© David Lee Schlenker

Mein Leben mit Brustkrebs

„Es braucht vor allem Mitgefühl mit sich selbst!“

Erika Krafft hat in mehreren Ländern studiert, sie ist Steuerberaterin, Unternehmensberaterin, Bilanzbuchhalterin, mehrfache Unternehmensgründerin. Wer sie kennt, weiß: Sie steht für Mut, Engagement, Energie, Zielstrebigkeit, aber auch mentale Stärke und Spiritualität. Als sie 2021 einen Knoten in ihrer Brust entdeckt, verlässt sie das Gewohnte, Erfolgreiche und schlägt ganz neue Wege ein.

Noch im Krankenhaus beginnt sie, ein Buch zu schreiben, ein zweites folgt kurz darauf. Im Buch „Die kraffftvolle Heilung“ beschreibt sie ihren persönlichen Weg durch die Krebserkrankung und liefert gleichzeitig Inspiration für andere Brustkrebspatient:innen. Im Buch „Die kraffftvolle Sinnlichkeit“ greift Erika das Tabuthema Sinnlichkeit und Sexualität nach einer Brustkrebserfahrung auf. Medizinisch-fachliche Unterstützung bekommt sie dabei von der Gynäkologin Dr. Szilvia Csányi-Grafelmann und der Sexualtherapeutin Mag. Corinna Abseher. Erschienen sind die Bücher im Kraffftvoll Verlag, den Erika parallel zum Erscheinen des ersten Buches gegründet hat.

Bevor wir über dich und deine Bücher sprechen: Was dürfen wir über deine Erkrankung wissen?

E. Krafft: Die regelmäßige Brustkrebsvorsorge war für mich immer wichtig. Eines Abends entdeckte ich einen Knoten auf der linken Brust. Er stellte sich als eine sehr aggressive Variante einer genetisch bedingten Brustkrebserkrankung heraus. Aber ich hatte das Glück, dass der Tumor in einem sehr frühen Stadium entdeckt wurde und hormonsensitiv war, d.h. mit einer Hormontherapie gezielt behandelt werden konnte. Meine beiden Brüste wurden geräumt und durch Implantate ersetzt. Ein halbes Jahr später wurden mir dann aufgrund meiner Familienanamnese auch die Eierstöcke entnommen.

Durch die begleitende Hormontherapie fehlen mir nun alle weiblichen Hormone, mit allen Nebenwirkungen, die Frauen auch im Wechsel erfahren. Ich wurde also plötzlich in den Wechsel hineingeschoben und ich kann da auch nicht mehr raus, weil ja meine Eierstöcke entfernt wurden.

War deine Einstellung zur Krebserkrankung von Anfang an positiv?

E. Krafft: Jeder Mensch hat Zweifel und jeder Mensch hat Angst. Da bin ich keine Ausnahme. Trotzdem habe ich mich darauf konzentriert, was ich zu meiner Genesung beitragen kann. Ich kann nicht sagen, dass ich keine schlechte Zeiten gehabt habe. Ich hatte aber gar nicht die Möglichkeit, in ein tiefes Loch zu fallen, weil in mir relativ früh der Wunsch, ein Buch zu schreiben, aufgekommen ist. Damit hat sich für mich ein Perspektivenwechsel vom Opfer zur Beobachterin bzw. Berichterstatterin vollzogen. Man nimmt einen ganz anderen Blickwinkel ein, wenn man das Erlebte für andere Menschen zusammenfasst und beschreibt.

Denkst du, war deine mentale Stärke, mit der du dieser Erkrankung begegnet bist, wichtig für das Outcome?

E. Krafft: Absolut, das war sehr wichtig! Diese Stärke basiert auf drei Faktoren. Erstens war es wichtig, dass ich früher schon einmal in psychotherapeutischer Behandlung war und einiges bereits aufgearbeitet hatte. Zweitens hatte ich durch meine Yoga- und Meditationspraxis eine gewisse Grundstabilität. Darauf konnte der Psychotherapeut, der mich während meiner Krebserkrankung begleitet hat – der dritte Faktor – gut aufbauen.

Muss man deiner Meinung nach diese mentale Stärke prophylaktisch mitbringen oder kann man sie sich auch nach einer Brustkrebsdiagnose aneignen?

E. Krafft: Beides ist möglich. Da gibt es sicher verschiedene Wege. In Indien wird häufig die Göttin Kali angebetet. Sie ist die Göttin des Todes, der Zerstörung und der Erneuerung gleichzeitig. Auch im Leben gehen Zerstörung und Erneuerung oft Hand in Hand. Manchmal ist ein gravierendes Lebensereignis notwendig, um innezuhalten, zu reflektieren und aus diesem Hamsterrad, in dem man läuft, auszusteigen.

Zu welchem Zeitpunkt wusstest du, dass du ein Buch schreiben wirst?

E. Krafft: Das wusste ich schon sehr früh – direkt nach der ersten OP im Krankenhaus war das für mich klar. Ich wusste auch gleich, es soll Yoga und Krebs verbinden, weil ich als Yogalehrerin hier zusätzlichen Input geben kann. Ich habe erfahren, was ich mit Yogaübungen in den einzelnen Phasen der Erkrankung bewirken kann. Das erste Bild für das Buch ist eineinhalb Wochen nach der ersten OP im Krankenhaus entstanden.

Du bist vorausschauend, zielstrebig und selbstbewusst. Was antwortest du Frauen in einer ähnlichen Situation, die sagen: „So stark bin ich aber nicht!“

E. Krafft: Ich glaube nicht, dass ich stärker bin als andere. Ich würde das, was du ansprichst, auch nicht unbedingt Stärke nennen. Aber egal wie man es nennt, es findet sich in jedem Menschen. Ich musste schon sehr früh Verantwortung für mich übernehmen und das hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Diese Übernahme der Eigenverantwortung – ganz egal, wann wir damit starten – bringt uns weiter. Dazu braucht es nicht unbedingt Stärke, dazu braucht es vor allem Mitgefühl für sich selbst.

Und dieses Mitgefühl mit sich selbst hat wirklich jede:r?

E. Krafft: … oder jede:r kann es zumindest lernen, mithilfe von Therapeut:innen beispielsweise, während oder auch nach der Krankheit. Selbst wenn man dieses Mitgefühl für sich selbst davor nicht hatte.

Wie können Ärzt:innen die psychische Gesundheit ihrer Krebspatient:innen unterstützen?

E. Krafft: Es sind die positiven Worte, die sie den Patient:innen gegenüber äußern, und die Aufmerksamkeit, die sie ihnen schenken. Das ist so unglaublich wichtig. Spürt man Mitgefühl und Empathie, dann fühlt man sich nicht alleine gelassen, sondern getragen.

Das größte Problem ist, dass die Ärzt:innen oft nur paar Minuten für jeden Patienten, jede Patientin zur Verfügung haben und versuchen müssen, in diesen paar Minuten auf medizinischer Ebene das Beste für die Patient:innen herauszuholen. Da bleibt für das Menschliche, für diese zwischenmenschliche Gespräche wahnsinnig wenig Raum. Aber wenn sie sich darüber hinaus diese zwei oder drei Minuten nehmen, um offene Fragen oder Tabuthemen wie Sexualität anzusprechen, den Wunsch nach psychologischer Betreuung abfragen, macht das einen Riesen-Unterschied.

Sollte jeder Arzt und jede Ärztin das Thema Sexualität und Sinnlichkeit ansprechen und ansprechen können?

E. Krafft: Ja. Es wäre schön, dieses Gespräch zumindest anzubieten. Man muss allerdings bedenken, dass viele Frauen sich darüber lieber mit einer Ärztin austauschen als mit einem Arzt.

Möglicherweise ist aber nicht jedem Arzt, jeder Ärztin und selbst jeder Patientin wohl damit. Kann man das Thema Sexualität ansprechen, ohne es anzusprechen?

E. Krafft: Ich habe gelesen, dass circa 80 Prozent der Ärzt:innen das Thema Sexualität gar nicht ansprechen. Also eine sehr hohe Anzahl. Auf der anderen Seite interessieren sich über 80 Prozent der Patientinnen für dieses Thema. Ein Hinweis auf Informationsmaterial, ein Kontakt zu einem Therapeuten, einer Therapeutin oder ein Buch wie meines sind da sicher eine gute Alternative.

Wann sollten Sexualität und Sinnlichkeit im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung auf jeden Fall angesprochen werden?

E. Krafft: Ich glaube, dass das in jeder Beziehung früher oder später zu einem Thema wird – auch unabhängig von einer Brustkrebserkrankung. Seien wir ehrlich: Dass sich eine Frau der Sexualität und der Lust verschließt, kann in bestimmten Lebensabschnitten immer vorkommen, nach der Geburt der Kinder zum Beispiel, aus hormonellen Gründen oder aufgrund von Stress. Dann sollte das Paar offen und ehrlich darüber sprechen.

Wenn andererseits Mediziner:innen oder Therapeut:innen merken, dass die Frau Druck von außen ausgesetzt ist oder sich selbst unter Druck setzt, sollten auch sie den Mut haben, nachzufragen.

Von allen Formen an Unterstützung, die du von Ärzt:innen bekommen hast: Was war für dich am hilfreichsten?

E. Krafft: Für mich war mein erster Besuch bei der Chirurgin am prägendsten. Sie hat sich die Zeit genommen, mir meinen Befund zu erklären: was beispielsweise die Zahlen und Wortkombinationen in meinem Befund bedeuten. Für jeden, der das zum ersten Mal sieht, ist so ein Befund nichtssagend. Ich habe damals gefragt und sie hat sich die Zeit genommen, mir alles genau zu erklären. Dadurch sind Vertrauen und eine starke Bindung entstanden.

Was ist das Hilfreichste, das du für dich selbst in den letzten Jahren entdeckt hast?

E. Krafft: Zeit und Raum. Dass ich mir wirklich die Zeit und den Raum genommen habe, meinen Weg zu suchen, Bücher zu schreiben und aus dem Alltag auszusteigen.

Hast du dazu ein konretes Beispiel?

E. Krafft: Ich habe beispielsweise abgelehnt, dass mich Familie, Freund:innen, Arbeitskolleg:innen und Bekannte anrufen und mich zu meiner Krebserkrankung befragen. Stattdessen habe ich Rundmails versendet, um alle proaktiv zu informieren und gleichzeitige die „Stille Post“ zu unterbinden. Ich habe alle ein bis zwei Wochen in einem Update beschrieben, was bei mir gerade los ist, wie es mir geht, und gleichzeitig um Raum und Zeit für mich gebeten.

Und so haben mich die Leute begleiten können. Für einige von ihnen war die Art und Weise, wie ich mit meiner Herausforderung umgegangen bin, nicht nur interessant, sondern sogar inspirierend.

Vielen Dank für das Gespräch!
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