Pollensaison 2023
Bericht:
Dr. Katrin Spiesberger
Welche Belastungen durch Pollen im Jahr 2023 zu erwarten sind, wie sich die Klimaveränderung auf die Pollenbelastung, aber auch auf die Gesundheit von chronisch Kranken auswirkt und was Thunderstorm-Asthma ist, haben Expert*innen im Rahmen der jährlichen Pressekonferenz des Österreichischen Pollenwarndienstes der MedUni Wien und der Informationsplattform IGAV (Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung) erörtert.
Keypoints
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Der Klimawandel und die damit einhergehenden steigenden Temperaturen werden vor allem chronisch Kranke, wie Menschen mit Asthma, in den Städten zukünftig noch stärker belasten.
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Der Pollenflug begann heuer rund einen Monat früher als im langjährigen Mittel – Allergiker*innen reagierten überdurchschnittlich stark auf geringe Mengen Pollen in der Luft.
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Luftverschmutzung bedeutet Stress für Pflanzen: Sie produzieren dadurch höhere Mengen an Allergenen.
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Das Gewitter-Asthma ist ein gefährliches Phänomen, mit dem wir in Zukunft wohl auch konfrontiert sein werden.
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Basierend auf dem Wissen, dass Gewitter asthmatische Beschwerden auslösen und drastisch verschlimmern können, wurde die Pollen-App um die Services „Asthmawetter“ und „Gewitterwarnung“ erweitert.
Einfluss von Wetter und Witterung auf die Pollenbelastung
Klimatische Bedingungen haben Einfluss auf die Blüte von Pflanzen. Um Österreichs Pollenallergiker*innen optimal darüber informieren zu können, besteht seit den 1980er-Jahren eine enge Zusammenarbeit des staatlichen Wetter- und Erdbebendienstes – vormals Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), jetzt GeoSphere Austria – mit dem Österreichischen Pollenwarndienst. Denn es hat sich gezeigt, dass eine verantwortungsvollePollenprognose in Österreich beides braucht:zum einen eine gute Datenbasis und das fachliche Know-how von Aerobiologen wie die des Österreichischen Pollenwarndienstes, auf der anderen Seite die GeoSphere Austria – mit ihren detaillierten Wetterprognosen und integrierten Pollenmodulen.
In den letzten Jahren konnte ein Trend hin zu deutlich früherem Saisonbeginn bei den früh blühenden Pollensorten festgestellt werden. Auch werden die Schleimhäute durch bodennahes Ozon, das während austauscharmer Hitzewellen im Bereich von städtischen Ballungsräumen gebildet wird, zusätzlich gereizt. Dazu wirken auch extreme Frühjahrswetterlagen mit extrem niedriger Luftfeuchte, zuletzt gerade im Frühling 2022, ungünstig auf das Befinden vieler Pollenallergiker*innen ein. Die Klimaerwärmung macht Pollenallergiker*innen zunehmend zu schaffen. „Der letzte Winter reiht sich in die deutlich zu milden der letzten Jahrzehnte ein“, erklärte Mag. Harald Seidl von GeoSphere Austria, Bundesanstalt für Geologie, Geophysik, Klimatologie und Meteorologie (ehem. ZAMG). „Im Tiefland wurde dieser Winter als der sechstwärmste der 256-jährigen Messgeschichte verzeichnet.“
Besonders deutlich sind die Trends bei der Temperatur (Abb. 1). Das betrifft aber nicht nur Mittelwerte. Auch Hitzetage (maximale Temperatur >30°C) und Tropennächte (minimale Temperatur >20°C) werden häufiger etc. Amerikanische Forscher errechneten, dass sich auch in gemäßigteren Breiten die Tage mit gefährlicher Hitze bis 2050 mehr als verdoppeln werden.1
Abb. 1: Durchschnittliche Temperaturentwicklung in Wien ab 1961 (Quelle: GeoSphere Austria/Harald Seidl)
Klima hat Einfluss auf Menschen mit chronischen Erkrankungen
Der Klimawandel betrifft alle Menschen, ganz besonders und unmittelbar aber Menschen mit andauernden oder immer wiederkehrenden Erkrankungen, wie Asthma. Der Einfluss des Wetters auf Wohlbefinden und Gesundheit beruht auf der Reaktion des Körpers auf den Verlust von Körperwärme. Hier ist eine fein justierte Regulation notwendig, um eine Auskühlung oder Überhitzung zu verhindern. „Das Wetter selbst macht nicht krank. Allerdings kann es den Verlauf und die Intensität von Erkrankungen beeinflussen“, erklärte der Biologe Holger Westermann, Chefredakteur von menschenswetter.de bzw. menschenswetter.at, eine Service-Plattform für wetterempfindliche Menschen. „Dieser Effekt ist umso größer, je dramatischer der physiologische Stress für den Organismus ausfällt – wenn der Wetterwechsel also abrupt und tiefgreifend ist oder weil eine manifeste Vorerkrankung in besonderem Maße sensibilisiert.“ Bei Menschen mit Asthma ist der Einfluss des Wetters in vielerlei Hinsicht ein Thema. So steigt das Risiko für spastische Attacken durch Kältereize. Aber auch sehr hohe Temperaturen können für sie zum Problem werden. In Zeiten anhaltender Hitze ist – vor allem in Großstädten – die Atemluft durch Ozon und Feinstaub belastet, was ebenfalls Asthmaanfälle auslösen kann. Dazu kommt, dass eine anhaltend hohe Temperatur auch eine hohe Bereitschaft für Entzündungen im Körper bedeutet. Fehlt dazu die Nachtabkühlung, verschlechtert sich die Schlafqualität, der Organismus kann sich nicht ausreichend erholen und wird vulnerabler gegenüber Pollen. Asthmatiker*innen leiden somit nicht nur unmittelbar bei bestimmten klimatischen Bedingungen, sondern das Wetter kann auch Sekundäreffekte provozieren und den Körper längerfristig schwächen.
Pollensaison 2023: Frühstart in die Pollensaison
Das warme Wetter zu Beginn des Jahres war ideal für Pflanzen, besonders früh ihre Pollen an den Wind abzugeben. „Bereits im Jänner, also rund einen Monat eher als im langjährigen Mittel, begannen heuer im Osten Hasel und Erle mit ihrer Blüte“, informierte Uwe E. Berger, Leiter des Österreichischen Pollenwarndienstes der MedUni Wien. Das hat viele Allergiker*innen unvorbereitet getroffen. „Aber nicht nur das frühe Auftreten der ersten Symptome war bemerkenswert, auch deren Intensität. Allergiker*innen reagierten überdurchschnittlich stark auf geringe Mengen Pollen in der Luft“, so Berger.
Birke und Esche haben sich hingegen heuer mehr Zeit gelassen. Das kühle und wechselhafte Wetter der letzten Wochen haben die Pflanzen verwirrt und den Start der Saison verzögert. Die Birke braucht konstant über 10 Grad, um zu blühen. Berger: „Diese Bedingung ist nun erreicht, damit ist der beliebte Alleebaum – wie auch die Esche – österreichweit blühbereit. Ob trotz der geringeren Pollenbelastung auch die Symptomstärke geringer ausfällt, kann aber zum heutigen Zeitpunkt noch nicht vorausgesagt werden.“
Die dritte Belastungswelle nach den Frühblühern und der Birken-/Eschensaison wird durch blühende Gräser verursacht. Sie beginnt in der ersten Maihälfte und dauert – mit zwei bis drei Höhepunkten – aufgrund der Artenvielfalt bis in den Juli/August. Ihre Intensität hängt von derzeit noch unbekannten Faktoren wie den Niederschlägen und der Temperaturentwicklung im April und Mai ab. Daher ist eine genaue Prognose derzeit noch nicht möglich. Erfahrungsgemäß sind die Schwankungen von einem Jahr zum anderen aber eher gering.
Die miteinander verwandten Pflanzen Beifuß und Ragweed (Ambrosia, Traubenkraut) blühen vom Spätsommer bis in den Herbst hinein. Auch für diese Pflanzen ist noch keine Prognose möglich, denn der Beginn und das Ausmaß der Saison hängen nicht nur von der Temperatur, sondern auch von den Lichtstunden im Mai/Juni sowie der Niederschlagsmenge ab. Der Pollenflug der Wildkraut- und Gewürzpflanze Beifuß erreicht für gewöhnlich Mitte August seine höchsten Werte und wird bis in den September hinein dauern. Diese Saison unterliegt kaum Schwankungen. Das Unkraut Ragweed beginnt ab Mitte August zu blühen und stäubt bis Oktober.
Nach einer kurzen Verschnaufpause ist um die Weihnachtszeit im Dezember noch die Blüte der Purpurerle zu erwarten – Wochen vor dem Blühbeginn der heimischen Erle. Sie hat sibirische Gene und ist dadurch winterresistent. Ihre zunehmende Verbreitung vor allem im städtischen Bereich verkürzt die pollenfreie Zeit auf nur noch zwei Monate im Jahr. Durch ihre Zugehörigkeit zur Birkenfamilie und einer potenziellen Kreuzreaktion können auch bei Birken- und Haselpollenallergiker*innen Beschwerden auftreten.
Die kurz- und mittelfristigen Prognosen, eine exakte tagesaktuelle Pollenvorhersage sowie einen Countdown, wann in welcher Region mit welchen Belastungen zu rechnen sein wird, kann man im Internet unter www.pollenwarndienst.at abrufen. Aktuelle Meldungen gibt’s zusätzlich per E-Mail-Newsletter, via Facebook, Telegram und als kostenlose Pollen-App.
Luftverschmutzung: Stress für Bäume und Allergiker*innen?
Diese Frage beschäftigt die Allergieforschung schon sehr lange. Fest steht, dass zahlreiche Allergene „vermehrt produziert werden, wenn die Pflanzen unter Stress stehen“, betonte Univ.-Prof. Dr. Barbara Bohle, Leiterin des Instituts für Pathophysiologie und Allergieforschung der Medizinischen Universität Wien. „Das ist etwa bei Hitze, Trockenheit, Nahrungskonkurrenz sowie bei erhöhter Belastung durch Umweltschadstoffe wie Ozon, Schwefel- und Stickoxide der Fall.“ So haben mehrere Studien gezeigt, dass gestresste Birken höhere Mengen ihres Hauptallergens Bet v 1 produzieren und dass Birkenpollen von Bäumen, die höheren Stickoxid- und Ozonkonzentrationen ausgesetzt waren, stärkere allergische Symptome bei Allergiker*innen auslösen. „Ein zusätzlicher Faktor ist, dass Luftschadstoffe auch einen direkten schädlichen Einfluss auf die Atemwege von Allergiker*innen haben und somit zur Verstärkung der allergischen Symptome beitragen“, ergänzte Bohle.
Gewitter kann Asthmaanfall auslösen
Bei Menschen mit Pollenallergie und Asthma ist der Einfluss des Wetters in vielerlei Hinsicht ein Thema. Vor allem sehr hohe Temperaturen können für sie zum Problem werden. Asthmatiker*innen sind bei einem – vermeintlich erlösenden – Gewitter dann einem ganzen Cocktail an Risikofaktoren ausgesetzt: Temperaturabfall, hohe Luftfeuchtigkeit, ein sprunghafter Anstieg der Pollenkonzentration und eine drastische Erhöhung der Ozonbelastung. Die erhöhte Pollenkonzentration entsteht, da die Allergene durch einen osmotischen Schock in Verbindung mit Feuchtigkeit und Regenfällen zerbrochen werden. Durch das Aufplatzen sind die Partikel deutlich mehr und auch kleiner als die eigentlichen Pollen. So können sie auch tiefer in die Atemwege eindringen.2 Das Reizgas Ozon wiederum kann aufgrund seiner geringen Wasserlöslichkeit tief in die Lungen eindringen und führt dort zur Bildung von aggressiven Sauerstoffradikalen, die das Atemwegsepithel zerstören. Damit wird diese schützende Schicht durchlässiger für Allergene oder andere Luftschadstoffe. Die Folgen: verstärkte Symptome, Patient*innen brauchen mehr und stärkere Medikamente, haben eine schlechtere Lungenfunktion, mehr Exazerbationen und sie reagieren stärker auf die Allergene.3
Noch ist das sogenannte „Gewitter-Asthma“ („thunderstorm asthma“) selten. Aufgrund des Klimawandels werden zukünftige Ereignisse jedoch wahrscheinlich häufiger und unvorhersehbarer. Das bisher massivste „thunderstorm asthma“ ereignete sich 2016 in Australien: Nach einem heftigen Sturm in Melbourne mussten innerhalb von 30 Stunden 8500 Menschen in den Notfall-Ambulanzen versorgt werden, zehn von ihnen starben an einem Asthmaanfall.4 Interessant und erschreckend zugleich: 4 von 10 der australischen Patient*innen mit Asthmaanfall hatten bis dato noch nie Asthmabeschwerden. Andere Untersuchungen von Patient*innen mit Gewitter-Asthma bestätigen das: Von 85 untersuchten erwachsenen Patient*innen aus Melbourne hatte die Mehrheit (60%) keine vorherige Asthmadiagnose. Allerdings: Eine Pollenallergie war bei 99% der Betroffenen vorhanden!5 Pollenallergiker*innen sollten daher vor allem im Sommer die Gewitterprognose im Blick haben.
„Das Wissen um und die Vermeidung von Risikofaktoren sowie die Einhaltung der Allergie- und Asthmabehandlung ist für die Prävention von gewitterbedingtem Asthma daher entscheidend“, appellierte Lungenfacharzt Univ.-Doz. Dr. Felix Wantke, Leiter des Floridsdorfer Allergiezentrums in Wien (FAZ).
Eine bestehende Asthmaerkrankung kann zwar nicht mehr rückgängig gemacht, aber gut kontrolliert werden, sodass ein Leben ohne Einschränkung möglich ist. Dafür stehen eine Reihe nichtmedikamentöser (Atemtraining, Bewegung, Raucherentwöhnung etc.) und medikamentöser Therapien zur Verfügung, so der Experte: Antihistaminika und inhalative Kortikosteroide lindern die Symptome gut und rasch. Ob in Form von Injektionen, Tropfen oder Tabletten: Die Allergen-spezifische Immuntherapie (AIT) greift jedoch als einzige Therapie unmittelbar in den Krankheitsprozess ein und nimmt damit nicht nur die Symptome, sondern vor allem auch die Ursache der Allergie ins Visier. Dazu hat sie das Potenzial, Asthma zu verhindern.
Neu in der Pollen-App: „Asthmawetter“ und „Gewitterwarnung“
Die Pollen-App ist eine Entwicklung des Österreichischen Pollenwarndienstes und hat bis dato europaweit mehr als 900000 Downloads. Seit 2013 hilft sie Pollenallergiker*innen aus ganz Europa, besser durch die Saison zu kommen. Sie gibt stets einen raschen Überblick, welche Belastungen in welchem Ausmaß zu erwarten sind. Auf Basis der Einträge im „Pollen-Tagebuch“, das auch Teil der App ist, kann die Polleninformation auch individuell auf die*den einzelne*n Benutzer*in zugeschnitten werden und bietet damit eine ganz persönliche Pollenwarnung. Jahr für Jahr wird dieser kostenlose Service weiterentwickelt, mit neuen Features versehen und die Usability verbessert.
Basierend auf dem Wissen, dass Gewitter asthmatische Beschwerden auslösen und drastisch verschlimmern können, wurde die Pollen-App des Österreichischen Pollenwarndienstes anlässlich des 10-jährigen Jubiläums weiterentwickelt und um neue Services ergänzt (Abb. 2). „Beim ‚Asthmawetter‘, das in Kooperation mit www.menschenswetter.at entwickelt wurde, bekommen die Nutzer*innen in fünf Abstufungen Auskunft, ob die Wetterlage des Tages zu vermehrten oder verminderten Asthmasymptomen führen kann“, beschrieb Dr. Markus Berger, ärztlicher Mitarbeiter des Österreichischen Pollenwarndienstes, dieses neue Service. „Die ‚Gewitterwarnung‘ zeigt an, wann im Umkreis Unwetter zu erwarten sind und ob die Ozonwerte steigen werden. Dazu gibt es die Empfehlung,im Innenraum zu bleiben und rechtzeitig Medikamente zu besorgen.“
Abb. 2: Die Pollen-App im neuen Design mit erweiterten Services
Die App steht für iOS und Android zum kostenlosen Download auf www.pollenwarndienst.at sowie den App-Stores zur Verfügung und funktioniert auch über die österreichischen Landesgrenzen hinaus.
Quelle:
Pressegespräch „Start in die Pollensaison 2023“ am 21.3.2023 in Wien
Literatur:
1 Zeppetello LRV et al.: Probabilistic projections of increased heat stress driven by climate change. Commun Earth Environ 2022; 3: 183 2 Harun NS et al.: Thunderstorm-triggered asthma: what we know so far. J Asthma Allergy 2019; 12: 101-8 3 Price D et al.: Epidemic thunderstorm asthma: lessons learned from the storm down-under. J Allergy Clin Immunol Pract 2021; 9(4): 1510-5 4 Thien F et al.: The Melbourne epidemic thunderstorm asthma event 2016: an investigation of environmental triggers, effect on health services, and patient risk factors. Lancet Planet Health 2018; 2: e255-63 5 Lee J: Who’s at risk of thunderstorm asthma? The ryegrass pollen trifecta and lessons learnt from the Melbourne thunderstorm epidemic. Respir Med 2017; 132: 146-8
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