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ACR 2024: klinische Studien und das Placeborätsel
Bericht:
Reno Barth
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Zwischen 15. und 19. November fand in Washington die jährliche Convergence des American College of Rheumatology (ACR) statt. Im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie präsentierte ein heimischer Experte Highlights dieses Kongresses.
Keypoints
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Upadacitinib führte zu höheren Remissionsraten bei der Riesenzellarteriitis.
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Eine Erhaltungstherapie mit niedrig dosierten Steroiden reduziert das Risiko von Krankheitsschüben bei GPA bei Patienten, die kein Rituximab erhalten.
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Nipocalimab zeigt vielversprechende Ergebnisse in der Verringerung der Krankheitsaktivität beim primären Sjögren-Syndrom.
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In weniger wohlhabenden Ländern sind die Ansprechraten in den Placebogruppen höher – ein möglicher Hinweis auf unzureichende medizinische Grundversorgung.
JAK-Inhibitor bei Riesenzellarteriitis
Eines der von Dr. Andreas Kerschbaumer von der 3. Medizinischen Universitätsklinik am Wiener AKH ausgewählten klinischen Highlights war die Phase-III-Studie SELECT-GCA, die den JAK-Inhibitor Upadacitinib in der Indikation Riesenzellarteriitis untersuchte. In die Studie eingeschlossen waren Patient:innen im Alter von über 50 Jahren mit neu aufgetretener oder rezidivierender Erkrankung, die bei Einschluss mindestens 20mg Prednisolon am Tag benötigten. Biologika-Nonresponder waren aus der Studie ausgeschlossen.
Die Studie war in zwei Phasen gegliedert. In der ersten Phase der Studie wurde Upadacitinib in den Dosierungen 7,5 und 15mg am Tag bei gleichzeitigem Ausschleichen des Kortikosteroids über 52 Wochen mit Placebo verglichen. In der zweiten Phase der Studie wurde in der Gruppe von Patient:innen, die in der ersten Phase Remission erreichen, untersucht, wie sich das Absetzen von Upadacitinib auf die Stabilität der Remission auswirkt. Ebenso wurden Sicherheit und Verträglichkeit von Upadacitinib erhoben.
Besseres Ansprechen, weniger Flares, weniger Steroide
Die Ergebnisse der ersten Studienphase wurden nun im Rahmen der ACR Convergence 2024 präsentiert.1 Primärer Endpunkt war anhaltende Remission in den Wochen 12 bis 52. Im Hinblick auf diesen Endpunkt erwies sich Upadacitinib im Vergleich zu Placebo als signifikant überlegen. Während in der Verumgruppe 46% der Studienpopulation den primären Endpunkt erreichten, waren es in der Placebogruppe lediglich 29% (p=0,0019). Dabei wurde das Kortikosteroid in der Upadacitinib-Gruppe über 26 Wochen ausgeschlichen, in der Placebogruppe über die vollen 52 Wochen. Darüber hinaus wurden mit Upadacitinib 9 von 12 sekundären Endpunkten erreicht. Einer dieser Endpunkte war die kumulative Steroidexposition, die in der Placebogruppe signifikant höher war als mit Upadacitinib 7,5 oder 15mg/d. Auch Flares waren mit dem JAK-Inhibitor seltener, wobei der Vorteil gegenüber Placebo nur für 15mg Upadacitinib signifikant war.
Von besonderer Bedeutung sind in Zusammenhang mit Indikation und Patientenpopulation die Sicherheitsendpunkte. Kerschbaumer: „Wir haben es hier mit einer Population zu tun, bei der wir uns im Zusammenhang mit JAK-Inhibitoren tendenziell Sorgen machen und nach Risikofaktoren fragen.“
In SELECT-GCA waren schwere unerwünschte Ereignisse jedenfalls in der Placebogruppe am häufigsten, gefolgt von Upadacitinib 15mg. Herpes zoster trat erwartungsgemäß unter Upadacitinib 15mg etwas häufiger auf als unter Placebo, Infektionen insgesamt wurden jedoch im Placeboarm häufiger gesehen, was vermutlich durch das langsamere Kortison-Tapering in der Placebogruppe erklärt werden könne, so Kerschbaumer. In den Upadacitinib-Gruppen traten weder Malignome noch kardiovaskuläre Ereignisse häufiger auf als unter Placebo.
Eine Zulassung für Upadacitinib in der Indikation Riesenzellarteriitis besteht aktuell nicht, dürfte angesichts dieser Daten jedoch innerhalb der nächsten Jahre erteilt werden.
Sollen Steroide bei der GPA in Remission komplett ausgeschlichen werden?
Eine weitere im Rahmen der ACR Convergence präsentierte Studie beschäftigte sich mit der Erhaltungstherapie bei der früher als Morbus Wegener bekannten Granulomatose mit Polyangiitis (GPA). Bei der GPA wird Remission durch den Einsatz mittel- bis hoch dosierter Glukokortikoide in Kombination mit anderen immunsupprimierenden Substanzen induziert, was üblicherweise ein bis drei Monate benötigt. Nach einem Monat werden die Steroide langsam reduziert.
In der TAPIR-Studie wurde nun die Frage gestellt, ob eine Erhaltungstherapie mit niedrig dosiertem Steroid weitergeführt werden oder dieses komplett ausgeschlichen werden soll. TAPIR war eine multizentrische, „open-label“, randomisierte und kontrollierte Studie mit 144 GPA-Patient:innen in Remission. Diese reduzierten Prednison randomisiert entweder auf 5mg/d oder auf null. Zum Zeitpunkt der Randomisierung standen die Patient:innen unter Therapie mit 5–10mg Prednison am Tag sowie einer weiteren immunsuppressiven Therapie. Dabei handelte es sich in etwas mehr als der Hälfte der Fälle (54%) um Rituximab. Primärer Endpunkt war die Entscheidung der Behandler, wegen eines Rückfalls die Steroiddosis zu erhöhen. Rückfälle wurden anhand des Birmingham Vasculitis Activity Score for Wegener’s Granulomatosis (BVAS/WG) definiert. Unterschieden wurde zwischen „major relapse“, definiert durch ein Major BVAS/WG Item, sowie „minor relapse“, definiert durch jede andere Form von Krankheitsaktivität. Remission erforderte einen BVAS/WG-Wert von null.
Im gesamten Kollektiv der Studie zeigte sich eine signifikante Überlegenheit für die fortgesetzte Steroidtherapie. Die Rückfallrate lag bei 4,2% unter 5mg/d Prednison sowie 15,5% ohne Glukokortikoid. Eine Subgruppenanalyse zeigte jedoch, dass der Vorteil der fortgesetzten Steroidtherapie bei Patient:innen, die Rituximab erhielten, nicht mehr gegeben war. Im Gegensatz dazu lag die Rückfallrate bei Patient:innen, die kein Rituximab erhielten und das Steroid absetzten, bei 20% innerhalb von sechs Monaten. Von sechs schweren unerwünschten Ereignissen in der gesamten Studienpopulation gab es fünf in der Gruppe, die Prednison vollständig absetzte. Insgesamt waren schwere Nebenwirkungen in beiden Gruppen selten. Hinsichtlich der Patient Reported Outcomes (PRO) wurden keine Unterschiede zwischen den Gruppen gefunden.2
Kerschbaumer: „Diese Ergebnisse haben für uns praktische Konsequenzen. Bei Patient:innen, die kein Rituximab erhalten, sollte man sich die Frage stellen, ob eine Therapie mit niedrig dosiertem Cortison nicht dringend notwendig ist. Die Daten zeigen das sehr klar.“ Für Patient:innen unter Therapie mit Rituximab ist das komplette Absetzen der Steroide hingegen eine sinnvolle Option, so die Autoren der Studie. Die Ergebnisse von TAPIR haben auch Konsequenzen für zukünftige klinische Studien, da sie zeigen, dass vollständiges Absetzen von Cortison Auswirkungen auf die klinischen Outcomes haben wird, sofern die Patient:innen nicht mit Rituximab behandelt werden.
Mit neuem Wirkmechanismus gegen das Sjögren-Syndrom
Neue Daten wurden auch zu Nipocalimab, einem experimentellen Antikörper gegen den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn), präsentiert. Der FcRn reduziert unter anderem in Endothelzellen den Abbau von IgG durch die Lysosomen und verlängert so die Plasmahalbwertszeit des Immunglobulins. Ein Mangel an FcRn führt zu einer deutlich verkürzten Halbwertszeit der IgG-Antikörper, was durch Blockade des Rezeptors auch therapeutisch genützt werden kann. Nipocalimab ist ein monoklonaler Antikörper, der mit hoher Affinität an FcRn bindet und damit die Konzentrationen zirkulierender IgG-Antikörper reduziert. Kerschbaumer: „Nipocalimab hat einen komplizierten Wirkmechanismus, der letztlich darauf hinausläuft, dass das Recycling von Immunglobulinen unterbunden wird. Die grundlegende Idee ist, die Antikörperlast zu senken.“
Nipocalimab wird in unterschiedlichen Indikationen untersucht, die nun vorgestellten Daten beziehen sich auf die Behandlung des primären Sjögren-Syndroms, einer „Erkrankung, bei der wir derzeit wenige Optionen zur Verfügung haben“, so Kerschbaumer. DAHLIAS war eine multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Phase-II-Studie mit 163 Patient:innen im Alter zwischen 18 und 75 Jahren mit moderat bis schwer aktivem, primärem Sjögren-Syndrom. Die Behandlung erfolgte mit 5 oder 15mg/kg intravenösem Nipocalimab oder Placebo alle zwei Wochen über insgesamt 24 Wochen. Primärer Endpunkt war die Veränderung des Scores Clinical European League Against Rheumatism Sjögren’s Syndrome Disease Activity Index (clinESSDAI) zu Woche 24. Im Gegensatz zum ESSDAI berücksichtigt der clinESSDAI nur die elf klinischen Domänen, nicht jedoch die biologische Domäne des ESSDAI. Die biologische Komponente wurde als Bestandteil des Endpunkts vermieden, da Nipocalimab unabhängig von der klinischen Wirksamkeit zu einem Abfall von IgG führen würde und damit ein erheblicher Bias zugunsten des Biologikums gegeben wäre. Bei Einschluss in die Studie musste der clinESSDAI der Patient:innen mindestens sechs betragen, lag tatsächlich jedoch im Mittel um die 10.
Patient:innen, die 15mg/kg Nipocalimab erhielten, zeigten gegenüber Placebo einen statistisch signifikanten Vorteil. Im Gegensatz dazu zeigten 5mg/kg Nipocalimab keine Überlegenheit im Vergleich zu Placebo. Auch im Hinblick auf die meisten sekundären und exploratorischen Endpunkte war Nipocalimab 15mg/kg gegenüber Placebo überlegen. Dies betraf die Veränderungen der Physician-Global-Assessment-of-Disease-Severity- und ESSDAI-Scores, das Ansprechen nach Sjögren’s Tool for Assessing Response, den Kompositen relevanter Endpunkte für Sjögren-Syndrom sowie die Veränderung der Krankheitsaktivität im Sinne einer Verbesserung in mindestens einer Domäne des clinESSDAI. Nipocalimab wurde gut vertragen, die Inzidenz unerwünschter Ereignisse war in sämtlichen Studienarmen vergleichbar. Schwere unerwünschte Ereignisse traten auf bei 7,5% der Patient:innen unter Nipocalimab 5mg/kg, bei 7,4% in der 15-mg/kg-Gruppe sowie bei 5,4% der Placebopatient:innen. Es kam zu keinen opportunistischen Infektionen, keiner schweren Hypoalbuminämie und zu keinen Todesfällen. Die IgG-Spiegel sanken nach Behandlungsbeginn in den beiden Nipocalimab-Armen deutlich ab, erreichten jedoch nach dem Absetzen innerhalb von sechs Wochen wieder die Ausgangswerte.3
Kerschbaumer betont, dass sich der Gesundheitszustand der Patient:innen in der 15-mg/kg-Gruppe über die gesamten 24 Monate der Studie kontinuierlich verbesserte, und weist darauf hin, wie schwierig es beim Sjögren-Syndrom ist, ausreichend Patient:innen zu finden und zu rekrutieren. Darüber hinaus ist beim Sjögren-Syndrom mit einem ausgeprägten Placeboeffekt zu rechnen, was den Nachweis der Wirksamkeit neuer Substanzen erheblich erschwere. Für Nipocalimab sei es nun allerdings gelungen, im Vergleich zu Placebo den Nachweis der FcRn-Blockade zu erbringen.
Wieso wird Placebo in klinischen Studien immer wirksamer?
Im Rahmen der Plenary-I-Session der ACR Convergence präsentierte Kerschbaumer auch eine selbstan der Medizinischen Universität Wien durchgeführte Arbeit, die mit dem Emerging Investigator Excellence Award des ACR ausgezeichnet wurde. Die Studie beschäftigt sich mit dem Placeboeffekt, der in Studien in der Indikation Rheumatoide Arthritis über die Jahre immer deutlicher wurde. Aktuell erreichen z.T. mehr als 40% der Placebopatient:innen ein ACR20-Ansprechen. Das Ziel der nun präsentierten Studie bestand darin, die Veränderungen im Placeboansprechen zu quantifizieren und potenzielle Ursachen dieser Veränderungen zu identifizieren. Untersucht wurden geografische Aspekte des Recruitings sowie sozioökonomische Faktoren klinischer Studien.
Dazu wurden alle verfügbaren, placebokontrollierten Studien mit Biologika oder tsDMARD (JAK-Inhibitoren) in der Indikation RA mit Endpunkt ACR20-Ansprechen nach 12 und/oder 24 Wochen ausgewertet. Von insgesamt mehr als 13000 gescreenten Artikeln wurden 577 im Detail bewertet, wobei letztlich 135 den Kriterien der Studie entsprachen und in die finale Analyse eingingen. Diese zeigt tatsächlich einen signifikanten Anstieg der Ansprechraten zu den Wochen 12 und 24 in den Placebogruppen über die vergangenen 20 Jahre, der sich in der Größenordnung von einem Prozent pro Jahr bewegt. Schwieriger gestaltete sich die Analyse der Rekrutierungsmuster. Kerschbaumer: „Wie viele Patient:innen pro Land rekrutiert werden, wird in der Regel nicht publiziert.“ Letztlich ließ sich diese Information jedoch über die Angabe der Zahl der rekrutierenden Zentren in den Publikationen sowie über clinicaltrials.gov extrahieren. Wurde in den 1990er-Jahren fast ausschließlich in Nordamerika und Europa rekrutiert, so zeigte sich eine zunehmende Globalisierung mit immer mehr Studienpatient:innen in Südamerika, Asien und Afrika. Um diese Information in analysierbare Zahlen umzusetzen, wurde das jeweilige Bruttosozialprodukt herangezogen und ein Bruttosozialprodukt pro Studie errechnet. Dieses sinkt pro Jahr signifikant und kontinuierlich. Eine weitere Analyse zeigte, dass das ACR20-Ansprechen negativ mit dem Bruttosozialprodukt assoziiert ist. Konkret steigt das ACR20-Ansprechen pro 10000 Dollar geringerem BIP um 5,2%. Das heißt, in weniger wohlhabenden Ländern sind die Ansprechraten in den Placebogruppen höher.4 Kerschbaumer: „Das ist ein ausgeprägter und relevanter Effekt.“ Die Ursachen wurden nicht untersucht, man könne jedoch spekulieren, dass in ärmeren Ländern viele Betroffene erst durch die Aufnahme in Studien Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung bekommen und daher mehr von einer optimierten Hintergrundtherapie profitieren.
Quelle:
Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie & Rehabilitation, Sitzung „ACR Highlights“,Dr. Andreas Keschbaumer, am 30. November 2024 in Wien
Literatur:
1 Merkel P et al.: Efficacy and safety of upadacitinib in patients with giant cell arteritis (SELECT-GCA): a double-blind, randomized controlled phase 3 trial. ACR Convergence 2024; Abstract 0770 2 Merkel P et al.: A multicenter, randomized, controlled trial to evaluate the effects of low-dose glucocorticoids compared to stopping glucocorticoids to maintain remission of granulomatosis with polyangiitis: the TAPIR trial. ACR Convergence 2024, Abstract 0774 3 Gottenberg JE et al.: Efficacy and safety of nipocalimab, an anti-FcRn monoclonal antibody, in primary sjogren’s disease: results from a phase 2, multicenter, randomized, placebo-controlled, double-blind study (DAHLIAS). ACR Convergence 2024, Abstract 2527 4 Kerschbaumer A et al.: Global recruiting patterns are associated with placebo response rates in clinical trials of rheumatoid arthritis. ACR Convergence 2024, Abstract 1746
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