Therapie von Fragilitätsfrakturen des Beckenringes
Autor:
DDr. Clemens Schopper
Klinik für Orthopädie und Traumatologie Kepler Universitätsklinikum Linz
FFP-Frakturen („fragility fractures of the pelvis“) entsprechen in Morphologie und Entstehungsmechanismus den osteoporotischen Beckenbrüchen – so wurden diese Frakturen über Jahrzehnte bezeichnet. Früher eine Domäne der konservativen Therapie, haben sich das Verständnis der Verletzungen sowie der Umgang damit verändert.
take-home-messages
-
Fragilitätsfrakturen des Beckenringes stellen eine zunehmende Herausforderung vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung sowie der höheren Aktivitätsansprüche im Alter dar.
-
Ein individualisiertes Schmerz-/Therapiekonzept stellt die Grundlage für eine rasche Mobilisierung der Patient:innen dar.
-
Die operative Versorgung beschränkt sich in den meisten Fällen auf Verletzungen des hinteren Beckenringes, hier kommen mittlerweile hauptsächlich minimalinvasive Verfahren sowie Hybridverfahren zum Einsatz.
Aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung sowie der steigenden Aktivitätsansprüche auch noch im fortgeschrittenen Alter ist man bei der Behandlung von FFP-Frakturen weggekommen von einem nahezu ausschließlich konservativen Behandlungsschema hin zu einem differenziert abgestuften, von einem konservativ hin zu einem komplex operativen Algorithmus. Dieser Artikel soll einen Überblick über dieses sozioökonomisch relevante Thema geben, dabei werden Ursache, Klassifikation, Behandlungskonsequenz und aktuelle wissenschaftliche Datenlage im Überblick behandelt.
Ursache und Klassifikation
Abb. 1: Der Beckenring besteht aus einem vorderen (grüne Striche) und einem hinteren (rote Striche) Anteil. Während der vordere Beckenring durch die Schambeine gebildet wird, besteht der hintere Beckenring aus dem Kreuzbein und den Darmbeinen
FFP-Frakturen des geriatrischen Patienten entstehen im Gegensatz zu Beckenfrakturen des adulten Patienten als Folge eines niedrigenergetischen Traumas. Aufgrund der reduzierten Knochenqualität reichen also geringe Energiemengen aus, um das osteoporotisch veränderte Becken zu brechen. Für das Verständnis der Architektur des Beckens ist es entscheidend zu wissen, dass das Becken aus einer zusammengesetzten Ringkonstruktion besteht, wobei ein vorderer und ein hinterer Beckenring unterschieden werden (Abb. 1). Aufgrund des Kraftflusses, der aus dem Bein hauptsächlich über den hinteren Beckenring in den Rumpf verteilt wird, ist der hintere Beckenring für die Gesamtstabilität des knöchernen Beckens von primärer Bedeutung. Die FFP-Klassifikation gibt hier anhand der Beteiligung der unterschiedlichen Anteile des Beckenringes den gegenwärtig vollständigsten Überblick.1 In Abhängigkeit davon, ob es sich um ein- oder beidseitige Verletzungen des vorderen, des hinteren oder beider Beckenringe handelt, unterteilt diese Klassifikation in aufsteigendem Schweregrad die Verletzungsausprägung. Der Fokus der Behandlung der FFP-Frakturen liegt ebenso wie auch bei der Behandlung der Beckenverletzungen des Erwachsenen auf der Stabilisierung des hinteren Beckenringes. Im Gegensatz zu den Beckenringfrakturen des Erwachsenen, deren Entstehung eine hohe Verletzungsenergie und damit verbundene, lebensbedrohliche Begleitverletzungen wie Blutungen beinhalten, stehen bei den FFP-Frakturen aufgrund der niedrigen Verletzungsenergie die Schmerzbehandlung und die zügige Mobilisierung des Patienten im Vordergrund. Als ursächliche Mechanismen der Entstehung einer FFP-Verletzung gelten Stürze im häuslichen Umfeld bei geringer Fallhöhe und niedriger Aufprallenergie.
Behandlung
Als Grundregel gilt, dass eine Therapie dann als ausreichend betrachtet werden kann, wenn der/die Patient:in selbstständig mobilisierbar ist. Dazu gibt es neben peroraler Schmerztherapie zahlreiche klassische orthopädische Hilfsmittel wie Gehstützen bis hin zu Rollatoren, die als entsprechendes Hilfsmittel eingesetzt werden können. Ist unter Verwendung dieser Hilfsmittel keine suffiziente Mobilisierung möglich, muss die operative Therapie erwogen werden. Je nach Verletzungsmuster stehen hier unterschiedliche Methoden zur Verfügung, die gezielt in Bezug auf die Morphologie der FFP-Fraktur Anwendung finden. Die Auswahl der Methodik wird in Abhängigkeit vom Frakturmuster gewählt, hier kann anhand der FFP-Klassifikation ein probater diagnostischer Duktus definiert werden (Abb. 2). Basierend auf der Architektur des Beckenringes stellt die operative Versorgung vorderer Beckenringverletzungen die Ausnahme dar. Sollte die operative Versorgung angezeigt sein, ist minimalinvasiven, intraossären Schraubenosteosynthesen der Vorzug vor Plattenosteosynthesen oder dem Fixateur externe zu geben. Die minimalinvasiven Schraubenosteosynthesen bestechen dabei durch ihre Minimalinvasivität und die damit verbundene geringe Infektionsrate auf der einen und ihre überlegene Stabilität auf der anderen Seite.2 Was die operative Versorgung des hinteren Beckenringes betrifft, stehen die Plattenosteosynthese, die sakroiliakale Schraube, die S2-Ala-ilium-Verschraubung sowie wiederum der Fixateur externe zur Verfügung. Auch im Bereich des hinteren Beckenringes haben sich mittlerweile die minimalinvasiven Varianten durchgesetzt, welche durch die sakroiliakalen Schrauben und die S2-Ala-ilium-Verschraubung abgebildet werden. Während die S2-Ala-ilium-Verschraubung in puncto Stabilität eindeutig das beste Verfahren darstellt, profitiert die Versorgung mittels sakroiliakaler Schraube von der Verwendung einer zweiten Schraube und noch mehr von einer sogenannten Zementaugmentation. Hierbei wird die hohle Schraube mit Zement befüllt und es wird über ihre Hohlführung ein Zementanker an der Schraubenspitze erzeugt. Dieses Verfahren führt zu einer signifikanten Verbesserung der Stabilität.2,3 Generell gilt mittlerweile ebenfalls, dass die minimalinvasiven Techniken (S2-Ala-ilium-Verschraubung, sakroiliakale Schraube, retrograde Schraube) auch im Falle einer kombinierten Verletzung des hinteren und des vorderen Beckenrings hinsichtlich ihrer Stabilität zu favorisieren sind.2,3
Abb. 2: Algorithmus zur Behandlungsfindung der FFP-Frakturen
Zusammenfassung
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung sowie der erhöhten Aktivitätsansprüche auch noch im fortgeschrittenen Alter kommt der differenzierten Behandlung von FFP-Frakturen eine zunehmende Bedeutung zu. Die oberste Prämisse besteht hierbei in der suffizienten Behandlung der Schmerzproblematik, damit eine rasche Mobilisierung erfolgen kann. Neben einem differenzierten, individuell angepassten Schmerzmittelkonzept sollten Gehhilfen und Orthesen sinnbringend eingesetzt werden. Was die operative Behandlung betrifft, wird die Zukunft minimalinvasiven (Hybrid)verfahren gehören, die auf eine Kombination mehrerer technischer Prinzipien setzen und ihren Einsatzort in erster Linie am hinteren Beckenring
Abb. 3: A) Ansicht des knöchernen Beckens von vorne. Die Sakroiliakalschraube (weiß) wird seitlich durch das Darmbein und das Kreuzbein eingebracht. Sie kann mit Zement aufgefüllt werden, um die Rotationstabilität zu erhöhen. Die retrograde Kriechschraube (flieder) wird von vorne aufsteigend durch das obere Schambein eingebracht. B) Ansicht des knöchernen Beckens von hinten. Die S2-Ala-ilium-Verschraubung verbindet den 2. Kreuzbeinwirbel mit der Darmbeinschaufel
Literatur:
1 Rommens PM et al.: Fragility fractures of the pelvis. JBJS Rev 2017; 5(3): e3 2 Lodde MF et al.: Biomechanical comparison of five fixation techniques for unstable fragility fractures of the pelvic ring. J Clin Med 2021; 10(11): 2326 3 Lodde MF et al.: Does cement augmentation of the sacroiliac screw lead to superior biomechanical results for fixation of the posterior pelvic ring? A biomechanical study. Medicina (Kaunas) 2021; 57(12): 1368
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Kastenfixateur zur rekonstruktiven Chirurgie beim Charcot-Fuß
Ein Charcot-Fuß ist kein Rätsel. Im Prinzip handelt es sich um eine Fraktur, die jedoch durch die verzögerte Knochenheilung als Folge neuropathischer Veränderungen des ...
Die Pavlik-Riemenbandage
Seit dem Jahr 1991 ist in Österreich eine orientierende Hüftsonografie des Neugeborenen in der 1. sowie in der 6.–8. Lebenswoche ein fester Bestandteil der routinemäßigen Untersuchungen ...
Schuh- und Prothesenversorgung beim diabetischen Fuß
Diabetes mellitus ist in Österreich mit ca. 800000 betroffenen Personen eine sehr weit verbreitete Krankheit. Die häufig damit einhergehende Adipositas führt zu einer erheblichen ...