Ein Kurzflug durch die Gegenwart und die mögliche Zukunft der Lipidlandschaft
Autor:
Dr. Dominic Philipp Klein
Abteilung für Kardiologie Klinik Favoriten, Wien
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In den prachtvollen Räumlichkeiten der Wiener Hofburg beleuchteten am diesjährigen Wiener Kongress Kardiologie gleich mehrere Beiträge und Fallpräsentationen die aktuellste Wissenschaft und Praxis der Lipidtherapie. Anspruch dieses Artikels ist es, ausgewählte Themen aus Gegenwart und (möglicher) Zukunft der Lipidpraxis aufzubereiten und zusammenzufassen.
Keypoints
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Wir befinden uns auf dem richtigen Weg, das Ziel ist jedoch (noch) nicht erreicht.
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Statine und Ezetimib bleiben die Grundfesten der Lipidtherapie.
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Wege ins Ziel sind die Anwendung möglichst potenter Substanzen in ausreichender Dosierung und deren (frühzeitige) Kombination.
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Es steht ein wachsender Reichtum an Therapieoptionen zur Verfügung und erlaubt eine Individualisierung der Medizin für unsere Patienten.
Wo stehen wir in der Gegenwart der Lipidtherapie?
Zielwerte
Einen europäischen Überblick zur Frage ob denn Zielwerte in der Lipidtherapie erreicht werden, erlaubt der Santorini-Trial.1 Die ernüchternde Botschaft der Studie aus den Jahren 2020/21 ist, dass nur circa jeder Fünfte des untersuchten Hoch- und Höchstrisikokollektivs die Zielwerte des LDL-Cholesterins (LDL-C) der ESC-Leitlinie aus dem Jahr 2019 erreicht.2 Die Bewertung des Datensatzes erlaubt jedoch auch eine positive Botschaft, nämlich dass mit Kombinationstherapien wesentlich häufiger die Zielwerte erreicht werden konnten und somit die Kombination von Wirkstoffen (z.B. hochpotentes Statin und Ezetimib) ein wirksames und effizientes Tool darstellt.1 Der Blick auf die 310 Teilnehmer aus Österreich stimmt mit 26% unter Kombinationstherapie zwar zuversichtlich, jedoch besteht mit ebenso 26% der Teilnehmer ohne jede Therapie noch erhebliches Verbesserungspotenzial beim Management von Hochrisikopatienten.
Guidelines
Auch in diesem Sinne wurden die Empfehlungen zur Lipidtherapie der kürzlich erschienenen Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zum akuten Koronarsyndrom (ACS) deutlich aufgewertet.3 Statine und deren Kombination mit Ezetimib bleiben der Grundstein der Lipidtherapie beim ACS, wobei möglichst potente Substanzen (Atorvastatin, Rosuvastatin) in maximal verträglichen Dosierungen zu bevorzugen sind. Für Patienten, welche mit Statin und Ezetimib den LDL-C-Zielwert von <55mg/dl (und der mindestens 50%igen Reduktion gegenüber dem Ausgangs-LDL-C-Wert) nicht erreichen, sieht die Leitlinie eine Therapieerweiterung um einen PCSK-9-Inhibitor noch vor der Entlassung aus der Spitalsbehandlung vor.
Zusammenfassend lässt sich also der bekannte Leitspruch der Lipidtherapie „the lower the better” um den Anhang „the sooner the better” ergänzen.2–6
Bempedoinsäure
Als neue orale Option erlangt das Prodrug Bempedoinsäure zunehmende Bekanntheit und Beliebtheit. Die Substanz hemmt ähnlich den Statinen die hepatozelluläre Cholesterinsynthese und vermittelt somit eine LDL-C-Reduktion um circa 20%. Als Prodrug muss die Substanz nach der Einnahme durch ein Enzym in die aktive Wirksubstanz umgesetzt werden. Da die Substanz in Muskelzellen nicht aktiviert wird, weil das aktivierende Enzym in Muskelzellen nicht exprimiert wird, ist von einem niedrigeren Myalgie- und Myopathierisiko auszugehen. In dem im Frühjahr 2023 publizierten großen Outcome-Trial CLEAR7 in einer Statin-intoleranten Population ließ sich neben besagter LDL-C-Reduktion auch eine Reduktion der Zahl kardiovaskulärer Ereignisse (4-Punkt-MACE) um 13% nachweisen. Insbesondere zeigte sich dieser Effekt auch in der Primärpräventionsgruppe, ohne Hinweise auf ein durch den Einsatz von Bempedoinsäure erhöhtes Diabetesrisiko.8 Vorsicht ist bei der Anamnese einer Gichterkrankung bzw. einer Hyperurikämie sowie cholestatischer Erkrankungen geboten.7 Orale Kombinationen sind mit Ezetimib und/oder Statinen möglich.
Inclisiran
Als „small interfering RNA“ (siRNA) ist die Stärke dieses halbjährlich subkutan zu applizierenden, leberspezifischen Inhibitors der PCSK-9-Synthese eine stabile, lang anhaltende LDL-C-Reduktion um circa 50%.9 Auch wenn die Auswertung von gesammelten kardiovaskulären Endpunkten aus den als Sicherheitsdaten der Phase-II/III-Studien ORION-9, -10 und -1110 bereits zuversichtlich stimmt, sind die definitiven Daten von zwei großen Outcome-Trials (VICTORION-2-Prevent11 und ORION-412) noch ausständig.
Triglyzeride
Trotz einer Triglyzeridreduktion um 26% gelang es dem neuartigen Fibrat Pemafibrat nicht, in einer großen, prospektiven Studie eine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte durch Fibrate zu erzielen. Somit schließt sich mit der PROMINENT-Studie13 ein weiteres Fibrat-Kapitel im makrovaskulären Sektor. Was noch offen bleibt, sind mögliche Vorteile durch Fibrate auf mikrovaskulärer Ebene.
Erinnern kann man sich an dieser Stelle an den bereits im Jahr 2019 publizierten REDUCE-IT-Trial14, in welchem mit Icosapent-Ethyl eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos um 25% erzielt werden konnte, bei einer Triglyzeridsenkung von 18% und nur unwesentlichen Effekten auf LDL-C und ApoB. Icosapent-Ethyl ist von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) für die Reduktion der Zahl kardiovaskulärer Ereignisse bei Statin-behandelten Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko und Triglyzeriden >150 mg/dl zugelassen.15 Das Produkt ist nun auch in Österreich verfügbar, die Herstellerfirma wird bezüglich Kostenübernahme mit den Sozialversicherungsträgern in Verhandlungen treten.
Lipoprotein(a)
Mit dem Wissen um die Kausalität in der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen und mit seiner Rolle als Angriffspunkt eines vielversprechenden Therapieansatzes erregt das Lipoprotein(a), kurz Lp(a), zunehmend sowohl klinisches als auch wissenschaftliches Interesse.16,17 Mit zwei hocheffizienten Substanzen zur Lp(a)-Senkung in großen Endpunktstudien – HORIZON18,19 für Pelacarsen und OCEAN(a)20,21 für Olpasiran – befindet sich die medikamentöse Lp(a)-Senkung am Wendepunkt zwischen Gegenwart und Zukunft. Unabhängig von Bestrebungen zur Lp(a)-Senkung muss die Kontrolle aller Risikofaktoren dennoch Basis jeder Therapie bleiben. Zur oft schwierigen Bewertung des Lp(a)-vermittelten Risikos empfiehlt sich die Plattform http://lpaclinicalguidance.com,22 welche zusätzlich auch die Modifizierbarkeit des Risikos durch stringentes Risikomanagement grafisch darstellt.
Welche Wege könnten in die Zukunft führen?
„One and done“
Lässt sich mit einer einmalig verabreichten Therapie eine anhaltende LDL-C-Senkung erreichen? Mittels Base-Editing gelang es einer australischen Gruppe, die Frage in einem Modell an Affen mit „Ja“ zu beantworten.23 Erste Daten beim Menschen werden bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie derzeit generiert.24
Oraler PCSK-9-Inhibitor
Während bis dato alle Therapieoptionen auf dem PCSK-9-Pathway subkutan zu verabreichen sind, wird die Substanz MK-0616 möglicherweise auch auf dem oralen Weg eine effektive zusätzliche Option zur LDL-C-Senkung eröffnen.25,26
CETP-Inhibitoren
Von der HDL-C-Steigerung hin zur LDL-C-Senkung – ein Paradigmenwechsel, der die Gruppe der CETP-Inhibitoren nun vielleicht doch in die Zukunft führt:27,28 Mit der neuen Substanz Obicetrapib ließ sich in Phase-II-Studien neben einer deutlichen HDL-C-Erhöhung auch eine signifikante Reduktion von LDL-C und ApoB zeigen, bei gleichzeitig guter Verträglichkeit.29–31 Auch bei dieser Substanz stellt sich aktuell die Frage nach der Wirksamkeit in Bezug auf klinische Endpunkte.32
Frauengesundheit
Mit einem Positionspapier im Jahr 2023 widmet sich die Europäische Gesellschaft für Atherosklerose dem Thema der Frauengesundheit.33 Für die Verbesserung der Lipidpraxis lassen sich exemplarisch folgende Denkanstöße ableiten:
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Geschlechtsspezifische Risikofaktoren (z.B. Schwangeschaftshypertonie, Gestationsdiabetes, polyzystisches Ovar etc.) bedürfen besonderer Berücksichtigung in der Risikobewertung bei Frauen.
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Bedenken gegenüber Medikation über lange Lebensabschnitte der Frau beeinflussen den Zugang zu leitliniengerechten Therapien – Zeit umzudenken?
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Risikomodulatoren wie die chronische Nierenerkrankung und Autoimmunerkrankungen betreffen häufiger Frauen.
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Sowohl Symptome als auch Krankheitsmechanismen unterscheiden sich bei Frauen und Männern substanziell (z.B. M/INOCA).
Quelle:
Artikel basierend auf Vorträgen und Fallpräsentationen im Rahmen des Wiener Kongresses Kardiologie, 19.–21. Oktober 2023, Hofburg Wien
Literatur:
1 Ray KK et al.: Treatment gaps in the implementation of LDL cholesterol control among high- and very high-risk patients in Europe between 2020 and 2021: the multinational observational SANTORINI study. Lancet Reg Health Eur 2023; 29: 100624 2 Mach F et al.: 2019 ESC/EAS guidelines for the management of dyslipidaemias: Lipid modification to reduce cardiovascular risk. Atherosclerosis 2019; 290: 140-205 3 Byrne RA et al.: 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J 2023; 44: 3720-826 4 Sabatine MS et al.: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 376 (18): 1713-22 5 Schwartz GG et al.: Alirocumab and cardiovascular outcomes after acute coronary syndrome. N Engl J Med 2018; 379: 2097-107 6 O’Donoghue ML et al.: Long-term evolocumab in patients with established atherosclerotic cardiovascular disease. Circulation 2022; 146(15): 1109-19 7 Nissen SE et al.: CLEAR Outcomes Investigators. Bempedoic acid and cardiovascular outcomes in statin-intolerant patients. N Engl J Med 2023; 388: 1353-64 8 Nissen SE et al.: Bempedoic acid for primary prevention of cardiovascular events in statin-intolerant patients. JAMA 2023; 330: 131-40 9 Ray KK et al.: ORION-10 and ORION-11 Investigators. Two phase 3 trials of inclisiran in patients with elevated LDL cholesterol. N Engl J Med 2020; 382: 1507-19 10 Ray KK et al.: ORION Phase III investigators. Inclisiran and cardiovascular events: a patient-level analysis of phase III trials. Eur Heart J 2023; 44: 129-38 11 ClinicalTrails.gov. Trail registration of ‘NCT05030428, Study of Inclisiran to Prevent Cardiovascular (CV) Events in Participants With Established Cardiovascular Disease (VICTORION-2P)’ at ClinicalTrails.gov n.d. https://clinicaltrials.gov/study/NCT05030428 (accessed 1 November 2023) 12 ClinicalTrails.gov. Trail registration of ‘NCT03705234, A randomized trial assessing the effects of inclisiran on clinical outcomes among people with cardiovascular disease (ORION-4)’ at ClinicalTrails.gov n.d. https://clinicaltrials.gov/study/NCT03705234 (accessed 1 November 2023) 13 Das Pradhan A et al.: Triglyceride lowering with pemafibrate to reduce cardiovascular risk. N Engl J Med 2022; 387: 1923-34 14 Bhatt DL et al.: Cardiovascular risk reduction with icosapent ethyl for hypertriglyceridemia. N Engl J Med 2019; 380: 11-22 15 European Medicines Agency: Product information ‘Vazkepa’ of the European Medicines Agency n.d. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/vazkepa (accessed 1 November 2023) 16 Kronenberg F et al.: Lipoprotein(a) in atherosclerotic cardiovascular disease and aortic stenosis: a European Atherosclerosis Society consensus statement. Eur Heart J 2022; 43: 3925-46 17 Kronenberg F et al.: Frequent questions and responses on the 2022 lipoprotein(a) consensus statement of the European Atherosclerosis Society. Atherosclerosis 2023; 374: 107-20 18 Tsimikas S et al.: Lipoprotein(a) reduction in persons with cardiovascular disease. N Engl JMed 2020; 382: 244-55 19 ClinicalTrails.gov. Trail registration of ‘NCT04023552, Assessing the impact of lipoprotein (a) lowering with pelacarsen (TQJ230) on major cardiovascular events in patients with CVD (Lp(a)HORIZON)’ at ClinicalTrails.gov n.d. https://clinicaltrials.gov/study/NCT04023552 (accessed 1 November 2023) 20 O’Donoghue ML et al.: Small interfering RNA to reduce lipoprotein(a) in cardiovascular disease. N Engl J Med 2022; 387: 1855-64 21 ClinicalTrails.gov. Trail registration of ‘NCT05581303, Olpasiran Trials of Cardiovascular Events and Lipoprotein(a) Reduction (OCEAN(a)) - Outcomes Trial’ at ClinicalTrails.gov n.d. https://clinicaltrials.gov/study/NCT05581303 (accessed 1 November 2023) 22 Ference TB, Ference CK: http://www.lpaclinicalguidance.com/ 2023 23 Lee RG et al.: Efficacy and safety of an investigational single-course CRISPR base-editing therapy targeting PCSK9 in nonhuman primate and mouse models. Circulation 2023; 147: 242-53 24 ClinicalTrails.gov. Trail registration of ‘NCT05398029, A study of VERVE-101 in patients with familial hypercholesterolemia and cardiovascular disease’ at ClinicalTrails.gov n.d. https://clinicaltrials.gov/study/NCT05398029 (accessed 1 November 2023) 25 Johns DG et al: Orally bioavailable macrocyclic peptide that inhibits binding of PCSK9 to the low density lipoprotein receptor. Circulation 2023; 148: 144-58 26 Ballantyne CM et al.: Phase 2b randomized trial of the oral PCSK9 inhibitor MK-0616. J Am Coll Cardiol 2023; 81: 1553-64 27 Nurmohamed NS et al.: Cholesteryl ester transfer protein inhibitors: from high-density lipoprotein cholesterol to low-density lipoprotein cholesterol lowering agents? Cardiovasc Res 2022; 118: 2919-31 28 Nelson AJ et al.: Cholesteryl ester transfer protein inhibition reduces major adverse cardiovascular events by lowering apolipoprotein B levels. Int J Mol Sci 2022; 23: 9417 29 Ballantyne CM et al.: Obicetrapib plus ezetimibe as an adjunct to high-intensity statin therapy: A randomized phase 2 trial. J Clin Lipidol 2023; 17: 491-503 30 Ray KK et al.: Obicetrapib lowers LDL-C in patients on high intensity statins: Results from the rose trial (NCT04753606). Atherosclerosis 2022; 355: P11-12 31 Nicholls SJ et al.: Lipid lowering effects of the CETP inhibitor obicetrapib in combination with high-intensity statins: a randomized phase 2 trial. Nat Med 2022; 28: 1672-8 32 ClinicalTrails.gov. Trail registration of ‘NCT05202509, Cardiovascular outcome study to evaluate the effect of obicetrapib in patients with cardiovascular disease (PREVAIL)’ at ClinicalTrails.gov n.d. https://clinicaltrials.gov/study/NCT05202509 (accessed 1 November 2023) 33 Roeters van Lennep JE et al.: Women, lipids, and atherosclerotic cardiovascular disease: a call to action from the European Atherosclerosis Society. Eur Heart J 2023; 44: 4157-73
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