OP-Freigabe bei Leberzirrhose
Autor:innen:
Dr. Alexander Akhgar
Dr. Sophie Gensluckner
Prim. Univ.-Prof. Dr. Elmar Aigner
Universitätsklinik für Innere Medizin I
mit Gastroenterologie-Hepatologie, Nephrologie, Stoffwechsel und Diabetologie
Universitätsklinikum Salzburg
Korrespondierender Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Elmar Aigner
E-Mail: e.aigner@salk.at
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Patient:innen mit Leberzirrhose haben ein erhöhtes Risiko für Komplikationen und eine erhöhte Mortalität – daher muss eine detaillierte präoperative Evaluierung erfolgen. Es stehen einige Scores zur Verfügung, die bei der Entscheidung für oder gegen eine Operation sowie für die Eingriffsart behilflich sein können.
Keypoints
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Zirrhose mit den Folgen der portalen Hypertension ist mit einer substanziellen Erhöhung der perioperativen Mortalität vergesellschaftet, eine exakte präoperative Risikoeinschätzung verbessert die Entscheidung für oder gegen eine Operation.
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Minimalinvasiv vor offen und elektiv vor Notfall sollte bei fortgeschrittener Lebererkrankung angestrebt werden, d.h. in Risikosituationen z.B. eine Hernienoperation elektiv planen, solange es möglich ist.
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Risikokalkulatoren sind im Alltag v.a. bei etablierter Zirrhose mit portaler Hypertension zur Einschätzung der perioperativen Mortalität und des postoperativen Dekompensationsrisikos hilfreich. Hier weist der VOCAL-Penn-Score praktische Vorteile auf.
Allgemeines perioperatives Management
Das perioperative Management von Patient:innen mit Leberzirrhose stellt eine besondere Herausforderung dar, da diese Patient:innen ein erhöhtes Risiko für Komplikationen während und nach chirurgischen Eingriffen haben. Bei der präoperativen Risikoevaluierung sind neben den allgemeinen Patientenfaktoren wie Alter, Allgemeinzustand, Komorbiditäten und ASA-Stadium spezielle leberspezifische Faktoren zu berücksichtigen, die das Outcome maßgeblich beeinflussen können. Zu den relevanten leberbezogenen Faktoren zählen die portale Hypertension, die eingeschränkte Synthesefunktion der Leber, ein geschwächtes Immunsystem, veränderte Gerinnung und Malnutrition mit Sarkopenie. Diese pathophysiologischen Veränderungen korrelieren mit dem Schweregrad der Lebererkrankung und führen zu einer ca. zwei- bis 16-fach erhöhten perioperativen Mortalität bei Patient:innen mit Leberzirrhose – abhängig vom Eingriff und vom Stadium der Erkrankung.
Prinzipielle Kontraindikationen für extrahepatische Eingriffe stellen eine schwere akute Hepatitis unabhängig von der Ätiologie, jedes akute Leberversagen und auch die alkoholische Steatohepatitis dar. In diesen Situationen sollte mit Ausnahme einer Lebertransplantation keine Operation angestrebt werden. Bei allen anderen Patient:innen sollten eine genaue Anamnese und klinische Untersuchung mit besonderem Augenmerk auf Zeichen der Dekompensation (Aszites, Enzephalopathie, vorausgegangene Varizenblutung) erfolgen. Ergänzend sollte eine Bildgebung mittels Sonografie oder CT durchgeführt werden, um Aszites und Splenomegalie als Zeichen der portalen Hypertension sowie das Vorliegen einer Pfortaderthrombose oder eines hepatozellulären Karzinoms zu beurteilen. Vor einer elektiven Operation sollte außerdem eine rezente endoskopische Abklärung auf das Vorliegen von Ösophagusvarizen erfolgt sein. Nach einer präoperativen Bandligatur sollte eine Wartezeit von 14 Tagen bis zur Operation eingehalten werden.
Algorithmen und Scores zur perioperativen Risikostratifizierung
Als Unterstützung für die klinische Entscheidung, ob eine Operation bei Patient:innen mit Leberzirrhose durchgeführt werden sollte, haben Jadaun et al. einen Algorithmus vorgeschlagen: Im Falle einer Notfalloperation sollten im Anbetracht der hohen Mortalität eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung und Konsensfindung mit dem Patienten bzw. der Patientin sowie den Angehörigen erfolgen. Bei elektiven Eingriffen sollten zunächst die Zirrhose und eine mögliche portale Hypertension durch weitere Untersuchungen bestätigt werden. Liegen diese vor, sollte eine Risikostratifizierung erfolgen. Bei niedrigem oder mäßigem Risiko kann eine Operation durchgeführt werden, während bei hohem Risiko vorrangig die Entscheidung bezüglich der Indikation zur Lebertransplantation getroffen werden sollte (Abb. 1).
Abb. 1: Algorithmus zum präoperativen Vorgehen bei Patient:innen mit chronischer Lebererkrankung (modifiziert nach Jadaun S, Saigal S 2022)
Zahlreiche Tools zur präoperativen Risikostratifizierung wurden entwickelt, um das OP-Risiko anhand klinisch verfügbarer Patienteninformationen abzuschätzen und als Entscheidungshilfe im klinischen Alltag zu dienen (Tab. 1). Der Child-Turcotte-Pugh(CTP)-Score und der MELD-Na(„model of end-stage liver disease – sodium“)-Score werden allgemein verwendet, um den Schweregrad der Lebererkrankung zu klassifizieren. Der CTP-Score errechnet sich aus Serumalbumin, Bilirubin, INR („international normalized ratio“) sowie zwei subjektiv zu bestimmenden Faktoren (Schweregrad von Aszites und Enzephalopathie). Eine perioperative Mortalität von ca. 10% für CTP A, 30% für CTP B und 80% für CTP C konnte in Studien für abdominelle und kardiothorakale Eingriffe gezeigt werden, was somit eine sehr gute Stratifizierung im Alltag erlaubt.
Tab. 1: Risikoscores zur Einschätzung des perioperativen Risikos mit den integrierten Faktoren
Der MELD-Na-Score errechnet sich aus vier Parametern (Kreatinin, Bilirubin, INR und Serumnatrium) und wird insbesondere zur Evaluierung der Dringlichkeit von Lebertransplantationen eingesetzt. Ein MELD-Na >26 ist mit einer perioperativen Mortalität >90% assoziiert.
Der erste Score zur expliziten Berechnung des perioperativen Risikos bei Patient:innen mit Leberzirrhose war der MRS (Mayo-Risk-Score). Zusätzlich zu Bilirubin, Albumin und INR werden hier das Patientenalter, der ASA-Score und die Ursache der Lebererkrankung miteinbezogen. Später wurde jedoch festgestellt, dass dieser Score das perioperative Risiko überschätzt und die Art der Operation nicht berücksichtigt. Deshalb wurde kürzlich ein neuer Score entwickelt und validiert, der VOCAL-Penn-Score (VPS). Dieser errechnet sich aus Serumalbumin, Bilirubin, Thrombozytenzahl, Art und Dringlichkeit der Operation, Fettleber, ASA und Adipositas. Der VPS zeigte eine bessere Einschätzung der 30-, 90- und 180-Tages-Mortalität im Vergleich zu anderen Scores. Außerdem lässt sich damit auch das Risiko einer Leberdekompensation 90 Tage nach der OP berechnen. Der VPS wurde zudem nach Leberresektionen geprüft und könnte zukünftig auch hier klinische Anwendung finden. Der VPS stellt aktuell wahrscheinlich das beste verfügbare Tool zur Risikostratifizierung vor der extrahepatischen Operation bei Leberzirrhose dar und sollte deshalb bevorzugt zur Anwendung kommen.
Risiko in Abhängigkeit von der geplanten Operation
Neben den allgemeinen und leberspezifischen Risikofaktoren hängt das Risiko auch maßgeblich von der Art der Operation ab. Mahmud et al. zeigten die größte Krankenhausmortalität für Patient:innen mit Leberzirrhose nach offenen Bauchoperationen, während bei laparoskopischen Verfahren die Mortalität deutlich niedriger war. Es sollte also bei abdominellen Eingriffen, falls möglich, immer ein laparoskopisches Vorgehen gewählt werden. Die zweithöchste Mortalität zeigte sich bei kardiovaskulären Eingriffen.
Häufige Operationsgründe bei Patient:innen mit Leberzirrhose sind Bauchwand- und Inguinalhernien, die bei 20% der Patient:innen mit Zirrhose und bei bis zu 40% der Patient:innen mit portaler Hypertension oder Aszites auftreten. Um postoperative Komplikationen wie Wunddehiszenz, Asziteslecks oder Hernienrezidive zu vermeiden, ist die präoperative Rekompensation besonders wichtig. Falls notwendig, kann vor der Operation eine TIPS-Anlage erfolgen. Mahmud et al. zeigten in einem Modell, dass aufgrund der hohen Mortalität bei Notfall-Hernienoperationen im Vergleich zu elektiven Operationen ein elektiver Hernienrepair bei symptomatischen Hernien bis zu einem MELD-Na-Score von 21 einem konservativen Vorgehen überlegen ist. Daraus lässt sich schließen, dass Patient:innen mit symptomatischer Bauchwandhernie und Leberzirrhose bis zu einem MELD-Na-Score von 21 von einer elektiven Hernienreparatur profitieren könnten, während bei einem MELD-Na-Score >21 eher ein konservatives Vorgehen gewählt werden sollte.
Eine weitere typische Operation bei Patient:innen mit Zirrhose ist die Cholezystektomie, da Gallensteine bei Zirrhosepatient:innen häufiger vorkommen als in der Normalbevölkerung. Eine elektive Cholezystektomie sollte bei fortgeschrittener Lebererkrankung aufgrund der hohen Mortalität vermieden und stattdessen im Rahmen einer möglichen Lebertransplantation durchgeführt werden. Falls eine Cholezystektomie unvermeidbar ist, sollte ein laparoskopisches Vorgehen gewählt werden.
Für große Herzoperationen wurde ein modifizierter MELD-Score entwickelt, der die INR ausschließt (perioperativ ist die Gerinnung meist iatrogen beeinflusst). Ab einem Wert von 13,5 oder bei Child-B- und -C-Zirrhose besteht eine Kontraindikation für große Herzoperationen. Bei fortgeschrittener Zirrhose sollten minimalinvasive Verfahren wie die Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI) gegenüber offenen Operationen bevorzugt werden. Herzkatheter und Koronarangiografien scheinen relativ sicher zu sein.
Auch kolorektale Operationen zeigen eine hohe Mortalität bei Patient:innen mit Zirrhose (26%). Wenn möglich, sollte auch hier ein laparoskopisches Vorgehen gewählt werden. Aszites sollte präoperativ unter Kontrolle gebracht werden, wobei hier eine präoperative TIPS-Anlage im Gegensatz zu Hernien kein verbessertes Outcome zeigte.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dassbei Patient:innen mit Lebererkrankung und geplanter Operation eine genaue präoperative Evaluierung des Schweregrades und möglicher Begleitpathologien erfolgensollte. Zur Risikostratifizierung wurden diverse Scores entwickelt, wobei der VOCAL-Penn-Score nach aktuellem Stand der Wissenschaft am ehesten zur Anwendung kommen sollte, jedoch sind die lange etablierten Scores Child-Pugh und MELD auch sehr gut geeignet. Weiterhin hängt das perioperative Risiko maßgeblich von der Art der Operation ab, wobei offene abdominelle Eingriffe mit dem höchsten Risiko für Komplikationen und Tod assoziiert sind. Bei hohem Risiko sollte primär eine Lebertransplantation vor einer elektiven Operation evaluiert werden.
Literatur:
● Hoteit MA: Model for end-stage liver disease score versus Child score in predicting the outcome of surgical procedures in patients with cirrhosis. World J Gastroenterol 2008; 14(11): 1774-80 ● Jadaun SS, Saigal S: Surgical risk assessment in patients with chronic liver diseases. J Clin Exp Hepatol 2022; 12(4): 1175-83 ● Kaltenbach MG, Mahmud N: Assessing the risk of surgery in patients with cirrhosis. Hepatol Commun 2023; 7(4): e0086 ● Laurence J: Laparoscopic or open cholecystectomy in cirrhosis: A systematic review of outcomes and meta-analysis of randomized trials. HPB (Oxford) 2012; 14(3): 153-61 ● Mahmud N et al.: Risk prediction models for postoperative decompensation and infection in patients with cirrhosis: a veterans affairs cohort study. Clin Gastroenterol Hepatol 2022; 20(5): e1121-34 ● Mahmud N et al.: External validation of the VOCAL-Penn cirrhosis surgical risk score in 2 large, independent health systems. Liver Transplant 2021; 27(7): 961-70 ● Mahmud N et al.: In-hospital mortality varies by procedure type among cirrhosis surgery admissions. Liver Int 2019, 39(8): 1394-9 ● Mahmud N et al.: Modeling optimal clinical thresholds for elective abdominal hernia repair in patients with cirrhosis. JAMA Netw Open 2022; 5(9): e2231601 ● Mansour A et al.: Abdominal operations in patients with cirrhosis: Still a major surgical challenge. Surgery 1997; 122(4): 730-6 ● Wong NZ, Mahmud N: The imperative for an updated cirrhosis surgical risk score. Ann Hepatol 2020; 19(4): 341-3
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