Long Covid – wer hat den längeren Atem?
Autorin:
Dr. rer.nat. Nina Bausek
Department of Cardiovascular MedicineMayo Clinic, Rochester, USA
und
Gloggnitz, Österreich
E-Mail: ninab@pnmedical.com
Atemnot und Erschöpfung gehören zu den häufigsten Symptomen bei Long Covid. Die Beeinträchtigung der Atemmuskelstärke bzw. -funktion wird als eine der Ursachen dafür in Betracht gezogen, weshalb Atemmuskeltraining als möglicher Therapieansatz infrage kommt. Einige bisher unveröffentlichte Forschungsergebnisse hierzu wurden auf dem diesjährigen ERS-Kongress in Mailand präsentiert.
Keypoints
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Bestehende Symptome nach einer Covid-19-Erkrankung (Long Covid) können zu langfristiger Beeinträchtigung der Gesundheit führen.
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Wissenschaftler und Mediziner präsentierten beim ERS-Kongress neue Erkenntnisse und Lösungsansätze bezüglich der pulmonalen Beteiligung an den Symptomen von Long Covid.
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Stärkung der Atemmuskulatur könnte helfen, Atemnot (Dyspnoe), Erschöpfung (Fatigue) und Lebensqualität in Long- Covid-Patienten zu verbessern.
Eine Covid-19-Erkrankung kann mit länger anhaltenden Symptomen verbunden sein. Bis zu 60% der Überlebenden einer Covid-19-Erkrankung mit Krankenhausaufenthalt weisen Symptome auf, die nicht durch alternative Diagnosen begründet werden können. Bei Personen, welche keinenstationären Aufenthalt benötigt haben, wird die Prävalenz auf bis zu 12% geschätzt.
Sind Symptome mehr als zwei bis drei Monate nach der Infektion präsent und halten mindestens zwei Monate lang an, spricht man von Long Covid. Zu den typischen Symptomen von Long Covid zählen Erschöpfung (Fatigue), Atemnot, eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Schmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten („brain fog“), Depression, verminderte Lungenfunktion und Einschränkungen in der Lebensqualität.1,2 Atemnot und Erschöpfung wurden in 51% und 63% der Long-Covid-Fälle beobachtet und gehören damit zu den am häufigsten vorkommenden Symptomen.3
Die genaue Ursache für die mit Long Covid verbundenen Symptome ist bisher nicht eindeutig geklärt. Pathologische Veränderungen im Lungengewebe sowie Fibrose und die dadurch beeinträchtigte Diffusionskapazität bedingen einen erhöhten Ventilationsbedarf. Es ist möglich, dass die erhöhte Ventilation die Atemmuskulatur vermehrt belastet und Symptome wie Erschöpfung, Atemnot und eingeschränkte Leistungsfähigkeit durch eine übermäßige Ermüdung des Zwerchfells bedingt sind. Eine Studie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf zeigte, dass bei 88% der Patienten mit anhaltenden Post-Covid-19-Symptomen eine Atemmuskelschwäche vorliegt, verbunden mit einem unverhältnismäßig hohen Atemantrieb.3 Dies kann zum Auslösen des Metaboreflexes führen, in dessen Folge die Nährstoffversorgung der peripheren Muskulatur durch Gefäßverengung gedrosselt wird, um die Zirkulation vermehrt der Atemmuskulatur zuzuführen. Während dieser Vorgang dafür ausgelegt ist, der Erhaltung der körperlichen Funktionen bei Überschreitung des Aktivitätslimits zu dienen, könnte eine kontinuierliche oder übermäßige Aktivierung des Metaboreflexes zu der beobachteten Verminderung von Leistungsfähigkeit und Lebensqualität beitragen.1
Die Rolle von Atemmuskeltraining bei Long Covid
Verminderter Leistung oder Funktion der Atemmuskeln, insbesondere des Zwerchfells, kann mit gezieltem Atemmuskeltraining (AMT) entgegengewirkt werden. Hierbei wird die Atemmuskulatur durch Widerstandstraining zu vermehrter Arbeitsleistung aktiviert, um Muskelaufbau und Funktionalität zu steigern. Das Trainingsprinzip gleicht dabei dem für die periphere Muskulatur. Regelmäßige kurzfristige Trainingseinheiten führen zu einer Hypertrophie der Muskulatur sowie zu einer verbesserten Leistungskapazität. Im Falle des Zwerchfells führt AMT zu höherer Mobilität (Exkursion) während des Ein- und Ausatmens und steigert damit die Vitalkapazität der Lunge durch erhöhtes Volumen. Der Gasaustausch wird dabei durch Erweiterung der Oberfläche optimiert, und Hyperinflation sowie„air trapping“ können vermindert werden.
AMT kann im häuslichen Umfeld eingesetzt werden, mittels handgehaltener Atemmuskeltrainer. Diese bieten entweder Widerstand beim Einatmen (inspiratorisches Muskeltraining; IMT), beim Ausatmen (exspiratorisches Muskeltraining; EMT) oder aktivieren beide Muskelgruppen (kombiniertes Atemmuskeltraining; kAMT). Beispiele für erhältliche Geräte sind der „Powerbreathe“ (IMT), der „EMST-150“ (EMT) und „The Breather“ (kAMT). Bei letzterem Gerät sind die Widerstände für die inspiratorische und die exspiratorische Atemmuskulatur unabhängig voneinander einstellbar, um auf den individuellen Trainingsfortschritt und die unterschiedliche Trainierbarkeit der beiden Muskelgruppen einzugehen.
Zieht man eine Beeinträchtigung der Atemmuskelstärke bzw. -funktion als ursächlich für einige der typischen Long-Covid-Symptome in Betracht, könnte Atemmuskeltraining als Therapieansatz in der Rehabilitation herangezogen werden. Diese Argumentation wird von verschiedenen Forschungsgruppen aufgegriffen, mit dem Ziel, zu einer Verbesserung der Symptomatik und der Lebensqualität in der betroffenen Patientengruppe beizutragen. Einige der bisher unveröffentlichten Forschungsergebnisse wurden hierzu auf dem diesjährigen Kongress der European Respiratory Society (ERS) Anfang September in Mailand präsentiert.
Neue Daten vom ERS-Kongress
Long Covid war einer der vielen Brennpunkte am ERS, mit mehr als 60 wissenschaftlichen Postern zu Diagnostik, Beobachtungen und therapeutischen Ansätzen für Long Covid. Die von uns vorgestellten Daten beruhen auf den Ergebnissen der Covid Virtual Recovery Study, welche von der Mayo Clinic, Rochester, MN, USA, in Kollaboration mit PN Medical, FL, USA,durchgeführt wurde.4 Für diese komplett virtuell durchgeführte Studie wurden mehr als 2000 Patienten, welche zuvor an Covid-19 erkrankt waren, rekrutiert und in Gruppen mit unterschiedlicher Trainingsintensität („engagement“, „endurance“, „strength“) eingeteilt (Tab. 1). Jeder Teilnehmer erhielt das Gerät „The Breather“ für kombiniertes Atemmuskeltraining sowie einen vierwöchigen Trainingsplan über eine Smartphone-App („Breather Coach“).
Tab. 1: Ergebnisse der Covid Virtual Recovery Study nach Trainingsintensität: 21,8% jener Teilnehmer, die Angaben zu ihrer Krankengeschichte machten, waren hospitalisiert, und zwar im Durchschnitt etwa 12 Tage. Fast 90% der Teilnehmer gaben an, weiterhin unter Symptomen zu leiden (modifiziert nach Bausek N et al. 2023)4
Eine Umfrage zu Beginn der Studie ergab ein Durchschnittsalter der Teilnehmer von 53 Jahren. Weniger als ein Viertel der Teilnehmer (21,8%) waren wegen Covid-19 hospitalisiert gewesen. Eine Mehrheit von 89,6% der Studienteilnehmer gab an, noch Symptome zu haben. Vorläufige Ergebnisse der Umfragen zum Ende der vierwöchigen Interventionsphase zeigten eine Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes bei den Teilnehmern, unabhängig von der vorgeschriebenen Trainingsintensität. Eine Verbesserung der Atmung in Bewegung wurde ebenfalls festgestellt, diese war jedoch nicht signifikant (Abb. 1).
Abb. 1: Signifikante Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes bei den Studienteilnehmern am Ende der Studie (Final) im Vergleich zu Beginn der Studie (Baseline). Ein Trend zur Verbesserung der Atmung in Bewegung wurde ebenfalls beobachtet (modifiziert nach Bausek N et al. 2023)4
Obwohl die hier gezeigten Ergebnisse durchaus positiv bewertet werden sollten, wurde die Studie durch hohe Ausfallraten während der Interventionsphase dominiert, was zu einer Limitation der Interpretierbarkeit der Ergebnisse führt. Weitere Analysen der verschiedenen Untergruppen werden derzeit durchgeführt, um eine direkte Wirkung des Atemmuskeltrainings auf die typischerweise mit Atemmuskelschwäche assoziierten Symptome wie Atemnot, Fatigue und verminderte Leistungsfähigkeit zu überprüfen. Die auf dem ERS-Kongress gezeigten Ergebnisse eines verbesserten Gesundheitszustandes stehen im Einklang mit Observationen der Universidad Complutense in Madrid einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität nach 8 Wochen Atemmuskeltraining. Die Vergleichsstudie zeigt außerdem eine Überlegenheit von kombiniertem Atemmuskeltraining gegenüber IMT.1
Eine direkte therapeutische Auswirkung von AMT auf die Symptomatik von Long Covid wurde von der Forschungsgruppe um Dr. Jens Spießhöfer, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen, präsentiert. Hier wurden 18 vormals hospitalisierte Long-Covid-Patienten mit anhaltender Atemnot bei Bewegung trotz unauffälligen pulmonologischen und kardiologischen Befundseinem sechswöchigen AMT unterzogen. Untersuchungen am Ende der Interventionsphase zeigten eine Verbesserung der Atemmuskelstärke und der Ausdauer des Zwerchfells sowie der Atemnot bei Belastung. AMT wurde hier als Therapiemöglichkeit für anhaltende Atemnot bei Long Covid bestätigt.
AMT könnte beispielsweise als Teil der pulmonalen Rehabilitation fungieren, welche positive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit von Post-Covid-Patienten hat und auch als Telemedizin zu nachhaltigen Verbesserungen führt, wie ein Poster von Dr. Bruna Scharlack Vian aus Brasilien zeigte. Fortlaufendes Monitoring der kardiopulmonalen Veränderungen bis zur völligen Genesung ist sinnvoll. Assoc.Prof. Dr. Paraskevi Katsaounou, Pulmologin am Evaggelismos-Krankenhaus in Athen, Griechenland, zeigte, dass Spiroergometrie hier als aussagekräftiges Mittel zur Beobachtung von Dyspnoe und Fatigue gilt. Wissenschaftler aus Manaus, Brasilien, schlossen sich dieser Meinung an;sie zeigten mittels Spiroergometrie die nach Entlassung langfristig reduzierte aerobe Kapazität bei hospitalisierten Covid-19-Patienten sowie eine exzessive Ventilation bei Frauen und wiesen somit auf einen möglicherweise geschlechtsspezifischen Verlauf von Long Covid hin.
Die Komplexität von Long Covid wurde durch Erkenntnisse aus verschiedenen Beobachtungen bestätigt, die auf dem ERS-Kongress vorgestellt wurden. Anthony Byrne, Pulmonologe an der Universität von New South Wales in Sydney, Australien, fand abweichende Oszillometrie(Oszillore-sistometrie)-Befunde bei Long-Covid-Patienten. Zeynep Onay von der Medeniyet-Universität in Istanbul, Türkei, zeigte eine signifikant höhere Anzahl an restriktiven Lungenveränderungen bei Kindern mit Long Covid.
Dr. Katrin Müller, Forscherin an der Technischen Universität in Chemnitz, Deutschland, verfolgte die Gesundheit von 127 Personen, welche sich am Arbeitsplatz mit Covid-19 angesteckt hatten, über den Zeitraum ihrer Rehabilitation und einer 6 Monate langen Follow-up-Phase. Körperliche Leistungsfähigkeit, gemessen an der Strecke, die in 6 Minuten gehend zurückgelegt werden kann, sowie Fatigue waren nach der Rehabilitation signifikant verbessert. Während 6 Monate nach Beendigung der Rehabilitation die Leistungskapazität weiterhin besser als vor der Rehabilitation war, ist der Erschöpfungszustand wieder auf den Wert nach der Covid-19-Erkrankung gesunken. Dies zeigt, dass Rehabilitation für die Langzeitfolgen von Covid-19 sinnvoll und effektiv ist, weist aber auch auf einen Optimierungsbedarf in Bezug auf schwer behandelbare Symptome wie Fatigue hin. Die Ergebnisse von Dr. Andres Calvache Mateo, Universität in Granada, Spanien, zeigen reduzierte Aktivität, verminderte Lebensqualität, erhöhtes Schmerzempfinden und Schlaflosigkeit bei Long-Covid-Patienten bis zu 2 Jahre nach Diagnose und unterstreichen die Langfristigkeit der durch Long Covid bedingten Beeinträchtigungen.
Fazit
Long Covid ist eine langfristige und multidimensionale Krankheit mit potenziell schwerwiegenden und langfristigen Folgen für Betroffene. Die Auswirkungen von Long Covid sind pharmakologisch nur bedingt behandelbar und verlangen einen hohen Einsatz von Ressourcen und multidisziplinären therapeutischen Ansätzen. Erfolgreiches Management von Long Covid erfordert weitere Erforschung der Ursachen und grundlegenden Auslöser für die andauernde und oft wechselnde Symptomatik. Enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Medizin ist hier gefordert, um wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten und eine Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit Long Covid zu erreichen.
Literatur:
1 Del Corral T et al.: Home-based respiratory muscle training on quality of life and exercise tolerance in long-term post-COVID-19: Randomized controlled trial. Ann Phys Rehabil Med 2022; 101709 2 Jimeno-Almazán A et al.: Effects of a concurrent training, respiratory muscle exercise, and self-management recommendations on recovery from post-COVID-19 conditions: the RECOVE trial. J Appl Physiol 2023; 134: 95-104 3 Hennigs JK et al.: Respiratory muscle dysfunction in long-COVID patients. Infection 2022; 50: 1391-7 4 Bausek N. et al.: Combined respiratory muscle training improves long covid symptoms – results from the Covid Virtual Recovery Study. ERS 2023; Poster ID 500
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