© Herby Meseritsch – stock.adobe.com

(Über-)Leben innerhalb der planetaren Grenzen

Welchen Beitrag kann eine ökologische Psychiatrie leisten?

Die ökologische Psychiatrie/Psychotherapie widmet sich allen Umweltfaktoren, die auf die menschliche Psyche einwirken. Die Klimakrise stellt die grösste Herausforderung der Zukunft für die Gesundheitssysteme weltweit dar. Alle psychiatrischen Versorgungssysteme müssen sich auf einen steigenden Bedarf einstellen. Doch welche Bevölkerungsgruppen sind besonders vulnerabel? Und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in unserem ärztlichen Alltag?

Keypoints

  • Psychische Erkrankungen gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für hitzebedingte Todesfälle. Sie verdreifachen das Risiko zu sterben während Hitzewellen und wiegen damit schwerer als kardiovaskuläre oder pulmologische Erkrankungen.

  • Das höchste hitzebedingte Risiko zu sterben haben Menschen mit substanzbezogenen Süchten, psychotischen Erkrankungen und organischen psychischen Störungen, wie z.B. Demenzerkrankungen. Diese besonders vulnerablen Patient:innen können sich häufig nicht selbstständig und effektiv vor Hitze schützen.

  • Die Anzahl der Suizide steigt mit hohen Temperaturen an.

  • Pro Grad Celsius Temperaturanstieg erhöht sich das Risiko für psychische Erkrankungen um 0,9%.

  • Forscher vermuten einen kausalen Zusammenhang zwischen Hitze und Aggressivität. Dazu passt, dass psychiatrische Kliniken umso mehr aggressive Zwischenfälle und erhöhten Substanzge- und missbrauch verzeichnen, je höher die Temperaturen sind.

Der Mensch ist die grösste geologische Kraft – bereits Alexander von Humboldt beschrieb die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf unsere Umwelt. Heutige Temperaturen übersteigen den Erfahrungsbereich der gesamten Zivilisationsgeschichte. Die moderne globale Erwärmung schreitet etwa zehnmal schneller voran als die bisher bekannten Zyklen natürlicher Erwärmung von der letzten Eiszeit bis ins Holozän und diese enorme Dynamik und Geschwindigkeit der Veränderungen verursachen massive Anpassungsschwierigkeiten. Diese vom Menschen ausgelöste Erwärmung wird zehntausende Jahre anhalten, ausser es gelingt, aktiv gigantische Mengen CO2 wieder aus der Atmosphäre zu holen. Das bedeutet, dass wenige Generationen unseren Planeten massiv und für lange geologische Zeiträume verändern. Am Ende des Jahrhunderts wird die Erderwärmung bei plus 3 Grad Celsius stehen, wenn die Entwicklung der Emissionen ungebrochen so wie bisher verläuft, und das bedeutet, dass natürliche Eiszeitzyklen der nächsten 500000 Jahre ausbleiben werden.

Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Psyche

Die menschengemachte Zerstörung der Biodiversität der Erde und der damit einhergehende Klimawandel wirken sich direkt negativ auf unsere psychische Gesundheit aus. Steigende Temperaturen, Luftverschmutzung und Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen, Dürren, Stürme und Brände, stellen enorme Belastungen dar. Die Prävalenz posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) steigt nach zerstörerischen Extremwetterereignissen dramatisch an. Eine Metaanalyse zeigt, dass Menschen, die Naturkatastrophen miterlebt haben, ein fast doppelt so hohes Risiko für eine psychische Erkrankung aufweisen, verglichen mit Menschen ohne eine solche Erfahrung.

Wenn Naturkatastrophen die Lebensgrundlage von Betroffenen zerstören, nehmen auch generalisierte Ängste, Depressionen und die Suizidraten zu. Hitzewellen und Luftverschmutzung haben direkte Auswirkungen auf die Psyche. Starke Hitze schränkt nicht nur die menschliche Konzentrations- und Funktionsfähigkeit ein, sondern pro 1°C Temperaturanstieg steigt auch das Risiko für psychische Erkrankungen um 0,9%.

Luftverschmutzung wirkt schädlich auf die kognitiven Funktionen und kann Aufmerksamkeit, visuokonstruktive Fähigkeiten, Gedächtnis, Rechenleistung, Leseverständnis sowie verbale und nonverbale Intelligenz beeinträchtigen. Eine wachsende Zahl an Studienbefunden weist ausserdem auf einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Risiko für psychische Erkrankungen, wie z.B. Depression, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Schizophrenie, hin. In einer grossen Metaanalyse konnte ermittelt werden, dass ein Anstieg der Feinstaubbelastung kurzfristig mit mehr psychiatrischen Notfällen und erhöhter Suizidalität in den folgenden Tagen einhergeht. Über einen längeren Zeitraum zeigt sich ausserdem eine steigende Depressionsprävalenz im Zusammenhang mit erhöhter Feinstaubbelastung. Indirekte Folgen des Klimawandels, wie Nahrungsmittelknappheit, ökonomische Krisen, gewaltvolle Konflikte und unfreiwillige Migration, stellen zusätzlich massive psychische Risiko- und Belastungsfaktoren dar. Insofern ist die Psychiatrie besonders gefordert, sich diesem Problemfeld zu stellen und sich zu positionieren.

Neue Krankheitsbilder in der Psychiatrie

Angst vor der Zukunft («eco distress») beschreibt eine Reihe emotionaler Reaktionen angesichts der Umweltzerstörung der Erde. Diese negativen Emotionen in Bezug auf den Klimawandel und den Verlust an Biodiversität betreffen nicht nur psychisch Erkrankte oder direkt von Naturkatastrophen betroffene Menschen. Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Sorgen, Angst und Panik sind auch in der allgemeinen Bevölkerung zunehmend zu beobachten. Die Verhaltensweisen reichen von Verleugnung und Verdrängung, Starre aufgrund von Überforderung und Hilflosigkeit bis hin zu aufopferndem Aktivismus. Im Kontext des Bewusstwerdens des Klimawandels ist neben «eco distress» eine Reihe neuer Begriffe entstanden, die die psychologischen und emotionalen Reaktionen beschreibt. Das Phänomen der Klimaangst («climate anxiety») beschreibt die Erwartung, in Zukunft selbst direkt vom Klimawandel betroffen zu sein, wobei die Ungewissheit in Bezug auf die Art, den Zeitpunkt und den Ort zusätzlich belastet. «Solastalgie» bezeichnet die mit der Zerstörung der eigenen Heimat bzw. Umwelt einhergehende Trauer angesichts des Verlusts von Orten, Aktivitäten oder Traditionen aufgrund des Klimawandels.

Klimaungerechtigkeit

Klimaungerechtigkeit liegt darin, dass diejenigen Menschen, die am wenigsten zur Verursachung der Klimakrise beitragen, oft am schwersten betroffen sind. Die psychischen Auswirkungen des Klimawandels sind dahingehend ungleich verteilt. Kinder und Jugendliche von heute werden die grösste Last der gesundheitlichen Auswirkungen tragen und sind daher in besonderem Masse von einer intergenerationalen Ungerechtigkeit betroffen. Die westlichen Industrienationen tragen durch ihre über die letzten Jahrzehnte andauernden hohen Emissionen eine historische Verantwortung für den Klimawandel. Gleichzeitig sind sie durch ihren Wohlstand in der Lage, beispielsweise einen Ernteausfall zu kompensieren oder sich auf Extremwetterereignisse besser vorzubereiten. Die Länder des globalen Südens haben diese Möglichkeit nicht und sind durch die Klimaveränderungen in ihrer Existenz bedroht. Zusätzlich haben diese Länder ursächlich wesentlich weniger zur Umweltbelastung beigetragen. Auch innerhalb der Städte herrscht Klimaungerechtigkeit, da die dicht besiedelten, innerstädtischen Regionen meist von Menschen mit niedrigerem Einkommen bewohnt werden. Dort entstehen sogenannte Hitzeinseln, wo es auch in der Nacht kaum Abkühlung gibt. In den Aussenbezirken, wo oft sozioökonomisch besser gestellte Bevölkerungsgruppen wohnen, gibt es mehr Grünflächen, wird ein Tempolimit von 30km/h umgesetzt und ist die Luft um bis zu 6 Grad Celsius kühler.

Abb. 1: CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre und mittlere globale oberflächennahe Lufttemperatur zwischen 1900 und 2010 (mod. nach Latif 2012)

Herausforderungen für die psychiatrische Versorgung

Das psychiatrische Versorgungssystem muss sich zukünftig auf einen steigenden Bedarf einstellen. Gleichzeitig müssen die in der Psychiatrie Tätigen einen Beitrag zur Bewältigung der enormen Herausforderungen leisten. Die Task-Force «Klima und Psyche» der DGPPN hat die Evidenz zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Psyche zusammengefasst und Handlungsempfehlungen für eine klimaneutrale Psychiatrie erarbeitet (Download unter: https://www.dgppn.de/Positionspapier_Klima_Psyche_web.pdf ).

Um dem steigenden und auch veränderten Bedarf gerecht zu werden, brauchen wir ein erweitertes Spektrum psychiatrisch-psychotherapeutischer Angebote und Spezialambulanzen und müssen dieses auch nachhaltig gestalten. Zudem müssen wir natürlich die Psychiatrie selbst klimaneutral gestalten – und zwar sowohl im Bereich der klinischen Versorgung, der Forschung als auch der Aus- und Weiterbildung. Die Treibhausgasemittenten im psychiatrischen Behandlungsablauf sowie in der gesamten Gesundheitsinfrastruktur müssen wahrgenommen und reduziert werden. Daran sollte sich auch Österreich rasch ein Beispiel nehmen. In der «Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit» der DGPPN findet man eine systematische Zusammenstellung aller Inputs und Forderungen ( https://www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2022/berliner-erklaerung.html ).

Es bedarf rascher politischer Massnahmen, um die Folgen des Klimawandels für die psychische Gesundheit und insbesondere für Menschen mit psychischen Erkrankungen abzumildern. Dafür muss Gesundheitsförderung in allen Bereichen priorisiert und die seelische Gesundheit konsequent einbezogen werden. Themen wie Empowerment und Ownership, d.h. Förderung von Gesundheitskompetenz, Selbstfürsorge, Peer-Support, Zugang zu Psychotherapie, Förderung sozialer Netzwerke und unterstützender sozialer Beziehungen, Verringerung von Obdachlosigkeit und sozialer Isolation, Förderung von Beschäftigung bei Menschen mit psychischer Erkrankung, Planung ausreichender Grünflächen in psychiatrischen Einrichtungen müssen mehr in den Fokus rücken.

Die zu erwartende klimabedingte Zunahme von Migration erfordert zudem kultursensible Angebote. Psychiatrische Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepte sollten um die Thematik des Klimawandels erweitert werden, um Fachkräfte, Betroffene und Öffentlichkeit umfassend zu informieren, zu sensibilisieren und zu klimafreundlichem und gesundheitsförderlichem Verhalten anzuregen. Die Widerstandsfähigkeit des psychosozialen Versorgungssystems muss rasch gestärkt werden, damit es auf Unterbrechungen aufgrund klimabedingter Katastrophen vorbereitet ist und die Versorgung im Katastrophenfall fortgesetzt werden kann, z.B. durch die Bereitstellung digitaler psychosozialer Dienste.

Forschung und Wissenschaft

Die psychiatrische Forschung muss durch die Entwicklung von Präventions- und Interventionsmassnahmen einen Beitrag im Sinne einer nachhaltigen Psychiatrie leisten.

Dringender Forschungsbedarf besteht zu den neu auftretenden Syndromen wie Solastalgie und Klimaangst. Die Auswirkungen des Klimawandels, speziell auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, sind ebenfalls noch unzureichend untersucht.

Die Klimakrise ist eine der grössten Sorgen junger Menschen und ein Glückskiller. Klimaschutz und Energiewende sind die Formel für mehr Glück. Es ist eigentlich klar: Persönliches Wohlbefinden und Glücklichsein hängen u.a. von der erfolgreichen (oder nicht erfolgreichen) Bekämpfung der Erderwärmung ab, also wie gut wir die Energiewende meistern und Treibhausgasemissionen reduzieren. Und deswegen ist die Klimakrise nicht nur etwas, das für die Wirtschaft von grosser Bedeutung ist, sondern auch für das individuelle Glück.

Was hilft gegen Klimaangst? Vier Argumente, die hoffen lassen, finden Sie im Kasten links unten angeführt.

2023 war kein gutes Jahr für das Klima. Wie kann man sich also bei all dem Klimadrama mental schützen? Indem wir die positiven Veränderungen bewusst wahrnehmen und über sie sprechen.

Was gibt uns Hoffnung?

  1. Der Klimanotstand erhält viel gesellschaftliche Aufmerksamkeit – und sie wird immer grösser.

  2. Es geschehen grosse Umwälzungen im Energiesektor.

  3. In nahezu allen Wirtschaftsbereichen findet ein Umdenken statt.

  4. Die «Revolution im Kleinen» ist unaufhaltsam.

Der Inhalt dieses Berichts basiert auf einem Symposium im Rahmen der ÖGPP-Jahrestagung, 24.–27. April 2024, Wien

bei den Verfasserinnen

Back to top