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Tabakabhängigkeit – die unterschätzte Sucht
Jatros
Autor:
MMag. Sophie Meingassner
Rauchfrei Telefon<br>Fachliche Leitung des Rauchfrei Telefon Teams<br>Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, St. Pölten<br>E-Mail: sophie.meingassner@noegkk.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Die Rauchprävalenz in Österreich liegt bei 30 % .<sup>1</sup> Die gesellschaftliche Norm hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Obwohl die Nichtraucherschutzgesetze ausge­weitet wurden, hat sich die Sichtweise, dass Rauchen eine individuelle Freiheit ist, weit verbreitet. Rauchen als persönliche Entscheidung, als kleines Laster (weil man sich ja sonst nichts gönnt) oder auch als schlechte Gewohnheit – so wird es immer wieder dargestellt. Dem Großteil der Raucher wird diese Sichtweise nicht gerecht.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Meist handelt es sich beim Rauchen um eine klare Nikotinabhängigkeit, die zu beenden nicht einfach ist, vor allem wenn sie sich über Jahre verfestigt hat. In Bezug auf die Entstehung und Aufrechterhaltung der Sucht bewährt sich ein biopsychosozialer Blickwinkel. Neben den biologischen Aspekten, den vielfältigen Auswirkungen des Nikotins auf körperlicher Ebene, sind vor allem auch die psychischen Aspekte des Rauchens relevant. Durch die tausendfache Wiederholung wird das Rauchen als Mittel zur Entspannung, zur Stimmungskontrolle, als Hilfe beim Pausenmachen etc. konditioniert. Mehr als bei anderen Krankheitsbildern spielt auch der soziale Aspekt eine Rolle. Die Verfügbarkeit und Preisgestaltung von Zigaretten, die gesetzlichen Rahmenbedingungen (z.B. Altersgrenzen und rauchfreie Gastronomie), Rauchen in den Medien – das alles trägt dazu bei, dass sich individuelles Rauchverhalten entwickelt und verfestigt, der Ausstieg erschwert wird und Rückfälle provoziert werden.</p> <h2>Diagnose Tabakabhängigkeit</h2> <p>Die Tabakabhängigkeit entwickelt sich nach den ersten Rauchversuchen, meist im Jugendalter. Da Zigaretten leicht verfügbar und legal sind, das Rauchen gesellschaftlich toleriert wird und Rauchen im Gesundheitswesen auch bei jungen Menschen kaum als Risikofaktor behandelt wird, etabliert sich das individuelle Rauchverhalten und die Tabakabhängigkeit verfestigt sich. Die Diagnostik und Dokumentation der Tabakabhängigkeit sind in unserem Gesundheitswesen noch nicht ausreichend verankert. Es wäre für das Gesundheitswesen relevant, diese chronische Erkrankung zu dokumentieren, um die entsprechende wirksame Behandlung umzusetzen. Die Klassifizierung nach ICD-10 bietet mit der Codierung F17.- die Möglichkeit, „Psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak“ zu diagnostizieren.<sup>2</sup> Unter F17.2 werden sechs Kriterien angeführt, von denen drei in den letzten 12 Monaten in Erscheinung getreten sein müssen, damit die Diagnose „Tabak­abhängigkeit“ gestellt werden kann:<br />• starker Wunsch oder Zwang, Tabak zu konsumieren.<br />• eingeschränkte Kontrolle über Beginn, Beendigung und Menge des Konsums.<br />• Entzugserscheinungen bei Reduktion oder Beendigung des Konsums sowie Konsum, um die Entzugserscheinungen zu mildern.<br />• Toleranzentwicklung: Um eine gleichbleibende Wirkung zu erzielen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich.<br />• zunehmende Vernachlässigung anderer Aktivitäten und Interessen zugunsten des Konsums.<br />• anhaltender Konsum trotz des Nachweises von Folgeschäden.<br />Mehr als die Hälfte der Raucher weisen – werden sie nach der ICD-10 diagnostiziert – eine Abhängigkeit auf.<sup>3</sup><br />Nicht nur fürs Gesundheitswesen, auch für die Betroffenen selbst hätte es Vorteile, die Diagnose schwarz auf weiß, z.B. im Patientenbrief, zu lesen. Sich die Sucht einzugestehen ist nicht einfach, die Abhängigkeit wird häufig heruntergespielt: „Ich könnte ja aufhören, wenn ich wollte!“ Wird jedoch im Patientenakt die Erkrankung dokumentiert, ist es leichter, das Rauchen als Sucht anzuerkennen und für die Behandlung Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da die Erkrankung chronisch ist, ist es notwendig, die Aufmerksamkeit auch stärker auf die langfristige Rückfallprophylaxe zu legen.</p> <h2>Der Rauchstopp als negativ besetztes Therapieziel</h2> <p>In einem Punkt unterscheidet sich die Behandlung der Tabakabhängigkeit von der Behandlung vieler anderer Erkrankungen. Bei den meisten Krankheitsbildern ist das Therapieziel Schmerzfreiheit, verbessertes Wohlbefinden oder bessere Funktionstüchtigkeit. Das Ziel, also der Rauchstopp und die darauffolgende Zeit, ist für viele Betroffene vorerst nicht positiv besetzt. Beim Rauchstopp dominieren oft die Angst vor Entzugssymptomen, vor Gewichtszunahme, die Sorge um den Verlust einer Entspannungsmöglichkeit oder auch das Gefühl, sich dann keine Belohnung oder Pause mehr gönnen zu können. Dazu kommt auch die Angst vor Misserfolg, gerade wenn schon mehrere Rauchstoppversuche unternommen wurden. Auch bisherige schlechte Erfahrungen mit dem Entzug tragen dazu bei, einen neuerlichen Rauchstopp hinauszuzögern oder erst gar nicht zu probieren. Hinter dem Eindruck fehlender Motivation steckt oft mangelndes Vertrauen, den Rauchstopp überhaupt schaffen zu können.<br />Zu den vielen negativen Erwartungen an den Rauchstopp kommt, dass durch die Rauchfreiheit einiges wegfällt. Die Zigarette erfüllt für den Raucher im Alltag viele Funktionen, meist mehrere gleichzeitig: Pausengestaltung, Stimmungsaufhellung, Appetitzügelung, Verdauungsförderung, Entspannung, Stressabbau oder Hilfe bei der Kommunikation sind nur einige davon. Fällt das Rauchen weg, braucht es Veränderungen, Ersatzhandlungen und Alternativen im täglichen Leben. Jahrelange Gewohnheiten müssen über Bord geworfen werden.<br />Der vielfältige kurzfristige Nutzen und Gewinn durch das Rauchen sind also positiv belegt und einfach. Die kurzfristigen Folgen des Rauchstopps (Entzugssymptome, Verluste, notwendige Änderungen im Verhalten etc.) sind hingegen negativ belegt und anstrengend. Das erklärt auch, warum der Rauchstopp oft jahrelang hinausgeschoben wird oder nach einem erfolglosen Rauchstoppversuch kein weiterer unternommen wird. Angebote zur Entwöhnung werden aus diesen Gründen oft nicht oder nur zögerlich in Anspruch genommen.<br />Die innerliche Ambivalenz – zu wissen, dass Rauchen einerseits schädigt, teuer und ungesund ist, dass es gleichzeitig aber wichtige Funktionen im Alltag und für das persönliche Erleben hat – ist neben dem negativ besetzten Therapieziel ein wichtiger Ausgangspunkt für die Beratung und Behandlung von Rauchern.</p> <h2>Motivation und Hilfe</h2> <p>Ein Großteil der Raucher ist mit dem eigenen Rauchverhalten unzufrieden. Viele haben schon einen oder mehrere Rauchstoppversuche hinter sich. Viele leiden unter der Sucht und dem Unvermögen, alleine den Ausstieg zu schaffen, gerade dann, wenn schon tabakassoziierte Erkrankungen vorliegen. Eine besonders wichtige Rolle spielen Angehörige von Gesundheitsberufen. Diese besteht darin, Raucher in ihrem riskanten Suchtverhalten ernst zu nehmen und den Rauchstopp zu empfehlen, noch lange bevor Folgeschäden auftreten. Zum Rauchstopp zu motivieren führt häufig dazu, dass der schon lange geplante Rauchstopp selbstständig durchgeführt wird.<sup>4</sup><br />Der Risikofaktor Rauchen soll wertfrei erhoben und der Rauchstopp klar und einfach empfohlen werden. Das ist oft der Anstoß zum Ausstieg – insbesondere für all jene, die den Rauchstopp alleine schaffen können. Neben der Empfehlung des Rauchstopps ist Informationsvermittlung hilfreich und notwendig. Wissen über die Suchterkrankung, den Einfluss des Rauchens (z.B. bei Diabetes, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen usw.) und die konkreten individuellen Vorteile eines Rauchstopps (z.B. geringere Medikamentendosen) ist weniger verbreitet, als angenommen wird. Raucht eine Person oder ist sie seit kurzer Zeit rauchfrei, ist es angebracht, konkrete Hilfsangebote zur Entwöhnung oder zur Rückfallprophylaxe anzubieten und im Idealfall direkt passende Angebote zu vermitteln.</p> <h2>Mit Hilfe gelingt es leichter!</h2> <p>Viele Raucher schaffen den Ausstieg aus eigener Kraft. Der eigene Wunsch nach Veränderung, die Kompetenzen zu Verhaltensänderungen, eigene gute Gründe und das Gefühl der Dringlichkeit des Rauchstopps ermöglichen es, langfristig rauchfrei zu werden. Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen erhöht jedoch für viele die Wahrscheinlichkeit, rauchfrei zu werden und zu bleiben. Es gibt österreichweit sehr gute, evidenzbasierte Angebote der Sozialversicherungsträger und der Bundesländer zur Tabakentwöhnung in unterschiedlichen Settings, von der Telefonberatung durch das Rauchfrei Telefon, Einzel- oder Gruppenberatungen bis hin zu stationären mehrwöchigen Entwöhnungsprogrammen wie z.B. am Josefhof in der Steiermark. Eine Übersicht finden Sie auf www.rauchfrei.at.<br />Viele Raucher würden aufhören, wenn sie wüssten, dass sie es auch schaffen können. Die vielfältigen psychischen, körperlichen und sozialen Aspekte machen den Ausstieg aus der Sucht nicht gerade einfach. Wohlwollende, verständnisvolle Unterstützung durch unterschiedliche Personen in verschiedenen Settings im Gesundheitswesen kann dazu beitragen, sich den Rauchstopp zuzutrauen, ihn selbstständig in Angriff zu nehmen oder Hilfe dabei zu nutzen, um rauchfrei zu werden.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Österreichische Gesundheitsbefragung 2014, (Athis), Statistik Austria. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Online: www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/1/6/8/CH1066/CMS1448449619038/gesundheitsbefragung_2014.pdf <strong>2</strong> Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10. Kapitel V (F); klinisch-diagnostische Leitlinien/Weltgesundheitsorganisation. Huber, 2000 <strong>3</strong> Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Nikotin. Pharmakologische Wirkung und Entstehung der Abhängigkeit. Heidelberg 2008 <strong>4</strong> Lichtenschopf A.: Standards der Tabakentwöhnung: Konsensus der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie – Update 2010. Wien Klin Wochenschr 2011; 123: 1-17</p>
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