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Probiotika und deren Anwendungsgebiete
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Autor:
Assoz. Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner
Universitätsklinik für Innere Medizin, Graz<br>E-Mail: vanessa.stadlbauer@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
22.12.2016
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<p class="article-intro">Vor allem bei Darmerkrankungen gibt es schon eindeutige Forschungsergebnisse, die die Verwendung von Probiotika zur Prophylaxe oder Therapie rechtfertigen. Es folgen laufend weitere spannende Anwendungsgebiete wie etwa Leberzirrhose und bis auf wenige Ausnahmen ist die Verwendung von Probiotika sicher. </p>
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<p class="article-content"><h2>Einleitung</h2> <p>Probiotika sind nach Definition der WHO „lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in ausreichender Menge konsumiert werden, einen gesundheitsfördernden Effekt haben“. Die Hypothese, dass bestimmte Bakterien gesundheitsfördernde Wirkungen haben könnten, ist bereits mehr als hundert Jahre alt. Der Nobelpreisträger Ilja Iljitsch Metschnikow schrieb in seinem Buch „L’Immunité dans les maladies infectieuses“ („Das Immunsystem bei Infektionskrankheiten“, 1901) milchsäureproduzierenden Bakterien im Joghurt einen lebensverlängernden Effekt zu. Die meisten probiotischen Keime stammen aus der Nahrungsmittelerzeugung oder von gesunden Menschen. Daher gelten Probiotika auch prinzipiell als sicher. Die Sicherheit von probiotischen Keimen wird durch die European Food Safety Authority (EFSA) gewährleistet. Alle mikrobiellen Spezies, die für Nahrungszwecke verwendet werden, durchlaufen einen „Qualified presumption of safety“(QPS)-Prozess. Dabei wird festgestellt, ob die taxonomische Einheit bekannt ist, und bewertet, ob die Gesamtheit des Wissens über Pathogenität, Einsatzziele und Sicherheit ausreicht. Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, bekommt der Stamm QPS-Status. Listen mit den Keimen, die QPS-Status haben, werden von der EFSA veröffentlicht. Bis auf wenige Ausnahmen (Herz-, Lungen- und Knochenmarktransplantierte, kritisch Erkrankte mit erhöhter Darmpermeabilität) gibt es daher keine Sicherheitsbedenken bei der Verwendung von probiotischen Keimen.</p> <p>Durch die rasante Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten, das Mikrobiom des Menschen in seiner Zusammensetzung und Funktion zu verstehen, hat auch die Probiotikaforschung profitiert. Mögliche Wirkungsweisen von probiotischen Keimen wurden entschlüsselt (Abb. 1). Natürlich treffen nicht alle diese Wirkmechanismen auf jeden probiotischen Stamm zu – es gibt nicht <em>das</em> Probiotikum, genauso wenig wie es <em>das</em> Antibiotikum gibt. Jeder untersuchte Stamm kann spezifische Wirkungen haben – wenn ein Bakterienstamm bei einer bestimmten Indikation keine Wirkung zeigt, kann daraus nicht geschlossen werden, dass die gesamte Gattung unwirksam ist. Als Beispiel sei erwähnt, dass <em>Enterococcus faecium </em>einerseits ein multiresistenter Problemkeim sein kann, andererseits der Stamm W54 die Ausschüttung von <em>Clostridium-difficile-</em>Toxin inhibieren kann. Ebenso stellt sich die Frage, ob Multispeziespräparate wirksamer sind als die Gabe eines einzelnen Stammes. Bisher deutet vieles auf eine bessere Wirksamkeit von Multispeziespräparaten hin, wobei es noch herauszufinden gilt, inwieweit das an synergistischen Effekten oder der meist höheren Gesamtdosis und damit besseren Bioverfügbarkeit im Darm liegt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1610_Weblinks_s14.jpg" alt="" width="1815" height="1345" /></p> <h2>Einsatzgebiete von Probiotika</h2> <p>Es gibt heutzutage schon zahlreiche gut untersuchte pro­biotische Stämme, die in verschiedenen Einsatzgebieten Wirkung zeigen. Neben den klassischen gastroenterologischen Fragestellungen, bei denen das Konzept der Beeinflussung des Darmmikrobioms, der Darmbarriere oder des Darmimmunsystems naheliegt, wird die Rolle des Darmmikrobioms auch bei anderen Erkrankungen immer bedeutsamer. Mittlerweile konnten dadurch schon Wirkungen von Probiotika auf Erkrankungen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt mit dem Darm assoziiert sind, nachgewiesen werden, wie zum Beispiel auf Migräne.</p> <p>Die Wirkung von Probiotika gilt in folgenden Indikationen als gesichert:</p> <ul> <li>bei akuter infektiöser Diarrhö im Kindesalter</li> <li>bei nekrotisierender Enterokolitis bei Neugeborenen</li> <li>zur Prophylaxe der antibiotikaassoziierten Diarrhö</li> <li>zur Rezidivprophylaxe der Colitis ulcerosa und Pouchitis</li> <li>zur Therapie des Reizdarmsyndroms</li> <li>Bei anderen Erkrankungen ist die Studienlage noch nicht so eindeutig, aber eine Wirkung ist sehr wahrscheinlich:</li> <li>zur Prävention der atopischen Dermatitis</li> <li>zur Prävention der Reisediarrhö</li> <li>zur Prävention postoperativer infektiöser Komplikationen</li> <li>zur Prophylaxe von Infektionen im Respirations- und Urogenitaltrakt</li> <li>zur Verbesserung der Lebersynthese bei Leberzirrhose</li> <li>zur Prophylaxe und Therapie der hepatischen Enzephalopathie bei Leberzirrhose</li> <li>als adjuvante Therapie gegen <em>Helicobacter pylori</em></li> <li>bei Migräne</li> </ul> <p>Weitere mögliche Einsatzgebiete, wo es allerdings noch keine eindeutigen positiven Daten beim Menschen gibt, sind: Adipositas und metabolisches Syndrom bzw. Typ-2-Diabetes, nicht alkoholische Fettleber und Laktosemalabsorption sowie beim kolorektalen Karzinom (und eventuell andere Tumorerkrankungen).</p> <h2>Probiotika bei Leberzirrhose</h2> <p>Am Beispiel der Leberzirrhose sollen nun die Bedeutung des Mikrobioms für die Pathogenese und der mögliche Benefit durch Probiotika dargestellt werden.</p> <p>Die Leberzirrhose als Endstadium aller chronischen Lebererkrankungen ist eine im Zunehmen begriffene Lebererkrankung, die mittlerweile in vielen Industrieländern unter den zehn häufigsten Todesursachen zu finden ist. Bei Leberzirrhose ist das Darmmikrobiom massiv in seiner Zusammensetzung gestört. Mittels neuer Sequenzierungstechniken konnten eine Verminderung der Diversität und ein Überwiegen von pathogenen Keimen bei gleichzeitigem Anstieg der Gesamtbakterienzahl nachgewiesen werden. Auffällig ist insbesondere eine „Oralisierung“ des Darmmikrobioms – es finden sich typische Mundkeime wie Veillonella und Streptococcus in vermehrter Anzahl im Darm. Parallel dazu nimmt die Anzahl an Bakterien, denen positive Wirkungen auf den Menschen zugeschrieben werden, wie z.B. <em>Faecalibacterium prausnitzii</em>, ab. Daher erscheint auch hier das Konzept der Modulation des Darmmikrobioms und/oder der Darmpermeabilität attraktiv.</p> <p>Eine häufige und gefürchtete Komplikation ist die hepatische Enzephalopathie (HE). Störungen im Darmmikrobiom und in der Darmbarriere tragen zur Pathogenese bei und sind therapeutisch im Fokus. Die derzeit in den Leitlinien empfohlenen spezifischen Therapien bei der episodischen HE sind ein Präbiotikum (Lactulose, Laevolac<sup>®</sup> oder Generika) und ein Antibiotikum (Rifaximin, Colidimin<sup>®</sup> oder Generika), obwohl die Studienlage für beide Substanzen (noch) nicht optimal ist. Vielversprechend sind Ergebnisse zur Behandlung der HE durch Probiotika. Mehrere randomisierte, kontrollierte Studien zeigten einen positiven Effekt von Probiotika, Präbiotika oder der Kombination aus beiden in Therapie und Prophylaxe der HE. Allerdings ist aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns (manche verglichen gegen Placebo, manche gegen Lactulose) und unterschiedlicher verwendeter Produkte (manche sind gar nicht kommerziell erhältlich) sowie der fraglichen Überlegenheit gegenüber der Standardtherapie mit Lactulose die therapeutische Relevanz dieser Therapieform noch nicht klar definiert. Daher gibt es aktuell auch noch keine Empfehlung einer Fachgesellschaft zur Verwendung von Pro­biotika; es müssen weitere, qualitativ hochwertige Studien durchgeführt werden.</p> <p>Je weiter fortgeschritten eine Lebererkrankung ist, desto wahrscheinlicher sind Komplikationen und desto höher ist die Mortalität. Eine Verbesserung der Leberfunktion bei fortgeschrittener Leberzirrhose ist nur schwierig zu erreichen. Die Behandlung der Grunderkrankung (was nicht immer in zufriedenstellendem Maß erreicht werden kann) und eine Lebertransplantation (die aufgrund von Patientenfaktoren und Mangel an Spenderorganen auch nicht für jeden Patienten infrage kommt) sind die heute verfügbaren Alternativen. Einige Pilotstudien zeigten bisher einen interessanten Trend in Richtung Besserung der Leberwerte, Endotoxinspiegel und Leberfunktion durch Probiotika. An der Medizinischen Universität Graz konnten wir kürzlich in einer randomisierten, placebokontrollierten Studie zeigen, dass ein Multispeziesprobiotikum (Omnibiotic<sup>®</sup> Hetox, Institut Allergosan, Abb. 2) die Leberfunktion, die angeborene Immunabwehr und die Lebensqualität verbessert, indem das Produkt die Zusammensetzung des Mikrobioms moduliert. Besonders hervorzuheben ist, dass die Compliance der Patienten exzellent war und es zu keinen schwerwiegenden Nebenwirkungen durch die Studienmedikation kam. Die Zahl der Studienabbrecher war in der Probiotikagruppe signifikant niedriger als in der Placebogruppe (1 versus 11 Patienten). Natürlich müssen diese Daten nun in einer multizentrischen Studie bestätigt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1610_Weblinks_s14_2.jpg" alt="" width="1369" height="742" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die Probiotikaforschung entwickelt sich rasch. Bei einigen Erkrankungen gibt es schon eindeutige Forschungsergebnisse, die die Verwendung von Probiotika zur Prophylaxe oder Therapie rechtfertigen. Durch intensive Forschungsbemühungen werden noch andere Anwendungsgebiete folgen. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Verwendung von Probiotika sicher. Bei Leberzirrhose ist die Anwendung sicher und kann die hepatische Enze­phalopathie, die Leberfunktion, die Immunfunktion und die Lebensqualität verbessern.</p></p>
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