Mortalität bei Leberzirrhose und exklusiver Aszites-Dekompensation
Autoren:
Dr. Lorenz Balcar
Assoc. Prof. Doz. Dr. Thomas Reiberger
Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Medizinische Universität Wien
Korrespondierender Autor:
Dr. Lorenz Balcar
E-Mail: lorenz.balcar@meduniwien.ac.at
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Die hepatische Dekompensation stellt einen Wendepunkt im Krankheitsverlauf von Patient*innen mit Leberzirrhose dar. Aszites ist dabei das häufigste primäre Dekompensationsereignis. In einer Studie zeigen wir, dass der Schweregrad des Aszites mit der Sterblichkeit assoziiert ist und dass bei moderatem Aszites der prognostische MELD-Score den Ausgang der Erkrankung vorhersagen kann.
Keypoints
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Der klinische Verlauf von Patient*innen mit Leberzirrhose und singulärer primärer Aszitesdekompensation ist bisher nicht beschrieben.
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Der MELD-Score ist wichtig für die Risikovorhersage/-stratifizierung bei Aszites Grad 2, nicht aber bei Aszites Grad 3.
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Ein Schwellenwert von MELD-15 differenziert bei Patient*innen mit Aszites Grad 2 zwischen günstigem und schlechtem Outcome.
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Bei Aszites Grad 3 sollten die Behandlungsstrategien unabhängig vom MELD-Score intensiviert werden.
Es ist wenig über den klinischen Verlauf von Patient*innen bekannt, die Aszites als singuläres primäres Dekompensationsereignis entwickeln. Obwohl Aszites das häufigste primäre Dekompensationsereignis bei Leberzirrhose darstellt, ist der nachfolgende klinische Verlauf nicht gut definiert. Das ist unter anderem auch deswegen interessant, weil Aszites bereits von Hippokrates et al. diagnostiziert und behandelt wurde.
Aszites als Indexdekompensations-ereignis bei Patient*innen mit Leberzirrhose
Aszites per se beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern erhöht auch die Morbidität und Mortalität. Eine wegweisende Studie von D’Amico et al.1 zeigte, dass bei jedem/jeder 3. Patienten/Patient*in mit kompensierter Leberzirrhose Aszites das primäre dekompensierende Ereignis darstellt (33%), gefolgt von Varizenblutungen (10%) und Tod (10%).
Mit dem Baveno-VII-Konsensus (einer internationalen Arbeitsgruppe mit speziellem Interesse an der portalen Hypertonie)2 wurde das Behandlungsparadigma neuausgerichtet: Statt Aszites zu kontrollieren/zu behandeln, soll eine Prävention weiterer Dekompensationereignisse erfolgen. Dies wiederum erfordert eine umfassende und repräsentative Datensammlung über den klinischen Verlauf nach Aszites bei Patient*innen mit Leberzirrhose, welche die aktuellen klinischen Fortschritte in der Patientenversorgung (z.B. die Einführung nichtselektiver Betablocker in der täglichen Versorgung) berücksichtigt.
Um diese „Datenlücke“ zu schließen, haben wir mit unseren Kolleg*innen aus Padua zusammengearbeitet und uns auf den klinischen Verlauf von Patient*innen mit Leberzirrhose konzentriert. In dieser internationalen, multizentrischen Studie untersuchten wir die Häufigkeit von weiteren Dekompensationsereignissen und Risikofaktoren für die Mortalität.3
Insgesamt wurden 622 Patient*innen mit Leberzirrhose und Aszites als exklusive Indexdekompensation an zwei Universitätskliniken (Padua/Wien) zwischen 2003 und 2021 eingeschlossen. Weitere De-kompensationsereignisse, Lebertransplantationen und Todesfälle wurden erfasst.3
Pathophysiologische Überlegungen zu akuter/weiterer hepatischer Dekompensation
Die akute sowie die weitere hepatische Dekompensation sind Folgen eines komplexen pathomechanistischen Zusammenspiels zwischen systemischer Inflammation und portaler Hypertonie. Obwohl die Unterschiede im Schweregrad der portalen Hypertension bei Patient*innen mit kompensierter Leberzirrhose am stärksten ausgeprägt sind, sind die hämodynamischen Veränderungen und die kardiovaskulären (kompensatorischen) Pathomechanismen in dekompensierten Stadien und insbesondere bei refraktärem Aszites deutlich ausgeprägt.
Die kardialen Indizes sind bei Patient*innen mit aszitesbedingter Dekompensation am höchsten, was auf einen ausgeprägten hyperdynamischen Kreislauf mit niedrigem systemischem Gefäßwiderstand und splanchnischer Hyperperfusion hinweist, der möglicherweise zu niedrigem Blutdruck führt.4 Zu einem bestimmten Zeitpunkt, insbesondere wenn der Aszites refraktär wird, können die Patient*innen eine Verringerung des Herzzeitvolumens aufweisen, die vermutlich durch eine unzureichende inotrope und dromotrope Kompensation des Herzens bei fortgeschrittener Leberzirrhose verursacht wird. Darüber hinaus nimmt die systemische Inflammation in allen klinischen Stadien zu und ist bei Patien-t*innen mit dekompensierter Leberzirrhose am stärksten ausgeprägt.5 Somit kann eine systemische proinflammatorische Reaktion in Kombination mit kardiozirkulatorischem Stress aufgrund der tiefgreifenden, durch die portale Hypertension bedingten hämodynamischen Veränderungen rasch eine weitere Dekompensation auslösen und letztlich das Sterberisiko bei Patient*innen mit Leberzirrhose erhöhen.
Klinischer Verlauf von Patient*innen mit Leberzirrhose und singulärer Aszites-Indexdekompensation
Von den 622 inkludierten Patient*innen waren 68% männlich und 32% weiblich, mit einem Durchschnittsalter von 57±11 Jahren. Grundlegende Ursachen der Leberzirrhose waren v.a. alkoholbedingte (59%) und virale Lebererkrankungen(32%). Zum Studieneinschluss wiesen 323 (52%) der Patient*innen Aszites Grad 2 und 299 (48%) Grad 3 auf. Der mediane Child-Pugh-Score bei Indexdekompensation war 8 (IQR: 7–10) und der mittlere MELD-Score lag bei 15±6 Punkten.3
Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 49 Monaten traten bei 350 (56%) Patient*innen weitere Dekompensationsereignisse auf: refraktärer Aszites (n=130, 21%), hepatische Enzephalopathie (HE; n=112, 18%), spontane bakterielle Peritonitis (SBP; n=32, 5%), hepatorenales Syndrom – akute Nierenschädigung (HRS-AKI; n=29, 5%). Varizenblutungen als isoliertes weiteres Dekompensationsereignis waren selten (n=18, 3%), während weitere Nicht-Blutungsdekompensationen (n=161, 26%) und ≥2 weitere Dekompensationsereignisse (n=171, 27%) häufig waren.3
Patient*innen mit Aszites Grad 3 zum Zeitpunkt der Indexdekompensation hatten ein signifikant höheres Risiko, refraktären Aszites, SBP, HRS-AKI und HE-Episoden zu entwickeln, als Patient*innen mit Grad-2-Aszites. Das Risiko für eine Varizenblutung und für eine Pfortaderthrombose (PVT) war vergleichbar zwischen den beiden Gruppen.3
Bei Patient*innen mit Aszites Grad 2 wies ein MELD-Score ≥15 Punkten auf ein erhöhtes Risiko für eine weitere Dekompensation (1-Jahres-Inzidenzen: MELD<10: 10% vs. 10–14: 13% vs. ≥15: 28%) und Mortalität hin (1-Jahres-Inzidenzen: MELD<10: 3% vs. 10–14: 6% vs. ≥15: 14%). Im Gegensatz dazu war die Mortalität beiAszites Grad 3 in allen MELD-Strata ähnlich hoch (i.e., keine signifikanten Unterschiede zwischen den MELD-Strata; 1-Jahres-Inzidenzen: <10: 14% vs. 10–14: 15% vs. ≥15: 20%).3
Alter und Albumin waren unabhängige prognostische Marker für Mortalität. Der MELD-Score hatte v.a. bei Patient*innen mit Aszites Grad 2 prognostische Implikationen, während bei Patient*innen mit Aszites Grad 3 nur das Alter unabhängig mit der Mortalität assoziiert blieb.3
Temporäre Sequenz von weiteren Dekompensationsereignissen
Die Abbildung 1 zeigt die grafische Darstellung einer temporären Sequenz weiterer Dekompensationsereignisse. Ungefähr ein Viertel der inkludierten Patient*innen entwickelten nach Indexdekompensation kein weiteres Dekompensationsereignis (besonders, wenn sie sich mit Aszites Grad2zum Studieneinschluss präsentierten).3 Die Prävalenz weiterer Dekompensationsereignisse ist hoch, insbesondere bei Patient*innen mit AszitesGrad 3, v.a. refraktärer Aszites (21%) und HE (18%). Tod und Lebertransplantation nehmen verhältnismäßig mit der Anzahl der Dekompensationsereignisse drastisch zu. Einerseits gibt es Patient*innen mit akut dekompensierter Lebererkrankung, die ein akut-auf-chronisches Leberversagen (ACLF) entwickeln, das durch v.a. Infektionen oder Alkohol-Binge getriggert wurde, und eine extrem hohe Sterblichkeitsrate haben. Andererseits konnten wir auch zeigen, dass es Patient*innen gibt, die eine nichtakute hepatische Dekompensation (auch mit Aszites Grad 3) entwickeln, mit langem Krankheitsverlauf und multiplen Dekompensationsereignissen.3
Abb. 1: Sankey-Diagramm, das die zeitliche Abfolge weiterer Dekompensationsereignisse in Abhängigkeit von der Aszitesgraduierung und der Nachbeobachtungszeit darstellt (modifiziert nach Balcar L et al.2022)3
Zusammenfassung
Weitere Dekompensationsereignisse sind bei Patient*innen mit Aszites als singuläre Indexdekompensation generell häufig, Varizenblutungen sind jedoch selten. Für die Risikostratifizierung sollten sowohl die Aszites-Graduierung als auch der MELD-Score berücksichtigt werden.
Während Patient*Innen mit Aszites Grad 2 und MELD-Score-Werten <15 eine günstige Prognose haben, besteht bei Aszites Grad 3 – unabhängig vom MELD-Score – ein beträchtliches Risiko für weitere Dekompensationsereignisse und Mortalität, was eine dringende Intensivierung der Behandlungsstrategien rechtfertigt.
Literatur:
1 D‘Amico G et al.: Competing risks and prognostic stages of cirrhosis: a 25-year inception cohort study of 494 patients. Aliment Pharmacol Ther 2014; 39(10): 1180-93 2 de Franchis R et al.: Baveno VII – Renewing consensus in portal hypertension. J Hepatol 2022; 76(4): 959-74 3 Balcar L et al.: Risk of further decompensation/mortality in patients with cirrhosis and ascites as the first single decompensation event. JHEP Rep 2022; 4(8): 100513 4 Turco L et al.: Cardiopulmonary hemodynamics and C-reactive protein as prognostic indicators in compensated and decompensated cirrhosis. J Hepatol 2018; 68(5): 949-58 5 Costa D et al.: Systemic inflammation increases across distinct stages of advanced chronic liver disease and correlates with decompensation and mortality. J Hepatol 2021; 74(4): 819-28
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