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„ESC Guidelines on cardiovascular assessment and management of patients undergoing non cardiac surgery“

ESC-Leitlinien 2022: Risiken nichtkardialer Operationen einschätzen und managen

Die aktuellen Leitlinien der europäischen kardiologischen Gesellschaft (ESC) zur präoperativen Beurteilung von Patient*innen vor nichtkardialen Eingriffen wurden in Zusammenarbeit mit der europäischen anästhesiologischen Gesellschaft (ESA) verfasst und stellen ein umfassendes Update von 2014 dar.

Keypoints

  • Die Leitlinien sollen helfen, die Mortalität bei CV Patient*innen aufgrund von nicht kardialen Operationen zu reduzieren und Blutungskomplikationen zu vermeiden.

  • Sie teilen die operativen Eingriffe in 3 Risikogruppen ein, anhand derer eine präoperative Abklärung eingeschätzt werden sollte (Abb. 1).

  • Zu Strategien der Risikoreduktion zählt jedenfalls die prä- und perioperative Senkung von Risikofaktoren (Rauchen, Hypercholesterinämie, RAAS- Blocker und Diuretika).

  • Das Management des Blutungsrisikos ist vom intrinsischen Blutungsrisiko der jeweiligen Operation und der indizierten präoperativen Medikamentenpause/Überbrückungstherapie abhängig (Tab. 2).

Abb. 1: Behandlungsalgorithmus CV Erkrankungen/Risikofaktoren (nach Halverson S et al. 2022)

Tab. 1: Operative Risikogruppeneinteilung kardiovaskulärer Patienten eingeteilt nach Art des Eingriffs (nach Halvorsen S et al. 2022)

In den Ländern der Europäischen Union finden ca. 22 Millionen große Operationen jährlich statt, wovon nichtkardiale Operationen einen Anteil von ca. 85% ausmachen. Das kardiovaskuläre Risikoprofil der Patient*innen, die eine große Operation benötigen, stieg in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich an. In einer großen Kohortenstudie mit ca. 40000 Patient*innen hatte einer von sieben Patient*innen (≥45 Jahre) innerhalb von 30 Tagen nach Operation eine kardiale oder zerebrovaskuläre Komplikation. Wenn man die demografische Entwicklung der Bevölkerung in vielen Ländern der Europäischen Union betrachtet, dürfte es zukünftig zu einer deutlichen Zunahme von großen Operationen in einem älteren Risikopatient*innenkollektiv kommen.

Die Ziele der Leitlinien sind einerseits, die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität nach nichtkardialen Operationen zu reduzieren, und andererseits, Blutungskomplikationen vor allem im Zusammenhang mit Thrombozytenaggregationshemmern und/oder Antikoagulanzien zu verhindern. Entscheidend ist dabei die Risikoabschätzung. Ziel ist aber nicht eine Überdiagnostik, sondern eine gezielte, individuelle Abklärung je nach Risikoprofil.

Risikoabschätzung

Einerseits wird das Risiko des/der Patient*in bewertet, wobei Alter (>65 Jahre), die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren und kardiovaskuläre Erkrankungen für die Einteilung wichtig sind (Abb. 1). Daneben werden die operativen Eingriffe in 3 Risikogruppen eingeteilt (Tab.1). Abhängig davon ergibt sich das weitere Vorgehen entsprechend Abbildung 1. Als Biomarker zählen Troponin und NT-proBNP. Zur Abschätzung der funktionellen Kapazität gelten weiterhin 4 metabolische Äquivalente (entspricht Gehen über 2 Stockwerke) als Grenzwert. Um eine objektivere Einschätzung der funktionellen Kapazität zu erhalten, wird von den Leitlinien der DASI(„Duke Activity StatusIndex“)-Score empfohlen, wobei ein DASI-Score <34 mit einer höheren Komplikationsrate in den ersten 30 Tagen postoperativ assoziiert ist. Bei allen Patient*innen ab 70 Jahren sollte auch die „frailty“ mit entsprechenden Scores mitbeurteilt werden. Daneben können zur Risikoabschätzung auch verschiedene Kalkulatoren herangezogen werden. Allerdings empfiehlt das Leitlinienkomitee, die weitere Abklärung nicht von den operativen Risikokalkulatoren, sondern von der Abklärung wie in Abbildung 1 abhängig zu machen. Die Kalkulatoren liefern lediglich eine grobe Einschätzung des Risikos.

Strategien zur Risikoreduktion

Patient*innen sollten präoperativ angewiesen werden, mit dem Rauchen aufzuhören, wobei hier selbst 4 Wochen Rauchstopp bereits zu einer Reduktion der perioperativen Ereignisrate führen kann. Zudem sollten auch die restlichen Risikofaktoren entsprechend den Empfehlungen behandelt werden. Beispielsweise sollte auch eine Statintherapie, die nach Leitlinien indiziert ist, präoperativ begonnen werden. Der Beginn einer präoperativen Betablockertherapie ist weiterhin umstritten, kann aber bei Patient*innen ab 2 kardiovaskulären Risikofaktoren erwogen werden. Jedenfalls sollte eine bestehende Betablocker- und/oder Statintherapie perioperativ weitergeführt werden. Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS-Blocker) sollten ebenso wie Diuretika aufgrund von intraoperativen Hypotonien am Operationstag pausiert werden. Bezüglich SGLT2-Hemmern empfehlen die Leitlinien in Anlehnung an die FDA-Empfehlung den Stopp 3 Tage vor dem Eingriff.

Thrombozytenaggregationshemmer, Antikoagulanzien und perioperatives Blutungsrisiko

Zur Abschätzung des Blutungsrisikos ist einerseits das intrinsische Blutungsrisiko der Operation entscheidend, wobei es ebenfalls eine Einteilung nach der Operationsart (Tab. 2) gibt. Andererseits ist die Einschätzung des Blutungsrisikos und des thrombotischen bzw. ischämischen Risikos des/der Patient*in wichtig. Daneben ist es vorrangig, die Wirkungsdauer der verschiedenen Thrombozytenaggregationshemmer und Antikoagulanzien zu kennen. Davon hängt naturgemäß die Dauer der präoperativen Medikamentenpause entscheidend ab. Für die duale Antiplättchentherapie (Aspirin plus P2Y12-Inhibitor) ist einerseits die Dauer nach Stentimplantation bzw. die Indikation entscheidend. So ist nach elektiver perkutaner Intervention der erste Monat kritisch, während nach akutem Koronarsyndrom die ersten 3 Monate entscheidend sind. Wenn der nichtkardiale operative Eingriff nach diesem kritischen Zeitraum durchgeführt wird, kann zumeist ein Plättchenhemmer problemlos pausiert werden. Wenn es innerhalb der kritischen Zeit ist, muss der operative Eingriff verschoben werden oder eine Überbrückungsstrategie mit intravenöser Thrombozytenaggregationshemmung eingesetzt werden (Abb. 2).

Tab. 2: Kategorisierung der operativen Verfahren nach Blutungsrisiko (nach Halverson S et al. 2022)

Abb. 2: Behandlungsalgorithmus für Patienten unter dualer Thrombozytenaggregationshemmung nach Blutungsrisiko (nach Halvorsen S et al. 2022)

Auch bei den Antikoagulanzien wird eine ähnliche Strategie empfohlen. Neben dem Blutungsrisiko der Operation ist das Blutungsrisiko und das thrombotische/ischämische Risiko des/der Patient*in entscheidend. Eine Überbrückungsstrategie mit niedermolekularem oder unfraktioniertem Heparin wird nur bei operativen Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko bei Patient*innen mit mechanischem Klappenersatz oder bei Patient*innen mit rezentem thrombotischem Ereignis (z.B. Schlaganfall innerhalb der letzten 3 Monate, Apexthrombus etc.) empfohlen. Bei Dabigatran ist zusätzlich auch die Nierenfunktion entscheidend, da ein längeres präoperatives Pausieren notwendig sein kann.

Spezielle Patient*innenkollektive und nichtkardiale Operation

Die Leitlinien fokussieren sich in einem Kapitel auf bestimmte Patient*innen-gruppen. Entscheidend ist aber, dass man keine speziellen Abklärungsindikationen wegen eines nichtkardialen Eingriffes stellt, sondern die Patient*innen auch wie üblich auch ohne bevorstehende Operation abklärt.

Perioperativer Myokardschaden (PMI)

Ein Schwerpunkt der Leitlinien liegt auch in der Beschreibung des perioperativen Myokardschadens (PMI). Aus diesem Grund wird bei entsprechender Risikokonstellation eine präoperative Troponinbestimmung sowie eine Messung an Tag 1 und 2 nach der Operation empfohlen. Wenn es zu einem Anstieg über den oberen Grenzwert kommt, dann liegt ein perioperativer Myokardschaden vor. Wenn keine präoperative Troponinbestimmung vorliegt, geht man von einem perioperativen Myokardschaden aus, wenn ein sehr hoher Wert (z.B. das 5-Fache des oberen Grenzwertes) vorliegt. Ca. 90% der PMI werden aktuell nicht diagnostiziert. Einen PMI gilt es aber von einem „echten“ perioperativen Myokardinfarkt abzugrenzen. Wenn es nämlich zu einem PMI gekommen ist, muss erst die weitere Abklärung zeigen, was die Ursache dieses PMI ist. Beispielsweise gibt es nichtkoronare Ursachen wie Sepsis oder Lungenembolie oder aber auch ein Typ-II-Infarkt im Rahmen einer Anämie kann dahinterstecken. Da aber Patient*innen mit PMI eine schlechtere Prognose haben, ist eine Detektion und weitere Abklärung bedeutend.

Resümee

Die Leitlinien zur präoperativen Beurteilung von Patient*innen vor nichtkardialen Eingriffen geben einen praktikablen und umfassenden Einblick in diese klinisch wichtige Fragestellung. Entscheidend ist die Risikoabschätzung und Risiko-adjustierte Abklärung dieser Patient*innen. Die Detektion und weitere Abklärung eines perioperativen Myokardschadens ist wichtig, da diese Patient*innen ein schlechteres Outcome haben.

beim Verfasser

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