Mix aus Wissenschaft und Aktivismus
Bericht:
Mag. Birgit Leichsenring
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In Brisbane wurden auf der diesjährigen IAS-Konferenz Neuigkeiten rund um HIV präsentiert: Die erste HIV-Remission nach einer Stammzelltransplantation ohne die schützende CCR5-Mutation, der Einfluss der männlichen Beschneidung auf das HIV-Infektionsrisiko, aber auch die Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin wurden thematisiert.
Vom 23. bis 26. Juli 2023 fand im australischen Brisbane die 12. IAS Conference on HIV Science im Hybrid-Format statt. Der Kongress ist mit seinen ca. 5000 Teilnehmenden nach der Welt-AIDS-Konferenz das größte HIV-Treffen weltweit und zeichnet sich seit vielen Jahren durch eine Mischung aus biomedizinischen Themen und interdisziplinären Diskussionen mit teils aktivistischer Stimmung aus. Organisiert wird die Konferenz von der International AIDS Society (IAS), die mit über 15000 Mitgliedern aus 181 Ländern die größte Vereinigung im HIV-Bereich darstellt.
HIV-Elimination: globale Daten zeigen den Weg
Im Rahmen der IAS-Konferenz wurden neue globale Statistiken publiziert. Die Einschätzungen zeigen die gelungenen Erfolge, aber auch bestehende Hürden zum Erreichen des deklarierten Ziels „95:95:95“ auf.1 Statt 95% aller Menschen mit HIV sind 86% über ihren HIV-Status informiert. Von diesen Menschen erhalten nicht 95%, sondern 89% eine HIV-Therapie. Und von Menschen unter Therapie weisen 93% anstelle von 95% eine supprimierte Viruslast auf (Abb. 1). Unterschiede in einzelnen Bevölkerungsgruppen zeigen auf, dass weiterhin vor allem zielgerichtete und auf jeweilige Lebenswelten zugeschnittene Bemühungen notwendig sind.
Abb. 1: Unterschiedliche Erfolge im Erreichen der 95:95:95-Ziele
Genfer Patient: HIV-Remission ohne CCR5Δ32-Deletion
Mehrere Fälle von HIV-Remissionen sind publiziert. In allen Fällen wurden im Zuge einer Stammzelltransplantation Donorzellen eingebracht, die eine natürliche Mutation im CCR5-Rezeptor aufwiesen, die zu einer gewissen Immunität der CD4-Zellen gegen HIV führt (Abb. 2). Nach anschließendem Absetzen der HIV-Therapie konnte keine Virusreplikation mehr beobachtet werden. In anderen Fällen, bei denen Donorzellen ohne die Mutation (CCR5WT) eingesetzt wurden, kam es hingegen zu einem viralen Rebound (Abb. 3).
Abb. 2: 5 Personen, die bislang als geheilt gelten (modifiziert nach Sáez-Cirión A et al. 2023)3
Abb. 3: Viraler Rebound nach ART-Unterbrechung bei Menschen, die eine allogene Stammzelltransplantation erhalten haben (modifiziert nach Sáez-Cirión A et al. 2023)3
Auf der IAS-Konferenz präsentierte Dr. Asier Sáez-Cirión, Leiter der Abteilung für virale Reservoirs und Immunsteuerung am Institut Pasteur, Paris, nun den sogenannten Genfer Patienten.2 Der HIV-positive Mann (HIV-Diagnose 1990, Virussuppression seit 2005) erhielt 2018 nach intensiver Bestrahlungs- und Chemotherapie eine allogene Stammzelltransplantation (allo-HSCT) mit CCR5WT. Ende 2021 wurde die HIV-Therapie abgesetzt und seit mittlerweile 20 Monaten ist keine Virusreplikationnachweisbar. In der Folge einer On-demand-HIV-PrEP wurde zu zwei Zeitpunkten sowohl Tenofovir als auch Emtricitabin im Plasma des Patienten nachgewiesen. Allerdings, so Sáez-Cirión, sei man überzeugt,dass dies aufgrund der sehr kurzen Episoden mit messbarem Wirkstoffspiegel keinen Einfluss gehabt haben dürfte.
Der ursächliche Mechanismus der HIV-Remission ist nicht klar, da der protektive Schutz der CCR5Δ32-Mutation fehlt. Als mögliche Erklärung wurde die Graft-versus-Host-Reaktion genannt, die zur Elimination verbleibender infizierter Zellen führen könnte. Auch könnte die Gabe von Ruxolitinib einen Effekt haben, da es Hinweise gibt, dass der JAK-Inhibitor HIV-Reaktivierungen unterdrücken könnte.
Daher sehen die Studienautor:innen einen klaren Unterschied zu den bisherigen Fällen und sprechen keinesfalls von einer Heilung. Sie ziehen ausschließlich das Fazit, dass lange Phasen einer HIV-Remission nach allo-HSCT mit CCR5WT-Donorzellen möglich sind.
VMMC: erste randomisierte Studie bei MSM
Große Studien in afrikanischen Hochprävalenzländern hatten bereits vor Jahren gezeigt, dass VMMC („voluntary medical male circumcision“) das HIV-Übertragungsrisiko von Frau zu Mann um 50–60% reduzieren kann. In vielen Ländern mit generalisierter HIV-Epidemie werden daher VMMC-Programme für heterosexuelle Männer angeboten und gefördert.
Nun wurde erstmals eine randomisierte VMMC-Studie bei MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) in 8 chinesischen Städten durchgeführt.3 Inkludiert wurden 247 HIV-negative MSM im Alter zwischen 18 und 49 Jahren, die in der Anamnese von vorwiegend insertivem Analverkehr mit wechselnden Sexualpartnern berichteten. Bei einer Gruppe wurde die VMMC gleich, in der anderen Gruppe zeitlich verzögert durchgeführt. HIV-Tests erfolgten alle drei Monate. Im Beobachtungszeitraum von 12 Monaten gaben 3–5% der MSM die Anwendung einer HIV-PrEP an. Im Interventionsarm wurden keine, in der Gruppe mit verzögerter VMMC wurden 5 HIV-Infektionen registriert (Inzidenz/100py: 0 bzw. 4,2).
Das Studienteam zog das Fazit, dass VMMC auch bei MSM mit insertivem Analverkehr einen präventiven Effekt hat. VMMC sollte vor allem in Ländern, in denen z.B. die PrEP als hocheffektive Maßnahme nicht breit eingesetzt wird, als zusätzliche Option etabliert werden.
DoxyPEP: zwischen erfolgreichen Daten und Bedenken
Studien haben gezeigt, dass eine Doxycyclin-Postexpositionsprophylaxe (DoxyPEP) die Inzidenz von Chlamydieninfektionen, Gonorrhö und Syphilis bei GBMSM („gay, bisexual and other men having sex with men“) deutlich senken kann.4
In Frankreich nahmen 232 GBMSM im Zuge der IPERGAY-Studie 200mg Doxycyclin innerhalb von 24h nach ungeschütztem Sex ein.5 Es zeigte sich eine Reduktion um 73% bei Syphilis- und 70% bei Chlamydienerstdiagnosen. Im Rahmen einer US-amerikanischen Studie mit 554 GBMSM erhielt eine Gruppe die DoxyPEP (200mg innerhalb von 72h nach ungeschütztem Sex),die andere Gruppe eine Standardbetreuung. Im DoxyPEP-Arm wurden 62–66% weniger bakterielle STI diagnostiziert.6 In der französischen DOXYVAC-Studie mit 502 GBMSM lag die Chlamydien- und Syphilisinzidenz in der DoxyPEP-Gruppe (200mg innerhalb von 72h nach ungeschütztem Sex) bei 5,6/100py, in der Gruppe ohne Intervention bei 35,4/100py. Bei den Gonorrhöerstdiagnosen lag die Inzidenz ohne Intervention bei 41,3/100py und in der DoxyPEP-Gruppe bei 20,5/100py.7
Trotz dieser vielversprechenden Daten sind wesentliche Aspekte zu bedenken, wie ein Poster auf der IAS-Konferenz zusammenfasste.8 So sind die Langzeitauswirkungen der DoxyPEP mit potenziellen Veränderungen im Mikrobiom sowie in Bezug auf Resistenzen weder auf individueller noch auf Populationsebene bekannt. Information und Zugang zu DoxyPEP sollte für alle Bevölkerungsgruppen bestehen, da am Beispiel der USA gut zu sehen ist, dass GBMSM nur eine Gruppe bei den steigenden STI-Diagnosen ausmachen (Abb. 3). Ebenfalls angeführt wurde z.B. die potenzielle Verunsicherung im Gesundheitssystem, da gleichzeitig weltweit Programme zu „antimicrobial stewardship“ und damit zum zielgerichteten und bedachten Einsatz von Antibiotika durchgeführt werden.
Die Arbeit gab somit einen guten Überblick über das Spannungsfeld, in dem sich die DoxyPEP derzeit befindet.
Quelle:
12. IAS Conference on HIV Science, 23.–26.Juli 2023, Brisbane, Australien
Literatur:
1 UNAIDS fact sheet 2023: https://www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/UNAIDS_FactSheet_en.pdf ; zuletzt aufgerufen am 9.8.2023 2 Sáez-Cirión A et al.: Absence of viral rebound for 18 months without antiretrovirals after allogeneic hematopoietic stem cell transplantation with wild-type CCR5 donor cells to treat a biphenotypic sarcoma. IAS 2023; OALBA0504 3 Gao Y et at.: Voluntary medical male circumcision and incident HIV acquisition among men who have sex with men: a randomized controlled trial. IAS 2023; Poster #1002 4 Cornelisse VJ et al.: Interim position statement on doxycycline post-exposure prophylaxis (Doxy-PEP) for the prevention of bacterial sexually transmissible infections in Australia and Aotearoa New Zealand - the Australasian Society for HIV, Viral Hepatitis and Sexual Health Medicine (ASHM). Sex Health 2023; 20(2): 99-104 5 Molina JM et al.: Post-exposure prophylaxis with doxycycline to prevent sexually transmitted infections in men who have sex with men: an open-label randomised substudy of the ANRS IPERGAY trial. Lancet Infect Dis 2018; 18(3): 308-17 6 Luetkemeyer A et al.: Doxycycline post-exposure prophylaxis for STI prevention among MSM and transgender women on HIV PrEP or living with HIV: high efficacy to reduce incident STI’s in a randomized trial. IAS 2022, Montreal, Canada 7 Molina JM et al.: ANRS 174 DOXYVAC: an open-label randomized trial to prevent STIs in MSM on PrEP. CROI 2023, Seattle, USA 8 Sugarman J et al.: Ethical issues regarding the implementation of doxycycline post-exposure prophylaxis. IAS 2023; Poster #5715
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