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Spinale Muskelatrophie

Neues zu den Erfolgstherapien

In den letzten Jahren ist es dank dreier wirkungsvoller Therapieansätze zu weitreichen-den Verbesserungen bei der Behandlung von Patient:innen mit spinaler Muskelatrophie gekommen. Diese Ansätze werden stetig weiterentwickelt und ihre Wirksamkeit bei Therapieabfolgen, dualen Therapien und beim Therapiewechsel wird untersucht. Mit geeigneten sensitiven Screeningmethoden für Säuglinge und neuen internationalen SMA-Registern vollzieht sich in dieser Therapielandschaft ein Wandel zum Positiven.

Weiterentwicklung der SMA-Therapieansätze bei Kindern

Sowohl Dr. Simone Mahal als auch Dr. Magdalena Gosk-Tomek aus der Klinik Favoriten in Wien erläuterten, dass der Ursprung der spinalen Muskelatrophie (SMA) in der Vorderhornzelle im Rückenmark liegt. Durch Degeneration der Alpha-Motoneuronen verkümmert die Muskulatur, was sich dann klinisch als Schwäche bemerkbar macht.1,2 Die Ursache liegt in Deletionen im „Survival motor neuron 1“(SMN1)-Gen und dem resultierenden Verlust der Funktion des SMN-Proteins. Ein hochgradig homologes Gen, SMN2, kann zwar eine verkürzte SMN-Variante generieren, aber nur 5–10% davon sind funktional und somit kann der Verlust von SMN1 nicht kompensiert werden. Die Anzahl der SMN2-Kopien (bis zu 3 Kopien pro Chromosom) hat jedoch Einfluss auf die Ausprägung des SMA-Phänotyps. Der Verlauf der Erkrankung kann aber nicht allein daran abgebildet werden. Der wichtigste Prädiktor ist das Alter bei Symptombeginn.So liegt die Lebenserwartung bei frühem Erkrankungsbeginn ohne Behandlung bei lediglich bis zu zwei Jahren. Bei späterem Beginn verläuft die Erkrankung lebenslang als fortschreitende Muskelschwäche mit Rollstuhlpflichtigkeit und Assistenzbedarf. Durch die neuen Therapien konnten die Prognosen jedoch entscheidend verbessert werden.1,2

Derzeitige wirkungsvolle SMA-Therapiestandards

Der Therapiestandard bei SMA sind Splicingmodifikatoren oder eine Genersatztherapie.1 Die Splicingmodifikatoren Nusinersen und Risdiplam setzen am SMN2-Gen an, bei dem normalerweise das Exon 7 übersprungen wird. Dies wird durch die Modifikatoren geändert, sodass auch SMN2 ein vollständiges, funktionales SMN-Protein bildet.1,2

Risdiplam ist einmal täglich oral einzunehmen und für Patient:innen mit 1–4 SMN2-Kopien indiziert.3 Eine Schwierigkeit ist bisher, dass das Präparat gekühlt gelagert werden muss. Es laufen aber bereits Anstrengungen für eine Tablettenformulation, zu der es auch schon erste positive Sicherheitsdaten gibt.4

Nusinersen wird nach einer Aufdosierungsphase alle vier Monate intrathekal appliziert. Die laufende DEVOTE-Studie untersucht gerade den Nutzen und die Sicherheit einer Hochdosistherapie.5,6

Bei der Genersatztherapie mit Onasemnogen Abeparvovec wird ein intaktes SMN1-Gen durch einen Virusvektor in den Zellkern gebracht, das dort als Ringstruktur verweilt und zur Bildung von SMN-Protein führt.7 Die Therapie ist für Patient:innen mit 2–3 SMN2-Genkopien indiziert.8 Es können vektorassoziierte immunologische Nebenwirkungen auftreten, die mit zunehmendem Alter und Gewicht ausgeprägter sind.7

Bei der klinischen Wirksamkeit gibt es wenige Unterschiede zwischen den drei Therapiealternativen: Bei allen führen ein früher Behandlungsbeginn und eine SMN2-Kopien-Anzahl ≥ 2 zu einem deutlich besseren Therapieergebnis.2 Die Entwicklung von präsymptomatisch behandelten Patient:innen mit 3 SMN2-Kopien verläuft sogar normal. Auch eine bereits fortgeschrittene Erkrankung kann durch präsymptomatische Behandlungen bei ≥2 SMN2-Kopien stabilisiert und in geringerem Maße verbessert werden.2 Eine präsymptomatische Therapie ist anzustreben, da sie zumeist auch einer Verschlechterung der Atemtätigkeit und einer Beeinträchtigung der Schluckfunktion vorbeugt.

Erfolgreiches Säuglingsscreening

Seit 2021 wird im Rahmen des Neugeborenenscreenings auch auf SMA getestet. Mit der angewendeten Methode können aber nur 95% der Betroffenen identifiziert werden, weshalb bei klinischem Verdacht (Hypotonie im Säuglingsalter und proximale Muskelschwäche bei älteren Kindern) weiterhin eine gezielte genetische Testung erfolgen muss.

In drei Jahren wurden so 255000 Neugeborene überprüft, 41 davon mit positivem Befund, darunter zwei falsch positive, was einer Inzidenz von 1:7000 entspricht.9 Bei positivem Befund wird eines der sechs Muskelzentren in Österreich informiert. Mit einem Therapiebeginn ist innerhalb von 10–21 Tagen nach Geburt zu rechnen, was in vielen Fällen noch präsymptomatisch ist. Kinder mit 2–3 SMN2-Kopien erhalten eine Genersatztherapie, solche mit 4 SMN2-Kopien erhalten Splicingmodifikatoren. Kinder mit 5 Genkopien werden vorerst nur beobachtet, da hier eine Manifestation im Kindesalter nicht üblich ist.

SMA-Fallbeispiel

Eine der ersten durch das Screening identifizierten Patient:innen war im Alter von 10 Tagen bereits symptomatisch (Bewegungsarmut der Beine) und erhielt mit 17 Tagen die Genersatztherapie. Nach CHOP-INTEND (Children’s Hospital of Philadelphia Infant Test of Neuromuscular Disorders) war das Kind bei Diagnose bereits im stark progredienten, neurodegenerativen Stadium (CHOP=20). Es kam nach der Genersatztherapie zu einer Erholung (6 Monate CHOP=30), jedoch lag eine Schwäche der Interkostalmuskulatur vor. Es wurde mit einer nichtinvasiven Beatmung begonnen, mit Hustenunterstützung. Im Rahmen einer Infektion wurde das Kind akut ateminsuffizient und musste über einen langen Zeitraum beatmet werden. Es verlor die Schluckfunktion und wurde auf Sondennahrung umgestellt und 24 Stunden am Tag beatmet. Aufgrund der kritischen Lage wurde im Alter von 12 Monaten (CHOP=25) eine Therapie mit Risdiplam begonnen. Nach weiteren 3 Monaten lag der CHOP-Wert bei 32 und schließlich bei 35 mit 19 Monaten, wobei unklar ist, ob es sich um eine Rekonvaleszenz oder den Nutzen von Risdiplam handelte. Seit Dezember 2022 ist das Kind stabil.

Initiale Daten zu dualen und Add-on-Therapien

Aufgrund der Verfügbarkeit mehrerer wirkungsvoller Therapieoptionen ergeben sich Fragen zu möglichen Therapieabfolgen oder zu Therapiewechseln.10

Erste Daten zu einer präventiven dualen Therapie mit Splicingmodifikatoren und Genersatztherapie als Alternative für Kinder mit nur 2 SMN2-Kopien zeigten keine wesentlichen Unterschiede in der Wirksamkeit im Vergleich zur Genersatztherapie allein.11 Erste Daten zu Add-on-Therapien mit Risdiplam oder Nusinersen im Anschluss an eine Genersatztherapie waren hinsichtlich der Sicherheitsdaten positiv. Ob die bislang beschriebenen motorischen, respiratorischen und bulbären Verbesserungen, die bei manchen Patient:innen dokumentiert wurden, einen ursächlichen Zusammenhang mit der Add-on-Therapie haben, ist noch unklar. Hier braucht es noch zusätzliche Daten und längere Beobachtungszeiträume.12,13

Positive Daten zum Therapiewechsel

Bei manchen älteren Patient:innen sind intrathekale Applikationen aufgrund fortschreitender Skoliose schwierig und können eine starke Belastung darstellen. Hier kann ein Therapiewechsel von Nusinersen auf Risdiplam von Nutzen sein. Rezente Real-World-Daten zeigen, dass Patient:innen trotz Wechsel stabil blieben und keine neuen Nebenwirkungen auftraten.14

Auch Real-World-Daten zu einem Wechsel auf eine Genersatztherapie bei Patient:innen bis zwei Jahre und bis zu 15 Kilogramm mit Ateminsuffizienz oder Dysphagie trotz vorhergegangener Behandlung mit Nusinersen ermittelten eine Verbesserung beim Schlucken bei 42% der Patient:innen, die eine Ernährungsunterstützung benötigten, und eine verkürzte Beatmungsdauer bei 38% der Patient:innen mit chronischer respiratorischer Insuffizienz.15 Auch eine signifikante Verbesserung der motorischen Funktionen wurde dokumentiert. Ob die Verbesserungen eine direkte Folge der Genersatztherapie sind, ist unklar.15 Bei 11% der Patient:innen traten schwerwiegende Nebenwirkungen auf, am häufigsten eine subakute Hepatopathie. Der Anstieg der Leberwerte war hierbei mit höherem Alter und höherem Körpergewicht und somit höheren Dosen Onasemnogen Abeparvovec assoziiert.15 Um dies zu umgehen, laufen gerade Studien zur intrathekalen Applikation der Genersatztherapie. Erste Daten zeigen eine gute Verträglichkeit und positive Veränderungen im Krankheitsbild.16,17

Datenbanken als Grundlage von Therapieempfehlungen

Trotz Therapiealternativen braucht es für individuelle Behandlungsempfehlungen noch langfristige Datensammlungen. Diese erfolgen im deutschsprachigen Raum im SMArtCare-Register, in dem Therapieentscheidungen und klinische Verlaufsdaten von allen SMA-Patient:innen gesammelt werden. Bei den pädiatrischen Patient:innen ist diese Datensammlung in Österreich nahezu lückenlos, bei den erwachsenen Patient:innen noch im Aufbau. Derzeit werden an den Kinderabteilungen Österreichs 134 Patient:innen mit SMA behandelt und ihr klinischer Verlauf mit standardisierten Motoriktests und Routinedaten im SMArtCare-Register gesammelt. Jedoch fehlen noch Angaben zu alltagsrelevanten Faktoren, wie Drooling/Absaugfrequenz, Lautstärke der Stimme und Verständlichkeit der Sprache, was aktuell im Fokus neuer Studien steht.19,20

Dank der neuen Therapieoptionen, den Anstrengungen zur Früherkennung und dem Anlegen von Registern konnte die SMA-Therapielandschaft in den letzten Jahren grundlegend und nachhaltig verbessert werden. Es bedarf aber noch der Klärung zahlreicher offener Fragen, die die SMA-Behandlung auch in Zukunft noch positiv verändern werden.

Vortrag von Dr. Simone Mahal und Dr. Magdalena Gosk-Tomek: ,,Therapien bei spinaler Muskelatrophie‘‘, Tagung „UpDate Muskelforschung 2024“, 14.–15. Juni 2024, Wien

1 S1-Leitlinie Spinale Muskelatrophie (SMA) Stand Dezember 2020 2 McPheron MA et al.: Mol Ther 2024; S1525-0016(24)00402-7 3 Fachinformation Evrysdi, Stand März 2024 4 Kletzl H et al.: MDA Conference 2014; Poster #S109 5 Fachinformation Spinraza, Stand Mai 2024 6 Finkel RS et al.: J Neuromuscul Dis 2023; 10(5): 813-23 7 Al-Zaidy SA et al.: J Neuromuscul Dis 2019; 6(3): 307-17 8 Fachinformation Zolgensma, Stand März 2024 9 Eisenkölbl A et al.: Paediatr Paedolog 2021; 56: 59-66 10 Proud CM et al.: Ann Clin Transl Neurol 2023; 10(11): 2155-60 11 Matesanz SE et al.: Ann Clin Transl Neurol 2024; 10.1002/acn3.52093 12 Kuntz N et al.: Neuromuscular Disorders 2023; 33(1): S162 13 Brandsema JF et al.: MDA Conference 2014; Poster #S111 14 Belančić A et al.: J Pers Med 2024; 14(3): 244 15 Weiss C et al.: Lancet Child Adolesc Health 2022; 6(1): 17-27 16 Finkel RS et al.: J Neuromuscul Dis 2023; 10(3): 389-404 17 René CA et al.: Pharmaceutics 2023; 15(6): 1764 18 Pechmann A et al.: Orphanet J Rare Dis 2019; 14(1):18 19 Trucco F et al.: Dysphagia 2023; 38(6): 1568-80 20 Dunaway Young S et al.: J Neuromuscul Dis 2023; 10(4): 639-52

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