Infektiöse Endokarditis: antimikrobielle Therapie
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer
Universitätsklinik für Urologie
Medizinische Universität Wien
Präsident der OEGIT
E-Mail: florian.thalhammer@meduniwien.ac.at
Redaktion:
Dr. Norbert Hasenöhrl
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Die neue Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) zum Management der Endokarditis hält einige Überraschungen bereit – sowohl bei der antimikrobiellen Prophylaxe als auch bei der Therapie. Trotz zahlreicher neuer Erkenntnisse und Errungenschaften scheint die Mortalität der infektiösen Endokarditis um die 20% festgezurrt zu sein. Die Erkenntnisse von Christieaus 1948, dass die Gesamtdosis des gewählten Antibiotikums sowie eine lange Gesamttherapiedauer entscheidend sind, haben immer noch Gültigkeit.
Keypoints
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Staphylokokken müssen bei der empirischen Endokarditis-Therapie miterfasst werden, bei TAVI auch Enterokokken.
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Die Kombinationstherapie ist obligat, wobei Daptomycin/Ceftarolin im stationären Setting empfohlen werden kann.
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Die Anwendung von Aminoglykosiden bleibt weiterhin umstritten.
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Für die ambulante parenterale Antibiotikatherapie (APAT) mit Lipoglykopeptiden liegen langjährige positive Erfahrungen vor.
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Aktuelle Studienerebnisse zur ambulanten oralen Antibiotikatherapie müssen sich im klinischen Alltag noch bewähren.
Staphylokokken sind aktuell die führenden Keime bei infektiöser Endokarditis (IE), gefolgt von Streptokokken. Bei Patient:innen mit Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) müssen immer Enterokokken in Betracht gezogen werden.
Endokarditisprophylaxe
Baddour et al. konnten zeigen, dass für Hochrisikopatient:innen bei allen invasiven Prozeduren ein erhöhtes IE-Risiko besteht.1 Die neue ESC-Leitlinie von 2023 zum Management der Endokarditis erweitert nicht nur den Kreis der Hochrisikopatient:innen, sondern inkludiert nun alle endoskopischen Prozeduren als Prophylaxeindikation.2 Die antimikrobiell effektivste Endokarditisprophylaxe wäre die parenterale Einmalgabe von 1,2g Amoxicillin/Clavulansäure.3Die Paul-Ehrlich-Gesellschaft hat in ihrem Herzpass diese Empfehlungen umgesetzt und empfiehlt neben der Antibiotikaprophylaxe und Zähneputzenzweimal täglichrespektive regelmäßiger Mundhygiene auch eine optimierte Therapie chronischer Hauterkrankungen sowie eine großzügige Indikationsstellung für die antimikrobielle Therapie jeglicher (Haut-)Infektion.4 Letztere Empfehlung stellt ein zweischneidiges Schwert dar.
Antibiotikatherapie
Die ersten 10 bis 14 Tage stellen die kritische Phase dar. Eine rasch bakterizideantimikrobielle Kombinationstherapie wird empfohlen sowie, wenn indiziert, eine entsprechende chirurgische Sanierung. Bei hämodynamisch stabilen, auf die antimikrobielle Initialtherapie ansprechenden Patient:innen kann auf eine ambulante parenterale (APAT) oder orale Antibiotikatherapie umgestellt werden.
Ab dem zweiten Therapietag sollten bei Staphylokokken und Candida täglich Kontrollblutkulturen abgenommen werden, da die Therapiedauer ab der ersten negativen Blutkultur gerechnet wird. Die Therapie-dauer beträgt in Abhängigkeit vom Erreger,von der Klappensituation sowie der gewählten antimikrobiellen Therapie (mindestens) vier bis sechs Wochen und kann im komplexen Einzelfall auch verlängert werden, während sie bei Penicillin-sensiblen Streptokokken und unkomplizierter Nativklappenendokarditis mit einer Aminoglykosid-Kombinationstherapie nur zwei Wochen beträgt.5 Die ESC23-Empfehlung, bei Nachweis oraler Streptokokken und Vorliegen einer Penicillinallergie eine entsprechende Desensibilisierung für die IE-Therapie durchzuführen, ist angesichts zahlreicher Ausweichoptionen kritisch zu diskutieren.
Adema et al.6 listen sechs klinisch relevante „Gretchenfragen“ auf:
1. Welches Betalaktamantibiotikum bei MSSA-Endokarditis?
Bei Nachweis von MSSA (Methicillin-sensibler S. aureus) ist Cefazolin dem Flucloxacillin vorzuziehen, da es eine höhere Aktivität und weniger Nebenwirkungen hat – v.a. bei längerer Therapiedauer.7 Die vom EUCAST (European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing) empfohlene Höchstdosis liegt bei 12g Cefazolin täglich.8 Ceftriaxon bzw. Piperacillin/Tazobactam sind nicht Mittel der Wahl bei Staphylokokken-Bakteriämien.
Sowohl Linezolid als auch Vancomycin sind bei MSSA-Infektionen einem empfindlichen Betalaktamantibiotikum (Cefazolin, Flucloxacillin) unterlegen.
2. Wann soll eine Kombination mit Rifampicin erfolgen?
Rifampicin ist ein ausschließlicher Kombinationspartner, der ab dem Vorliegen negativer Blutkulturen bei Prothesenendokarditis gegeben werden kann. Auf Interaktionen muss geachtet werden und die Patient:innen sollten über die Rotfärbung aller Körpersäfte (Harn, Schweiß, Tränen) nach der Einnahme aufgeklärt werden. Bekannt ist, dass es bei gleichzeitiger Kombination mit Rifampicin im Plasma zu einer numerischen, jedoch im Knochen zu einer klinisch relevanten Reduktion der Moxifloxacin-Konzentration kommt.9
3. Soll eine Kombinationstherapie mit einem Aminoglykosid erfolgen?
Dies ist eine seit Langem diskutierte Streitfrage. Es gibt ausreichend Publikationen, die zeigen, dass Aminoglykoside (zumindest in der Erstlinientherapie) keinen Benefit aufweisen.10 Die Aminoglykosidkombination reduziert weder die Mortalität noch die klinische oder mikrobiologische Versagensrate noch die Notwendigkeit einer Herzoperation. ESC23 empfiehlt die Kombination neuerlich, sogar mit einer Gabezweimal täglich, jedoch bis zu einer maximalen Tagesdosis von 240mg Gentamicin. Diese Dosierungsempfehlung geht jedoch nicht konform mit der Fachinformation, und die Gabemehrmals täglichwiderspricht denpharmakokinetischen/pharma-kodynamischen (PK/PD) Datenund erhöht das Nephrotoxizitätsrisiko. Bei Enterokokken hat sich als mikrobiologisch und klinisch gleichwertige Alternative die Kombination von Ampicillin und Ceftriaxon ohne die typischen Aminoglykosidnebenwirkungen etabliert.11
Die in den ESC23 empfohlene Kombinationstherapie mit Vancomycin und Aminoglykosid, zweiper se nephrotoxischen Antiinfektiva, ist angesichts nebenwirkungsärmerer Kombinationen zu hinterfragen.
4. Stellt die Kombination von Daptomycin und Ceftarolin die Standardtherapie bei einer Endokarditis mit grampositiven Erregern dar?
Bei Vorliegen einer Penicillinallergie (!) bzw. dem Nachweis von MRSA (Methicillin-resistenter S. aureus) oder VRE (Vancomycin-resistente Enterokokken) wird laut ESC23 die Kombination von Daptomycin und Ceftarolin empfohlen. Sie führt signifikant schneller zu einer negativen Blutkultur als frühere Standardtherapien.12 Bei Staphylokokken sollte Daptomycin in einer Dosis von 10mg/kg 1x tgl. verabreicht werden, bei Enterokokken in einer Dosis von 12mg/kg 1x tgl.13Diese Dosierung entspricht nicht der gültigen Fachinformation, ist jedoch dringend anzuraten, um Therapieversagen und Resistenzentwicklung zu vermeiden.
Die Standarddosierung von Ceftarolin beträgt 600mg 2–3x tgl., wobei aus PK/PD-Sicht Ceftarolin 1,2g 3x tgl. im klinischen Alltag hochwirksam ist. Diese Kombination wurde inzwischen in einigen Publikationen als erfolgreich beschrieben und kann auch bei einer Enterokokken-IE verordnet werden. Anstelle von Ceftarolin kann auch Fosfomycin als Kombinationspartner gewählt werden. Beide Kombinationspartner weisen höchste Synergieraten auf.14
Bei der Anwendung von Daptomycin wurde rezent eine 10- bis 15%ige Rate an eosinophiler Pneumonie beschrieben, die im Einzelfall auch intensivpflichtig werden kann, bei Fosfomycin sind regelmäßige Elektrolytkontrollen (Hypokaliämie, Hypernatriämie) essenziell. Bei Ceftarolin sind regelmäßige Blutbildkontrollen erforderlich, da in seltenen Fällen eine Leukopenie auftreten kann.
Obwohl dazu zahlreiche Studien vorliegen, sollte Vancomycin bei Vorhandensein hoch wirksamer, nicht nephrotoxischer Alternativen trotz ESC23 keine IE-Therapie der ersten Wahl mehr darstellen. Regelmäßige Spiegelkontrollen sind erforderlich, der Therapiebereich von 15–20mg/L Vancomycin wird im klinischen Alltag nicht zuverlässig erreicht.
5. Welche IE-Patient:innen sind für eine orale Deeskalationstherapie geeignet?
Seit der POET-Studie wird nach einer parenteralen Lead-in-Phase die Umstellung auf eine orale Deeskalationstherapie diskutiert.15 Die Studienautoren schreiben selbstkritisch, dass die Patient:innen in der Gruppe mit parenteraler Antibiotikatherapie mehr Risikofaktoren für einen negativen Krankheitsausgang hatten. In den ersten POET-Studien waren klar definierte Patient:innen inkludiert: Ausschluss bei Verdacht auf Complianceprobleme, nur 22% S.-aureus-IE, keine MRSA-Patient:innen, ca. 50% Streptokokken-IE.16,17
Die kürzere Liegedauer ist durch eine APAT ebenso zu erzielen. Wahrscheinlich ist die Liegedauer bei APAT-Patient:innen sogar kürzer als bei jenen, die eine ambulante orale Antibiotikatherapie erhalten. Wünschenswert wären daher zukünftig Studien, welche nach der parenteralen stationären Therapie die ambulante orale Therapie mit einer ambulanten parenteralen Therapie vergleichen.
Amoxicillin, Fusidinsäure, Linezolid,Moxifloxacin und Rifampicin kamen in variablen Kombinationen zum Einsatz, Cefalexin nicht. Bei MSSA ist Linezolid einem Betalaktamantibiotikum unterlegen. Regelmäßige Laborkontrollen sind bei Fusidinsäure (Leberfunktionsparameter) und Linezolid (Blutbild) notwendig. Linezolid darf gemäß Fachinformation aufgrund der Gefahr des Auftretens von Polyneuropathien maximal 28 Tage lang verabreicht werden, für die Nachfolgesubstanz Tedizolid gibt es keine entsprechenden IE-Studien.
6. Können langwirksame Lipoglykopeptidantibiotika bei Endokarditiden mit grampositiven Erregern eingesetzt werden?
Seit 2015 ermöglichen die ESC-Leitlinien eine APAT ab Tag 15, die ESC23 sogar schon ab Tag 10. Zumindest in Österreich wurden umfangreiche Erfahrungen mit Teicoplanin 3x wöchentlich gesammelt. Seit der Markteinführung von Dalbavancin ist dieses das führende APAT-Medikament – auch bei Endokarditis. Allerdings haben sowohl Dalbavancin (Weiterentwicklung von Teicoplanin) als auch Oritavancin (Weiterentwicklung von Vancomycin) keine Zulassung für IE. Beide Substanzen haben eine ausgezeichnete Aktivität auch gegen Koagulase-negative Staphylokokken sowie Enterokokken. In In-vitro-Studien ist die Abtötungsrate durch Oritavancin besser als jene durch Dalbavancin.18 Bei beiden Lipoglykopeptiden ist ein therapeutisches Drugmonitoring (TDM) nicht erforderlich. Oritavancin muss jedoch über drei Stunden infundiert werden, da eine kürzere Infusionsdauer mit dem Risiko für ein Red-Man-Syndrom einhergeht.
Die IE-Dosierungen wurden empirisch festgelegt, sind in der Literatur aber unterschiedlich angegeben. Die in Österreich empfohlenen IE-Dosierungen von Dalbavancin sind eine Loading Dose (Aufsättigungsdosis) von 1,5g am Tag 1 und jeweils jeden 15. Tag eine Erhaltungsdosis von 1,0g.19 Vorteile einer APAT mit einem langwirksamen Lipoglykopeptid sind das Ausbleiben von Complianceproblemen (im Vergleich zur oralen Therapie mit bis zu acht Tabletten pro Tag), keine Notwendigkeit eines permanenten i.v.Zugangs sowie auch das Fehlen von Interaktionen.
In Analogie zu Daptomycin plus Staphylokokken-wirksamem Cephalosporin (bei MSSA Cefazolin, bei MRSA Ceftarolin) bietet sich bei der APAT ein Lipoglykopeptid plus Cefalexin bzw. Fusidinsäure an.
Zusammenfassung
Bei der empirischen Therapie einer Endokarditis müssen Staphylokokken sicher miterfasst werden, bei TAVI-Patient:innen zusätzlich Enterokokken. Da die ESC23 indirekt (Penicillinallergie) eine Lanze für die Kombinationstherapie Daptomycin/Ceftarolin bricht, könnte diese Therapie als parenterale Standardtherapie im stationären Setting empfohlen werden, eine Kombinationstherapie ist prinzipiell obligat. Beide Substanzen haben auch eine bakterizide Aktivität.
Aminoglykoside bleiben heiß umfehdet, sind nebenwirkungsreich und sollten, wenn man sich hierfür im Ausnahmefall entscheidet, nur 1x täglich verabreicht werden. Regelmäßige Talspiegelkontrollen sind obligat.
Die ambulante parenterale Antibiotikatherapie (APAT) ist – zumindest in Österreich – etabliert, kann mit den beiden verfügbaren hochwirksamen Lipoglykopeptiden bei aus klinischer Sicht ambulant therapierbaren Patient:innen gut und kosteneffektiv umgesetzt werden und es liegen langjährige positive Erfahrungen vor.
Die rezent publizierten Daten zur ambulanten oralen Antibiotikatherapie müssen sich im klinischen Alltag noch beweisen, Complianceprobleme sind nicht ausgeschlossen, und diese könnten mit einer erhöhten Rezidivrate einhergehen. Bei multimorbiden Patient:innen sind mögliche Interaktionsrisiken im Vorfeld mit der internistischen Dauertherapie abzuklären.
Literatur:
1 Baddour LM et al.: Circulation 2023; 148(19): 1529-41 2 Delgado V et al.: Eur Heart J 2023; 44(39): 3948-4042 3 Limeres Posse J et al.: J Antimicrob Chemother 2016; 71(7): 2022-30 4 Paul-Ehrlich-Gesellschaft: https://www.p-e-g.org/herzpaesse.html ; zuletzt aufgerufen am 16.2.2024 5 Østergaard L et al.: Am Heart J 2020; 227: 40-6 6 Adema JL et al.: Pathogens 2023; 12(5) 7 Weis S et al.: Clin Microbiol Infect 2019; 25(7): 818-27 8 Nationales Antibiotika-Sensitivitäts-Komitee : https://www.nak-deutschland.org/tl_files/nak-deutschland/Nak-2023/Dosierungen_NAK-2023v1.pdf; zuletzt aufgerufen am 16.2.2024 9 Slater J et al.: J Bone Joint Surg Am 2022; 104(1): 49-54 10 Ryder JH et al.: Open Forum Infect Dis 2022; 9(11): ofac583 11 Marino A et al.: IDCases 2022;28:e01462 12 Yim J et al.: J Antimicrob Chemother 2017;72(8): 2290-6 13 Samura M et al.: Br J Clin Pharmacol 2023; 89(4): 1291-1303 14 Antonello RM et al.: J Antimicrob Chemother 2022; 78(1): 52-77 15 Pries-Heje M, The POET consortium: Eur Heart J 2022; 43(2) 16 Iversen K et al.: N Engl J Med 2019; 380(5): 415-24 17 Bundgaard H et al.: N Engl J Med 2019; 380(14): 1373-4 18 Sweeney D et al.: Diagn Microbiol Infect Dis 2017; 87(2): 121-28 19 Tobudic S et al.: Clin Infect Dis 2018; 67(5): 795-8
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