
Leitliniengesteuerte orthopädische Schmerztherapie chronischer wirbelsäulenassoziierter Schmerzsyndrome
Jatros
Autor:
OA Mag. Dr. Gregor Kienbacher, MSc
Klinikum Theresienhof – Krankenhaus für Orthopädie und orthopädische Rehabilitation, Frohnleiten<br> E-Mail: kienbacher@theresienhof.at
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13.07.2017
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<p class="article-intro">Mit einer Prävalenz von 60 bis 85 % stellen wirbelsäulenassoziierte Schmerzsyndrome ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches und ökonomisches Gesundheitsproblem aus dem orthopädischen Formenkreis dar. Abgesehen von der äußerst komplexen medizinischen Problematik entstehen durch Patienten mit chronischen und vor allem unspezifischen Rückenschmerzen enorme direkte und insbesondere indirekte Kosten. Ein leitlinienbasiertes Patientenmanagement im interdisziplinären Kontext zu dieser Problematik befindet sich daher in Ausarbeitung. Es beinhaltet stadiengerechte evidenzbasierte diagnostische und therapeutische Schritte zur Behandlung des akuten Kreuzschmerzes bis hin zum subakuten/prächronischen und chronisch unspezifischen Kreuzschmerz und geht auf die spezifische und auch auf die legistische Situation des Gesundheitssystems in Österreich ein.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Daten und Fakten</h2> <p>Chronischer Schmerz betrifft etwa 20 % der Österreicher, das sind etwa 1,7 Millionen Menschen. 66 % leiden an wirbelsäulenassoziierten Schmerzen, 51,6 % an Gelenksschmerzen, 32,2 % an Nackenschmerzen und 31,4 % an regelmäßigen Kopfschmerzen. Der höchste Anteil an chronischen Schmerzpatienten findet sich in der Altersgruppe zwischen 40 und 59 Jahren. Rückenschmerzen und damit assoziierte Depressionen sind in Europa zwei der fünf häufigsten Ursachen für eine Invalidität. Patienten mit chronischen Schmerzen haben ein siebenfach erhöhtes Risiko für Arbeitslosigkeit, ein Drittel der Patienten ist überhaupt berufsunfähig. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Rückkehren an den Arbeitsplatz mit zunehmender Berufsausfallsdauer fast exponentiell sinkt: Nach 6 Monaten Krankenstand sind nur noch 50 % berufstätig, nach einem Jahr nur mehr 20 % und nach zwei Jahren kehrt kein Patient mehr in den Beruf zurück.</p> <p>Der chronische Rückenschmerz ist das zweithäufigste Symptom, aufgrund dessen Arztpraxen aufgesucht werden. Die Patienten gelten als „kompliziert“, da mit der chronischen Erkrankung besonders häufig Komorbiditäten wie Bluthochdruck, Stoffwechselprobleme und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden sind. 21 % der Patienten leiden an manifesten Depressionen und haben durch einen Arbeitsplatzverlust oder familiäre Probleme auch offensichtliche soziale Probleme. Chronische Rückenschmerzpatienten haben somit nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein psychologisches und ein soziales Problem. Die moderne Schmerzmedizin orientiert sich daher am biopsychosozialen Modell der Schmerzchronifizierung und arbeitet dementsprechend ursachenorientiert, bedarfsadaptiert, zielgerichtet und personalisiert.</p> <p>90 % aller akut auftretenden Rückenschmerzen verschwinden durch Anwendung einer „Laientherapie“ (Wärme, NSAR, Schonung etc.) von selbst, also ohne ärztliches Zutun. Etwa 10 % der Personen dieses Kollektivs suchen jedoch einen Arzt auf. Davon sind wiederum 60 % nach einer Woche beschwerdefrei, bei nur 30 % hält der Rückenschmerz bis zu 6 Wochen an. Nur 10 % dieser Patienten leiden länger als 6 Wochen und nur 5 % davon werden zu chronischen Schmerzpatienten. Diese 5 % bilden sozusagen die Spitze eines Eisberges und verursachen etwa 85–90 % (!) aller Kosten (Abb. 1).<br /> Wir wissen, dass eine kontinuierliche Führung von gefährdeten Kollektiven in standardisierten Programmen eine Schmerzchronifizierung verhindern kann. Auch ist unbestritten, dass Programme der Primärprävention (d.h. das Setzen einer Intervention, noch bevor es zu einer Erkrankung kommt) Wirksamkeit zeigen und die Entstehung von Erkrankungen verhindern können.<br /> In Österreich gibt es derzeit jedoch noch kein Präventionsgesetz, welches kassenfinanzierte primärpräventive Programme ermöglichen würde.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_ortho_1704__s51_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1280" /></p> <h2>Der akute Rückenschmerz</h2> <p>Die effektivste Strategie zur Vermeidung von chronischen Schmerzen ist die suffiziente Bekämpfung akuter Schmerzen. Erster Ansprechpartner im Gesundheitssystem ist der Hausarzt, in Zukunft das PHC. Hier sollten Strukturschwächen erkannt werden, die zum Akutereignis geführt haben, und eine kausale Schmerztherapie entsprechend der Aktualitätsdiagnose sollte eingeleitet werden. Die Basis der Diagnostik bildet hier, neben einer exakten Anamnese, eine differenzierte klinische Untersuchung entsprechend den manualmedizinischen Standards. Dazu gehören auch die Exploration der angrenzenden Gelenke und Pathologien außerhalb der Wirbelsäule (z.B. Abdomen, Becken) und die Detektion von „yellow flags“ und „red flags“ (Tab. 1 und 2).</p> <p>Die gestellte Diagnose ist in den meisten Fällen nur eine Beschreibung des Schmerzes (Lumbago, Lumboischialgie etc.) und somit unspezifisch, sie dient aber als Arbeitsdiagnose. Der diagnostische Einsatz beschränkt sich daher ausschließlich auf ein Symptom, welches von einer präzisen Strukturanalyse abgeleitet worden ist. Spricht der Patient gut auf die eingeleitete Therapie an, sind weiterführende spezifische Abklärungen (Röntgen, Labor, CT, MRT etc.) vorerst nicht notwendig, Kontrolluntersuchungen sind hier ausreichend und Maßnahmen zur sekundären Prävention im Sinne einer gezielten Aktivierung sollten eingeleitet werden.</p> <p>Neben einer medikamentösen Schmerztherapie ist in der Akutphase vor allem die Aufklärung über den in der Regel gutartigen selbstlimitierenden Verlauf und über die fehlenden Hinweise auf gefährliche Erkrankungen die wichtigste Maßnahme. Körperliche Aktivitäten und Alltagstätigkeiten sollten weitergeführt bzw. wiederaufgenommen werden, eine Bettruhe ist in der Regel kontraindiziert. Erst bei Fortbestehen der Beschwerden über 4–6 Wochen bzw. bei fehlender Besserungstendenz nach Einleiten einer ärztlich medizinischen Therapie nach etwa einer Woche ist die Indikation zu einer weiterführenden Diagnostik gegeben, um nach spezifischen Ursachen zu suchen. Hier ist auf eine klare Zuweisungsdiagnose, z.B. für den Radiologen, zu achten, um auch eine gezielte Rückantwort zu erhalten.</p> <p>Bereits in dieser Phase sollten Hilfsmittel zur Erkennung von Chronifizierungstendenzen in die klinische Exploration mit einbezogen werden. Die Anwendung des STarT-G-Fragebogens („subgroups for targeted treatment“ – German version) zeigt in rezenten Studien vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich positiver klinischer und ökonomischer Effekte für Hausärzte und Orthopäden im klinischen Alltag. Dieser Fragebogen berücksichtigt auch psychosoziale Aspekte und ermöglicht so eine stadiengerechte Therapiezuweisung. Bei Bestehen von „yellow flags“ oder anderen Chronifizierungstendenzen ist nach Abheilung des Akutschmerzes die Einleitung sekundärer Präventivmaßnahmen allerdings zwingend notwendig.<br /> Im derzeitigen Setting sind wir jedoch im alltäglichen Praxisalltag mit strukturellen Problemen hinsichtlich zeitgerechter Diagnose- und Therapiemöglichkeiten eingeschränkt, was oft mit verlängerten Krankenständen einhergeht und die Gefahr des Abgleitens in den prächronischen bzw. chronischen Schmerz bedeuten kann. Es wird auch eine große Herausforderung darstellen, die in Zukunft geplanten Fachärztezentren, deren Struktur übrigens noch in keinster Weise definiert ist, für derartige Aufgaben strukturell und personell auszurichten. Auch in der primären und sekundären Prävention bestehen erhebliche Strukturmängel in Österreich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_ortho_1704__s52_tab1.jpg" alt="" width="686" height="1033" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_ortho_1704__s52_tab2.jpg" alt="" width="686" height="1416" /></p> <h2>Der subakute bzw. prächronische Rückenschmerz</h2> <p>Spätestens im subakut-prächronischen Stadium sollte ein wesentlicher Bestandteil des Behandlungskonzeptes auf die Verhinderung einer Schmerzchronifizierung fokussieren. Hier kann bereits der Einsatz multimodaler Konzepte notwendig werden, die derzeit aber im regulären ambulanten Struktursetting nur unzureichend angeboten werden können. Es kommt zu einer engen Vernetzung zweier orthopädischer Handlungsebenen, nämlich der konservativen und der chirurgischen Ebene. Um hier eine hohe Treffsicherheit bezüglich der Entscheidungsfindung hinsichtlich eines konservativen oder operativen Vorgehens zu erreichen, ist vor allem bei Detektion von „yellow flags“ oftmals ein interdisziplinäres Setting notwendig. Weiterführend ist eine differenzierende klinische, bildgebende und interventionelle Diagnostik zur Reduktion des Kollektivs „unspezifischer Kreuzschmerz“ notwendig, auch um nicht notwendige operative Eingriffe bei relativen OP-Indikationen zu verhindern und somit die Zahl der „Failed back surgery“- Syndrome zu reduzieren, denn diese entstehen vornehmlich bei Patienten mit einer nicht klar zuordenbaren Schmerzursache und somit fehlerhaften Operationsindikation.<br /> Spezifische Kreuzschmerzen müssen diagnostisch klar von sogenannten unspezifischen Kreuzschmerzen abgegrenzt werden, da die betreffenden Behandlungen völlig unterschiedlich sind. Als spezifisch gelten v.a. bei degenerativen Verhältnissen vorwiegend Schmerzsyndrome, deren klinisches Bild eng mit dem morphologischen Substrat korreliert (z.B. Instabilität, Nervenwurzelkompression etc.). Differenzialdiagnostische Verfahren dienen der Zuordnung der Schmerzentität zu somatisch/nozizeptiv, viszeral, neuropathisch oder somatoform. In vielen Fällen liegt jedoch eine komplexe „Mixed pain“- Symptomatik vor. Man versteht darunter das gleichzeitige Bestehen von nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen. Heute ist die Annahme eines 80 % igen Anteils „unspezifischer“ Kreuzschmerzen nicht mehr haltbar: Durch diagnostische und interventionelle Techniken lässt sich dieser Anteil auf 10–30 % reduzieren, Tendenz weiter fallend (Abb. 2).</p> <p>Facettengelenke, Iliosakralgelenke, diskoligamentäre Strukturen und die Spinalnerven sind anerkannte Nozizeptoren der Wirbelsäule. Die zur Verfügung stehenden spezifischen klinischen Tests zur Diagnostik von dort ausgehenden Schmerzen sind oft nicht eindeutig. Zudem sind hochauflösende bildgebende Verfahren wie CT oder MRT zwar sensitiv und spezifisch in Bezug auf anatomische Veränderungen, aber oft nicht in Bezug auf ein ursächliches Schmerzgeschehen. Für interventionelle Techniken, die zur Diagnostik bei Therapieresistenz ab der 6. Woche vor allem bei unklarer Schmerzursache zum Einsatz kommen können, gibt es bereits hochwertige, kontrollierte Studien mit Evidenzgrad I–II. Die positive Identifizierung von Schmerzgeneratoren und somit die Spezifizierung des wirbelsäulenassoziierten Schmerzes erfolgen hier gemäß den derzeitig gültigen Guidelines der SIS (Spine Intervention Society) 2013 ausnahmslos unter optischer Führungshilfe (Goldstandard: Bildwandler) und durch in diesen Techniken ausgebildete Ärztinnen und Ärzte. Die interventionelle Diagnostik arbeitet sich von den äußeren Strukturen (R. medialis bzw. dorsalis der Facettengelenke, Iliosakralgelenke) zu den tief liegenden Strukturen (N. spinalis, Epiduralraum, Bandscheibe) vor. Nur bei exakter leitliniengerechter Ausführung und genauer postinterventioneller Dokumentation der Schmerzsituation ist eine korrekte diagnostische Aussage zu treffen.</p> <p>Neben einer relevanten diagnostischen Aussage bei Therapieresistenz und in Hinblick auf mögliche weiterführende kurative Therapien können interventionelle Techniken auch zu einer raschen und längerfristigen Schmerzreduktion führen und somit notwendige körperlich aktivierende Therapien erst ermöglichen. Dazu zählen neben der Infiltration der Facettengelenke am „medial branch“, an den intraartikulären ISG-Blockaden und der transforaminalen Nervenwurzelblockade auch epidurale Infiltrationen mit Glukokortikoiden, aber auch Facettengelenksdenervierungen an der HWS und LWS oder intradiskale Therapien, wie z.B. die Biacuplastie oder Laser-Diskusdekompression.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1704_Weblinks_ortho_1704__s54_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="2046" /></p> <h2>Der chronische Schmerz</h2> <p>Je höher der Chronifizierungsgrad steigt, desto geringer sind die Therapieerfolge und desto ausgeprägter sind die körperlichen Einschränkungen der Patienten. Ein konservatives multimodales Therapiekonzept in Sinne von „Functional restoration“- Programmen (FRP) inklusive psychologischer Interventionen mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen ist die derzeit wissenschaftlich fundierteste und modernste Therapieform zur Behandlung von chronischen und vor allem unspezifischen wirbelsäulenassoziierten Schmerzsyndromen. Es sieht den Schmerz als biopsychosoziales Problem und setzt an all diesen Dimensionen an. Unimodale konservative oder chirurgische Therapien sind in dieser Krankheitsphase in der Regel wirkungslos und somit kontraindiziert. Zugelassene therapeutische Interventionen mit guter Evidenz sind Bewegungstherapie, medizinische Trainingstherapie, Rückenschule, Ergotherapie mit Funktions- und Arbeitsplatztraining sowie Arbeitsplatzadaptierung und Heilmassage. Auch die Elektro-, Thermo-, Hydro- und Ultraschalltherapie gelten in Kombination mit den aktiven Therapien als wirksam, nicht jedoch als Einzeltherapie. Über die Auswahl, Intensität und Therapieabfolge entscheidet der behandelnde Arzt in regelmäßiger Absprache mit einem interdisziplinären Therapeutenteam (Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sportwissenschaftler, klinische Psychologen, Sozialdienst etc.), er orientiert sich dabei an der individuellen klinischen Situation und dem Ansprechen von einzelnen Interventionen. Therapeutische Ziele sollten aber auch mit dem Patienten besprochen werden. Dies sind in der Regel die Schmerzreduktion (nicht unbedingt die Schmerzfreiheit!) und das Erlernen des Umgehens mit dem Schmerz im Sinne einer Schmerzkontrolle, die Verbesserung der Aktivität hinsichtlich Alltagsfunktionen, die Steigerung der Lebensqualität und sozialen Teilhabe sowie eine berufliche Reintegration.</p> <p>Aufgrund der bei diesem Patientenkollektiv lange vorausgehenden Schmerzperioden kommt der qualifizierten diagnostischen Evaluation eine besondere Bedeutung zu. Diese beinhaltet umfassende klinische Untersuchungen und notwendige aktuelle bildgebende Verfahren, die dann im Rahmen einer multimodalen Diagnostik den chronischen Schmerzpatienten in den jeweiligen Behandlungsschenkel routen. Neben der Abklärung einer unmittelbar oder auch mittelbar durchzuführenden chirurgischen Intervention bis zur durchgehend konservativen multimodalen Behandlung sollte das gesamte Angebotsspektrum zur Verfügung stehen. Diese multimodale diagnostische Entscheidung sollte zumindest unter Mitwirkung der obersten medizinischen Hierarchie stattfinden.</p> <p>Derartige multimodale Behandlungsmöglichkeiten sind in der derzeitigen Struktur in Österreich nur eingeschränkt möglich, denn multimodale Therapiestandards, wie z.B. ein FRP, erfordern nach internationalen Standards mehr als 100 Therapiestunden! Am ehesten lässt das Leistungsprofil der orthopädischen Rehabilitation ein solches Programm zu. Dieses ermöglicht sowohl in der vorgegebenen personell-fachlichen Struktur als auch in der Ausstattungsstruktur die Durchführung dieser entsprechenden multimodalen Programme, allerdings bei Weitem nicht im notwendigen Ausmaß der geforderten therapeutischen Intensität. Es bestehen zudem kaum Möglichkeiten einer Vernetzung mit der multimodalen Diagnostik, weder ambulant noch stationär. Auch gibt es kaum stationäre „konservativ-orthopädische Betten“. Die danach notwendigen weiterführenden Tertiärpräventionsprogramme sind nur im Ansatz gegeben, es fehlen zudem die notwendigen hohen Anreize zur kontinuierlichen Durchführung derselbigen.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Im Wissen darum, dass chronische Schmerzsyndrome in der Behandlung außerordentlich schwierig sind, sollte im Algorithmus zur Behandlung des Akutschmerzes frühestmöglich eine Abklärung hinsichtlich einer potenziellen Chronifizierungstendenz erfolgen. Dies setzt wiederum eine rechtzeitige und standardisierte klinische Diagnostik des Stützund Bewegungsapparates voraus. Die jeweils relevanten, klinisch notwendigen Untersuchungen und Testungen setzen sich dabei aus einer Kombination von orthopädischen und neurologischen Untersuchungsgängen zusammen. Die entsprechende Diagnostik und Therapie hat danach zeitgerecht zu erfolgen und zielt neben einer Schmerzreduktion vor allem auf den Erhalt der Funktionen im täglichen Leben und entsprechend dem ICFModell auf die Steigerung der patienteneigenen Aktivitäten und der sozialen Teilhabe ab. Denn nur durch eine frühe Aktivierung und Wiedereingliederung in den Alltag kann eine mögliche Chronifizierung verhindert werden.</p> <p>In den Ausbildungsrichtlinien des neuen Faches Orthopädie und Traumatologie ist eine Ausbildung im medizinischen und medizinisch-therapeutischen Bereich des Stütz- und Bewegungssystems in entsprechendem Ausmaß und Inhalt, was die indikatorischen, schmerztherapeutischen, minimal invasiven bzw. interventionellen, chirurgischen und konservativ-rehabilitativen Anforderungen betrifft, festgeschrieben.<br /> Leitlinien sind letztlich Empfehlungen für Behandlungsalgorithmen, die differenzierende diagnostische und therapeutische Vorgaben enthalten, um ein suffizientes und phasengerechtes Patientenrouting und eine stadiengerechte Therapie zu ermöglichen. Sie gelten für alle medizinischen und nichtärztlich-medizinischen Berufsgruppen, die in der Behandlung von Patienten mit wirbelsäulenassoziierten Schmerzen ausgebildet sind. Der groß angelegte Einsatz von Leitlinien zur stadiengerechten Behandlung von wirbelsäulenassoziierten Schmerzsyndromen soll den Behandlungserfolg verbessern und eine Chronifizierung verhindern.</p> <p>Das Modell der Zukunft sieht ein flächendeckendes individualisiertes, multiprofessionelles Management entsprechend internationalen Standards vor, sowohl im niedergelassenen als auch im Versorgungsbereich der Krankenhäuser, in Kombination mit Präventivmaßnahmen. Das Patientenrouting erfolgt nach differenzierter diagnostischer und therapeutischer Abklärung entsprechend einem klar definierten Behandlungspfad für den chronischen Wirbelsäulenschmerz. Dies verlangt auch eine klare Definition der jeweiligen Verantwortungs- und Aufgabenbereiche sowie interdisziplinäre ärztliche Kooperationen und Kommunikationsmöglichkeiten, v.a. zwischen Ärzten für Allgemeinmedizin und Ärzten verschiedener medizinischer Fachrichtungen, aber auch mit den nichtärztlichen medizinischen Berufsgruppen.</p></p>
<p class="article-footer">
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<p>beim Verfasser</p>
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