Die OSG-Distorsion: häufig und häufig unterschätzt

<p class="article-intro">Bis zu 40 % aller Sportverletzungen betreffen das obere Sprunggelenk (OSG). Damit ist das OSG-Distorsionstrauma die häufigste Sportverletzung überhaupt. Rund 85 % aller Distorsionen ereignen sich als Supinationstrauma, 10–15 % als Pronationstrauma. Chronische Beschwerden treten in 10–40 % aller Fälle auf. Eine häufige Ursache ist die unzureichende therapeutische Versorgung (50–65 %).</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Das &laquo;einfache&raquo; Supinationstrauma</h2> <p>Das Supinationstrauma ist die h&auml;ufigste Form der OSG-Distorsion. Es ereignet sich im Lande-/Abrollprozess der Bewegung (z. B. im Gehen oder Laufen). Wenn der Fuss leicht plantarflektiert ist, ist die ligament&auml;re Stabilisierung am schw&auml;chsten. Es braucht wenig, um eine Supinationskraft auszul&ouml;sen und der Verletzungsmechanismus nimmt seinen Lauf. Am h&auml;ufigsten kommt es zu einer kapsulo-ligament&auml;ren Verletzung des Aussenbandapparates. Das Ligamentum fibulotalare anterius (LFTA), welches den Talusvorschub kontrolliert, und das Ligamentum fibulocalcaneare (LFC), welches die Inversion &uuml;ber das OSG und USG hinweg kontrolliert, begrenzen die Supination synergistisch. Oft sind sie deshalb gemeinsam verletzt, das LFTA etwas h&auml;ufiger als das LFC (Abb. 1). <br />Es gibt verschiedene Gradierungen der Aussenbandverletzung, klinisch und bildgebend (z. B. Ultraschall oder MRI). Man unterscheidet dabei Zerrungen, Partialrupturen und komplette Rupturen. Therapeutisch werden heutzutage alle prim&auml;r konservativ therapiert. Das Therapieprinzip ist dabei identisch, unterscheidet sich einzig im zeitlichen Verlauf. Es beruht auf der Tatsache, dass durch das Supinationstrauma eine mechanische Instabilit&auml;t (die Kapsel-Band-Ruptur) und eine funktionelle Instabilit&auml;t (Sch&auml;digung der funktionellen propriozeptiv-neuromuskul&auml;ren Gelenkskontrolle) entstehen. Beide m&uuml;ssen therapeutisch angegangen werden. Durch eine Schienenversorgung und Stabilisierung des OSG wird sichergestellt, dass das Ligament mechanisch suffizient heilen kann. Durch ein funktionelles Rehabilitationstraining in der Physiotherapie wird die neuromuskul&auml;re Gelenkskontrolle trainiert und wiederhergestellt. Diese Massnahme f&uuml;hrt zu einer erfolgreichen Rehabilitation mit dem Ziel einer kompletten Wiederherstellung von Funktion und Sportf&auml;higkeit und reduziert das Rezidivrisiko signifikant.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_a1-abb1.jpg" alt="" width="288" height="439" /></p> <h2>Das &laquo;komplexe&raquo; Supinationstrauma</h2> <p>Sehr oft handelt es sich nicht um eine isolierte Supinationsverletzung, auch wenn zu Beginn des Unfallmechanismus eine Supination steht. In der Folge kommt es zu einer Gegenbewegung und an die Supinationsbewegung schliesst sich eine Pronations- oder Rotationsverletzung an. Diesem Verletzungsmuster liegen hohe Kr&auml;fte zugrunde, wie typischerweise im Sport beim Landen aus einem Sprung oder unter Gegnereinwirkung. Grosse Kr&auml;fte l&ouml;sen grosse Sch&auml;den aus. Ligament&auml;r sind dabei zus&auml;tzliche Verletzungen am medialen Bandapparat (tiefes oder oberfl&auml;chliches Blatt des Lig. deltoideum, Spring-Ligament) oder an der Syndesmose (vordere oder hintere Syndesmose, Syndesmoseninstabilit&auml;t) m&ouml;glich. Insbesondere bei Rotationsverletzungen muss auch an eine Verletzung oder Instabilit&auml;t des Chopart- Gelenks gedacht werden (Lig. bifurcatum und Lig. talonaviculare dorsale). In der Folge k&ouml;nnen jedoch alle anderen Strukturen ebenfalls verletzt werden (Fraktur des Malleolus medialis, Processus lateralis talis oder Processus posterior tali, Sehnenrupturen). <br />Bei dreidimensionalen Verletzungsmustern ist ein besonderes Augenmerk auf den medialen Bandapparat und die Syndesmose zu werfen, da Verletzungen an diesen Stellen a) zu l&auml;ngeren Heilungs- und Rehabilitationszeiten f&uuml;hren, b) das Risiko für eine persistierende Instabilit&auml;t erh&ouml;hen und c) als chronische Insuffizienz ein deutlich schlechteres operatives Outcome haben.</p> <h2>Die Verletzung des medialen Bandapparates</h2> <p>Der mediale Bandapparat besteht aus drei Ligamentkomplexen, welche wiederum verschiedene Anteile haben: Das Ligamentum deltoideum profundus stabilisiert zwischen Malleolus medialis und dem Talus; das Ligamentum deltoideum superficiale stabilisiert den gesamten R&uuml;ckfuss mit OSG und USG und f&uuml;hrt vom Malleolus medialis an den Calcaneus (insb. das Sustentaculum tali); und das Spring-Ligament stabilisiert das mediale L&auml;ngsgew&ouml;lbe zwischen Calcaneus und Os naviculare. Das Ligamentum deltoideum ist dabei wesentlich st&auml;rker als der laterale Bandapparat (Tab. 1) und hat auch eine andere Funktion. Die Untersuchung und Einsch&auml;tzung einer Ligamentum-deltoideum-Verletzung sind nicht ganz einfach.</p> <ul> <li>Eine Verletzung, die nur die tiefen, tibiotalaren Schichten betrifft, zeigt oft keine vermehrte Aufklappbarkeit, da die mediale Aufklappbarkeit immer das USG in die Untersuchung miteinschliesst und von intakten oberfl&auml;chlichen Fasern kaschiert werden kann.</li> <li>Die Verletzung der oberfl&auml;chlichen, vor allem anteromedial gelegenen Bandanteile zeigt sich vor allem in einer vermehrten Aussenrotation in leichter Plantarflexionsstellung.</li> <li>Die Fussstellung hat einen wichtigen Einfluss auf den Heilungsverlauf. Ein Pes cavovarus sch&uuml;tzt das Ligamentum deltoideum. Bei einem Knick-Senkfuss ist das Risiko f&uuml;r eine sp&auml;tere Insuffizienz wesentlich h&ouml;her.</li> <li>Heilt eine Ligamentum-deltoideum-Verletzung insuffizient aus, so ist die chirurgische Korrektur wesentlich komplexer als die Rekonstruktion bei einer frischen medialen Bandruptur. Gerade bei einem Knick-Senkfuss sind dann zus&auml;tzliche Osteotomien (z. B. Calcaneus-OT, Mittelfuss-OT) notwendig, um die Kr&auml;fte auf das Ligament zu reduzieren.</li> <li>Bei kompletten Ligamentum-deltoideum- Rupturen bietet sich deshalb die prim&auml;re chirurgische Rekonstruktion an.</li> </ul> <h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_a1-tab1.jpg" alt="" width="654" height="228" /></h2> <h2>Die Syndesmose und ihre Stabilit&auml;t</h2> <p>&Auml;hnlich wie mit dem medialen Bandkomplex verh&auml;lt es sich mit der Syndesmose. Der Syndesmosenkomplex besteht aus verschiedenen Anteilen. Mechanisch am wichtigsten sind das anteriore und das posteriore Lig. tibiofibulare. Die komplette Syndesemosenverletzung oder akute Syndesmoseninstabilit&auml;t sollte chirurgisch versorgt werden. Zur Stabilisierung stehen zwei Methoden zur Verf&uuml;gung: die Stellschraube oder ein Faden-Pl&auml;ttchen-System wie das Tight-Rope. <br />Schwieriger sind isolierte Rupturen der vorderen Syndesmose. Diese sind je nach Sportart h&auml;ufig zu finden, insbesondere im Eishockey. W&auml;hrend gewisse Exponenten die chirurgische Stabilisierung propagieren, ist es oft so, dass unter einer konsequenten Nachbehandlung eine konservative Therapie erfolgreich durchgef&uuml;hrt werden kann. <br />Die Beurteilung der Syndesmosenstabilit&auml;t ist nicht einfach, sowohl die der frischen Verletzung als auch &ndash; und noch viel mehr &ndash; die der chronischen Instabilit&auml;t. Sie geh&ouml;rt deshalb in erfahrene H&auml;nde. Verschiedene diagnostische Faktoren werden hierzu zusammengezogen (Tab. 2). W&auml;hrend die chirurgische Therapie einer akuten Syndesmoseninstabilit&auml;t ein gutes Outcome hat, hat die chronische Syndesmoseninstabilit&auml;t (Abb. 2) bez&uuml;glich Stabilit&auml;t, Funktion und Sportf&auml;higkeit ein schlechtes Outcome. Das Risiko f&uuml;r eine posttraumatische OSG-Arthrose ist hoch.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_a1-tab2.jpg" alt="" width="592" height="574" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_a1-abb2-3.jpg" alt="" width="278" height="614" /></p> <h2>Die Therapie der OSG-Distorsion</h2> <p>Auch wenn die OSG-Distorsion eine h&auml;ufige Verletzung ist, gibt es grosse Unterschiede in der Therapie und eine Unmenge an Bandagen und Orthesen auf dem Markt, jedoch wenig Evidenz dazu. Leitlinien in der Therapie einer rein ligament&auml;ren OSG-Distorsion k&ouml;nnen folgende Faktoren sein:</p> <ul> <li>Eine Bandheilung dauert letztendlich 12&ndash;18 Monate. Eine Prim&auml;rstabilit&auml;t wird nach 6&ndash;8 Wochen erreicht. Eine erh&ouml;hte Vulnerabilit&auml;t bleibt f&uuml;r mind. 3&ndash;4 Monate bestehen.</li> <li>W&auml;hrend dieser Zeit ist eine erneute Distorsion unbedingt zu vermeiden.</li> <li>Die Stabilisierung zur Distorsionsprophylaxe soll das OSG dreidimensional ruhigstellen.</li> <li>Die funktionelle Gelenkskontrolle (Propriozeption, neuromuskul&auml;re/posturale Gelenkskontrolle) muss wieder aufgebaut und geschult werden. Sie kann das Rezidivrisiko (in Risikosportarten: 60&ndash;80 %) signifikant senken.</li> <li>Eine Verletzung des lateralen Bandapparates kann prim&auml;r konservativ behandelt werden, mit Belastung nach Massgabe der Beschwerden.</li> <li>Eine komplette Ruptur des medialen Bandapparates oder der Syndesmose sollte chirurgisch therapiert werden. Partialrupturen brauchen eine Phase der Teilbelastung (2&ndash;6 Wochen).</li> </ul> <h2>&laquo;Acute-on-chronic&raquo;-Instabilit&auml;t</h2> <p>Die &laquo;Acute-on-chronic&raquo;-Instabilit&auml;t stellt eine besondere Herausforderung dar. Es handelt sich um eine frische ligament&auml;re Verletzung bei Rezidivdistorsion und vorbestehender Instabilit&auml;t, welche funktionell gut kompensiert werden konnte oder oligosymptomatisch war. Dabei ist einerseits eine erneute konservative Therapie erschwert. Andererseits richtet sich die chirurgische Therapie prim&auml;r nach dem chronischen vorbestehenden Schaden. Oft werden Begleitsch&auml;den des Gelenks und der umgebenden Strukturen gefunden. Abbildung 4 zeigt das Beispiel eines 20-j&auml;hrigen Kunstturners, der sich bei vorbekannten ligament&auml;ren Verletzungen bei einem Sprungelement eine frische Komplettruptur des Ligamentum deltoideum zuzog. Aufgrund der vorbestehenden Instabilit&auml;t fanden sich intraoperativ bereits fortgeschrittene Knorpelsch&auml;den, freie Gelenksk&ouml;rper und ein komplett rupturiertes Ligamentum deltoideum.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Ortho_1901_Weblinks_a1-abb4.jpg" alt="" width="546" height="492" /></p> <h2>Die chronische OSGRotationsinstabilit&auml;t</h2> <p>Zum Verst&auml;ndnis der chronischen OSG-Instabilit&auml;t muss zwischen einer mechanischen und einer funktionellen Instabilit&auml;t unterschieden werden. Die mechanische Instabilit&auml;t beschreibt die Insuffizienz oder Instabilit&auml;t der Ligamente. Sie wird begleitet von zus&auml;tzlichen anatomischen Risikofaktoren (z. B. oss&auml;re Talus&uuml;berdachung). Sie entsteht als Folge einer insuffizienten Ausheilung nach einer Verletzung. Dies ist in 10&ndash;40 % der akuten Distorsionen der Fall. <br />Die funktionelle Instabilit&auml;t beschreibt die fehlende dynamische Gelenkskontrolle. Sie kann trainiert werden. Damit kann bei einem Teil der mechanisch instabilen Patienten die Instabilit&auml;t kompensiert werden. Man spricht &auml;hnlich wie beim vorderen Kreuzband von Copern und Non- Copern. Letztere m&uuml;ssen schlussendlich einer chirurgischen Ligamentrekonstruktion zugef&uuml;hrt werden. <br />Ist neben dem lateralen Bandapparat auch der mediale Bandapparat oder die Syndesmose involviert, spricht man von einer OSG-Rotationsinstabilit&auml;t. Diese ist sehr viel schwieriger funktionell zu kompensieren, insbesondere dann, wenn zus&auml;tzliche, relevante Begleitsch&auml;den (osteochondrale L&auml;sionen, Knorpelsch&auml;den, Impingementformen, Sehnensch&auml;den etc.) oder Risikofaktoren (Pes cavovarus, Pes planovalgus, Coalitiones etc.) vorliegen. Oft m&uuml;ssen diese mitadressiert werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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