Vom Nihil zur Notfalloperation
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Reinhold Kafka-Ritsch
Universitätsklinik für Viszeral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie
Department Operative Medizin
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: reinhold.kafka@tirol-kliniken.at
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Die Wahrscheinlichkeit, Divertikel auszubilden, steigt mit fortschreitendem Alter rasch an–besonders in der westlichen Welt. Symptomfreie Divertikel sind per se nicht als pathologisch zu werten. Kommt es jedoch zu einer Entzündung, stehen heute bei unkomplizierter bzw. komplizierter Divertikulitis, mit oder ohne Peritonitis, unterschiedliche Therapiealgorithmen zur Verfügung.
Keypoints
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Bei der unkomplizierten Divertikulitis empfiehlt sich zunächst Zurückhaltung mit antibiotischer oder probiotischer Therapie.
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Elektive Darmsanierungen müssen nur bei Fisteln, Stenosen oder Tumorverdacht erfolgen.
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Bei unklarer Indikation für oder gegen eine Darmresektion sollten die postoperativen Komplikationen gegen den Gewinn für die Lebensqualität abgewogen werden.
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Im Notfallmanagement bei septischen Patienten hat sich das „DamageControl“-Konzept bewährt.
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Die endgültige Versorgung kann auch noch nach der Notfallversorgung eventuell in Absprache mit dem Patienten erfolgen.
Abb. 1: Koloskopisches Bild von reizfreien asymptomatischen Divertikeln
Mit zunehmendem Lebensalter steigt, besonders in der westlichen Welt, die Wahrscheinlichkeit,Divertikel v.a. im distalen, linken Hemikolon auszubilden – auf über 60%im Alter von 80 Jahren. Neben der mechanischen Erklärung –zunehmende Druckerhöhung im distalen Kolon und eine Gewebsschwäche an den Durchtrittsstellen der Gefäße–gibt es verschiedenste andere Faktoren, die für das Entstehen von Divertikeln verantwortlich gemacht werden,beispielsweise die „Western Diet“ und deren Einfluss auf das Mikrobiom, Übergewicht, Bewegungsmangel oderdie Sitzposition beim Stuhlgang. Das Vorhandensein von Divertikeln ohne Symptome stellt per se kein Krankheitsbild dar und ist daher in keinem Fall eine Indikation zur Operation, egal wie dramatisch die Bildgebung auch sein mag (Abb.1).1
Antibiotika – ja oder nein?
Im klinischen Alltag bei der Abklärung von unspezifischen, abdominellen Beschwerden ist es oft schwierig, zwischen einer symptomatischen, unkomplizierten Divertikelerkrankung (SUDD) und einer Reizdarmsymtomatik zu unterscheiden. Seltener ist eine segmentale Kolitis im Rahmen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (IBD) differenzialdiagnostisch in Betracht zu ziehen. Bei sehr schwacher Datenlage wird bei der SUDD wahrscheinlich zu häufig ein topisches Antibiotikum (Rifaximin) rezeptiert. Eine Indikation zur Sigmaresektion ist nur in Ausnahmefällen bei schwerer Beeinträchtigung der Lebensqualität zu stellen. Dabei muss der Patient über die Komplikationsrate von bis zu 5% Anastomosendehiszenz mit möglicher Peritonitis und vorübergehendem Stoma und zusätzlich über 40% Wahrscheinlichkeit der wiederkehrenden bzw. persistierenden Schmerzsymptomatik aufgeklärt werden.2,3
Für die unkomplizierte Divertikulitis konnte weder in randomisierten Studien noch in einer Cochrane-Metaanalyse ein Vorteil für die generelle Indikation zur Antibiotikatherapie gezeigt werden. Ohne Vorliegen einer Makroperforation scheint sowohl ein systemisches als auch ein topisches Antibiotikum den Krankheitsverlauf nicht zu beeinflussen. Die aktuellen Empfehlungen der American Gastroenterological Association (AGA) lauten dementsprechend: „Antibiotics should be used selectively rather than routinely in patients with acute uncomplicated diverticulitis.“4 Laut dieser Publikation erlaubt die Datenlage ebenfalls keine eindeutigen Empfehlungen für die Gabe von nicht resorbierbaren Antibiotika, sodass man als ersten Schritt nur die Nahrungskarenz und Analgetikatherapie empfehlen kann –ganz im Sinne von „Abwarten und Tee trinken“. Ein wertvoller klinischer Parameter scheint ein CRP>10mg/dl zu sein, um ein CT zu indizieren und eine Makroperforation auszuschliessen. Dabei ist zu beachten, dass bei immunsupprimierten Patienten diese Werte nicht gelten und die Indikation zum CT und zurstationären Therapie niederschwellig zu stellen ist.5,6
Antibiotika und Nachsorge bei komplizierter Divertikulitis
Das Vermeiden einer Notfalllaparatomieist das Ziel bei der komplizierten Divertikulitis!
Kommt es zu einer Makroperforation und Ausbildung eines peridivertikulitischen Abszesses, sprechen wir von einer komplizierten Divertikulitis. In diesem Fall ist klarerweise die Indikation zur i.v. Antibiotikatherapie mit einem die Dickdarmflora abdeckenden Breitbandantibiotikum wie z.B.Amoxicillin/Clavulansäureoder Piperacillin/Tazobactam oder in Fällen von Penicillinallergie Ciproxin/Metronidazol gegeben. Bei Abszessen ab einer Größe von 3–5cm ist die radiologisch gezielte perkutane Pigtail-Drainage indiziert.7 Auch in dieser Situation ist es für den Patienten günstiger, eine Notfalllaparatomie zu vermeiden. Ein Großteil dieser Fälle kann so ausgeheilt werden.Eine Aufarbeitung eigener Daten hat gezeigt,dass beim Versagen der Drainage eine neuerliche Punktion selten erfolgreich ist und somit in diesem Fall die Indikation zur chirurgischen Sanierung gestellt werden sollte.
Die American Society of Colon and Rectal Surgeons(ASCRS) empfiehlt eine Koloskopie nach konservativer Ausheilung einer komplizierten Divertikulitis im Gegensatz zur unkomplizierten Divertikulitis, da in bis zu 12% der Fälle ein Malignom übersehen werden kann. Bei folgenloser Ausheilung ohne Stenose oder Fistel wird zumindest im amerikanischem Sprachraum wieder vermehrt zur elektiven Sigmaresektion geraten.8
Alternativen zur Notfallparatomie
Freie Luft peridivertikulär oder auch abseits der Perforationsstelle ist per se noch keine Indikation zur Notfalllaparatomie. Bei Fehlen eines akuten Abdomens und klinisch stabilen Patienten kann ein konservativer Therapieversuch mit Antibiotika gestartet werden, natürlich unter stationärer Beobachtung. Dies ist in ca. 50% erfolgreich.
Bei der freien Perforation mit generalisierter Peritonitis, welche übrigens in den meisten Fällen das Erstereignis einer Divertikulitis ist, bietet der Patient meist das klinische Bild eines akuten, brettharten Abdomens mit Abwehrspannung und ist klinisch instabil. Hier ist eine sofortige operative Sanierung indiziert und jede Stunde des Zuwartens mit erhöhter Mortalität verbunden. Die notfallmäßige Resektion und Ausleitung des Colon descendens als Stoma ist leider immer noch sehr verbreitet, speziell in Amerika. Das Problem sind die hohe Mortalität und Morbiditätsowie die relative niedrige Rate an Stoma-rückoperationen bei meist multimorbiden Patienten.9
Seit 2008 wurden Kohortenstudien publiziert, welche ein minimalinvasives Vorgehen mit Laparoskopie und Lavage ohne Resektion des befallenen Segmentes als erfolgreich beschrieben haben.10 In den neuesten randomisierten Studien zu diesem Thema konnten jedoch keine Reduktion der Mortalität sowie eine hohe Reoperationsrate beobachtet werden. Bei der kotigen Peritonitis (Abb. 2) wurden die schlechtesten Ergebnisse beobachtet. In der Langzeitanalyse des SCANDIV-Trials wird außerdem eine hohe Rate an sekundär notwendigen Sigmaresektionen beschrieben.11 Des Weiteren wurde in bis zu 4% der Fälle ein Karzinom übersehen, sodass diese Methode derzeit nicht routinemäßig empfohlen wird. In multizentrischen Studien konnte gezeigt werden, dass bei entsprechender Expertise bei hämodynamisch stabilen und immunkompetenten Patienten auch in der Akutsituation ein laparoskopisches Vorgehen und/oder eine primäre Anastomosierung durchführbar ist, mit ähnlicher Morbidität und Mortalität wie bei einer Hartmann-OP (Sigmoidektomie und terminales Kolonstoma).12
Abb. 2: Bild einer kotigen Peritonitis
Vorgehen beim septischen Abdomen
Für die Notfallsituation beim instabilen Patienten, welchehäufig in den Nachdienststunden und außerhalb regulärer Dienstzeiten auftritt, haben wir an unserer Abteilung ein „Damage control“-Konzept etabliert, welches das Ziel hat, den septischen Fokus so rasch wie möglich mittels Laparatomie und Lavagezu sanieren. Der Notfalleingriff wird einfach und kurz gestaltet im Sinne von rascher „source control“ mit limitierter Resektion oder auch nur Übernähung der Perforationsstelle, um den Patienten so rasch wie möglich auf der Intensivstation zu stabilisieren. Das Abdomen wird vorübergehend mit einem abdominellen Unterdrucksystem versorgt, sodass die Sekrete ständig abgesaugt werden und damit die Ausheilung der Peritonitis beschleunigt werden kann. Dieser Eingriff ist einfach und schnell und kann auch ohne Beisein eines kolorektalen Spezialisten durchgeführt werden.
Endgültige Versorgung nach Notfallmanagement
Der „Second look“-Eingriff nach 24–48Stunden sollte jedoch elektiv untertags unter Beiziehen eines kolorektalen Spezialisten durchgeführt werden. Die gewonnene Zeit erlaubt eine Erholung von der Sepsis bzw. Einschätzung der Situation und in manchen Fällen, in denen eine zwischenzeitliche Extubation möglich ist, auch ein Einbeziehen des Patienten zur Entscheidung über die definitive Versorgung. Im elektiven Eingriff kann dann die definitive Versorgung mit Entfernung der gesamten Hochdruckzone (Anastomose im oberen Rektumdrittel!) ausgeführt werden. Wir konnten zuletzt auch in einer prospektiv randomisierten Studie zeigen, dass mit dieser „Damage control“-Strategie ein Großteil der Patienten mit definitiver Versorgung und ohne Stoma entlassen werden kann.13 Dieses Konzept wurde bereits von der World Society of Emergency Surgery (WSES) als Therapieoption für das septische Abdomen aufgenommen.14
Zusammenfassung
Insgesamt wird bei der Therapie der unkomplizierten Sigmadivertikulitis bei zunehmender Inzidenz in der westlichen Gesellschaft Zurückhaltung in Bezug auf Therapie mit Antibiotika oder Therapie mit Probiotika empfohlen. Eine elektive Sanierung im Intervall ist generell nur bei einer Ausheilung mit Stenose oder Fistel indiziert. Ansonsten wird die Indikation zur Resektion im Einzelfall und restriktiv gestellt, wobei bei ungenauer Indikationsstellung der Gewinn für die Lebensqualität dem Risiko einer postoperativen Komplikation und wiederkehrender Symptomatik genau gegenübergestellt werden sollte. Eine Notfalloperation und eine Descendostomaanlage soll wann immer möglich verhindert werden, wobei Vorsicht bei immunsupprimierten Pateinten geboten ist. Ist beim septischen Patienten mit Peritonismus eine Notfalllaparatomie unumgänglich, sollte an eine „Damage control“-Strategie zur Vermeidung einer Hartmannsituation gedacht werden.
Literatur:
1 Strate LL, Morris AM: Epidemiology, pathophysiology, and treatment of diverticulitis. Gastroenterology 2019; 156(5): 1282-98.e1 2 Choi KK et al.: After elective sigmoid colectomy for diverticulitis, does recurrence-free mean symptom-free? AM Surg 2020; 86(1): 49-55 3 Bolkenstein HE et al.: Long-term outcome of surgery versus conservative management for recurrent and ongoing complaints after an episode of diverticulitis: 5-year follow-up results of a multicenter randomized controlled trial (DIRECT-Trial). Ann Surg 2019; 269(4): 612-20 4 Yang XY et al.: American Gastroenterological Association Institute guideline on the role of upper gastrointestinal biopsy to evaluate dyspepsia in the adult patient in the absence of visible mucosal lesions. Gastroenterology 2015; 149(4): 1082-7 5 van de Wall BJM et al.: The value of inflammation markers and body temperature in acute diverticulitis. Colorectal Dis 2013; 15(5): 621-2 6 Kechagias A et al.: The role of C-reactive protein in the prediction of the clinical severity of acute diverticulitis. Am Surg 2014; 80(4): 391-5 7 Lamb et.al Elective resection versus observation after nonoperative management of complicated diverticulitis with abscess: a systematic review and meta-analysis. Dis Colon Rectum 2014; 57(12): 1430-40 8 Hall J et al.: The American Society of Colon and Rectal Surgeons clinical practice guidelines for the treatment of left-sided colonic diverticulitis. Dis Colon Rectum 2020; 63(6): 728-47 9 Vennix S et al.: Emergency laparoscopic sigmoidectomy for perforated diverticulitis with generalised peritonitis: A systematic review. Dig Surg 2016; 33(1): 1-7 10 Myers E et al.: Laparoscopic peritoneal lavage for generalized peritonitis due to perforated diverticulitis. Br J Surg 2008; 95(1): 97-101 11 Azhar N et al.: Laparoscopic lavage vs.primary resection for acute perforated diverticulitis: Long-term outcomes from the scandinavian diverticulitis (SCANDIV) randomized clinical trial. JAMA Surg 2021; 156(2): 121-7 12 Lambrichts DPV et al.: Hartmann‘s procedure versus sigmoidectomy with primary anastomosis for perforated diverticulitis with purulent or faecal peritonitis (LADIES): a multicentre, parallel-group, randomised, open-label, superiority trial. Lancet Gastroenterol Hepatol 2019; 4(8): 599-610 13 Kafka-Ritsch R et al.: Prospectively randomized controlled trial on damage control surgery for perforated diverticulitis with generalized peritonitis. World J Surg 2020; 44(12): 4098-105 14 Sartelli M et al.: 2020 update of the WSES guidelines for the management of acute colonic diverticulitis in the emergency setting. World J Emerg Surg 2020; 15(1): 32
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