Minimal invasive Fusion bei degenerativen lumbalen Wirbelsäulenerkrankungen

Ist die minimal invasive Wirbelsäulenchirurgie sinnvoll?

<p class="article-intro">Von der Chirurgie wird immer gefordert, minimal invasiv ähnlich gute Ergebnisse zu bringen wie durch offene Verfahren. Diese offenen Verfahren gelten nach wie vor als Goldstandard, wobei ihre Begleitmorbidität oft nicht unerheblich ist. Dieser Artikel soll die gängige minimal invasive Wirbelsäulenchirurgie bei degenerativen Erkrankungen erklären und deren Vorteile beleuchten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Minimal invasive chirurgische Behandlungen von Wirbels&auml;ulenleiden gibt es schon seit Langem. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden Chymopapain zur Chemonukleolyse sowie die perkutane Nukleotomie zum ersten Mal eingesetzt. In den fr&uuml;hen 1980er-Jahren verwendete Magerl das erste Mal perkutane Pedikelschrauben. In den 1990er- und in den 2000er-Jahren wurden das erste Mal eine minimal invasive ALIF (&bdquo;anterior lumbar interbody fusion&ldquo;) sowie die ersten lateralen Trans-Psoas-Zug&auml;nge f&uuml;r TLIF (&bdquo;transforaminal interbody fusion&ldquo;) und XLIF (&bdquo;lateral lumbar interbody fusion&ldquo;) verwendet. Weiters wurden minimal invasive lumbale Laminektomieverfahren f&uuml;r die Stenose und auch die ersten intraspin&ouml;sen Implantate eingef&uuml;hrt. 2001 f&uuml;hrte Foley ein perkutanes Pedikelschraubensystem ein, bei dem die Implantatshilfe zum Einf&uuml;hren des perkutanen L&auml;ngsstabes einem Sextanten gleicht. 2003 wurden von dem gleichen Autor tubul&auml;re Spreizer zur Diskektomie eingef&uuml;hrt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite56_1.jpg" alt="" width="788" height="563" /></p> <h2>Wie lautet das Leitbild der minimal invasiven Chirurgie?</h2> <p>Das Leitbild der minimal invasiven Chirurgie in nahezu allen chirurgischen F&auml;chern ist es, Weichteilsch&auml;den zu vermeiden und auch Knochenverluste so gut wie m&ouml;glich zu verhindern.<br /> Bei der lumbalen Fusion kann man, um einen Interbody-Cage zu implantieren, die Wirbels&auml;ule minimal invasiv von verschiedenen Richtungen erreichen. Man kann insbesondere in den unteren lumbalen Segmenten die Wirbels&auml;ule durch einen minimal invasiven retroperitonealen Zugang erreichen. Von diesem Zugangsweg wurde in letzter Zeit ein sogenannter Trans-Psoas-Approach postuliert. Dieser Zugang ist nur unter Neuromonitoring zu empfehlen, da der lumbale Plexus im Bereich des Musculus psoas sehr vulnerabel ist. So wurden in rezenten Studien postoperative H&uuml;ftflexionsschw&auml;chen bis zu 27 % berichtet. 17 % klagten &uuml;ber Sensibilit&auml;tsdefizite im Bereich der Leisten, welche teilweise 12 Monate und l&auml;nger bestanden. Aus diesem Grund werden auch sogenannte Oblique-Cages eingesetzt, welche von schr&auml;g ventral, unmittelbar vor dem Musculus psoas kommend, implantiert werden. All diese Cages zeichnen sich durch einen gro&szlig;en Footprint und ein damit vermindertes Risiko der Sinterung aus.<br /> Bei von dorsal durchgef&uuml;hrten Eingriffen bedeutet Minimalinvasivit&auml;t vor allem, den Musculus multifidus zu schonen. Dieser &bdquo;key stabilizer&ldquo; ist einer der wichtigsten posterioren Stabilisatoren der Wirbels&auml;ule. Er entspringt am Processus spinosus und setzt am lateralen Anteil des Processus articularis superior zwei Etagen tiefer an. Literaturdaten zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Verlust von Muskelmasse und Kreuzschmerz. So hat man in MRT-Studien bei chronischen Lumbagopatienten einen signifikant kleineren Multifidus-Querschnitt im Bereich der unteren zwei lumbalen Segmente festgestellt. Der kleinere Querschnitt befand sich immer auf der angegebenen Schmerzseite. Anhand von T2-gewichteten MRT-Bildern bei Patienten mit degenerativem Flachr&uuml;cken konnte man au&szlig;erdem eine signifikante Fettinfiltration finden.<sup>1, 2</sup> Des Weiteren scheint der intramuskul&auml;re Druck bei minimal invasiven Retraktoren signifikant niedriger als bei offenen Retraktoren zu sein. Postoperativ zeigten sich nach minimal invasiven lumbalen Fusionen in MRT-Studien weniger Muskel&ouml;deme.<sup>3</sup> In einer Studie von 2006 konnten Kim et al zeigen, dass die Werte von Enzymen, die das Muskeltrauma repr&auml;sentieren &ndash; wie Kreatinkinase, Aldolase sowie f&uuml;r Entz&uuml;ndungen verantwortliche Zytokine (Interleukin 1, 6, 8, 10) &ndash;, bei mini-open-lumbalen Fusionen innerhalb der ersten Woche deutlich niedriger waren als bei herk&ouml;mmlichen offenen Operationen.<sup>4</sup><br /> Von dorsal kommend, bieten sich PLIF- oder TLIF-Cages an, welche sehr gut durch einen tubul&auml;ren Retraktor implantiert werden k&ouml;nnen. Der Nachteil der PLIF-Cages ist, dass man von beiden Seiten kommend je einen Cage implantieren muss, bei der TLIF und ihren Varianten (Bananen-Cage usw.) ist ein unilateraler Zugang ausreichend. Diese Cages bieten sich auch an, wenn eine fortgeschrittene Spinalkanalstenose erweitert werden muss. Nachteil dieser Cages ist der relativ kleine Footprint.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite56_2.jpg" alt="" width="445" height="683" /></p> <h2>Indikationen</h2> <p>Die Indikationen f&uuml;r minimal invasive Verfahren sind im Wesentlichen dieselben Krankheitsbilder wie f&uuml;r offene Techniken. Beispiele hierf&uuml;r sind die degenerative Spondylolisthese, zentrale oder foraminelle Stenosen, zentrale oder foraminelle Diskusherniationen oder die &bdquo;isolated degenerative disc/joint disease&ldquo;.<br /> Dorsale Verfahren bieten sich an, wenn eine fortgeschrittene Spinalkanalstenose erweitert werden muss. Bei moderaten Stenosen werden jedoch auch laterale und ventrale Verfahren zur &bdquo;indirekten Dekompression&ldquo; verwendet. Durch die Distraktion des Segmentes kommt es dabei zu einer Verminderung des Volumens sowohl der vorgew&ouml;lbten Bandscheibe als auch des Ligamentum flavum und damit zu einer relativen Erweiterung des Wirbelkanals.<br /> In einer gro&szlig;en, 255 Patienten umfassenden Studie, die sich mit der Indikation der dorsalen Fusion bei degenerativen Wirbels&auml;ulenerkrankungen, ein oder zwei Segmente betreffend, mit PLIF oder TLIF sowie minimal invasiven Schraubensystemen auseinandersetzte, konnte gezeigt werden, dass die Patienten postoperativ nach 1,3 Tagen das erste Mal mobilisiert wurden und im Durchschnitt nach 6,3 Tagen das Spital verlassen konnten.<sup>5</sup> Der durchschnittliche Blutverlust betrug in der 1-Segment-Gruppe 163ml, in der 2-Segment-Gruppe 233ml. Nur ein Patient in der 2-Segment-Gruppe ben&ouml;tigte postoperativ eine Blutkonserve. Auff&auml;llig war, dass die Schmerzscores (VAS) und auch die Scores, die Lebensqualit&auml;t (ODI, EQ 5D) betreffen, sehr rasch eine deutliche Verbesserung zeigten und in einem Nachuntersuchungszeitraum von einem Jahr auf diesem Niveau persistierten.<br /> Minimal invasive Fusionsmethoden eignen sich weiters gut bei adip&ouml;sen Patienten. Verglichen mit Studiendaten, in denen gezeigt werden konnte, dass bei adip&ouml;sen Patienten nach lumbalen offenen Fusionsoperationen signifikant h&ouml;here Komplikationsraten festzustellen sind,<sup>6</sup> konnte in einer in unserem Haus durchgef&uuml;hrten Studie, die 72 Patienten inkludierte, demonstriert werden, dass es bei minimal invasiven dorsalen Fusionen bez&uuml;glich der Komplikationsrate keinen Unterschied zwischen normalgewichtigen, &uuml;bergewichtigen und adip&ouml;sen Patienten gibt.<sup>7</sup> In der Gruppe der adip&ouml;sen Patienten, die sich einer minimal invasiven Fusion unterzogen, traten weder Infektionen noch Wundheilungsst&ouml;rungen auf. Zwischen den verschiedenen Gewichtsgruppen konnte kein Unterschied im Blutverlust oder in der L&auml;nge des Krankenhausaufenthalts festgestellt werden. &Auml;hnliches wird auch &uuml;ber den Einsatz von minimal invasiven Fusionsmethoden bei &auml;lteren Patienten berichtet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite58.jpg" alt="" width="876" height="637" /></p> <h2>Fazit</h2> <p>Die minimal invasive Versorgung der Wirbels&auml;ule scheint eine gute Alternative zu sein. An unserer Abteilung werden minimal invasive Techniken bei Fusionen bis zu 4 Etagen mit guten bis sehr guten Ergebnissen angewandt. Eine gro&szlig;e Herausforderung stellen h&ouml;hergradige Skoliosen bzw. ein st&auml;rkeres sagittales Malalignment dar, wobei hier auch minimalinvasiv von lateral eingebrachte Cages mit gro&szlig;er Oberfl&auml;che ihren Einsatz finden. Im Falle von Deformit&auml;ten, bei denen eine Osteotomie vonn&ouml;ten ist, wird an unserer Abteilung ein offenes Verfahren gew&auml;hlt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hides J et al: Multifidus size and symmetry among chronic LBP and healthy asymptomatic subjects. Man Ther 2008; 13(1): 43-9<br /><strong>2</strong> Lee JC et al: Quantitative analysis of back muscle degeneration in the patients with the degenerative lumbar flat back using a digital image analysis: comparison with the normal controls. Spine 2008; 33(3): 318-25<br /><strong>3</strong> Stevens KJ et al: Comparison of minimally invasive and conventional open posterolateral lumbar fusion using magnetic resonance imaging and retraction pressure studies. J Spinal Disord Tech 2006; 19(2): 77-86<br /><strong>4</strong> Kim KT et al: The quantitative analysis of tissue injury markers after mini-open lumbar fusion. Spine&nbsp; (Phila Pa 1976) 2006; 31(6): 712-6<br /><strong>5</strong> A prospective, multicenter observational study on MAST&trade; (Minimal Access Spinal Technologies) fusion procedures for the treatment of the degenerative lumbar Spine (MASTERS-D); ClinicalTrials.gov: NCT01143324<br /><strong>6</strong> Buerba RA et al: Obese Class III patients at significantly greater risk of multiple complications after lumbar surgery: an analysis of 10,387 patients in the ACS NSQIP database. Spine J 2014; 14(9): 2008-18<br /><strong>7</strong> Senker W et al: Perioperative morbidity and complications in minimal access surgery techniques in obese patients with degenerative lumbar disease. Eur Spine J 2011</p> </div> </p>
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