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pAVK als Manifestation der schweren generalisierten Atherosklerose
Jatros
Autor:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Marschang
Universitätsklinik für Innere Medizin III<br> Kardiologie und Angiologie<br> Medizinische Universität Innsbruck<br> E-Mail: Peter.Marschang@i-med.ac.at
30
Min. Lesezeit
31.05.2017
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<p class="article-intro">Die Manifestation der Atherosklerose im Bereich der peripheren Gefäße wird sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihren Konsequenzen oft unterschätzt. Tatsächlich haben Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit aufgrund der schweren generalisierten Atherosklerose verglichen mit Obstruktionen anderer Gefäßregionen eine noch schlechtere Prognose. Bei Kenntnis der typischen, vom Stadium abhängigen klinischen Symptome kann die Diagnose heute meist mittels nicht invasiver Methoden rasch gestellt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bei 15–20 % der Menschen im Alter von 75 Jahren kann eine pAVK – meist im asymptomatischen Stadium I nach Fontaine – nachgewiesen werden.</li> <li>Die Diagnose einer pAVK bedeutet eine schwere generalisierte Atherosklerose mit hoher Mortalität (25 % über 5 Jahre), noch deutlich schlechter ist die Prognose der symptomatischen pAVK (Stadien II–IV nach Fontaine).</li> <li>Die Symptomatik der pAVK reicht von der typischen Claudicatio intermittens über den ischämischen Ruheschmerz bis zum ischämischen Fußulkus.</li> <li>Die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index („ankle brachial index“, ABI) und die Sonografie spielen heute die wichtigste Rolle in der Diagnostik der pAVK, sie werden zur Interventionsplanung häufig durch die CT-Angiografie oder MR-Angiografie ergänzt.</li> </ul> </div> <h2>Definition</h2> <p>Unter peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) versteht man eine arterielle Durchblutungsstörung, welche durch stenosierende oder okkludierende Veränderungen der die Extremitäten versorgenden Arterien oder der Aorta hervorgerufen wird und in erster Linie die unteren Extremitäten betrifft. Sie wird in etwa 95 % der Fälle durch atherosklerotische Gefäßwandveränderungen hervorgerufen, andere Ursachen wie z.B. eine Embolie, Vaskulitis oder traumatische Schädigung sind selten.</p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Die Prävalenz der pAVK in der allgemeinen Bevölkerung beträgt im Mittel ca. 3–10 % und ist stark altersabhängig.<sup>1, 2</sup> So kann bei 15–20 % der Menschen im Alter von 75 Jahren eine pAVK nachgewiesen werden.<sup>3</sup> Weltweit sind etwa 200 Mio. Menschen von einer pAVK betroffen, über zwei Drittel davon in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.<sup>4</sup> Die wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer pAVK sind neben Hypertonie und Hypercholesterin vor allem Rauchen und Diabetes. Dabei ist für Raucher ein proximaler Befall (Beckenarterien), für Diabetiker ein distaler Befall (Unterschenkelarterien) typisch.<sup>5</sup> Daten aus einem großen Register von pAVK-Patienten belegen, dass mehr als die Hälfte der pAVK-Patienten gleichzeitig Gefäßobstruktionen in anderen Gefäßgebieten (koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Verschlusskrankheit) aufweist.<sup>6</sup> Tatsächlich haben pAVK-Patienten aufgrund der schweren generalisierten Atherosklerose verglichen mit Obstruktionen anderer Gefäßregionen eine noch schlechtere Prognose. Die 5-Jahres-Mortalität von 25 % liegt im Bereich von malignen Erkrankungen, etwa zwischen dem Mammakarzinom und dem kolorektalen Karzinom.<sup>7, 8</sup> Tabelle 1 zeigt die Stadieneinteilung der pAVK nach Fontaine. Zu beachten ist dabei, dass maximal ein Drittel der pAVK-Patienten typische Claudicatiobeschwerden angibt.<sup>6</sup> Neben der typischen Claudicatio intermittens beklagen mindestens gleich viele Patienten atypische Beinschmerzen.<sup>9</sup> Im Vergleich zur Gesamtgruppe der pAVK-Patienten haben die symptomatischen Patienten eine noch deutlich schlechtere Prognose, wobei die Mortalität im Stadium III und IV (kritische Extremitätenischämie) mit bis zu 25 % innerhalb eines Jahres besonders schlecht ist.<sup>1, 6</sup></p> <h2>Klinik</h2> <p>Im Stadium II der pAVK leiden die Patienten an der typischen Symptomatik der Schaufensterkrankheit oder Claudicatio intermittens, welche ohne (Stadium IIA) oder mit (Stadium IIB) Lifestylelimitierung einhergehen kann. Nach einer bestimmten Gehstrecke kommt es dabei zu belastungsabhängigen, krampfartigen Schmerzen, welche je nach Lokalisation der Obstruktion in Gesäß, Oberschenkel, Wade oder Fuß auftreten. Typisch sind eine rasche Besserung beim Stehenbleiben und das Wiederauftreten der Beschwerden beim Weitergehen nach derselben Gehstrecke. Differenzialdiagnostisch müssen andere Ursachen für Beinschmerzen wie eine Claudicatio spinalis bei Vertebrostenose, orthopädische Erkrankungen (Arthrosen), Neuropathien oder auch eine Claudicatio venosa abgegrenzt werden.<br /> Das Stadium III ist durch das Auftreten ischämischer Ruheschmerzen gekennzeichnet, welche typischerweise im Liegen als brennende Schmerzen im Bereich von Zehen und Vorfuß beschrieben werden und sich durch das Herabhängenlassen der Extremität bessern lassen.<br /> Schließlich treten im Stadium IV Gewebsdefekte im Sinne von meist sehr schmerzhaften ischämischen Ulzera und Nekrosen auf. Diese sind typischerweise im Bereich der Zehen oder des lateralen Fußrandes lokalisiert.<br /> Als Stadium I + IV bzw. II + IV (oder kompliziertes Stadium I bzw. II) wird ein Ulkus anderer Genese (z.B. traumatisch, neuropathisch) bei gleichzeitig bestehender pAVK ohne kritische arterielle Minderdurchblutung bezeichnet. Die Stadien III und IV werden bei seit mindestens 2 Wochen bestehenden Beschwerden als kritische Extremitätenischämie („critical limb ischemia“, CLI) zusammengefasst.<sup>10</sup> Differenzialdiagnostisch sind hier unter anderem die schmerzhafte diabetische Neuropathie, das neuropathische Fußulkus (Mal perforans) und das venöse Ulkus zu nennen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite46_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="782" /></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Neben der Erhebung der Anamnese und der klinischen Untersuchung inklusive Palpation der peripheren Pulse hat der Knöchel-Arm-Index („ankle brachial index“, ABI) die größte Bedeutung als Screeninguntersuchung in der nicht invasiven Diagnostik der pAVK. Dazu wird der systolische Blutdruck an allen vier Extremitäten gemessen, durch Division der Knöchel- durch die Armwerte erhält man den ABI. Wie in Abbildung 1 dargestellt, liegt der ABI physiologisch zwischen 0,9 und 1,4. Werte unter 0,9 sind typisch für Obstruktionen der Becken-/Beinarterien, während Werte über 1,4 vor allem bei Patienten mit Diabetes und terminaler Niereninsuffizienz gemessen werden. Dabei führen vaskuläre Kalzifikationen dazu, dass die Unterschenkelarterien in Höhe des Knöchels nicht mehr komprimierbar sind und daraus falsch hohe ABI-Werte resultieren. In diesem Fall sind weitere, nicht invasive Testverfahren zur Diagnose bzw. zum Ausschluss einer pAVK indiziert.<sup>10</sup> Interessanterweise sind nicht nur niedrige, sondern auch pathologisch hohe ABI-Werte mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.<sup>11</sup><br /> Nach dem ABI kommt der farbkodierten Duplexsonografie die bedeutendste Rolle in der Diagnostik der pAVK zu. Als nicht invasive, einfache und weit verbreitete, verfügbare Methode erlaubt sie die Bestätigung der Diagnose mit einer Sensitivität von 85–90 % und einer Spezifität von über 95 % .<sup>10</sup> Die besondere Stärke der Ultraschalldiagnostik besteht dabei in der Möglichkeit, die hämodynamische Relevanz einer Stenose zu erfassen, wodurch zusammen mit dem ABI-Wert in den meisten Fällen die Therapieplanung möglich ist. Als Nachteil ist neben der Untersucherabhängigkeit anzuführen, dass die Sicht in der Beckenetage oft eingeschränkt ist.<br /> Große Bedeutung für die Diagnostik von Stenosen und Verkalkungen hat auch die CT-Angiografie, welche mit hoher Auflösung eine übersichtliche Darstellung des gesamten Gefäßverlaufes ermöglicht. Neben dem Aufwand der Untersuchung stellen die Strahlenbelastung sowie die Notwendigkeit einer Kontrastmittelgabe Limitationen der Methode dar.<br /> Eine Darstellung ohne Strahlenbelastung und mit noch besserer Auflösung in der Peripherie bietet die MR-Angiografie. Allerdings sind in der MR-Angiografie implantierte Stents nicht beurteilbar und die Methode ist für Patienten mit Implantaten wie Herzschrittmachern nicht geeignet.<br /> Weiterhin der Goldstandard in der Diagnostik ist die digitale Subtraktionsangiografie, die dank des Fortschrittes in der nicht invasiven Bildgebung heute üblicherweise nur vor geplanten Interventionen und im Stadium der kritischen Extremitätenischämie zum Einsatz kommt. Wichtige Hinweise für die zu erwartende Heilungstendenz ischämischer Ulzera können aus der Messung des transkutanen Sauerstoffpartialdrucks (tcpO<sub>2</sub>) gewonnen werden. Dabei wird die Diffusion des Sauerstoffs über Hautelektroden gemessen. Normalerweise sollte der tcpO<sub>2</sub> über 40mmHg liegen. Bei Werten unter 20mmHg ist das Abheilen von Ulzera unwahrscheinlich.<sup>12</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite46_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1121" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Bedingt durch demografische Veränderungen erleben wir heute weltweit eine kontinuierliche Zunahme der pAVK im Sinne einer Pandemie mit wichtigen prognostischen Implikationen. Die wichtigsten Risikofaktoren der pAVK zeigen auch eine typische Verteilung der Erkrankung (proximale Form bei Rauchern, distale Form bei Diabetikern). Etwa die Hälfte der pAVK-Patienten ist asymptomatisch, die übrigen geben etwa zu gleichen Teilen typische Claudicatio oder atypische Beinschmerzen an, während sich nur wenige im Stadium der kritischen Extremitätenischämie befinden. Der Knöchel-Arm-Index („ankle brachial index“, ABI) ist der wichtigste Screeningtest zur Diagnose einer pAVK, welcher aber bei Diabetikern falsch erhöhte Werte ergeben kann.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Lawall H et al: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit 2015. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/065-003.html <strong>2</strong> Criqui M H et al: The prevalence of p eripheral arterial disease in a defined population. Circulation 1985; 71: 510-15 <strong>3</strong> Diehm C e t a l: H igh p revalence o f p eripheral a rterial disease and comorbidity in 6,880 primary care patients: cross sectional study. Atherosclerosis 2004; 172: 95-105 <strong>4</strong> Fowkes FG et al: Comparison of global estimates of prevalence and risk factors for peripheral artery disease in 2000 and 2010: a systematic review and analysis. Lancet 2013; 382: 1329-40 <strong>5</strong> Diehm N et al: Association of cardiovascular risk factors with pattern of lower limb atherosclerosis in 2659 patients undergoing angioplasty. Eur J Vasc Endovasc Surg 2006; 31: 59-63 <strong>6</strong> Norgren L et al: Inter-Society Consensus for the Management of Peripheral Arterial Disease (TASC II). Eur J Vasc Endovasc Surg 2007; 33(Suppl 1): S1-75 <strong>7</strong> Steg PG et al for the REACH Registry Investigators: One-year cardiovascular event rates in outpatients with atherothrombosis. JAMA 2007; 297: 1197- 206 <strong>8</strong> Criqui MH el al: Peripheral arterial disease – epidemiological aspects. Vasc Med 2001; 6(3 Suppl): 3-7 <strong>9</strong> Hirsch AT et al: ACC/AHA 2005 Practice Guidelines for the management of patients with peripheral arterial disease (lower extremity, renal, mesenteric, and abdominal aortic). Circulation 2006; 113: e463-654 <strong>10</strong> Tendera M et al: ESC Guidelines on the diagnosis and treatment of peripheral artery diseases: document covering atherosclerotic disease of extracranial carotid and vertebral, mesenteric, renal, upper and lower extremity arteries. Eur Heart J 2011; 32: 2851-906 <strong>11</strong> Resnick HE et al: Relationship of high and low ankle brachial index to all-cause and cardiovascular disease mortality: the Strong Heart Study. Circulation 2004; 109: 733-9 <strong>12</strong> Gerhard-Herman MD et al: 2016 AHA/ACC Guideline on the Management of Patients With Lower Extremity Peripheral Artery Disease: a Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. Circulation 2017; 135: e726- e779</p>
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