„Der Austausch ist in der Rheumatologie etwas ganz Wichtiges“
Unser Gesprächspartner:
Prof. Daniel Aletaha
Leiter der Klinischen Abteilung für
Rheumatologie der Universitätsklinik für Innere Medizin III, MedUni Wien,
Präsident der EULAR (European Alliance of Associations for Rheumatology)
Das Interview führte
Ulrike Arlt
Rheumatische Erkrankungen müssen früher erkannt und therapiert werden, fordert Prof. Daniel Aletaha, Präsident der EULAR. Auch digitale Tools können dabei helfen.
Herr Professor Aletaha, wie schätzen Sie die Qualität der Versorgung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein?
Prof. Daniel Aletaha: Aus der europäischen Perspektive liegen wir in Österreich wahrscheinlich im Mittelfeld. Das heißt nicht, dass es gut ist, wie es ist. Wir haben nur rund 300 Rheumatologen, auf die ein paar hunderttausend Betroffene kommen. Die genaue Zahl der Betroffenen ist nicht leicht festzulegen, denn es ist immer die Frage, welche Krankheitsbilder man dazuzählt. Im Volksmund ist Rheuma alles, was wehtut. Wir haben als Rheumatologen mehr oder weniger einen Fokus auf die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, aber ich glaube, dass die nichtentzündlichen einen sehr großen Impact haben und vor allen ein größeres „unmet need“ der Patienten, weil es hier noch keine Therapien gibt und weil viele Menschen betroffen sind.
Während der Sessions beim EULAR wurde oft darüber gesprochen, dass die Awareness für die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises immer noch zu niedrig ist. Woran liegt das?
Aletaha: Ich glaube, das liegt in der Natur der Erkrankungen, die auf den ersten Blick nicht lebensbedrohlich sind. Das ist allerdings ein Irrtum, denn viele der rheumatischen Erkrankungen sind lebensbedrohlich. Manche Diagnosen im rheumatologischen Bereich sind mit geringeren Lebenserwartungen als einige Krebserkrankungen verbunden, wie beispielsweise die Vaskulitiden. Das sind natürlich nicht die häufigsten Erkrankungen, mit denen die Rheumatologen konfrontiert werden. Die meisten rheumatischen Erkrankungen haben einen schleichenden oder moderat fortschreitenden Charakter und entwickeln dadurch nicht diese Dramatik, denn Dinge, die irgendwann in der Zukunft passieren, interessieren meistens die Menschen nicht so sehr. Und leider auch nicht die, welche die Mittel und Gelder zwischen verschiedenen Fachgebieten verteilen. Krebs und kardiovaskuläre Erkrankungen erregen mehr mediale Aufmerksamkeit aufgrund der Dramatik von Schlaganfällen, Herzinfarkten usw. Aber der sozioökonomische Impact von rheumatologischen Erkrankungen ist größer als der sozioökonomische Impact von anderen Erkrankungen. Dies zeigen Studien, denn viele Betroffene können im Verlauf der Erkrankung nicht mehr arbeiten, müssen früher in Pension gehen und benötigen Personen, die für sie sorgen, usw. Dazu kommen die Komorbiditäten der rheumatischen Erkrankungen, die dies noch dramatischer machen.
Wie könnte mehr Awareness für die Krankheit geschaffen und die Lebensqualität der Patienten verbessert werden?
Aletaha: Ganz wichtig ist die Frühdiagnose bei den entzündlichen Erkrankungen. Dabei geht es sehr viel um Awareness. Hier sind wir mit der Rheumatologie im digitalen Gesundheitsbereich angekommen, wir haben verschiedene Selbstmonitoring-Tools und Apps für Menschen, bei denen ein Risiko für diese Erkrankungen identifiziert wurde, z.B. weil es eine familiäre Disposition gibt oder Antikörper vorhanden sind, bei denen aber noch keine Erkrankung ausgebrochen ist. Bei solchen Risikogruppen ist es wichtig, frühzeitig ein Monitoring durchzuführen, gegebenenfalls auch digital. Solche digitalen Tools können uns in der Zukunft vielleicht helfen, eine Therapie früh einzuleiten, obwohl es viel zu wenige Rheumatologen gibt.
Ist auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig, um Früherkennung voranzutreiben?
Aletaha: Ja, auch das. Und es wird, wie gesagt, über digitale Tools gespielt werden müssen. Wir haben viele Fortbildungen auch mit niedergelassenen Allgemeinärzten gemacht. Diese Kolleginnen und Kollegen haben aber nicht nur an Rheuma zu denken, sondern an viele Erkrankungen, an die wir überhaupt nicht denken. Und dementsprechend ist es gut, wenn es zudem einen systematischen Approach über digitale Tools gibt, sozusagen als Hilfe, um die wichtigen Patienten zu uns zu schicken. Wir haben bei uns am AKH in Wien eine Früherkennungsambulanz eingeführt, bei der wir Patienten relativ rasch einen Termin geben können, um eine Triage zu bekommen und festzulegen, was zu tun ist. Das sind ganz kurze Gespräche, aber damit kann man die Betroffenen herausfischen, bei denen wir Rheumatologen mit unserer limitierten Workforce auch einen Unterschied machen können. Alle anderen, und das sind rund 80% derer, die sich bei uns präsentieren, können genausogut erst einmal beim Hausarzt betreut werden, weil keine so große Gefahr besteht. Und so versuchen wir, einen Unterschied zu machen, wo wir können.
Welches sind die größten „unmet needs“ der Patienten?
Für Patienten ist es wichtig, dass sie, wenn sie Beschwerden haben, die nicht nachlassen – und damit meine ich innerhalb von einigen Tagen und nicht innerhalb von einigen Monaten – Ärzte aufsuchen. Und dann ist es wichtig, dass die Ärzte auch rechtzeitig zum Spezialisten überweisen und dass der Spezialist rasch Termine hat,nicht erst in einem halben Jahr. Es bringt nichts, wenn ich einen Patienten schnell zum Hausarzt bringe, damit er dann ein halbes Jahr auf einen Fachtermin warten muss, denn an manchen Schrauben können nur wir als Rheumatologen drehen. An anderen Schrauben können allerdings die Patienten nur selbst drehen, und in diesem Zusammenhang sind Public-Awareness-Kampagnen wichtig. Wir haben vor Jahren den Rheuma-Bus in Wien auf dem Rathausplatz und an anderen schönen Orten aufgestellt, wo die Menschen spontan zum Gespräch hineinkommen konnten. Damals haben wir bei vielen Menschen entzündlich rheumatische Erkrankungen diagnostiziert, die davon gar nichts gewusst haben. Alleine aus dem Grund, weil sie unerwartet beim Facharzt waren. Und so haben wir versucht, diese Akutbegutachtung auch in unserer Ambulanz einzuführen. Es sollte schnell gehen, denn Zeit ist immer ein limitierender Faktor.
Erwächst aus den angeführten Punkten eine Forderung an das Gesundheitssystem? Was kann von dieser Seite für Rheumapatienten getan werden?
Vonseiten des Gesundheitssystems im weitesten Sinn wäre es nötig, rheumatische Dienstleistungen auch entsprechend zu valorisieren, dann gäbe es vielleicht mehr niedergelassene Rheumatologen. Im Moment gibt es fast nur Wahlärzte, weil kein Rheumatologe von den Kassenleistungen leben könnte, außer man beginnt, jedes Gelenk zu infiltrieren, obwohl es eigentlich nicht nötig ist. Diesen Anstand, das nicht zu tun, haben die meisten Kolleginnen und Kollegen. Wenn es Medikamente gibt, verschreibt man Medikamente, und dafür braucht es auch Spezialisten. Aber wenn ein Gespräch mit einem Patienten „nichts wert“ ist, dann können Rheumatologen, deren Hauptgeschäft es ist, komplexe Erkrankungen zu verstehen, Patienten aufzuklären, mit ihnen an einem Problem zu arbeiten, sie über Medikamente und Optionen aufzuklären, nicht ausreichend entlohnt werden.
Haben Sie eine Take-home-Message für Ihre Kollegen und Kolleginnen in der Rheumatologie? Was kann den Patienten helfen, was die Forschung weiterbringen?
Der Austausch ist in der Rheumatologie etwas ganz Wichtiges. Wir haben immer wieder Ärzte aus dem niedergelassenen Bereich bei uns in der Klinik, die vom Austausch sehr angetan sind. Denn Rheumatologie ist leider etwas, das oft in Isolation gemacht wird. Ich kann auch die Kollegen und Kolleginnen nur dazu motivieren, auf Fortbildungsveranstaltungen zu gehen. Und es gibt verschiedene Möglichkeiten, auch als niedergelassener Rheumatologe an wissenschaftlichen Projekten teilzunehmen. Wir haben z.B. ein neues Tool entwickelt, um Patienten, die außerhalb von Kliniken betreut werden, die Möglichkeit zu geben, in klinische Studien eingeschlossen zu werden. Sie können über ihren Arzt, der sich bei uns registriert, ein Vorscreening machen lassen, um die Chance zu erhalten, nicht nur die am Markt befindlichen Medikamente zu bekommen, sondern eben auch die „Spitze des Eisbergs“, die Medikamente, die in klinischen Studien zum Einsatz kommen. Dies bleibt meistens nur denen vorbehalten, die in klinischen Zentren betreut sind. Und dieses neue Tool kann für Rheumatologen im niedergelassenen Bereich, die einen Schritt weiter gehen wollen, sicher etwas Interessantes sein.
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