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Frakturen rund um das Kniegelenk im Wachstumsalter

<p class="article-intro">Waren bisher knöcherne Verletzungen rund um das kindliche Knie selten, so ist in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme zu beobachten. Grund hierfür scheint die zunehmende sportliche Betätigung von Kindern und Jugendlichen zu sein, besonders im Bereich des Leistungssports. Auch wenn die Therapiekonzepte denen im Erwachsenenalter ähneln, so ist in der Diagnostik und Therapie im Kindes- und Jugendalter ein hohes Maß an Erfahrung notwendig, um eine kindgerechte Versorgung zu erzielen, die unnötige Therapiemaßnahmen vermeidet und mögliche Folgeschäden abwendet beziehungsweise frühzeitig erkennt.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine sorgf&auml;ltige Anamnese des Unfallhergangs und eine pr&auml;zise Diagnosestellung mittels klinischer Untersuchung und Bildgebung sind essenziell.</li> <li>Entscheidend f&uuml;r die Therapiewahl zwischen konservativer und operativer Vorgehensweise sind der Dislokationsgrad der Fraktur sowie die Achsenabweichung.</li> <li>Wird die Indikation zur operativen Therapie gestellt, so sollte nach achsengerechter Reposition eine belastungsstabile Versorgung erfolgen, um den jungen Patientinnen und Patienten eine sichere und schnelle R&uuml;ckkehr in den Alltag zu erm&ouml;glichen.</li> </ul> </div> <p>Frakturen im Kindesalter haben ein hohes Korrekturpotenzial, jedoch m&uuml;ssen auch m&ouml;gliche Langzeitfolgen in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden. Erleiden Schulkinder und Jugendliche Verletzungen des Knies vor allem im Rahmen von Sportverletzungen oder Verkehrsunf&auml;llen mit seitlichem Aufprallmuster, so sind bei S&auml;uglingen und Kleinkindern meist St&uuml;rze aus gro&szlig;er H&ouml;he (z. B. vom Wickeltisch) die Ursache.<br /> W&auml;hrend bei Kleinkindern eventuell angeborene Knochenfehlbildungen ausgeschlossen werden m&uuml;ssen, wei&szlig; man doch, dass bei Kindern unter einem Jahr mit einer diagnostizierten Tibia- und/oder Fibulafraktur in bis zur H&auml;lfte aller F&auml;lle eine nicht akzidentelle Ursache vorliegt (Leventhal 2008). Dies best&auml;rkt die Notwendigkeit einer akkuraten Anamnese im Hinblick auf das Verletzungsmuster. Stressfrakturen im Kindesalter sind extrem selten, sollten jedoch bei Kindern im Leistungssport nicht negiert werden.<br /> In der prim&auml;ren Versorgung ist die ad&auml;quate Schmerztherapie essenziell. Ist die intraven&ouml;se Gabe eines Schmerzmittels nicht m&ouml;glich, k&ouml;nnen intranasale Verabreichungen eine gute Alternative bieten. Auch die schonende Lagerung in einer Vakuummatratze oder Schiene kann eine gute Schmerzlinderung bieten und erleichtert den Transport in ein geeignetes Traumazentrum.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Nach sorgf&auml;ltiger klinischer Untersuchung des Knies erfolgt die R&ouml;ntgendiagnostik in zwei Ebenen (a. p. und seitlich). Je nach klinischem Befund k&ouml;nnen additive Aufnahmen der Patella erg&auml;nzt werden. Besonders Neugeborene, S&auml;uglinge und Kleinkinder profitieren auch von einer sonografischen Untersuchung, da Knorpelstrukturen hier sehr gut beurteilt werden k&ouml;nnen. Auch ein H&auml;marthros ist klinisch und sonografisch gut darstellbar und gibt oft Hinweise auf das Ausma&szlig; der Verletzung. Im Kindes- und Jugendalter handelt es sich zumeist um eine isolierte Verletzung des Knies, nichtsdestotrotz m&uuml;ssen die angrenzenden Gelenke untersucht werden, um weitere Verletzungen auszuschlie&szlig;en.</p> <p>Zur Beurteilung der R&ouml;ntgenbilder sollte wenn m&ouml;glich ein erfahrener Kollege hinzugezogen werden, denn oft erschweren unregelm&auml;&szlig;ige Ossifikationszentren die Diagnosestellung (Kan 2015). Komplexere Frakturen mit Beteiligung der Gelenksfl&auml;che erfordern zumeist eine additive Computertomografie. Um m&ouml;gliche Kniebinnenverletzungen, Knorpelsch&auml;den oder Gef&auml;&szlig;verletzungen (Verlust der peripheren Pulse, verl&auml;ngerte Rekapillarisierungszeit) zu diagnostizieren, empfiehlt sich die erg&auml;nzende Magnetresonanztomografie oder Angiografie.<br /> Die Klassifikation von kn&ouml;chernen Verletzungen des kindlichen Knies erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien. Die Lokalisation (extraartikul&auml;r oder intraartikul&auml;r), die Beteiligung der Wachstumsfugen (Salter-Harris-Klassifikation), das Ausma&szlig; der Dislokation und eine Achsfehlstellung werden hier ber&uuml;cksichtigt (Mubarak 2009).</p> <h2>Distale Femurfrakturen</h2> <p>Frakturen des distalen Femurs entstehen meist durch eine hohe Gewalteinwirkung im Rahmen von Hochrasanztraumen oder einem Sturz aus gro&szlig;er H&ouml;he (Garrett 2011). Gering dislozierte metaphys&auml;re Frakturen k&ouml;nnen bis zum 10.&ndash;12. Lebensjahr konservativ im Oberschenkelgips unter Teilbelastung behandelt werden. Regelm&auml;&szlig;ige R&ouml;ntgenkontrollen sind aufgrund des Dislokationsrisikos erforderlich, um diese rechtzeitig zu erkennen und den Therapieplan dahingehend zu adaptieren. Die Zeit der Ruhigstellung sollte je nach Alter 3&ndash;5 Wochen betragen.<br /> Die operative Therapie ist in F&auml;llen der h&ouml;hergradigen Dislokation (Seitverschiebung, Rekurvation etc.) bei &auml;lteren Patienten mit geringem Korrekturpotenzial oder auch in der Polytraumaversorgung zu bevorzugen. Unterschiedliche operative Verfahren k&ouml;nnen hier zielf&uuml;hrend sein. Metaphys&auml;re Frakturen k&ouml;nnen zumeist nach geschlossener Reposition mittels Kirschnerdrahtfixation (aszendierend oder deszendierend) oder Schraubenosteosynthese erfolgreich behandelt werden (Abb. 1). Im diametaphys&auml;ren Bereich kann auch die deszendierende elastisch stabile intramedull&auml;re Nagelung (ESIN) sinnvoll sein. Hiernach k&ouml;nnen Patienten fr&uuml;hzeitiger mobilisiert werden. Bei Patienten mit multiplen Verletzungen, Kettenfrakturen, offenen Frakturen oder einem ausgepr&auml;gten Weichteilschaden kann die Versorgung mittels Fixateur externe empfohlen werden. Jugendliche kurz vor dem Fugenschluss k&ouml;nnen in ausgew&auml;hlten F&auml;llen von einer Versorgung mittels Plattenosteosynthese unter Schonung der Wachstumsfuge profitieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1902_Weblinks_jatros_ortho_1902_s45_abb1.jpg" alt="" width="300" height="469" /></p> <h2>Osteoligament&auml;re Avulsionsfrakturen</h2> <p>Kn&ouml;cherne Bandausrisse sind im Bereich des Knies selten und betreffen zumeist das mediale oder laterale Seitenband mit einer Ausrisslokalisation im Bereich des distalen Femurs. Auch hier k&ouml;nnen Achsendeformit&auml;ten im Sinne eines posttraumatischen Genus valgum oder varum oder auch kn&ouml;cherne Br&uuml;cken auftreten. Essenziell sind daher die fugenschonende und anatomisch korrekte Reposition des kn&ouml;chernen Ausrisses und die Fixation mittels resorbierbarer Knochen- und Fadenanker. Alternativ kann auch die fugenparallele Schraubenosteosynthese erfolgen.</p> <h2>Frakturen der distalen Femurepiphyse</h2> <p>In ca. 60 % zeigen sich L&ouml;sungen oder Frakturen der distalen Femurepiphyse. Auch wenn initial keine Verletzung der Epiphyse diagnostiziert wird, kann es in der Folge durch Crush-L&auml;sionen zu Wachstumsst&ouml;rungen kommen. Da die distale Femurepiphyse ca. 40 % zum Gesamtwachstum der unteren Extremit&auml;t beitr&auml;gt, wirken sich traumatische Ver&auml;nderungen hier besonders gravierend aus. Daher m&uuml;ssen Eltern &uuml;ber m&ouml;gliche Langzeitfolgen aufgekl&auml;rt und dementsprechende Langzeitkontrollen bis zu 2 Jahren vereinbart werden. Die Klassifikation erfolgt nach Salter-Harris. Den h&auml;ufigsten Frakturtyp stellen Salter-Harris-Typ-II-Frakturen dar (Beaty 2001).<br /> Undislozierte Epiphysenl&ouml;sungen und -frakturen des distalen Femurs k&ouml;nnen konservativ mittels Gipsh&uuml;lse therapiert werden. Eine Vollbelastung kann bereits ab dem 7. Tag erfolgen und die Ruhigstellung nach erfolgter Konsolidierung nach 3&ndash;4 Wochen beendet werden (Wall 2012). Stellt sich die Indikation zur operativen Therapie, so kann nach geschlossener Reposition die Osteosynthese mittels Kirschnerdr&auml;hten in aszendierender oder deszendierender Technik mit metaphys&auml;rem Kreuzungspunkt erfolgen. Im Falle einer Salter-Harris-II-Fraktur k&ouml;nnen additiv kan&uuml;lierte Schrauben hilfreich sein. Salter- Harris-III-Verletzungen sollten mittels fugenparalleler, streng epiphys&auml;rer Schraubenosteosynthese mit kan&uuml;lierten oder resorbierbaren Schrauben fixiert werden. Im Falle einer Salter-Harris-IV-Fraktur kann additiv eine fugenparallele metaphys&auml;re kan&uuml;lierte Schraube zum Einsatz kommen.</p> <h2>Kn&ouml;cherne Verletzungen der Patella</h2> <p>Undislozierte Patellafrakturen werden bei intaktem Retinaculum initial konservativ therapiert. Im Gegensatz dazu erfordern dislozierte Patellal&auml;ngsfrakturen die stufenlose Reposition, um sekund&auml;re Knorpelsch&auml;den und somit eine sp&auml;ter auftretende Arthrose zu vermeiden. Zumeist empfiehlt sich eine Schraubenosteosynthese. Im Falle von Querfrakturen kann jedoch auch eine Drahtcerclage erfolgen. Sleeve-Verletzungen k&ouml;nnen mit transoss&auml;ren N&auml;hten mit einem resorbierbaren monofilen Faden, Drahtcerclagen oder Fadenankersystemen refixiert werden. Eine Ruhigstellung f&uuml;r 6 Wochen ist hier obligatorisch notwendig.</p> <h2>Frakturen der proximalen Tibiaepiphyse</h2> <p>Auch hier erfolgt bei gering dislozierten Frakturen die Therapie im Oberschenkelgips. Epiphys&auml;re SH-III- und SH-IV-Tibiafrakturen oder ein Frakturspalt &uuml;ber 2 mm m&uuml;ssen operativ versorgt werden. Auch hier empfehlen sich die Kirschnerdrahtosteosynthese im Kindesalter sowie die Osteosynthese mittels einer parallel eingebrachten kan&uuml;lierten Schraube bei jugendlichen Patienten. Offene Frakturen mit Weichteilsch&auml;digung erfordern zumeist eine Versorgung mittels Fixateur externe.</p> <h2>Ausrisse der Eminentia intercondylaris</h2> <p>Ausrisse der Eminentia intercondylaris z&auml;hlen zu den h&auml;ufigsten Epiphysenfrakturen der proximalen Tibia. Da dieser Frakturtyp mit einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes gleichzustellen ist, ist die anatomische Reposition essenziell, um die Stabilit&auml;t im Kniegelenk zu erhalten (Wiegand 2014). Die Diagnose kann zumeist am konservativen R&ouml;ntgen erfolgen (Abb. 2). Bleibt der Dislokationsgrad jedoch unklar, sollte eine Computertomografie oder eine Magnetresonanztomografie angeschlossen werden. Die Einteilung erfolgt nach Meyers und McKeever (Grad I&ndash;III). W&auml;hrend Grad I und II zumeist konservativ therapiert werden k&ouml;nnen, stellt sich bei Grad III die Indikation zur operativen Versorgung (Adams 2018). Bei einem zumeist ausgepr&auml;gten H&auml;marthros sollte nach erfolgter Punktion die Kniestellung in 0&deg; erfolgen. Die volle Belastung kann fr&uuml;hzeitig erlaubt werden. Je nach Alter betr&auml;gt die Ruhigstellung 4&ndash;6 Wochen. Nach erfolgter Gipsabnahme muss eine Physiotherapie angeschlossen werden und langfristige Kontrollen bis zu 2 Jahre nach Trauma sollten vereinbart werden. Die Behandlung von Grad-III-Verletzungen erfolgt zumeist operativ mittels Kniearthroskopie und anschlie&szlig;ender Refixation. Diskutiert wird die routinem&auml;&szlig;ige Kniearthroskopie ab Grad II, um Meniskusl&auml;sionen auszuschlie&szlig;en beziehungsweise fr&uuml;hzeitig zu therapieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1902_Weblinks_jatros_ortho_1902_s45_abb2.jpg" alt="" width="300" height="543" /></p> <h2>Proximale Tibiafrakturen</h2> <p>Besonders in der Altersgruppe der 3&ndash;6-J&auml;hrigen ist die proximale metaphys&auml;re Fraktur ein h&auml;ufig diagnostiziertes Krankheitsbild. Essenziell ist hier die Unterscheidung zwischen unkomplizierten Stauchungsfrakturen und Gr&uuml;nholzfrakturen, welche Achsabweichungen und Wachstumsst&ouml;rungen zur Folge haben k&ouml;nnen.<br /> Metaphys&auml;re Stauchungsfrakturen k&ouml;nnen konservativ therapiert werden. Da bei Kleinkindern eine Beteiligung der Tuberositas tibiae jedoch radiologisch nicht festgestellt werden kann, empfehlen wir eine klinische sowie radiologische Kontrolle nach 6 Monaten, um eine Rekurvation der Tibia auszuschlie&szlig;en.<br /> Metaphys&auml;re Gr&uuml;nholzfrakturen hingegen k&ouml;nnen eine ausgepr&auml;gte Valgusfehlstellung zur Folge haben, welche initial nicht immer erkennbar ist. Eine oft harmlos erscheinende Deformit&auml;t kann im Verlauf &uuml;ber Monate in Richtung Diaphyse gehen und endet dann im Genu valgum (Tileston 2018). Daher ist es essenziell, dass Frakturen in Valgusfehlstellung &uuml;ber 10&deg; anatomisch exakt reponiert und mit einem gut geformten Oberschenkelgips ruhiggestellt werden. Bei einer eventuellen sekund&auml;ren Zunahme der Valgusfehlstellung sollte die Gipskeilung erfolgen. Je nach Alter des Kindes zeigt sich eine ausreichende Konsolidierung nach 4&ndash;5 Wochen. Im Falle einer persistierenden Valgusfehlstellung sollte ein fr&uuml;hzeitiger Wechsel hin zu einer operativen Behandlung &uuml;berlegt werden.<br /> Vollst&auml;ndig dislozierte proximale metaphys&auml;re Frakturen k&ouml;nnen zumeist geschlossen reponiert und mittels gekreuzter Kirschnerdrahtosteosynthese fixiert werden. Im Anschluss erfolgt die Ruhigstellung im Oberschenkelgips f&uuml;r 4&ndash;6 Wochen.</p> <h2>Apophysenfrakturen der proximalen Tibia</h2> <p>Hohe Scherkr&auml;fte am Knie k&ouml;nnen zu Apophysenfrakturen der proximalen Tibia f&uuml;hren. Besonders Jugendliche mit einem vorbestehenden Morbus Osgood-Schlatter sind von dieser Verletzung betroffen (Arnold 2017). Aufgrund des hohen Dislokationsrisikos stellt sich die Indikation zur operativen Therapie (Abb. 3). Hier empfehlen sich die Schraubenosteosynthese und die Ruhigstellung mit Fr&uuml;hmobilisation f&uuml;r 4&ndash;6 Wochen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1902_Weblinks_jatros_ortho_1902_s46_abb3.jpg" alt="" width="300" height="433" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zunehmend werden kn&ouml;cherne Verletzungen am kindlichen Knie diagnostiziert. W&auml;hrend gering oder nicht dislozierte Frakturen prim&auml;r konservativ behandelt werden k&ouml;nnen, stellt sich bei h&ouml;heren Dislokationsgraden auch im Kindesalter die Indikation zur operativen Versorgung. Das Korrekturpotenzial rund um die Wachstumsfugen des distalen Femurs und der proximalen Tibia ist begrenzt und neben dem initialen Trauma k&ouml;nnen belassene Achsabweichungen problematische Langzeitfolgen mit sich bringen. Langfristige Kontrollen sind daher essenziell notwendig, um m&ouml;gliche Folgesch&auml;den fr&uuml;hzeitig zu erkennen und ad&auml;quat zu therapieren.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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