
Die stille Kündigung – Quiet Quitting
Autorin:
Gerlinde Weilguny-Schöfl, DGKP, BSc
ehem. Leiterin des Pflegebereichs Endoskopie und der Ambulanzen der Universitätsklinik für Innere Medizin III
AKH Wien
E-Mail: gerlinde.weilguny@gmx.at
Das Phänomen Quiet Quitting, das das Verhalten von Mitarbeiter:innen beschreibt, die ihr Engagement in der Arbeit auf ein Minimum reduzieren, betrifft auch den Gesundheitsbereich. Wegen vermehrter Kündigungen durch das Krankenhauspersonal nach der Pandemie sind Minderbesetzungen in Abteilungen entstanden. Überforderung und Frustration haben in der Folge eine Spirale ausgelöst, die zum Rückzug in Quiet Quitting oder zu weiteren Kündigungen führt.
Keypoints
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Eine Umfrage ergab, dass im zweiten Quartal 2022 mehr als die Hälfte der Beschäftigten in den USA als Quiet Quitter einzustufen waren.
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Trotz einer zunehmenden Zahl an Publikationen gibt es kaum wissenschaftliche Daten, die Quiet Quitting quantifizieren und die wirtschaftlichen Auswirkungen evaluieren.
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Die Ursachen des Phänomens der Quiet Quitter speziell in der Arbeitswelt im Krankenhaus sind komplex. Insbesondere führen Überforderung und Frustration zu Kündigungen oder zum Rückzug in Quiet Quitting.
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Daten weisen darauf hin, dass Unterstützung durch die Krankenhaus- und Abteilungsleitung die Unzufriedenheit der Mitarbeiter:innen und in der Folge die Kündigungsabsicht vermindert.
Sie kennen Arbeitnehmer:innen, die sich anscheinend nicht mehr wohl fühlen auf ihrem Arbeitsplatz, nicht kündigen, jedoch Einsatz sowie Engagement auf ein Minimum drosseln, nie freiwillig zusätzliche Aufgaben übernehmen und besonders auf ihr persönliches Wohlbefinden achten? Dieses Phänomen nennt man Quiet Quitting. Mitarbeiter:innen „kündigen“ stillschweigend als Alternative zur offiziellen Kündigung, meist aufgrund mangelnder extrinsischer Motivation, wegen Burnout oder aus Groll gegen ihre Vorgesetzten und Arbeitgeber:innen.1
Terminus Quiet Quitting
Der Terminus Quiet Quitting ging 2022 auf TikTok und anderen sozialen Medien viral. Trotz einer wachsenden Zahl an Publikationen mangelt es an Forschungsergebnissen, die Quiet Quitting quantifizieren und die Auswirkungen auf die Wirtschaft messen. Wissenschaftliche Artikel konzentrieren sich hauptsächlich auf stationäre Auswirkungen und die Dringlichkeit, dass Arbeitgeber:innen beginnen, sich damit zu befassen.
In einer Umfrage des Gallup-Instituts zeigt sich, dass im zweiten Quartal 2022 mehr als die Hälfte der Beschäftigten in den USA als Quiet Quitter galten. Diese werden als nicht unbedingt unengagiert dargestellt, jedoch als emotional kaum mit dem Arbeitsplatz verbunden und als jene, die ihre Fähigkeiten nicht voll einsetzen. Nur 32% sind engagiert, während 18% desengagierte, „laute potenzielle Kündige-r:innen“ sind, die ihre Aufgaben unzureichend erfüllen und ihren Unmut in den sozialen Medien kundtun.2 Die von Gallup genannten Zahlen erscheinen hoch, was durch eine Metaanalyse von Guoilian Xu et al. mit über 23000 Pflegekräften bestätigt wird.3 Die Fluktuationsabsicht lag hier bei 27,7%. Bei den diversen Angaben in den Erhebungen zur Häufung an Quiet Quitters darf man außerdem die unterschiedliche Einstellung zur Arbeit mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Prägungen in den einzelnen Ländern und Kontinenten nicht außer Acht lassen.
In der Zeitschrift Fokus hält der Redakteur Christian Masengarb dem Phänomen Quiet Quitting entgegen, dass es auch in früheren Generationen Beschäftigte gab, die nicht durchgehend mit vollem Einsatz arbeiteten oder in weniger fordernde Berufsbereiche flüchteten. Die Transparenz durch soziale Medien habe diese Arbeitsmoral jedoch sichtbarer gemacht.4 Aus berufsethischer Sicht stellt ein emotionaler Rückzug von der Bindung zur Arbeit einen Widerspruch zu sozialen Berufsfeldern dar. Es sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben angestrebt werden.5
Viele Menschen leisten mit ihrem Arbeitseinsatz nach wie vor einen enormen positiven gesellschaftlichen Beitrag, nicht zuletzt deshalb, weil sowohl Anerkennung als auch positives Feedback an der Arbeitsstelle menschliche Grundbedürfnisse befriedigen. Ein gutes Einkommen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, spielt außerdem eine wesentliche Rolle. Stille Kündiger:innen sind vorerst unsichtbar, später reagieren sie mit totalem Rückzug oder sie verlassen ihre Arbeitsstelle. Petros Galanis et al. beschreiben in einer aktuellen Metaanalyse zur Fluktuation von Pflegekräften den Prozess bis zur Entscheidung, den Beruf aufzugeben, als schleichend und in drei Phasen ablaufend. In der ersten Phase reagieren die Mitarbeiter:innen auf negative Aspekte der Arbeit oder der Vorgesetzten, werden mit der Arbeit unzufrieden, zeigen geringeres Engagement, und ihre Bindung zum Unternehmen wird schwächer. In der zweiten Phase sehen die Mitarbeiter:innen die Kündigung als letzte Konsequenz, die eigene Situation zu verbessern. Wenn sie jetzt den Arbeitsplatz nicht verlassen, beginnt die dritte Phase, in der die Arbeitnehmer:innen ihr Verhalten stark ändern, sie verlieren ihren Arbeitswillen, kommen zu spät oder gar nicht zur Arbeit, führen nur absolut notwendige Arbeiten durch und weigern sich, Überstunden zu leisten.6
Zum Aufspüren von Quiet Quittern wurde ein eigenes Messinstrument entwickelt. Mit der Quiet Quitting Scale (QQS) werden drei Faktoren bewertet: Rückzug, fehlende Motivation und fehlende Initiative. Die Bewertung erfolgt auf einer Likert-Skala von 1 (geringes Ausmaß) bis 5 (hohes Ausmaß). Ein Wert über 2,06 deutet auf eine Person hin, die als Quiet Quittergilt (Tab. 1). Eine Möglichkeit zur Bewertung der Fluktuationsabsicht ist zum Beispiel die Frage: „Wie oft haben Sie ernsthaft darüber nachgedacht, den Arbeitsplatz zu wechseln?“ Diese Frage wird auf einer sechsstufigen Skala von 1 (selten) bis 6 (sehr häufig) beantwortet. Bei der Auswertung deuten Werte von vier oder mehr auf eine hohe Wahrscheinlichkeit hin, dass der Arbeitsplatz verlassen wird. Diese Frage hilft, zu erkennen, ob Mitarbeitende aus unterschiedlichen Gründen einen Arbeitsplatzwechsel in Erwägung ziehen.7,8
Überlegungen zu den Ursachen des Phänomens
Der Zeitgeist hat sich gewandelt. Die Babyboomer wurden von ihren Eltern dahingehend geprägt, dass man mit Lernwillen und harter Arbeit auch aus ärmlichen Verhältnissen heraus ein „besseres Leben“ erlangen kann. Dieses „bessere Leben“ war, wie auch heute noch, überwiegend definiert durch die Dinge des Lebens, die man sich leisten und mit Geld bezahlen kann. Auf die philosophische und soziologische Betrachtung eines „guten Lebens“ kann hier nicht weiter eingegangen werden. Gute Bildung, gute Ausbildung und Chancen für Aufstieg waren in Mitteleuropa erreichbar – es war eine Zeit des Aufbaus, der technischen und medialen Entwicklung. Menschen der jüngeren Generationen legen nun mehr Wert auf persönliche Erfüllung, wurden selbstbewusster (erzogen) und setzen sich intensiver mit globalen Themen auseinander. Wirtschaftliche Herausforderungen, Kriege und Umweltprobleme fördern zusätzlich die Reflexion über das eigene Leben.
Die Arbeitswelt im Krankenhaus hat sich in und nach der Pandemie verändert. Das Pflegepersonal und die Ärzt:innen waren nicht nur durch die erschwerten Arbeitsbedingungen in der Behandlung von Covid-Patient:innen gefordert, auch die privaten Verhältnisse wurden mit teilweise geschlossenen Schulen und Kindergärten schwieriger. In der Zeit nach der Pandemie kam es durch vermehrte Kündigungen im Gesundheitsbereich zurMinderbesetzung von Abteilungen. Die verbleibenden Mitarbeiter:innen sahen sich nun in einem Arbeitsumfeld, in dem sie zu wenig Zeit hatten, die täglichen Aufgaben ihren ethischen Vorstellungen entsprechend verrichten zu können. Sie wolltenjedoch so arbeiten, dass sie nach Dienstende mit dem Gefühl, sorgfältige Arbeit geleistet zu haben, nach Hause gehen konnten. Auf bestehende Dienstpläne konnte sich niemand mehr verlassen, Zusatzdienste und kurzfristiges Einspringen waren angesagt. Wenn nicht rasch neues Personal eingestellt wurde (weil es z.B. keine Bewerbungen gab oder zu wenig Druck nach oben ausgeübt wurde), konnten Überforderung und Frustration eine Spirale auslösen, die zu weiteren Kündigungen oder zum Rückzug in Quiet Quitting führte. Sichtbar sind die Folgen eines schlechten Personalschlüssels in einer schlechteren Versorgung der Patient:innen und in einer erhöhten Fehlerhäufigkeit. Nicht vergessen darf man außerdem, dass neues Personal eingeschult werden muss und ein bereits demotiviertes Team auch diese Aufgabe nicht mehr mit vollem Einsatz durchführen wird.
Der Personalmangel hat aber noch andere Effekte. Die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz ist einfach geworden und die Arbeitssuchenden sind sich bewusst, dass sie jetzt in die Rolle des/der „Fordernden“ schlüpfen können. Kommen potenzielle Arbeitgeber:innen z.B. der Forderung nach Teilzeitarbeit nicht nach, wendet man sich dem nächsten Stellenangebot zu.
Ansätze gegen Quiet Quitting
In dem systematischen Review von Petros Galanis et al. über acht Studien mit über 5700 Pflegepersonen wurde der Zusammenhang zwischen Unterstützung der jeweiligen Organisation und der Fluktuationsbereitschaft untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Unterstützung der Krankenhaus- und Abteilungsleitung die Unzufriedenheit der Mitarbeiter:innen und in der Folge die Kündigungsabsicht vermindert. Als wesentliche Faktoren eines Arbeitsplatzes, an dem man bleiben möchte, nennen die befragten Pflegepersonen ein angenehmes Arbeitsklima, einen guten Personalschlüssel, angemessene Arbeitsbelastung, zufriedenstellende Gehälter, Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, autonomes Arbeiten, Anerkennung des beruflichen Rollenbildes sowie Unterstützung durch unmittelbare Vorgesetzte.6
Laut Gallup-Umfrage2 haben nach der Pandemie insbesondere junge Mitarbeite-r:innen das Gefühl, dass ihnen nur wenige Möglichkeiten zur Weiterentwicklung angeboten werden, dass sie nicht gefördert werden und dass sich niemand sich um sie kümmert.Gallup schreibt es einem schlechten Management zu, dass nach der Pandemie mehr Arbeitnehmer:innen in Quiet Quitting ausweichen. Die Geschäftsleitungen werden deshalb aufgefordert, die Führungskräfte entsprechend den gesellschaftlichen Veränderungen zu schu-len. Es ist entscheidend, die individuellen Stärken und Schwächen der Mitarbeiter:innen zu kennen, aber auch deren individuelle Lebenssituationen in Entscheidungen und Gespräche miteinzubeziehen. Leitende müssen vorausblickende Zielvorgaben schaffen und mit den Mitarbeiter:innen die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit erarbeiten bzw. diskutieren. Die Kultur der Menschen, die zusammenarbeiten, soll einladen, zu bleiben, Mitarbeiter:innen sollen sich zugehörig fühlen können, und die Haltung einer Abteilung soll dahingehend gelenkt werden.2,9
Krzysztof Zieba beschreibt in seiner Arbeit, dass es als Belastung betrachtet wird, wenn für kurze Zeit definierte Zusatzaufgaben dauerhaft bestehen bleiben. Das könne selbst hochmotivierte Mitarbeite-r:innen frustrieren. Vorgesetzte sind deshalb aufgefordert, in regelmäßigen Abständen Verantwortung und Kernaufgaben neu und den Kompetenzen der Mitarbei-ter:innen entsprechend zu verteilen.10 Eine andere Studie befasst sich mit dem Zusammenhang von emotionaler Intelligenz und Quiet Quitting. Die Ergebnisse zeigen, dass höhere emotionale Intelligenz mit geringeren Kündigungsabsichten korreliert. Die Autor:innen empfehlen daher, Schulungen zur Förderung sozialer Kompetenzen, aber auch Stressbewältigungsstrategien im Gesundheitswesen anzubieten.7
Fazit
Moralischer Stress im Gesundheitswesen ist angesichts der komplexen ethnischen Herausforderungen und der Belastungsintensität des Berufs sowohl von Arbeitnehmer:innen als auch vom Management ernst zu nehmen. Ein permanentes Gefühl der Unfähigkeit, Handeln und ethische Überzeugungen in Einklang zu bringen, beeinflusst die Arbeitsfähigkeit und die Gesundheit der Betroffenen. Daher ist es vor allem für die Verantwortlichen im Krankenhausmanagement wichtig, diese Faktoren zu verstehen und ihnen entgegenzuwirken.11◼
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Literatur:
1 Serenko A: The human capital management perspective on quiet quitting: recommendations for employees, managers, and national policymakers. J Knowledge Management 2024; 28 (1): 27-43 2 Harter J: Is quiet quitting real? https://www.gallup.com/workplace/398306/quiet-quitting-real.aspx?version=print ; zuletzt aufgerufen am 18.8.2024 3 Xu G et al.: Global prevalence of turnover intention among intensive care nurses: A meta-analysis. Nurs Crit Care 2023; 28: 159-66 4 Masengarb Ch: Aus drei Gründen ist Quiet Quitting ein erfundener Trend. https://www.focus.de/finanzen/karriere/statistiken-falsch-verstanden-quiet-quitting-ist-ein-erfundener-trend_id_184020084.html ; zuletzt aufgerufen am 10.12.2024 5 Scheyett A: Quiet quitting. Soc Work 2022; 68 (1): 5-7 6 Galanis P et al.: Association between organizational support and turnover intention in nurses: a systematic review and meta-analysis. Healthcare (Basel) 2024; 12(3): 291 7 Galanis P et al.: Emotional intelligence protects nurses against quiet quitting, turnover intention, and job burnout. AIMS Public Health 2024; 11(2): 601-13 8 Galanis P et al.: Quiet quitting among employees: A proposed cut-off score for the “Quiet Quitting” Scale. Arch Hellenic Med 2024; 41: 381-387 9 Gilbert M: Five Ways HR can address employee disengagement and quiet quitting in 2024. https://www.inc.com/mandy-gilbert/5-ways-hr-can-address-employee-disengagement-quiet-quitting-in-2024.htm l; zuletzt aufgerufen am 10.12.2024 10 Zieba K: Great resignation and quiet quitting as post-pandemic dangers to knowledge management. European Conference on Knowledge Management 2023; 24(2): 1516-22 11 Koelhi T, Lidströmer N: Silent resignations: Navigating moral distress in healthcare – a literature review on quiet quitting. Cambridge Open Engage 2024; doi: 10.33774/coe-2024-dxxq3-v2
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