Personen mit T2D als wirksam in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse, wie eine Metaanalyse von acht klinischen Studien zeigt.10 In der FLOW-Studie zeigte sich Semaglutid in einer Hochrisikopopulation mit chronischer Nierenerkrankung und Typ-2-Diabetes im Hinblick auf einen kombinierten renalen Endpunkt als protektiv, mit einer Risikoreduktion von 24%.11
REMODEL-T1D untersucht derzeit die Wirksamkeit von Semaglutid in einer T1D- Population mit hohem renalem Risiko. „Wir haben zahlreiche Strategien, die über die Insulintherapie hinaus zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Typ-1-Diabetes beitragen können, benötigen jedoch dringend mehr prospektive Daten und daher mehr Studien.“
STENO-1: ehrgeiziges Studienprojekt aus Dänemark
„Eine kardiovaskuläre Endpunktstudie in einer Population mit Typ-1-Diabetes wird derzeit an den Steno-Zentren in Dänemark geplant“, so Prof. Dr. Peter Rossing vom Steno Diabetes Center in Kopenhagen. Seit einer in den 1990er-Jahren erteilten Zulassung für Captopril gab es keine weiteren Zulassungen zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos von Menschen mit T1D. Die bestehende Evidenzlücke soll nun mit der Studie STENO-1 zumindest verkleinert werden. An der Studie sollen alle Diabeteszentren in Dänemark, Grönland und auf den Färöer-Inseln teilnehmen. Eingeschlossen werden Personen mit T1D plus kardiovaskulären Risikofaktoren im Alter über 40 Jahre. Primärer Endpunkt sind schwere kardiovaskuläre Ereignisse („major adverse cardiac events“; MACE). Darin wird mittels klassischer Interventionen zur Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren (Blutdruck, Plasmalipide, BMI, Albuminurie etc.) die Studienpopulation mit verfügbaren Therapien in für die Risikopopulationen anerkannten Zielbereichen behandelt. Erste Auswertungen sollen nach einem Jahr Beobachtung präsentiert werden. Die Rekrutierung hat bereits begonnen.
Quelle:
„Cardiovascular and kidney disease in type 1 diabetes“, Vortrag von Dr. Rory McCrimmon; „Which treatment options in type 2 diabetes could be harnessed for type 1 diabetes?“, Vortrag von Dr. Anand Srivastava, und „Design of cardiovascular outcome trial in type 1 diabetes“, Vortrag von Dr. Peter Rossing; präsentiert im Rahmen des EASD-Kongresses am 11.September 2024 in Madrid
Literatur:
1 Livingstone SJ et al.: Risk of cardiovascular disease and total mortality in adults with type 1 diabetes: Scottish registry linkage study. PLoS Med 2012; 9(10): e1001321 2 Lind M et al.: Glycemic control and excess mortality in type 1 diabetes. N Engl J Med 2014; 371(21): 1972-82 3 Conway B et al.: Temporal patterns in overweight and obesity in type 1 diabetes. Diabet Med 2010; 27(4): 398-404 4 DCCT/EDIC research group: Intensive diabetes treatment and cardiovascular outcomes in type 1 diabetes: the DCCT/EDIC Study 30-year follow-up. Diabetes Care 2016; 39(5): 686-93 5 DCCT/EDIC research group: Effect of intensive diabetes treatment on albuminuria in type 1 diabetes: long-term follow-up of the Diabetes Control and Complications Trial and Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications study. Lancet Diabetes Endocrinol 2014; 2(10): 793-800 6 Lewis EJ et al.: The effect of angiotensin-converting-enzyme inhibition on diabetic nephropathy. The Collaborative Study Group. N Engl J Med 1993; 329(20): 1456-62 7 Perkovic V et al.: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med 2019; 380(24): 2295-306 8 van Raalte DH et al.: Role of sodium-glucose cotransporter 2 inhibition to mitigate diabetic kidney disease risk in type 1 diabetes. 2020; 35(1): i24-32 9 Heerspink HJL et al.: Rationale and design of a randomised phase III registration trial investigating finerenone in participants with type 1 diabetes and chronic kidney disease: The FINE-ONE trial. Diabetes Res Clin Pract 2023; 204: 110908 10 Sattar N et al.: Cardiovascular, mortality, and kidney outcomes with GLP-1 receptor agonists in patients with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis of randomised trials. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9(10): 653-62 11 Perkovic V et al.: Effects of semaglutide on chronic kidney disease in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2024; 391(2): 109-21
Das könnte Sie auch interessieren:
Diabetes erhöht das Sturzrisiko deutlich
Eine dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Patienten mit Typ-2-Diabetes öfter stürzen und häufiger Frakturen erleiden als Menschen aus einer ...
Neue Studiendaten zu Typ-2-Diabetes und Lebensstil
Dass gesunde Ernährung und Bewegung das Diabetesrisiko sowie verschiedene Risiken von Patienten mit Diabetes senken, ist seit Langem bekannt. Und das Detailwissen zur Bedeutung von ...
Wie oft wird Diabetes nicht oder spät erkannt?
Im Allgemeinen wird von einer hohen Dunkelziffer an Personen mit undiagnostiziertem Typ-2-Diabetes ausgegangen. Ein Teil davon sind von Ärzten „übersehene“ Fälle. Eine von der University ...