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Transitionspsychiatrie und Suizidprävention

<p class="article-intro">Die Adoleszenz stellt bereits unter theoretischen Erwägungen eine enorme Herausforderung für die Grundlagenforschung dar. Sie ist darüber hinaus auch für die Diagnostik, Therapie und die Prognosestellung aufgrund der auf mehreren Ebenen stattfindenden Eigendynamik dieser Entwicklungsperiode vom 16. bis 24. Lebensjahr und der in ihr stattfindenden (v. a. gesellschaftlich beeinflussten) Prozesse von großer Bedeutung. Es ist dies eine Phase, in der die meisten psychischen Erkrankungen des Erwachsenenalters erstmals auftreten sowie Erfahrungen mit selbstverletzendem Verhalten und auch Suizidgedanken bis zum Suizidversuch gemacht werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <p>Leitgedanken im Krisengespr&auml;ch:</p> <ul> <li>An psychische Belastungen und Schwierigkeiten denken!</li> <li>Offene Gespr&auml;chshaltung!</li> <li>Aktive Gespr&auml;chsf&uuml;hrung!</li> <li>Keine Wertungen!</li> <li>Suizidgedanken und Krisen ernst nehmen!</li> <li>Fr&uuml;hzeitiges Einsteigen in eine n&ouml;tige Behandlung erm&ouml;glichen!</li> </ul> </div> <p>Der Suizid ist die zweith&auml;ufigste Todesursache in dieser Altersgruppe, weshalb gerade in dieser Phase ein besonderes Augenmerk auf die Suizidpr&auml;vention zu richten ist. Ist bereits ein bestimmtes Betreuungssetting in der Kindheit oder Jugend etabliert worden, so besteht in der Praxis die erste H&uuml;rde mit dem 18. Geburtstag im Wechsel der betreuenden Einrichtung, der betreuenden &Auml;rzte und im Wegfall der F&uuml;rsorge durch das Jugendamt. <br />Die erheblichen neurobiologischen Ver&auml;nderungen, die Erstmanifestation vieler psychischer Erkrankungen in der Adoleszenz und soziale sowie rechtliche Ver&auml;nderungen, die in dieser Altersspanne evident werden, sind nur Beispiele f&uuml;r diese Entwicklungsdynamik und lassen verst&auml;ndlich werden, warum sich Forschungsgruppen in den letzten 10 bis 15 Jahren zunehmend mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben.</p> <h2>&bdquo;Developmental-mismatch hypothesis&ldquo;</h2> <p>Eine der bekanntesten Hypothesen, die in den vergangenen zehn Jahren vielfach diskutiert wurde, ist die &bdquo;developmentalmismatch hypothesis&ldquo; (Casey 2008, Somerville 2010). In groben Z&uuml;gen erkl&auml;rt: Die subkortikalen Gehirnregionen (Amygdala, Nucleus accumbens) wachsen deutlich rascher als die pr&auml;frontalen Regionen (pr&auml;frontaler Cortex, PFC). So sind Erstere in ihrem Wachstum beinahe vollendet, w&auml;hrend Zweitere noch mehrere Jahre daf&uuml;r ben&ouml;tigen. Die Gr&ouml;&szlig;e der Differenz soll mit der Intensit&auml;t eines Risikos korrelieren, welches insbesondere mit der Regulation oder Dysregulation von Emotionen, Belohnungsverhalten und Impulsivit&auml;t in Verbindung steht. Erst am Ende der Adoleszenz ist auch die Reifung des PFC abgeschlossen. <br />Die Affekt-verarbeitenden Gehirnstrukturen entwickeln sich, entsprechend diesem dualen Modell, somit rascher als die kognitiv-regulierenden, weshalb mit folgenden Konsequenzen zu rechnen ist: Das Verhalten ist st&auml;rker emotional als vernuftbasiert gesteuert und vermehrt belohnungsorientiert (cave Suchtentwicklung). Eine erh&ouml;hte Impulsivit&auml;t steht mit aggressivem Verhalten und Delinquenz in Zusammenhang. <br />Es bestehen auch neurokognitive Defizite im Sinne einer Reduktion der Merkf&auml;higkeit. Im Verh&auml;ltnis zu Erwachsenen und Kindern neigen Jugendliche zu unverh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig riskanten Verhaltensweisen, was zu einer Vielzahl von negativen Ergebnissen f&uuml;hren kann, eingeschlossen Drogenmissbrauch, ungesch&uuml;tzten Sex mit unterschiedlichen Partnern, (Selbst-)Verletzungen und Selbstmord.</p> <h2>Besondere Themen in der Adoleszenz</h2> <p>Es treten in der Phase des Erwachsenwerdens immer wieder &auml;hnliche Thematiken auf, die im Grunde nicht hintereinander ablaufen, sondern parallel. Jugendliche stehen unter einem hohen psychischen Druck, sie m&uuml;ssen ein Selbstbild entwickeln, dazu ein passendes Rollenbild, welches eine soziale Integration erm&ouml;glicht. Beziehungen entstehen und werden aufgebrochen, insbesondere auch zu den Eltern. Es steigen die Erwartungen der Gesellschaft, im Sinne von Leistungserbringung in verschiedenen Bereichen. Zus&auml;tzlich tritt der Drang nach Freiheit und Unabh&auml;ngigkeit auf. Gesellschaftlich beginnt in dieser Altersgruppe auch die Auseinandersetzung mit Suchtmitteln, legal oder nicht. Alkohol und Cannabis sind weit verbreitet und auch andere Partydrogen, z. B. D-Amphetamin oder MDMA, werden gelegentlich konsumiert. Die Verantwortung f&uuml;r das Handeln der Adolenszenten wird haupts&auml;chlich von der Erwachsenenwelt abverlangt. Diese Themen treffen alle, besonders hart jene, die in schwierigen famili&auml;ren Lebensumst&auml;nden aufwachsen m&uuml;ssen, traumatisiert wurden oder bei denen andere erschwerende Faktoren (Krankheit etc.) zum Tragen kommen.</p> <h2>Transitionspsychiatrie</h2> <p>Insofern ist mit der Transition jener &Uuml;bergang gemeint, den Jugendliche auf dem Weg zum reifen Erwachsenen durchmachen. Aus medizinischer Sicht betrifft dies den &Uuml;bergang aus der Kinder- und Jugendmedizin inklusive Psychiatrie in die Erwachsenenmedizin/- psychiatrie. In der Literatur wird meist von der Altersspanne zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr gesprochen. Im psychiatrischen Bereich kommt die Erwachsenenpsychiatrie erst ab dem 18. Lebensjahr zum Zug. Diese Grenze erscheint aus Sicht der Entwicklung neurobiologischer und -psychologischer Strukturen als willk&uuml;rlich, stellt aber aus rechtlicher Sicht (in &Ouml;sterreich) klar, dass ab dem 18. Lebensjahr der Mensch als vollj&auml;hrig und m&uuml;ndig gilt. <br />Jugendliche mit einer psychiatrischen Erkrankung, die eine bisher kontinuierliche Betreuung gewohnt waren, werden zu dieser Zeit mit einem Wechsel konfrontiert. Junge Erwachsene, die neurobiologisch noch nicht &bdquo;reif&ldquo; sind, werden im Rahmen einer station&auml;ren Behandlung wie Erwachsene behandelt und dadurch auch mit den Problemen der &auml;lteren Erwachsenen konfrontiert, die durchaus im Alter der Eltern oder Gro&szlig;eltern sein k&ouml;nnen. Der wichtige konstruktive, teils auch therapeutische Dialog mit den Eltern der Patienten, wie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie &uuml;blich, ger&auml;t in den Hintergrund der Behandlung. Um f&uuml;r diese doch spezielle Altersgruppe ein vern&uuml;nftiges Behandlungsangebot stellen zu k&ouml;nnen, ben&ouml;tigt es bei den Entscheidungstr&auml;gern in der Psychiatrie und in der Politik ein gewisses Umoder Neudenken, denn die n&ouml;tigen Strukturen sind in &Ouml;sterreich bisher nur rudiment&auml;r verf&uuml;gbar. Aus den Modellen f&uuml;r Pr&auml;vention und Salutogenese l&auml;sst sich ableiten, dass ein entsprechend fr&uuml;her und ad&auml;quater Einstieg in die Behandlung chronische Belastungen und lebensbeeintr&auml;chtigende Dauerfolgen reduzieren kann (siehe auch Eckpunktepapier von DGKJP und DGPPN, 23. Juni 2016). <br />In entsprechenden Erhebungen konnte erhoben werden, dass rund ein Viertel bis ein Drittel der Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr eine psychische Erkrankung erleiden. Insbesondere bergen dabei Angstst&ouml;rungen ein mehrfach erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Depressionen und Alkoholmissbrauch. Auch Essst&ouml;rungen kommen h&auml;ufig vor und rund 40 % dieser Erkrankungen beginnen bereits in der Adoleszenz. Rund ein Drittel der Menschen mit einer bipolar-affektiven St&ouml;rung berichtet &uuml;ber einen Beginn in der Adoleszenz. In der j&uuml;ngeren Vergangenheit werden auch vermehrt Schwerpunkte bei der Behandlung von Traumafolgest&ouml;rungen gesetzt. Aktuelle Berichte zu Alkohol und Drogen (siehe G&Ouml;G &ndash; Drogenbericht 2018, G&Ouml;G &ndash; Handbuch Alkohol 2018) zeigen verschiedene Entwicklungen: Unter anderem stieg die j&auml;hrliche Rate an Spitalsaufenthalten pro 100.000 Einwohner aufgrund von Alkoholberauschung in der Altersgruppe 15&ndash;19 Jahre seit 1992 stetig an, in der Altersgruppe 20&ndash;24 Jahre hingegen war die Steigerung deutlich geringer. Rund 10&ndash;15 % der Menschen zwischen 15 und 24 Jahren trinken regelm&auml;&szlig;ig Alkohol. Erhebungen zum Cannabiskonsum bei Sch&uuml;lern, wie sie in innereurop&auml;ischen Studien &ndash; ESPAD (15- bis 16-J&auml;hrige) oder HBSC (15- bis 17-J&auml;hrige) &ndash; durchgef&uuml;hrt wurden, ergeben eine Lebenszeiterfahrung mit der Substanz von rund 20 %. Aktuelle Pr&auml;valenzsch&auml;tzungen des risikoreichen Konsums von Opioiden weisen auf einen deutlichen R&uuml;ckgang in der Altersgruppe 15&ndash;24 Jahre seit 2004 hin. Zusammengefasst zeigt sich, dass psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter starke Wurzeln in der Kindheit oder Jugend haben.</p> <h2>Suizid</h2> <p>Der Suizid ist in der Altersgruppe von 15&ndash;29 Jahren die zweith&auml;ufigste Todesursache. Dieses Faktum sollte die hohe Priorit&auml;t der Versorgung im Sinne der Pr&auml;vention und Behandlung psychischer Erkrankungen unterstreichen. Betrachtet man die absoluten Zahlen, zeigt sich, dass die meisten Suizide im mittleren Lebensalter zu verzeichnen sind (29 % aller Suizide betreffen Personen in der Altersgruppe 45&ndash;59 Jahre). Im Zeitraum von 1970 bis 2015 konnte &ndash; mit einigen Schwankungen &ndash; bei allen Altersgruppen ein r&uuml;ckl&auml;ufiger Trend der Suizidraten verzeichnet werden. Dies ist vielen Entwicklungen zu verdanken, vor allem aber sind die Errichtung von Kriseninterventionszentren, Aufkl&auml;rung und Pr&auml;ventionsarbeit diverser Initiativen sowie die fl&auml;chendeckende psychiatrische Versorgung und das Unterbringungsgesetz inklusive seiner Exekution als ma&szlig;gebliche Wirkfaktoren anzuf&uuml;hren. <br />Zu den besonders gef&auml;hrdeten Personen z&auml;hlen Menschen in akuten Krisensituationen, Menschen mit psychischen Erkrankungen, insbesondere depressive Menschen, Menschen, die alkohol-, medikamenten- oder drogenabh&auml;ngig sind. Weiters z&auml;hlen Personen, die einen Suizid ank&uuml;ndigen oder schon einen oder mehrere Suizidversuche hinter sich haben, sowie Personen, die durch einen Suizid in der Familie bzw. im Umfeld belastet sind, zu dieser Risikogruppe. <br />Die Helferkaskade, die zum Tragen kommt, wenn die Frage der Suizidgef&auml;hrdung aufkommt, besteht aus mehreren Instanzen und beginnt im unmittelbaren Umfeld der Betroffenen, bestehend aus Eltern, Freunden, Schule oder Arbeitsst&auml;tte. Auf der zweiten Stufe befinden sich Berufsgruppen wie Psychologen, Sozialarbeiter oder Psychotherapeuten. Als dritte Stufe k&ouml;nnen Allgemein&auml;rzte und generell Mitarbeiter von psychosozialen Einrichtungen oder Krankenh&auml;usern genannt werden. Diese ersten drei Stufen erf&uuml;llen die potenzielle Rolle eines Gatekeepers &ndash; sie stellen meist die Erstanlaufstelle dar und k&ouml;nnen an der Basis suizidpr&auml;ventiv wirken. Die n&auml;chsten Stufen beinhalten bereits explizit die fach&auml;rztliche Kompetenz, also Fach&auml;rzte in psychosozialen Einrichtungen, aber auch im niedergelassenen Bereich. Die letzte Instanz dieser Helferkaskade sind die Fach&auml;rzte der psychiatrischen Abteilungen in Krankenh&auml;usern. Sind die Betroffenen hier angelangt, ist jedoch schon Intervention, wenn nicht sogar die Akutintervention unter Anwendung des Unterbringungsgesetzes, angezeigt &ndash; die Suizidpr&auml;vention erreicht hier ihr Maximalausma&szlig;. <br />Allen Instanzen der Helferkaskade gemein ist das Motto der Suizidpr&auml;vention: &bdquo;Daran denken, danach fragen, dar&uuml;ber sprechen.&ldquo; In diesem Sinne sollte jeder im Verdachtsfall daran denken und auch bewusst nachfragen: &bdquo;Haben Sie Gedanken, dass Ihr Leben keinen Sinn mehr macht oder dass Sie sich etwas antun wollen?&ldquo; Bei j&uuml;ngeren Betroffenen ist vielleicht das &bdquo;Du&ldquo; dem &bdquo;Sie&ldquo; vorzuziehen. Gedanken an Suizid kommen h&auml;ufig bei belasteten oder psychisch kranken Menschen vor, sie sind zwar nicht immer akut lebensbedrohlich, aber sollten unbedingt ernst genommen werden &ndash; dar&uuml;ber reden schafft oft Erleichterung. Die Angst, dass durch das aktive Ansprechen ein Suizid erst provoziert wird, ist vielleicht vorhanden, aber fachlich unberechtigt, das Gegenteil ist der Fall.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1904_Weblinks_s31_abb1_abb2.jpg" alt="" width="1185" height="472" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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