<p class="article-intro">Durch die Migrationsbewegungen trifft man in der Transfusionspraxis zunehmend auf Patienten mit sogenannten „Problemantikörpern“, welche gegen in der kaukasischen Bevölkerung häufig vorkommende Antigene gerichtet sind. In diesem Falle sind eine profunde Abklärung durch hochspezialisierte Labordiagnostik und eine ausreichende Vernetzung mit Spendediensten im In- und Ausland vonnöten, um entsprechend passende Spender zu rekrutieren.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Jede Bluttransfusion beinhaltet das Risiko einer Immunisierung durch die unvermeidliche Konfrontation des Immunsystems des Patienten mit fremden Antigenen des Spenders. Zur Verringerung dieses Risikos werden bei elektiven Transfusionen in der Regel neben den AB0-Antigenen die Rhesusantigene CcDEe und das K-Antigen kompatibel, also unter Vermeidung von fremden Antigenen, transfundiert. Für die verbleibenden zahlreichen Antigene wird eine Immunisierung bewusst in Kauf genommen. Nur wenn es dann im Einzelfall tatsächlich zu einer Immunisierung kommt, ist für die Zukunft die Auswahl eines Antigen-negativen Spenders zwingend erforderlich (Abb. 1).<br /> Blutgruppen-Antigene können nach ihrer Häufigkeit in drei Klassen eingeteilt werden: solche mit mittlerer Häufigkeit, sehr seltene („private“) und sehr häufige („öffentliche“). Solange Transfusionsempfänger und -Spender aus eng verwandten ethnischen bzw. genetischen Populationen stammen, machen alle drei Klassen von Antigenen selten Versorgungsprobleme (Abb. 2):</p>
<p class="article-intro">Durch die Migrationsbewegungen trifft man in der Transfusionspraxis zunehmend auf Patienten mit sogenannten „Problemantikörpern“, welche gegen in der kaukasischen Bevölkerung häufig vorkommende Antigene gerichtet sind. In diesem Falle sind eine profunde Abklärung durch hochspezialisierte Labordiagnostik und eine ausreichende Vernetzung mit Spendediensten im In- und Ausland vonnöten, um entsprechend passende Spender zu rekrutieren.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Jede Bluttransfusion beinhaltet das Risiko einer Immunisierung durch die unvermeidliche Konfrontation des Immunsystems des Patienten mit fremden Antigenen des Spenders. Zur Verringerung dieses Risikos werden bei elektiven Transfusionen in der Regel neben den AB0-Antigenen die Rhesusantigene CcDEe und das K-Antigen kompatibel, also unter Vermeidung von fremden Antigenen, transfundiert. Für die verbleibenden zahlreichen Antigene wird eine Immunisierung bewusst in Kauf genommen. Nur wenn es dann im Einzelfall tatsächlich zu einer Immunisierung kommt, ist für die Zukunft die Auswahl eines Antigen-negativen Spenders zwingend erforderlich (Abb. 1).<br /> Blutgruppen-Antigene können nach ihrer Häufigkeit in drei Klassen eingeteilt werden: solche mit mittlerer Häufigkeit, sehr seltene („private“) und sehr häufige („öffentliche“). Solange Transfusionsempfänger und -Spender aus eng verwandten ethnischen bzw. genetischen Populationen stammen, machen alle drei Klassen von Antigenen selten Versorgungsprobleme (Abb. 2):</p> <ul> <li>Antigene mit mittlerer Häufigkeit führen gelegentlich zur Antikörperbildung, weil die Konstellation „Spender positiv – Patient negativ“ statistisch gelegentlich unvermeidlich ist. In dem Fall sind aber auch Antigen-negative passende Spender in mittlerer Häufigkeit, also unproblematisch, verfügbar.</li> <li>Die sehr seltenen („privaten“) Antigene führen nur selten zur Immunisierung, weil sie eben selten sind, und wenn, sind Antigen-negative passende Spender die Regel.</li> <li>Die sehr häufigen („öffentlichen“) Antigene führen ebenfalls selten zur Immunisierung, da ja die Patienten nur selten immunisierbar sind. Kommt es allerdings doch einmal dazu, sind Spender kaum verfügbar.</li> </ul> <p><br /> Nun ist zu berücksichtigen, dass die Häufigkeit von Blutgruppenantigenen in verschiedenen Ethnien differiert. Probleme entstehen dann, wenn ein Antigen in der Patientenpopulation mittelhäufig oder gar selten ist, in der Spenderpopulation hingegen sehr häufig. In dem Fall sind gelegentliche Immunisierungen unvermeidlich, es finden sich dann aber kein Spender (Abb. 3). Diese „Problemantikörper“ gab es schon immer gelegentlich, durch die Migration sind sie aber viel häufiger geworden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2001_Weblinks_jat_onko_2001_s79_abb1_frohn.jpg" alt="" width="550" height="407" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2001_Weblinks_jat_onko_2001_s79_abb2_frohn.jpg" alt="" width="550" height="526" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2001_Weblinks_jat_onko_2001_s80_abb3_frohn.jpg" alt="" width="550" height="338" /></p> <h2>Fallbeispiel 1</h2> <p>Der Fall verlief folgendermaßen:</p> <ul> <li>Patientin: 29-jährige Schwangere, 2. Schwangerschaft, keine Angaben zur 1. Schwangerschaft (gebürtige Syrerin)</li> <li>Routineuntersuchung gemäß deutschen Mutterschaftsrichtlinien: positive Antikörpersuche; Differenzierung: Anti-U (Befund aus Speziallabor nach 3 Tagen!)</li> <li>Häufigkeit des U-Antigens: Europäer 99,8 % ; Araber 92 % .<sup>1</sup> Hier liegt also genau die oben angesprochene problematische Konstellation vor.</li> <li>Klinische Bedeutung: verursacht Morbus haemolyticus neonatorum und Transfusionsreaktionen.</li> <li>Klinischer Verlauf: Fetale Dopplersonografie zeigt keinen Hinweis auf fetale Hämolyse. Aber: Beckenendlage, Sectio wahrscheinlich, daher Bedarf an Erythrozytenkonzentraten (EK) „in Bereitschaft“</li> <li>U-negative Spender: in Deutschland praktisch nicht verfügbar (2 in Hagen; aber leider AB0-inkompatibel)</li> <li>Paris (Institut National de la Transfusion Sanguine [INTS]): 1 kryokonserviertes EK lieferbar; 1 „walking donor“; Kosten: 300€ je EK; Transport >1000€, Beschaffung in Amsterdam (Sanquin): noch teurer</li> <li>Bestellen in Paris „auf Abruf“ mit der Option, nicht benötige Konserven zurückzugeben, ist nicht möglich.</li> <li>Sectio findet unter der Voraussetzung statt, dass EK innerhalb von 24 Stunden verfügbar sind.</li> <li>Gesundes Kind ohne transfusionsbedürftige Anämie</li> <li>Die Patientin will nach Beendigung der Stillzeit selber spenden!</li> </ul> <p><br /> Migrationsbedingte Blutgruppenprobleme betreffen neben hämatoonkologischen Patienten insbesondere auch Schwangere, bei denen es dadurch zu einer Neugeborenenhämolyse kommen kann. Die Versorgung mit Blutkonserven für die Patientin selber oder für das Kind im Fall von Austauschtransfusionen war in diesem Fall nur über Blutspendeeinrichtungen im Ausland möglich. Die Zeit vom ersten auffälligen Befund bis zur sichergestellten Versorgung betrug eine Woche.</p> <h2>Fallbeispiel 2</h2> <p>Der Fall verlief folgendermaßen:</p> <ul> <li>Patient: 3-jähriges Kind mit Sichelzellanämie, Herkunftsland (der Eltern): Nigeria, anamnestisch bisher 17 Bluttransfusionen</li> <li>Jetzt Anti-U (s.o.)</li> <li>Wegen Komplikationen und Unmöglichkeit dauerhafter transfusionsmedizinischer Versorgung allogene Knochenmarkstransplantation (KMT) geplant</li> <li>Voraussetzung für KMT: Austauschtransfusion; Bedarf: 10 EK</li> <li>Bereitstellung durch Blutspendedienste unmöglich, aber Schwester (16 Jahre alt) ist U-negativ und AB0-kompatibel und kommt damit infrage.</li> <li>Nach gerichtlicher Klärung einer Spende trotz Minderjährigkeit Sammelphase über 2–3 Jahre, die EK werden kryokonserviert.</li> </ul> <p>Sichelzellpatienten tragen ein besonders hohes Risiko für eine Immunisierung gegen bei uns sehr häufige Antigene. Das liegt an der hohen Transfusionsfrequenz in Verbindung mit einer gesteigerten Immunisierbarkeit und natürlich an der Herkunft der Patienten. Eine Versorgung über Blutspendedienste im Fall von eiligen oder Massivtransfusionen ist auch unter größten Anstrengungen oft unmöglich, es bleibt manchmal nur die Transfusion unverträglichen Blutes unter entsprechender Immunsuppression bei vitaler Indikation.<br /> Dieses Beispiel stammt aus dem Erfahrungsschatz von Dr. Carlos Luis Jiménez Klingberg, welcher den Zentralbereich Stammzelle des Blutspendediensts West des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) leitet.</p> <h2>Essenz für die Praxis</h2> <p>Die unterschiedliche Blutgruppenverteilung bei unseren Spendern, die größtenteils „kaukasischer“ Herkunft sind, im Gegensatz zu der Blutgruppenverteilung bei Patienten afrikanischer Abstammung führt zunehmend zu Versorgungsproblemen. Typischerweise liegt die Konstellation „Antikörper beim Patienten gegen ein Antigen mit einer sehr hohen Häufigkeit bei den verfügbaren Spendern“ vor. Es sind insbesondere drei Antigene, die in dem Zusammenhang relevant sind: das U-Antigen (in den beiden Kasuistiken involviert), das Yt(a)(Cartwright a)-Antigen und das Fy3(Duffy 3)Antigen. Das Fehlen von Letzterem führt zu einer natürlichen Resistenz gegen eine Erkrankung mit Plasmodium vivax, weshalb der Fy3-negative Phänotyp in Zentralafrika die Regel ist, bei uns hingegen so gut wie nie vorkommt.<sup>2</sup><br /> Die betroffenen Patienten fallen initial meistens dadurch auf, dass das Blutgruppenlabor „Antikörper positiv, Spezifität nicht erkennbar“ meldet. Manchmal fällt auch der Begriff „panreaktive/panagglutinierende Antikörper“. An dieser Stelle ist durch die behandelnden Ärzte zu veranlassen, dass der Befund auch unter Inkaufnahme einer Probenversendung an ein Speziallabor abgeklärt wird. Dieser Prozess kann mehrere Tage dauern.<br /> Wenn dann die Spezifität feststeht, beginnt die Suche nach kompatiblen, also Antigen-negativen und auch ansonsten passenden Spendern. In Deutschland ist die Situation bisher unbefriedigend. Das DRK in Hagen in Kooperation mit weiteren Sendeeinrichtungen in Nordrhein- Westfalen verfügt über eine begrenzte Zahl geeigneter Spender<sup>3</sup> und arbeitet an einer Verbesserung der Situation („BluStar NRW“).<br /> In vielen Fällen wird man auf ausländische Spendedienste zurückgreifen müssen, insbesondere kommen das INTS in Paris und Sanquin in Amsterdam infrage. Die Konserven sind dort entweder kryokonserviert oder es sind Spender bekannt, die bei akutem Bedarf kontaktiert werden und dann (hoffentlich) kurzfristig spenden („walking donors“). Die Konserven kosten das Zigfache einer normalen Konserve aus Deutschland, hinzu kommt der finanziell und logistisch aufwendige Transport.<br /> Bei der vital indizierten Transfusion ist es wichtig zu beachten, dass eine Transfusion unter Missachtung nachgewiesener Blutgruppenantikörper mit dem Risiko einer hämolytischen Transfusionsreaktion einhergeht. Die Risiken sind im Einzelfall gegen das Risiko der Nichttransfusion abzuwägen. Es kann versucht werden, durch die Gabe von B-Zell-Antikörpern (Rituximab) oder auch Komplement- blockierenden Antikörpern (Eculizumab) die hämolytische Immunreaktion zu dämpfen.<sup>4</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die Versorgung von Patienten mit „Problemantikörpern“ gegen häufige Antigene wird zunehmend erforderlich werden und benötigt</p> <ul> <li>die Verfügbarkeit und Inanspruchnahme hochspezialisierter Labordiagnostik,</li> <li>eine gute Vernetzung mit den nationalen und internationalen Spendediensten,</li> <li>eine professionelle transeuropäische Logistik, welche den arzneimittelrechtlichen Belangen Rechnung trägt,</li> <li>eine Klärung der Kostenübernahme, die im Einzelfall beantragt werden muss und</li> <li>ein vorausschauendes Handeln der beteiligten Ärzte, um bereits beim ersten auffälligen Befund eine entsprechende Abklärung zu veranlassen.</li> </ul> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Reid ME et al.: The blood group antigen FactsBook. Academic Press 2012; 3. Auflage <strong>2</strong> Howes R et al.: The global distribution of the Duffy blood group. Nat Commun 2011; 2: 266 <strong>3</strong> Reimer T et al.: Andere Gene – gleiche Chancen. Hämotherapie 2018; 31: 38-40<strong> 4</strong> Pirenne F, Yazdanbakhsh K: How I safely transfuse patients with sickle-cell disease and manage delayed hemolytic transfusion reactions. Blood 2018; 131(25): 2773–81</p>
</div>
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