Das stabile Handgelenk – Übungsprogramme und deren Effekte
Autorin:
Sonja E. Pelzmann, MSc
Ergotherapeutin,
zertifizierte Handtherapeutin/ÖGHT,
PhD-Candidate
Wien
E-Mail: pelzmann_sonja@yahoo.de
Ein instabiles Handgelenk resultiert aus einer Dysfunktion des Zusammenspiels der entsprechenden Strukturen. Durch die Anwendung von darauf abgestimmten Übungsprogrammen kann das Handgelenk Stabilität erlangen und zu einem uneingeschränkten Handeinsatz im Alltag verhelfen.
Keypoints
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Voraussetzung ist eine adäquat ausgerichtete und vorhandene Anatomie. (Zumhasch & Paries, 2016)
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Ziele der Übungsprogramme sind die Schaffung des propriozeptiven Bewusstseins, die Förderung des joint position sense, das Training der Kinästhesie sowie der bewussten und unbewussten neuromuskulären Kontrolle.
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Relevante Parameter sind Schmerz, Handfunktion und Kraft.
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Individuelle und auf die Patient:innen abgestimmte Übungsprogramme verhelfen zu einem stabilen Handgelenk.
Ursachen für eine Handgelenksinstabilität sind Fehlstellungen nach einer distalen Radiusfraktur und der daraus resultierenden Längenveränderung, kleine Bandverletzungen in Verbindung von Handgelenksganglien oder Verletzungen des triangulären fibrokartilaginären Komplexes (TFCC).1,2Die dabei auftretenden Symptome umfassen neben Bewegungseinschränkungen generalisierte und zentrale Schmerzen bei Bewegung, eine schwache Greifkraft sowie ein Unvermögen, das Handgelenk unter Belastung zu stabilisieren.2,3Für ein stabiles Handgelenk benötigt man eine physiologische Form der Knochen und Gelenksflächen, intakte extrinsische und intrinsische Ligamente sowie ein fein abgestimmtes sensomotorisches System.4Die Literatur berichtet, dass in der Handtherapie unterschiedliche Übungsprogramme als konservative Behandlungsoption Anwendung finden, um Stabilität im Handgelenk zu erzielen.1,3,5–7
Schwerpunkte der Übungsprogramme
Je nach Diagnose bzw. vorangegangener Verletzung wird in der Rehabilitation an unterschiedlichen Aspekten der Handgelenksstabilität gearbeitet. Propriozeption, unter anderem im Zusammenhang mit der neuromuskulären Kontrolle, sowie die Sensomotorik verhelfen dazu, die statische als auch die dynamische Stabilisierungsfunktion des Handgelenks (wieder-)herzustellen und damit eine Schmerzfreiheit sowie eine uneingeschränkte Ausführung der Aktivitäten des täglichen Lebens zu erlangen.
Rehabilitation der Propriozeption
Abb. 1: Wristball
Die Propriozeption, die Fähigkeit sich selbst zu spüren und wahrzunehmen, ist für ein stabiles Handgelenk essenziell. Hierbei werden Empfindungen und Informationen, die von den Gelenken, Bändern, Muskeln und der Haut ausgehen, über Mechanorezeptoren aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet.8Der Fokus liegt bei der Rehabilitation der Propriozeption neben der Basisrehabilitation auf der Schaffung des propriozeptiven Bewusstseins, wobei visuelle oder kutane Einflüsse zu Hilfe genommen werden. Die weiteren Stufen dieses Schemas widmen sich der Kinästhesie (v.a. zum Erfassen der passiven Bewegung) sowie der bewussten und unbewussten neuromuskulären Rehabilitation (Beispiel: Wristball/Powerball) (Abb. 1).6Die Propriozeption bzw. das Propriozeptionstraining ist Bestandteil aller angewendeten Übungsprogramme.1,3,5,7
Rehabilitation der neuromuskulären Kontrolle
Abb. 2: Übung zur Stabilisierung des Handgelenks mit dem Band
Die neuromuskuläre Kontrolle beinhaltet die unbewusste Steuerung des Gelenks durch Reflexreaktionen im Rückenmark zur unmittelbaren Stabilisierung des Gelenks und die anschließende Regulierung der Muskelaktivität auf zerebraler Ebene. Bei der Erarbeitung der bewussten neuromuskulären Kontrolle kommen vor allem isometrische, exzentrische, co-aktivierende und reaktive Übungen zum Einsatz. Isometrische Übungen (Beispiel: Übungen mit dem Gymnastikband, siehe Abb. 2), die der Stärkung der Muskeln in einem bestimmten Gelenkswinkel dienen, werden am häufigsten angewendet. Sie bewirken einen schnellen Aufbau der Muskelkraft und spielen bei der Schulung der Propriozeption im Handgelenk eine wichtige Rolle. Obwohl isokinetische Übungen nachweislich die Muskelkraft, die muskuläre Ausdauer und die allgemeine propriozeptive Gelenksfunktion verbessern, kommen diese in der Handrehabilitation kaum zum Einsatz. Ein Grund hierfür ist, dass spezielle Geräte bzw. Apparaturen zur Ausführung der Übungen erforderlich sind und diese der Patientin/dem Patienten kaum bis gar nicht zur Verfügung stehen.5,6
Sensomotorische Rehabilitation
Das sensomotorische Kontrollsystem des Menschen besteht aus Kinästhetik, Gelenksstellungssinn („joint position sense“[JPS]) und neuromuskulärer Kontrolle.5In der sensomotorischen Rehabilitation wird die Steuerung und Kontrolle von Bewegung mit Sinnesrückmeldungen gefördert und damit die optimale Gelenkswahrnehmung wiedererlangt. Neben gezieltem Propriozeptionstraining, Koordinationstraining und der Ausführung von Alltagsaktivitäten kommen erst im späten Verlauf der Übungsprogramme Kräftigungsübungen zum Einsatz.5,7
Anwendung
Die Anwendung der Übungsprogramme, die in drei bis sechs Stufen bzw. Stadien aufgebaut sind, basiert auf den oben angeführten Schwerpunkten. Auf welcher Stufe im Programm gestartet wird, eruiert die/der behandelnde Therapeut:in. Schmerzfreiheit und eine entsprechende Qualität der Übungen dienen dabei als Kriterium. Wie aus den vorhandenen Publikationen hervorgeht, werden je nach Stufe und Diagnose unterschiedliche Übungen mit unterschiedlichen Wiederholungen in unterschiedlichen Intervallen (3–5x/Tag bis 30 Minuten pro Tag) durchgeführt. Die individuellen Übungen und Aufgabenstellungen werden unter Supervision des/der behandelnden Therapeut:in instruiert. Da die Übungen vorrangig selbstständig als Heimübungsprogramme durchgeführt werden, sind nur wenige Therapieeinheiten in einem Abstand von zwei bis drei Wochen erforderlich. Als Gemeinsamkeit weisen sie die Vorgehensweise auf, dass nach einem Propriozeptionstraining statische Übungen und in weiterem Verlauf erst dynamische Übungen durchgeführt werden. Erst bei Vorhandensein einer guten Bewegungsqualität, die sich in einer geschmeidigen, koordinierten Bewegung ohne Kompensation zeigt, und der Abwesenheit von Schmerzen ist die nächste Stufe erreicht. Adäquate Steigerungsmöglichkeiten, wie die Verwendung von höheren Gewichten, der Steigerung der Anzahl der Wiederholungen pro Übung, die Verlängerung der Dauer bei Halteübungen, die Komplexität der Bewegungen oder die Durchführung der Übungen ohne visuelle Kontrolle, können angewendet werden. Sinnvolle Aktivitäten des täglichen Lebens als spezielle Übungen werden rasch in das Übungsprogramm einbezogen. Beispielsweise kann ein gezieltes Hantieren mit Tellern oder Töpfen beim Kochen als Aufgabenstellung dienen. Die Autor:innen der Studien berichten, dass trotz der langen Dauer der Übungsprogramme von bis zu 15 Wochen,3 die Compliance und Adhärenz der Patient:innen gegeben sind. Die klinische Praxis zeigt jedoch, dass die Dauer und das späte Bemerken des Benefits sehr wohl eine Herausforderung sind und die Geduld der Patient:innen einfordert.
Effekte
Die vorhandenen Evidenzen beruhen auf Pilotstudien oder Fallstudien, die keine Kontrollgruppe berücksichtigten. Daher kann auch keine generalisierte Aussage bezüglich Effektivität der Übungsproramme für ein stabiles Handgelenk getroffen werden. Die vorhandenen Daten belegen, dass erst nach Wochen und Monaten signifikante Ergebnisse erreicht werden, die sich in einer Verminderung und/oder einem Verschwinden des Schmerzes, einer Verbesserung der Handfunktion bei der Ausführung der Aktivitäten des täglichen Lebens, einer Steigerung der Handkraft und damit einer Stabilität im Handgelenk zeigen.1,3,5,7
Zusammenfassung
Die Ergebnisse belegen, dass Übungsprogramme für ein stabiles Handgelenk und deren Effekt kaum erforscht sind. Die spärlich existente Evidenzlage demonstriert jedoch, dass durch die Durchführung von Übungsprogrammen eine Stabilität im Handgelenk erreicht werden kann, die auf einer Schmerzlinderung, einer besseren Handfunktion und einer gesteigerten Handkraft basiert. In weiterer Folge ermöglichen sie den Patient:innen, die gewünschten und erforderlichen Aktivitäten adäquat auszuführen. Obwohl diesbezüglich viele Fragen, wie etwa der Wirkmechanismus, noch nicht beantwortet und weitere hochqualitative Forschungen erforderlich sind, können sie als Ansatz und Orientierung in der Rehabilitation von instabilen Handgelenken herangezogen werden.
Literatur:
1 Bonhof-Jansen EDJ et al.: Rehabilitation with a stabilizing exercise program in triangular fibrocartilage complex lesions with distal radioulnar joint instability: A pilot intervention study. Hand Ther 2019; 24(4): 116-22 2 Prosser R et al.: Current practice in the diagnosis and treatment of carpal instability--results of a survey of Australian hand therapists. J Hand Ther 2007; 20(3): 239-43 3 Tse YLF et al.: A structured non-operative treatment program for traumatic triangular fibrocartilage complex tear: A quasi-experimental study. Hand Surg Rehabil 2023; 42(6): 492-8 4 Zumhasch R, Paries C: Karpale Instabilitäten – Anatomie, Biomechanik und Pathologie. Man Ther 2016; 20(2): 63-9 5 Chen Z: A novel staged wrist sensorimotor rehabilitation program for a patient with triangular fibrocartilage complex injury: A case report. J Hand Ther 2019; 32(4): 525-34 6 Hagert E: Proprioception of the wrist joint: A review of current concepts and possible implications on the rehabilitation of the wrist. J Hand Ther 2010; 23(1):2-17 7 Lötters FJB et al.: SMoC-Wrist: a sensorimotor control-based exercise program for patients with chronic wrist pain. J Hand Ther 2020; 33(4): 607-15 8 Hagert E, Rein S: Wrist proprioception -an update on scientific insights and clinical implications in rehabilitation of the wrist. J Hand Ther 2023; 37(2): 257-68
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