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Therapie des Tennisarms
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Felicitas Witte
30
Min. Lesezeit
28.09.2017
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<p class="article-intro">Man diagnostiziert eine Epicondylitis, und der Patient will schnelle Heilung: Da ist es verständlich, dass man zur Kortisonspritze greift. Bei manchen Kollegen ist es so zur Gewohnheit geworden, dass sie ihre Praxis gar nicht infrage stellen – vor allem wenn der Patient nach der Spritze beschwerdefrei nach Hause geht. Doch Kortison hilft langfristig nicht besser als Placebo. Besser sind Zuwarten, Physiotherapie und Anpassung des Arbeitsplatzes – das erspart auch Nebenwirkungen.</p>
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<p class="article-content"><p>Fast reflexartig ziehen manche Kollegen die Kortisonspritze auf, wenn der Patient über die typischen Symptome klagt und beim Palpieren des Ellenbogens zusammenzuckt. Es ist natürlich auch eine befriedigende Therapie: Nach der Spritze spürt der Patient weniger Schmerzen und kommt gerne wieder, weil man so rasch geholfen hat. Vermutlich liegt es daran, dass sich der Mythos bei einigen Kollegen und auch bei Patienten immer noch hält, Kortisonspritzen seien die beste Therapie. Dabei haben schon im vergangenen Jahr Forscher aus Oslo gezeigt: Kortisonspritzen können zwar kurzfristig Erleichterung bringen, langfristig vermögen sie die Beschwerden aber nicht besser zu lindern als Placebo.<sup>1</sup> <br /> In einer randomisierten Studie waren 177 Patienten mit Physiotherapie und zusätzlich randomisiert verblindet entweder mit Kortison- oder mit Placebospritzen behandelt worden. Ein Behandlungserfolg wurde so definiert, dass die Patienten sich selbst als «komplett geheilt» bezeichneten oder ihren Zustand mit «viel besser» auf einer 6-Punkte-Skala angaben. Nach 6 Wochen war bei denjenigen mit Kortisonbehandlung häufiger ein Behandlungserfolg festzustellen als bei den Patienten mit Placebobehandlung (OR 10,6; p<0,01). Doch nach 12 Wochen war kein Unterschied mehr zu erkennen. Nach 26 Wochen ging es den Patienten der Kortisongruppe sogar schlechter, und nach einem Jahr hatten sich die Beschwerden in beiden Gruppen in gleichem Ausmass gebessert (Abb. 1). <br /> «Hat man sehr starke Schmerzen und muss schnell fit sein, kann man sich durchaus einmal eine Kortisonspritze geben lassen», sagt Dr. med. Christian Krasny, Ellenbogenchirurg am Orthopädischen Spital Speising in Wien. «Aber bei den meisten Patienten bessern sich die Beschwerden mit Schonung und Physiotherapie von selbst, und man spart sich die Nebenwirkungen.»</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1703_Weblinks_s34.jpg" alt="" width="1417" height="800" /></p> <h2>Mausarm</h2> <p>Braun gebrannt, muskulös, sportlich gekleidet: der typische Patient mit Tennisarm. Doch das stimmt heute nicht mehr. «Am häufigsten diagnostiziere ich ihn bei Leuten, die zu viel tippen oder ständig die Computermaus benutzen», sagt Prof. Dr. med. Dominik Meyer, Orthopäde an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich. «Wir nennen ihn deshalb immer öfter ‹Mausarm›.»<br /> Der Chirurg Percival Mills soll die Bezeichnung «Tennisellenbogen» erfunden haben, und das Problem schien ihn zu frustrieren: «Es gibt zurzeit wahrscheinlich nichts, das die Chirurgie mehr entehrt, als unsere Unfähigkeit, einen Tennisellenbogen zu heilen», schrieb er 1928 im «British Medical Journal».<sup>2</sup> «Wir sind so hilflos bei der Behandlung, dass viele der Betroffenen nie mehr zum Arzt gehen wollen.» <br /> Die Epicondylitis entsteht, wenn man die Extensoren am Unterarm überbeansprucht – also durch zu viel Tennis mit Rückhand, einseitig belastende Arbeit im Garten, an Maschinen oder am Computer. «Die Leute leiden sehr», sagt Prof. Dr. med. Reinhard Weinstabl, Sporttraumatologe in Wien. «Manche können nicht einmal mehr einen Kaffeebecher halten, weil es so wehtut.» Durch ständige einseitige Bewegung werden die Extensormuskeln so beansprucht, dass sie an ihrem sehnigen Ansatz am Oberarm einreissen. «Die Sehne versucht zu heilen, aber wenn man ihr keine Ruhe gönnt, gelingt ihr das nicht», sagt Meyer. Das Gewebe ist gereizt, und es tut weh, wenn der Arzt auf den Ellenbogen drückt.<br /> Bei 40–50 % aller Tennisspieler soll es im Laufe der Zeit zu einer Epicondylitis kommen.<sup>3</sup> Die Inzidenz der Epicondylopathie in der Normalbevölkerung beträgt 1–3 % ,<sup>4, 5</sup> bei Menschen, die häufig manuell repetitiv arbeiten, bis zu 24 % .<sup>6</sup> Ein höheres Risiko haben Leute, die mehr als zwei Stunden pro Tag repetitive Tätigkeiten ausführen, die mindestens zehnmal pro Tag mit Werkzeugen arbeiten, welche mehr als 1kg wiegen, oder Lasten tragen, die schwerer als 20kg sind.<sup>7</sup> Eine Arbeit mit wenig Verantwortung, schlechtes soziales Umfeld, Alter, weibliches Geschlecht und Rauchen erhöhten in Studien das Risiko für eine Epicondylitis.<sup>4, 7</sup> Am häufigsten erkranken Menschen zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Bei natürlichem Verlauf halten die Beschwerden 6 Monate bis 2 Jahre an.<sup>8 </sup></p> <h2>Stosswellen können helfen</h2> <p>Die Diagnose lässt sich meist schon durch die Anamnese stellen: Kann der Patient nur noch unter Schmerzen eine Kaffeetasse hochheben, einen Lappen auswringen, eine Tasche mit Lebensmitteln tragen? Dann könnte eine Epicondylitis lateralis dahinterstecken. Schmerzt es mehr an der Innenseite am Ellenbogen und tut es vor allem bei Bewegungen «nach innen» weh, ist es eher eine Epicondylitis medialis – ein Golferellenbogen, der allerdings ebenfalls eher bei Arbeitern als bei Golfern auftritt. Mehr als 40 Behandlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, darunter Physiotherapie, Schmerzmittel, Akupunktur, Stosswellen und Spritzen mit Botulinumtoxin, Kortison oder Eigenblut. Welche Therapie am besten hilft, konnten bisherige Studien nicht beantworten. «Das Wichtigste ist: Der Betroffene soll die schmerzauslösenden Bewegungen vermeiden», sagt Meyer. «Sagen Sie ihm, er soll sich ein Silikon-Bänkli vor der Tastatur mit spezieller Tennisarm-Computermaus kaufen.»<br /> In Studien gut geholfen hat zudem Physiotherapie mit Dehnübungen der Muskeln – ähnlich wie bei Schmerzen in der Achillessehne. Wird es nach einem Monat nicht besser, rät PD Dr. med. Claudio Rosso, Sportmediziner bei Arthro-Medics in Basel, zu Stosswellentherapie. «Zwar hat sie in Studien keinen grossen Effekt gezeigt, aber das liegt womöglich daran, dass die Intensität zu gering war und unterschiedliche Techniken durchgeführt wurden.» Rosso behandelt 5 Wochen lang, jede Woche einmal, damit würden bei 70 % der Patienten die Beschwerden deutlich abklingen. Insgesamt sollte die konservative Therapie etwa 6 Monate lang durchgeführt werden. Hilft die konservative Therapie nicht, kommt eine Operation infrage. 85 % der Patienten berichten danach, sie hätten keine Schmerzen mehr.</p> <h2>Kortison nur in Ausnahmefällen</h2> <p>Kortison sollte nicht gespritzt werden, es sei denn, jemand will kurzfristig beschwerdefrei sein. So behandelte Rosso einen Sportler in Rio mit Kortison, damit er an den Olympischen Spielen teilnehmen konnte. «Wenn jemand unbedingt eine Kortison­spritze haben möchte, dann gebe ich sie», sagt auch Weinstabl. «Es wird aber zu oft gespritzt, ohne eine exakte Analyse des Gewebszustandes zu haben.» Die Wirkung der Spritzen haben Ärzte jahrelang überschätzt. Fast immer kommt der Schmerz 6 bis 8 Wochen später zurück. Zudem besteht bei dieser Behandlung das Risiko, dass die Sehnen leiden und irgendwann reissen. «Ich wäre vorsichtig bei jeder Art von Spritzen», sagt Dominik Meyer. «Die Behandlungen kosten oft viel und helfen nicht mehr als Schonen und Zuwarten. Wir sollten uns darauf konzentrieren, dem Körper durch gezielte Entlastung und Arbeitsplatzanpassung die Möglichkeit zur Selbstheilung zu geben.»</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Olaussen M et al: BMC Musculoskeletal Disorders 2015; 16: 122 <strong>2</strong> Mills P: British Medical Journal 1928; 1(3496): 12-3 <strong>3</strong> Roetert EP et al: Clin Sports Med 1995; 14: 47-57 <strong>4</strong> Shiri R et al: Am J Epidemiol 2006; 164: 1065-74 <strong>5</strong> Walker-Bone K et al: Arthritis Rheum 2004; 51: 642-51 <strong>6</strong> Kivi P: Scand J Rheumatol 1984; 13: 101-7 <strong>7</strong> van Rijn RM et al: Rheumatology 2009; 48: 528-36 <strong>8</strong> Schleicher I et al: Sportverl Sportschad 2010; 24: 218-24</p>
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