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Therapieoptionen für patellofemorale Probleme beim Sportler

<p class="article-intro">Im Verhältnis zu ihrer Größe bereitet uns die Kniescheibe überproportional viele Schwierigkeiten. Etwa 9 % der Patienten, die eine Ambulanz oder Praxis für Sportorthopädie aufsuchen, tun dies wegen eines vorderen Knieschmerzes. Der Anteil an sportlich aktiven Patienten beträgt dabei ca. 65 %, relativ unabhängig von der ausgeübten Sportart. Es handelt sich also sicher nicht um ein orthopädisches Randthema.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>&Uuml;berlastungssyndrome des PFG haben meist einen funktionellen Hintergrund. Sie werden zum Teil durch anatomische Abweichungen (z. B. Patella alta) beg&uuml;nstigt und sind beim Sportler ein h&auml;ufiges Problem (Inzidenz 9 %, relativ sportartunabh&auml;ngig).</li> <li>Die Therapie eines patellofemoralen Schmerzsyndroms erfolgt in den meisten F&auml;llen konservativ durch funktionelles Training, unterst&uuml;tzt durch technische Ma&szlig;nahmen (Taping, Brace) und gegebenenfalls Schmerztherapie.</li> <li>Patellainstabilit&auml;ten sind beim Sportler in der Regel unkompliziert (ATAPI I&deg;). Sportspezifische Faktoren beeinflussen die Therapieentscheidung aber ma&szlig;geblich mit.</li> </ul> </div> <p>Unter patellofemoralen Schmerzen (&bdquo;patellofemoral pain syndrome&ldquo;, PFPS) verstehen wir eine Subgruppe des vorderen Knieschmerzes, dessen Genese eindeutig arthrogen ist. Davon zu unterscheiden sind also die beim Sportler h&auml;ufigen Syndrome des weichteiligen vorderen Knieschmerzes, die fast immer &uuml;berlastungsbedingt auftreten, wie z. B. das &bdquo;jumper&rsquo;s knee&ldquo;. Grunds&auml;tzlich gelten beim Sportler nat&uuml;rlich die gleichen pathoanatomischen und biomechanischen Grundlagen wie beim Nichtsportler. H&ouml;hergradig von der Norm abweichende anatomische Verh&auml;ltnisse (z. B. Trochleadysplasie) finden wir abh&auml;ngig von Sportart und Leistungsniveau allerdings wesentlich seltener als in der Normalbev&ouml;lkerung. Diese Pathologien sind mit Sportaus&uuml;bung auf h&ouml;herem Niveau schlicht nicht kompatibel. Umso h&auml;ufiger finden wir Syndrome funktioneller &Uuml;berlastung, die durch zum Teil nur subtile anatomische Abweichungen beg&uuml;nstigt werden. Wesentliche Parameter f&uuml;r die optimale Funktion des Patellofemoralgelenkes (PFG) sind das Tracking (Alignment) und die Stabilit&auml;t der Kniescheibe.</p> <h2>(Patho-)Biomechanik des PFG</h2> <p>Wir unterscheiden statische, dynamische und passive Faktoren, die das Tracking und die Stabilit&auml;t der Kniescheibe gew&auml;hrleisten. Die vor allem in der Schmerzgenese ebenso wichtigen funktionellen Faktoren (z. B. funktioneller Valgus) kommen ergänzend dazu.</p> <p><strong>Statische Faktoren</strong> <br />Unter den statischen Faktoren werden die knöchern definierten mechanischen Verhältnisse subsumiert. Hier spielt als ganz wesentlicher Faktor die Geometrie der Trochlea femoris eine entscheidende Rolle. Die Dysplasie ist nicht nur der wichtigste Instabilitätsfaktor des PFG (96 % der Patienten mit Trochleadysplasie haben Patellaluxationen), sie ist durch die pathologischen punktuellen Druckbelastungen im Gelenk auch häufig mit der isolierten Patellofemoralarthrose (PFA) assoziiert. <br />Die Beinachsenausrichtung spielt sowohl in der Frontalebene als auch in Bezug auf die Rotation eine wichtige Rolle. Eine valgische Beinachse führt zu einer Erhöhung des Druckes im lateralen Anteil des PFG und bewirkt über die Veränderung des Q-Winkels eine Lateralisierung der Patella. Die Auswirkungen der Torsionsverhältnisse vor allem des Femurs, aber auch der Tibia auf Tracking und intraartikulären Druck sind ähnlich. Eine verstärkte femorale Innentorsion (Werte über etwa 25&deg; gelten hier als pathologisch) gilt als Risikofaktor der Patellainstabilität und hat über die Hyperpression im PFG auch negative Auswirkungen im Sinne der Entwicklung der Degeneration dieses Gelenkanteils. Eine tibiale Au&szlig;entorsion kann vice versa als ebenso problematisch angesehen werden. <br />Ein weiterer statischer Faktor ist die Patellahöhe. Neben der biomechanisch gut nachvollziehbaren Reduktion der Stabilität der Kniescheibe bei Patellahochstand konnte in jüngster Zeit auch der Nachweis erbracht werden, dass es &ndash; konträr zur bisherigen Meinung &ndash; bei Patella alta zu pathologischen Anpressdrücken im PFG kommt.</p> <p><strong>Dynamische Faktoren</strong><br />Die dynamische Einflussgrö&szlig;e des Patellatrackings ist letztlich der resultierende Kraftvektor des Quadriceps. Neben der reinen Muskelkraft und der Balance der einzelnen Muskelanteile &ndash; M. vastus lateralis (VL), M. vastus medialis (VM) &ndash; sind es wiederum knöcherne Faktoren, die hier Einfluss haben. Die Position der Tuberositas tibiae, die anhand der Distanz von TTTG (&bdquo; tibial tuberosity-trochlea groove&ldquo;) und TTPCL (&bdquo;tibial tubercle posterior cruciate ligament&ldquo;) ermittelt werden kann, hat Auswirkungen auf den Q-Winkel und kann zur Lateralisierung der Patella beitragen. Wichtig ist dabei, durch Anwendung des TTPCL auch zu verifizieren, ob ein tibiales Problem für die eventuelle Erhöhung des TTTG verantwortlich ist. Nur dann ist eine Intervention an der Tuberositas tibiae sinnvoll. Auch das frontale Alignment (Valgus) beeinflusst naturgemä&szlig; den Quadricepsvektor.</p> <p><strong>Passive Faktoren</strong> <br />Die passiven Stabilisatoren sind in erster Linie für die Stabilisierung der Patella relevant. Das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) ist dabei der wichtigste Stabilisator der Kniescheibe und häufiger therapeutischer Ansatzpunkt bei Instabilität. Das laterale Retinaculum hat als allerletzte Barriere, die vor der Patellaluxation überwunden werden muss, ebenfalls einen stabilisierenden Effekt.</p> <p><strong>Bedeutung funktioneller Aspekte</strong> <br />Beim Sportler spielen funktionelle Einfl&uuml;sse in der Genese des PFPS naturgem&auml;&szlig; eine gro&szlig;e Rolle. Durch repetitive Belastungen beim Training werden oft nur kleine funktionelle St&ouml;rungen klinisch relevant. Aus&uuml;bende von Sprungsportarten sind hier besonders oft betroffen, grunds&auml;tzlich k&ouml;nnen diese funktionellen patellofemoralen Schmerzen aber bei sehr vielen Belastungen (z. B. beim Schwimmsport zu 5 %) auftreten. <br />Besonderen Einfluss auf die Entstehung des PFPS hat die Kontrolle der Oberschenkeladduktion. Beim funktionellen Valgus f&uuml;hren die vermehrte Adduktion und Innenrotation des Femur zu einer Vergr&ouml;&szlig;erung des Q-Winkels, der wiederum zu einer Erh&ouml;hung der die Patella lateralisierenden Kr&auml;fte f&uuml;hrt (Abb. 1). &Auml;hnliches passiert bei vermehrter oder verl&auml;ngerter Pronation im R&uuml;ckfu&szlig;. Die Tibia folgt der Pronation mit einer Innenrotation, was ebenfalls den Q-Winkel funktionell vergr&ouml;&szlig;ert und eine relative Lateralisation der Patella bewirkt. <br />Ein individuelles sensomotorisches Kr&auml;ftigungsprogramm (H&uuml;ftabduktoren, H&uuml;ftau&szlig;enrotatoren, &bdquo;core stability&ldquo;) kann sowohl &Uuml;berlastungssyndromen vorbeugen als auch therapeutisch eingesetzt werden. Im Falle einer schmerzbedingten Limitierung der Trainingsintensit&auml;t k&ouml;nnen medialisierende Tapingtechniken (z. B. McConell-Taping) oder Braces mit medialisierendem Effekt auf die Patella (z. B. PatellaPro Soft Brace) eingesetzt werden. <br />Ein klarer Zusammenhang zwischen PFPS und Quadricepsmuskulatur konnte belegt werden. Muskul&auml;re Verk&uuml;rzung spielt dabei genauso eine Rolle wie eine Dysbalance der einzelnen Muskelanteile. Es geht hier vor allem um eine neuromuskul&auml;re Dysbalance zwischen Vastus medialis und Vastus lateralis. Bei Patienten mit PFPS besteht hier in der EMG-Aktivit&auml;t ein Verh&auml;ltnis von etwa 0,8 : 1 zwischen diesen Muskelanteilen (normal 1 : 1). Es spielt dabei nicht nur die absolute Muskelkraft, sondern auch das Timing der Muskelkontraktion eine Rolle. Bei Patienten mit PFPS springt der Vastus medialis deutlich verz&ouml;gert an. Neben den klassischen Trainingskonzepten im Rahmen der Physiotherapie kommt hier experimentell auch Botox zur Schw&auml;chung des Vastus lateralis zum Einsatz. Dies erm&ouml;glicht eine neuromuskul&auml;re Reedukation und das Kompensieren von bestehenden Defiziten. Der Einsatz beim Sportler muss hier besonders kritisch gesehen werden. Der Einsatz von Lokalan&auml;sthetika (Neuraltherapie) zeigt in der Praxis einen &auml;hnlichen Effekt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s19_abb1_dirisamer.jpg" alt="" width="500" height="338" /></p> <h2>Patellainstabilit&auml;t beim Sportler</h2> <p>Patellainstabilit&auml;ten kommen auch beim Sportler vor. Wir beobachten hier sowohl die potenzielle Instabilit&auml;t als Kofaktor eines &Uuml;berlastungssyndroms als auch die objektive Patellainstabilit&auml;t &ndash; die echte Luxation der Kniescheibe. Hier kommt als Folge eines direkten Traumas (z. B. beim Eishockey) die sonst sehr seltene traumatische Luxation vor, aber auch die nichttraumatische Dislokation besch&auml;ftigt uns. Generell kommen schwere Formen der Patellainstabilit&auml;t (ATAPI II&deg; und III&deg;) aber vor allem bei Patienten mit h&ouml;herem Leistungsniveau nur selten vor. Die bei der Luxation auftretenden Kr&auml;fte sind also aufgrund der weniger ausgepr&auml;gten anatomischen Risikofaktoren als h&ouml;her einzustufen. Begleitverletzungen wie osteochondrale Frakturen (&bdquo;flake fractures&ldquo;) sind daher erwartungsgem&auml;&szlig; h&auml;ufiger, wobei hierzu keine verl&auml;sslichen Daten vorliegen. Das therapeutische Vorgehen beim Sportler weicht grunds&auml;tzlich methodisch nicht von den generellen Therapiealgorithmen ab. Die ausge&uuml;bte Sportart, das Leistungsniveau und das damit verbundene Reluxationsrisiko sind aber zus&auml;tzliche individuelle Parameter, die in der Therapieentscheidung Ber&uuml;cksichtigung finden.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Chirurgische Interventionen bei isolierten Schmerzsyndromen des PFG sind insgesamt kritisch zu sehen. Das PFPS ist grunds&auml;tzlich eine Dom&auml;ne der konservativen Behandlung &ndash; auch beim Sportler. Die oben beschriebenen funktionellen Ans&auml;tze bilden hier den zentralen Ansatz. Wir finden aber h&auml;ufig eine Assoziation mit patellofemoraler Instabilit&auml;t, welche wiederum oft chirurgisch behandelt werden muss. <br />Die Gesellschaft f&uuml;r Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA) hat mit der Publikation des ATAPI (AGA Treatment Algorithm for Patella Instability, Abb. 2) einen auf klinischen und biomechanischen Prinzipien beruhenden Behandlungsalgorithmus für die rezidivierende Kniescheibenluxation vorgestellt. Er erlaubt die rasche klinische Einteilung der Instabilität in 3 Gruppen und ermöglicht eine grobe Abschätzung der notwendigen Ma&szlig;nahmen schon beim Erstkontakt. Die Behandlungsprinzipien gelten grunds&auml;tzlich auch f&uuml;r die Erstluxation, wobei hier noch die Risikoabsch&auml;tzung f&uuml;r Reluxationen (z. B. anhand des &bdquo;patellar instability severity score&ldquo;) zur Entscheidung, ob eine operative Intervention erforderlich ist, vorausgehen sollte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s19_abb2_dirisamer.jpg" alt="" width="500" height="416" /></p> <p><strong>Operative Therapie</strong> <br />Die MPFL-Rekonstruktion ist die am häufigsten durchgeführte operative Ma&szlig;nahme nach Patellaluxation. Da die Verletzung des MPFL bei der Patellaluxation quasi obligat ist (Verletzung des MPFL in ca. 98 % der Fälle), ist eine operative Ma&szlig;nahme im Bereich des wichtigsten medialen Stabilisators zumindest Bestandteil der meisten Interventionen. Die Rekonstruktion des MPFL in unterschiedlichen Techniken ist dabei gemessen an der Reluxationsrate dem prim&auml;ren Repair &uuml;berlegen. Essenziell für die Ergebnisqualität sind die chirurgische Präzision (Bohrkanalanlage) und das Beachten von gleichzeitig bestehenden Risikofaktoren (Abb. 3). <br />Interventionen an der Tuberositas tibiae (bei Patella alta oder erh&ouml;htem TTPCLAbstand) werden zur Normalisierung des Trackings der Kniescheibe durchgef&uuml;hrt. Beim Sportler muss die Indikation dazu sehr kritisch und sportartbezogen gestellt werden. Ein therapeutischer Kompromiss zur Schonung des Streckapparates ist hier mitunter angebracht und sportmedizinisch sinnvoll. <br />Die Trochleadysplasie ist klinisch mit einer Instabilität in mittlerer Flexion (bis etwa 60&deg;) assoziiert. Bei hochgradiger Dysplasie ist die Trochleaplastik indiziert. Dabei wird durch Resektion von subchondralem spongiösem Knochen die fehlende Trochlearinne angelegt und damit die statische Stabilität hergestellt. Da eine Sportaus&uuml;bung mit Leistungsanspruch mit dieser Pathologie kaum vereinbar ist, sind derartig komplexe Pathologien beim Sportler eine Rarit&auml;t. <br />Die Evidenz für Achsinterventionen bei patellofemoraler Problematik ist insgesamt niedrig. Insbesondere für die Varisierung gibt es kaum Daten. Trotzdem wird ab einer Valgusdeformität von &gt; 5&deg; die Varisierung empfohlen; der klinische Effekt dieser Intervention ist beeindruckend. In der Regel sind hier femorale Osteotomien durchzuführen. Für Rotationskorrekturen ist die Datenlage als besser zu beurteilen, es gibt aber auch hier noch ungeklärte Fragen. Der Grenzwert zur Derotationsosteotomie bei Patellainstabilität wird derzeit mit etwa 25&deg; (femorale Antetorsion) diskutiert. &Auml;hnlich wie bei der Trochleadysplasie sind Interventionen an der Beinachse beim Leistungssportler sehr selten erforderlich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1906_Weblinks_jatros_ortho_1906_s20_abb3_dirisamer.jpg" alt="" width="500" height="439" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die anatomische und biomechanische Grundlage ist beim Sportler und Nichtsportler die gleiche. Auch in der Behandlung gelten die gleichen Prinzipien. Unterschiede bestehen aber in der Auswirkung funktioneller Defizite, die aufgrund der h&ouml;heren Belastung vieler Sportler oft fr&uuml;her relevant werden und zum PFPS f&uuml;hren. Bei Patellainstabili&auml;t haben die ausge&uuml;bte Sportart und das Leistungsniveau Einfluss auf die Therapieentscheidung, im Speziellen darauf, ob die Erstluxation operativ behandelt werden muss oder nicht.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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